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Lehrplan vom 31. Dezember 1574 sprach er von dem ausgelassenen Mutwillen (nimia protervitas), der zwar als ein gemeinsamer Fehler der Jugend zu betrachten sei, der aber durch die leichtfertigen deutschen Spiele, die häufig in Nürnberg aufgeführt würden, nur neue Nahrung finde.

Wie anders dachte Johannes Sturm in Straßburg (1538— 1583), der berühmteste Schulmann seiner Zeit, über Terenz und das Schuldrama! Er selbst erzählt, wie er in der Schule der Hieronymianer zu Lüttich vor der Martinikirche drei Jahre vor Ausbruch des Bauernkrieges in seinem vierzehnten Lebensjahre (1521), ohne von einem Lehrer oder einem Mitschüler unterwiesen zu sein, die Rolle des Geta im Phormio des Terenz gespielt und daß ihm dies viel genügt habe. Er ordnete in dem 1566 zu einem akademischen Gymnasium erhobenen Gymnasium, zu dem viele Hunderte von Schülern aus weiter Ferne strömten, die Aufführung aller Komödien des Terenz nnd Plautus an; in übertriebener Wertschätzung der Schuldramen forderte er, daß das Schultheater keine Woche unbenußt bleibe; 'vacuum actoribus theatrum nulla esse volo hebdomade', so schrieb er an Theophilus Golius, den Lehrer der ersten Klasse; er betrieb die dramatischen Aufführungen überhaupt mit großem Nachdruck als ein wichtiges Bildungsmittel; er wünschte, daß die Schauspieler für die Komödie wie für die Tragödie in der ersten Klasse Roscii seien, geübter, als sie in den unteren Klassen sein könnten. Da ihm die Komödien des Terenz in sittlicher Beziehung unschädlich erschienen, so empfahl er sie alle zur Aufführung; von Plautus veranstaltete er 1565 eine Auswahl von sechs Stücken. Von 1572 an begannen die Vorstellungen sogar schon in der sechsten Klasse, und zwar waren für die vier unteren Klassen Komödien, für die beiden oberen Tragödien zur Aufführung bestimmt; den Anfang machten Plautus und Terenz, den Schluß Sophokles und Aeschylus; die Verteilung erfolgte zu Michaelis, die Aufführung zu Ostern; während des Winters ruhten die Vorstellungen, weil sie unter freiem Himmel stattfanden.

In Kursachsen, wo der um das Schulwesen hochverdiente Kurfürst Moriß die drei Fürstenschulen zu Meißen, Schulpforte und Grimma gestiftet hatte, wurde am 1. Januar 1580 eine auf

älteren Ordnungen ruhende Schulordnung veröffentlicht, welche den Lehrern die jährliche Aufführung von Komödien des Terenz und Plautus zur Pflicht machte, damit die Schüler ‘auf das zierliche Lateinreden gewöhnt' würden. Aber die Präceptores sollen, so heißt es in der Verordnung, mit besonderer Vorsicht das Gift von dem Honig scheiden und die Knaben lehren, daß sie sich vor den Lastern, welche die Poeten in ihren Schriften an jungen und alten Leuten beschrieben haben, fleißig hüten und verwahren. Die Brieger Schulordnung von 1581 (verfaßt vom Rektor Sickius, der 1582 die Leitung des Goldberger Gymnasiums übernahm) sezte die Uebung lateinischer und deutscher Komödien und Tragödien in die fröhliche heitere Zeit zwischen Ostern und Pfingsten (tempore Hilariorum), damit den Schülern die Gelegenheit zum Umherschweifen und Lärmen genommen und eine ehrbare Erholung von den ernsten Studien zu teil werde. Auch in den östlichen Teilen Deutschlands, in Königsberg und Thorn, wurden, wie aus den Schulordnungen von 1568 und 1600 ersichtlich ist, Terenzische Stücke aufgeführt, und in Danzig mußte sich unter Möllers Rektorat (1560–1567) die Aufführung auf eine Komödie des Terenz beschränken, damit die Schüler auch noch Zeit zum Einstudieren einer deutschen aus der Bibel entnommenen Komö die fänden. Die Nordhäuser Schulordnung, deren Abfassung wohl auf den späteren Braunschweiger Superintendenten Lukas Martini zurückzuführen ist, sezte die Aufführung einer lateinischen Komödie aus dem Terenz und einer deutschen biblischen für die Fastenzeit fest; die Proben sollen den Mittwoch mittags abgehalten werden, aber ohne daß die anderen Schulstunden versäumt werden. Diese Spiele sollten der Bürgerschaft und der gemeinen Stadt zu Ehren gegeben werden, und zwar die geistliche deutsche Komödie in der Kirche, die weltliche lateinische auf dem Tanzboden und dem offenen Markte, wo es sich schickt. Der Rektor mußte acht Tage vorher den Pastor, die Inspektoren und die Bürgermeister darum begrüßen und drei Tage vorher die vornehmsten Herren des Rats und das Ministerium dazu einladen, auch die Namen im Spiel 'hart einbinden, damit sie, weil sie maskierte Personen sind, an keinem Bürger oder den Seinen Mutwillen treiben. Kleider, Instrumente, Larven und Kolben und anderes, was

man zum Spiel angeschafft hat, soll der Rektor bei den Schülern lassen, damit man jährlich davon nehmen kann, was man bedarf.' Dann folgt noch das Verbot der Fastnachtsmummereien und des Spazierens in den Gassen mit Lauten, Zinken, Cithern und anderen Instrumenten. Am Stephanenm zu Aschersleben endlich sollten sich die Schulmeister nach der Schulordnung von 1589 befleißigen, mit den Schülern eine deutsche oder lateinische Komödie zu agieren, ‘eins umbs ander'.

Wir sehen aus diesen Bestimmungeu evangelischer Schulordnungen, daß fast allenthalben der Terenz in der Schule die Herrschaft ausübte, indem er nicht nur den sprachlichen Unterricht fördern, sondern auch als der rechte Sittenlehrer für die Jugend wirken sollte. Aber hier und da erhoben sich auch Stimmen gegen die Sittenreinheit der Terenzischen Dramen, indessen irgend eine wichtige Autorität brachte dieselben zum Schweigen. Der Professor der lateinischen Sprache Rudolf Goclenius in Marburg wurde 1604 von dem Rektor der Katharinenschule Johann Bechmann in Braunschweig, dem Herausgeber einer zweiten erweiterten Auflage des Dedekindschen Miles christianus, um ein Gutachten über die Frage der Zulässigkeit der Schulspiele (An ludi scenici scholastici, quales comoediae et tragoediae, sint liciti in bene constituta politia) gebeten. Goclenius bejahte die Frage und erklärte auf den Vorwurf, daß es unziemlich sei, die öffentlichen Dirnen des Terenz und Plautus auf die Bühne zu bringen: Ich halte es nicht für unziemlich, daß ein Mann die Rolle einer Dirne spielt, wenn es in der Absicht geschieht, daß die Laster der Dirne abgemalt werden; es ist auch nicht unerhört, die Kleider einer Dirne anzuziehen, wohl aber ihre Sitten anzunehmen'. So leicht, sagt Goedeke, fand man sich damals mit der Sitte ab, während die Leiter der Spiele doch verlangten, daß die Darsteller, in der Regel Schüler, die durch das Kleid bedingten Sitten darstellen, sich also auch in die dargestellten Personen hineindenken sollten'. 1) Wo jedoch die Sittenreinheit der Terenzischen Dramen beanstandet wurde, benußte man zur Aufführung entweder den für den Schulgebrauch bearbeiteten, von Obscönitäten befreiten sogenannten 'Terentius

1) Goedeke, Johannes Römholdt. Hann. 1855. S. 83.

castratus', von dem eine zweite Auflage im Jahre 1605 zu Amsterdam erschien, oder eine der vielen inzwischen entstandenen deutschen Uebersehungen, in denen die Unsittlichkeiten vermieden waren. Diese Ueberseßungen, die zugleich die Kenntnis der deutschen Sprache zu fördern bestimmt waren, sind nicht wörtliche Uebertragungen des Originals, sondern in der Regel freie Kompositionen, bei denen nur der Inhalt und allenfalls auch die scenische Einteilung festgehalten wird, im übrigen aber moderne Verhältnisse zur Besprechung gelangen, die durchaus nicht im Zusammenhange mit dem Originale stehen.

So entstanden schon 1535 zwei gereimte Ueberseßungen von zwei Stücken des Terenz, der Andria von Heinrich Ham und der Hekyra von Johann Mußler. Mag. Heinrich Ham aus Nordhausen, seit 1528 in Wittenberg, 1539 im Dienste des Markgrafen Johann von Brandenburg und Anhänger Johann Agricolas im antinomistischen Streite, 1553 als Prediger zu Königsberg in der Neumark abgeseßt, war durch den ihm befreundeten Joachim Greff, der seit 1529 mit ihm in Wittenberg studiert hatte, veranlaßt worden, sich mit der Uebersetzung der Andria zu beschäftigen. Greff gab die Uebersetzung als Anhang zu seiner deutschen Aulularia mit einem Vorworte heraus und fügte Zusäße hinzu, die er mit J. G. unterzeichnete. In dem Vorworte bemerkt er, er wolle sich an den anderen fünf Komödien des Terenz nicht unversucht lassen, aber die Andria habe ihn weit hintenan zurückgeworfen. Er ermahnt diejenigen, welche 'Affektion zu solchen Rhythmen' hätten, sie möchten sich versuchen und desgleichen etwas Geistliches oder Weltliches an den Tag kommen lassen, da ohne Zweifel jeder, der etwa eine Zuneigung zu diesem Studium und zu solcher Poeterei habe, befinden werde, daß ihm solche Uebung zur Erkenntnis der deutschen Sprache und andrer vieler Dinge behilflich und fürträglich sein möchte. Auch der Prolog ist Greffs Werk. Zuerst führt sich der Narr ein:

Man spricht: es ist kein spiel so klein,

Es mus ein Münch aber [oder] narr drin sein.

Die Alten richteten auch Spiele ein,

Drin wie in einem spiegel klar

Ein jeder würd seines feils [Fehlers] gewar.

Und nachdem er ausgeführt, daß in der Komödie der Alten alle groben Laster der Unkeuschheit, der Faulheit, der Trunksucht, des Diebstahls, der Lüge gerügt seien, schildert er die Zuchtlosigkeit der gegenwärtigen Zeit:

Solchs (sag ich) bei den Heiden geschach,

Wer fragt aber ist darnach?

Die Christen ist die achtens nicht,

Drumbs in [ihnen] auch hinden und forn gebricht
An sitten, weisheit, ehrbarkeit,

All gut Regiment hernidder leit [liegt].

Was machts? das machts: kein mensch acht mehr
Keiner kunst, dazu wedder zucht noch ehr,

Man acht nicht mehr Gottes furcht,

Kein kindt nicht mehr sein eltern gehorcht,
Und widderumb die eltern darnach

Fragn auch nicht mehr nach solcher sach.
Sie sehn auf ire kinder nicht,
Dasselb ist überall geschicht,
Sie halten sie zu keiner lahr,

Vielmehr zu büberei, man sichts zwar.
Die kinder solt man zihen zu ehrbarkeit,
Auf das aus in würden redlich leut,
Die nachmals köndten helfen und raten
Dem gemeinen nuß mit wort und thaten.
Was thun wir aber ißt bei uns ?
Saufen und fressen ist unser kunst,
Fluchen, schelten und dergleich,
Das lernet ist beid arm und reich,
Das lern wir unser kinder eben,
Nu wil denn so bei solchem leben
Forthin gut Regiment besteh,

Das will ich mechtig gerne seh.

Gemäß der Fabel des Stückes spricht er nun über Kindererziehung als eine Pflicht der Eltern.

Halt euer kinder recht und wol

Furwar und nempts zu herzen einmal,
Wolt ir anders kluge leute han,

So seh und tracht ein jederman,

Auff das er frome kinder zieh,
So habt ir alle Freude hie

Und dann darnach den himmel dafür,

Aber gewis die hell, das gleubet mir.

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