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halten, in welchen sie ihren Unglauben und Abgötterei dem gemeinen Mann also vortragen, vor Augen stellen und in das Herz einbilden, daß es ihm hernacher nimmermehr oder ja mit großer Mühe herausgenommen werden kann'. So hat also sicherlich polemischer Wetteifer dazu beigetragen, daß von protestantischen Geistlichen und Schulmännern namentlich in denjenigen Gegenden, in welchen die Gegenreformation zum Siege gelangte, Dramen verfaßt und aufgeführt wurden, um den evangelischen Gottesdienst zu fördern und besonders die reine Lehre im Gegensaße zur katholischen Irrlehre zu verbreiten und zu befestigen.

Die Schauspiele der Jesuiten waren wesentlich auf die Schule beschränkt, aber sie entfalteten große Pracht der äußeren Ausstattung und lockten hierdurch die Zuschauer massenweis an. Namentlich zeichneten sich die oberrheinischen Schauspiele durch glänzende Darstellung vor den übrigen aus. In der Methode folgten die Jesuiten den Grundsäßen Johannes Sturms, erseßten aber das Drama der Alten grundsäßlich durch eigene Arbeiten, denn Plautus und Terenz ließen sie aus sittlichen Gründen nicht zu. In der Ratio studiorum von 1588 heißt es: 'Nur lateinische Tragödien und Komödien sind zuzulassen, dazu sehr selten; außerdem muß der Stoff ein geistlicher und frommer sein; in die Handlung darf nichts eingeschoben werden, was nicht lateinisch und anständig ist; auch darf keine weibliche Person auftreten'. Warnend wird hinzugefügt, daß die Schüler bei den Vorbereitungen zu den dramatischen Aufführungen in ihren Sitten oder Studien nicht Schaden leiden. Und in einem späteren Lehrplan heißt es: 'Dämönen, leichtfertige Buben, Säufer und Spieler, welche lose Reden führen, sollen nicht beinahe in jedem Akte erscheinen, noch Tänze und Spektakel hinundherlaufender Schatten allenthalben vorgestellt werden. Man muß, wenn sie auch noch so erudit sind und zur Verherrlichung der Wissenschaft noch so viel beitragen, nicht so geschehen lassen, daß wir, während wir der Volksgunst huldigen, unterdessen die Schule zu nachlässig treiben'.

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Die Schulkomödie der Jesuiten, welche bis zur Aufhebung des Ordens (1773) wirksam gewesen ist, bewegte sich in unver

änderten Formen. In der Regel begann der neue Kursus mit einer theatralischen Aufführung, deren Stoff der Legende oder dem Glaubensmartyrium, seltner der Geschichte oder dem wirklichen Leben entnommen war. Auch die Einteilung war eine feste. Zuerst kam ein Prolog für den Inhalt des Stückes, danu ein Prolog zu jedem Akte, dann die Abwickelung der Handlung in einer für jeden Akt gleichen Zahl von Scenen; jeder Akt schloßz mit einem Chorgesang, das Ganze mit einem Epilog, in welchem die Moral der Handlung zum Vortrag kam. Man pflegte an die vornehmen Zuschauer gedruckte oder geschriebene Prospekte auszuteilen, auf deren Titel Fabel, Gang der Handlung und die Namen der Darsteller nebst den darzustellenden Personen des Stückes verzeichnet waren. Der Hauptzweck, den man mit der Aufführung verband, war der der Uebung des Gedächtnisses; der der künstlerischen Leistung trat nicht in den Vordergrund. Eine Reihe von Programmen ist noch vorhanden, aus denen hervorgeht, daß gewöhnlich zwei Aufführungstage festgesezt waren; der erste galt der lateinischen, der zweite der deutschen Aufführung. Die ersten hierher gehörigen Dramen stammen aus dem Jahre 1597. In diesem Jahre führten die Jesuitenschüler zu Hildesheim das erste Drama auf und wurden die ersten Prämien für sie ausgeteilt. Das in demselben Jahre in München aufgeführte Drama hat folgenden Titel: 'Triumph und Freudenfest zu Ehren des h. Erzengels Michael als Schußfürsten und Patron der neugeweihten herrlichen Kirche. Vor und von dem Gymnasio der Societät Jeju angerichtet und gehalten auf den siebenten Tag Julii'.') Die Stoffe, die bis 1622 folgen, sind: König Saul (in Gräß 1600), Zerstörung Trojas (1607), Naboth (in Regensburg 1609), Elias (in Prag 1610), Joseph (in München 1615), Enthauptung Johannis des Täufers (in München 1618), Eli (in Augsburg 1621), Ignatius von Loyola, fundator societatis Iesu, (1622 in Ingolstadt, Augsburg und Eichstätt).

Im Jahre 1727 gab der Jesuitenpater Gabriel Franciskus Le Jay zu Ingolstadt ein Bibliothecae rhetorum liber drama

1) In demselben Gymnasium der Societät Jesu zu München wurde 1609 die Komikotragödie vom Doktor zu Paris aufgeführt, welcher durch eigenes Bekenntnis vor Gott angeklagt, gerichtet und verdammt worden.

Holstein, Die Reformation.

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ticus heraus, in welchem die in Ingolstadt aufgeführten lateinischen Bibeldramen verzeichnet sind.

Wir sehen also, daß der Zweck der Schulkomödie der Jesuiten lediglich ein pädagogischer war. Es kann daher auch von einem Einfluß, den dieselbe etwa auf die Entwickelung des Dramas ausgeübt hätte, nicht die Rede sein; auch fehlte ihr, soweit wir sehen, der polemische Charakter gänzlich.

Anders steht es mit den geistlichen Spielen, die in rein katholischen Gegenden, wie in den katholisch gebliebenen Kantonen der Schweiz, während des sechzehnten Jahrhunderts noch fort= dauernd in Uebung blieben und eine andächtige Zuhörerschaft zu versammeln pflegten. So wurde 1576 im Kloster zu Einsiedeln an zwei Tagen ein geistliches Spiel von dem Leben des heil. Meinrad durch Mitglieder des Klosterkonventes und durch 'Waldlüte' aufgeführt,') die 'schauerliche Komposition' eines Konventsmitgliedes, der sich eines Stiles bedient, wie er nur dem grobianistischsten unter den Waldlüten' zugeschrieben werden kann. Und 1587 sezte Renwart Cysat das zweitägige Luzerner Osterspiel in Scene, das an die mittelalterlichen Mysterien erinnert.

Zwölftes Kapitel.
Schlußbetrachtung.

Durch die im sechzehnten Jahrhundert in Deutschland hereinbrechende gewaltsame Störung der Kulturentwickelung und religiöse Anarchie verwilderte die Schauspielkunst, ebenso wie alle übrigen Künste verwilderten. In der allgemeinen kirchlichen und staatlichen Zerrissenheit ging alle freudige Begeisterung und alle Schöpferkraft zu Grunde, und nur noch in einigen Gebirgsteilen bewährte sich die fromme Weise des alten Spieles'.

Diese Worte, mit denen J. Janssen den sechsten Abschnitt des zweiten, von der Kunst und dem Kunstleben handelnden Buches seiner Geschichte des deutschen Volkes '2) schließt, enthalten

1) Neudruck von P. Gall Morel. Stuttgart. Litterar. Verein Nr. 69 2) 9. Aufl. 1883. 1, 249.

ebensoviele Unrichtigkeiten als Entstellungen. Zunächst wird jeder protestantische Christ wunderbar überrascht sein durch die hier gegebene treffliche Umschreibung des Wortes Reformation. Die Reformation ist nach der katholischen Auffassung die religiöse Anarchie, welche im sechzehnten Jahrhundert in Deutschland einbrach und mit der eine gewaltsame Störung der Kulturentwickelung verbunden war. Im Lichte wahrer und ungetrübter Geschichtsforschung ist sie dagegen diejenige Epoche der Geschichte, in welcher die religiös-politische Lebensthätigkeit der deutschen Nation in ihren kraftvollsten und produktivsten Trieben stand'.') Das evangelische Deutschland jubelt über die große Errungenschaft der Reformation, und wir freuen uns der Segnungen, die sie dem politischen und religiösen Leben der Völker, der Kunst und der Wissenschaft gebracht hat.

Wie die Entwickelung der deutschen Dichtung und der deutschen. Wissenschaft der Neuzeit wesentlich aus protestantischem Geiste stammt, so ist auch die dramatische Dichtung des sechzehnten Jahrhunderts ein Erzeugnis der Reformation. Das deutsche Drama der Reformationszeit, das neben dem lateinischen Drama entstand und seine Stoffe vorzugsweise der Bibel und dem Kampfe der Reformatoren entlehnte, gehört zu denjenigen Gattungen der deutschen Litteratur, welche vorzugsweise in jener großen Bewegung der Geister gepflegt wurden, und wenn auch unter dem Haufen von Dramatikern nur einige wenige hervorragen, denen ein Bewußtsein von dramatischer Technik innewohnte, so verdient doch ihr Streben, einerseits der durch die Reformation geschaffenen Schule ein neues Bildungselement zuzuführen, andrerseits die Volksmassen geistig und sittlich zu heben, unsere volle Anerkennung. Und wenn dabei auf jene Vollendung verzichtet werden muß, die unser deutsches Drama erst nach langem Ringen und Kämpfen in seinen Meistern erreichte, so darf dics nicht als ein Vorwurf betrachtet werden, so wenig als in jener Zeit von einer Schauspielkunst als solcher geredet werden kann. Berufsschauspieler, wie die englischen Komödianten und die fahrenden Schau

1) L. v. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Aufl. 1,

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spieler, traten erst am Ende des sechzehnten Jahrhunderts auf; aber sie blieben nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung der deutschen Bühne, besonders nachdem die englischen Komödien und Tragödien' 1620 erschienen waren. Die Schauspieler der vorangehenden Zeit sind meist Schüler, Studierende und junge Bürger, denen es eine Freude machte, öffentlich aufzutreten, und die wohl mit derselben Begeisterung ihre Rollen ausführten, von der die Verfasser der Spiele, in denen sie auftraten, bei der Abfassung ihrer Dramen erfüllt waren. Der Gedanke, die Bühne zur Waffe der Reformation zu machen, hat hunderte von Stücken hervorgerufen und drei Menschenalter hindurch Tausende im Spielen und Schauen beschäftigt. Wir haben seitdem keine dramatische Litteratur wieder gehabt, die so sehr von einem Grundgedanken durchdrungen und so sehr von der allgemeinsten Teilnahme des ganzen Volkes getragen wäre'.') Ueberall, wo das lautere Evangelium zum Siege gelangte, zeigte sich eine ‘freudige Begeisterung' für das Drama und für dramatische Leistungen; der frische Hauch neuen religiösen Lebens, den die Reformation gebracht hat, fachte die Geister zu einer dramatischen Produktion an, die bis zu den beiden ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts anhielt; als jedoch die Stürme des dreißigjährigen Krieges einbrachen und die friedliche Entwickelung der litterarischen und wissenschaftlichen Zustände Deutschlands hemmten, entbehrte auch das Drama unter dem Kriegslärm des sicheren Schußes, und das reformatorische Element konnte ihm die innere Kraft nicht mehr verleihen, durch die es einst Leben gewonnen hatte.

1) Goedeke, Joh. Römoldt 117.

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