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Der Schluß des Berichtes läßt uns die Stellung des Berichterstatters zu der der stummen Komödie zu Grunde liegenden Idee genau erkennen.

Ein drittes Reformationsspiel soll 1540 in Paris auf offenem Play in französischer Sprache aufgeführt worden sein. Nach dem handschriftlichen Bericht, der den Inhalt dieses 'sehr artlichen und wolgemeinten' Spieles mitteilt, waren acht Zelte mit großen Kosten sehr herrlich und königlich hergerichtet, und zwar für den Papst, den römischen Kaiser, die Könige von Frankreich, Portugal, Schottland, Dänemark, England und für den römisch-deutschen König. Eine Jungfrau, welche die christliche Kirche darstellt, sucht nun bei allen Herren Schuß, wird aber überall abgewiesen; der Kaiser Ferdinand verspricht ihr zwar Hilfe, aber augenblicklich braucht er Geld zum Kriege. Zulezt tanzt der König mit dem Papste. Der Bericht sagt am Schlusse: In diesem Spiel ist mancherlei schöner Spruch, auch viel tapferes und nötig Bedenken, so zu diesen Leuften sich reumet, von der christlichen Kirche fürgebracht worden. Doch seind ihrer fünf aus denen, so solch Spiel angericht, in das Wasser, Sena genannt, geworfen und ertrenket worden'. 1)

Antonius Schorus aus Hoogstraten, Professor in Heidelberg, mußte vor des Kaisers Verfolgung flüchten, weil er durch seine Schüler ein lateinisches Drama Eusebia sive Religio hatte aufführen lassen, in welchem, ähnlich wie in dem oben genannten Spiele, die um Aufnahme bittende Religion von den Großen des Landes abgewiesen, von den armen Leuten aber herzlich und freudig aufgenommen wird. Der Kaiser, der von diesem Spiel erfuhr, forderte vom Kurfürsten Friedrich von der Pfalz die Bestrafung des Verfassers dieses Spieles, das großes Aufsehen erregt hatte; denn was werde man von den Großen denken, wenn es erlaubt sei, sie als Verächter der Religion auf der Bühne darzustellen? Schorus rettete sich durch die Flucht nach Lausanne, wo er 1552 starb.

Nicht bloß in Deutschland, sondern auch in England zeigen. sich die deutlichen Spuren von der Einwirkung der Reformation

1) Herrigs Archiv 71, 299-302.

auf das Drama. Im Jahre 1528 ließ der König Heinrich VIII. in Gegenwart des französischen Gesandten zu Greenwich vor sich ein Reformationsspiel aufführen, in welchem Religion, Friede, Wahrheit, Zufriedenheit und Ruhe auftreten, neben ihnen aber die Apostel Petrus, Paulus und Jakobus, ein Kardinal, der Dauphin von Frankreich, Luther und Katharina von Bora. Leider hat sich dieses merkwürdige Drama nicht erhalten. Der heftige Streit zwischen dem König und Luther war noch nicht vergessen; es war also auf eine Verspottung Luthers und der Reformation abgesehen. Als aber die große Wendung in Heinrichs religiöser Anschauung eingetreten war, da entblödete er sich nicht, 1532 ein Schauspiel vor sich aufführen zu lassen, in welchem auch der Papst und die Kardinäle verspottet wurden.

Im Jahre 1534 legte der Nürnberger Drucker Stephan Hamer den Kargenspiegel des Hans Folz aus dem Jahre 1474 wieder auf, um zu zeigen, daß es schon früher Männer gegeben habe, die mitten im Papsttum ihren Glauben auf Christus und nicht auf Menschen gestellt hätten, und 1565 gab der Mag. Hieronymus Tilesius aus Hirschberg Theodorich Schernberks Spiel von der Frau Jutten zu Eisleben von neuem heraus, damit dasselbe der Polemik gegen die katholische Kirche diene.1) Wenn unsere Widersacher behaupteten, daß sie so gar rein und fromm seien und nie das Wasser getrübt hätten, so stimme das doch nicht ganz. Schernberks Spiel, so meint Tilesius, gebe eine feine Probe und Muster ab von der Lehre, welche in die vierhundert Jahre daher in der hochberühmten alten Kirche getrieben sei.

So glaubte man im Interesse der Reformation zu handeln, wenn man ältere Spiele, in denen reformatorische Ideeen ausgesprochen waren, durch den Buchdruck erneuerte.

Aber eine solche Reproduktion älterer Spiele konnte nicht genügen. Es mußte auch ein direkter Angriff erfolgen und das Drama mußte als Waffe im Kampfe gegen die Kirche Roms dienen. Einer der tüchtigsten und wuchtigsten Streiter erhob sich in Thomas Naogeorg (Kirchmeyer), dem bedeutendsten Tendenz

1) Wiederholt bei Gottsched Nötiger Vorrat 2, 84.

dramatiker der Reformationszeit. Er war 1511 zu Straubing in Baiern geboren, studierte in Tübingen, war 1536 evangelischer Pfarrer in Sulza, hatte seine hier zurückgehaltenen Ansichten über die Gnadenwahl öffentlich in seinem Buche ‘In primam d. Iohannis epistolam adnotationes' ausgesprochen und u. a. behauptet, daß die Auserwählten den heiligen Geist nicht verlören. Hiergegen erhob Luther in Gemeinschaft mit Melanchthon und Bugenhagen ein 'Bedenken' (25. Januar 1544).1) Auf Naogeorg, der seit 1541 ein Pfarramt in Kahla verwaltete, wirkte diese Verurteilung seiner Hinneigung zum Calvinismus, deretwegen er auch 1546 in einen Streit mit dem Superintendenten Kaspar Aquila in Saalfeld geriet, so nachhaltig, daß er auf sein Amt verzichtete und sich nach Süddeutschland begab. Er wurde Prediger in Kaufbeuren, 1548 in Kempten, 1552 in Stuttgart, zuleht in Wiesloch in der Pfalz, wo er am 29. Dezember 1563 starb.

Naogeorgs lateinisch geschriebene Dramen sind die bedeutendsten protestantischen Kampfdramen der ganzen Litteratur. In ihnen zeigt sich eine bewundernswerte Kraft der Rede, ein herrliches Siegesbewußtsein der lutherischen Sache, ein aristophanischer Spott, der das Papsttum mit seinen vielen Irrtümern geißelt. Der Kampf gegen Rom ist der leitende Gesichtspunkt dieser Dramen. Dem Pammachius vom 5. Mai 1538, dem ersten dieser Dramen, geht zunächst eine prosaische Zuschrift des Verfassers an den Erzbischof von Canterbury d. i. an Thomas Cranmer voran, in welcher der König von England wegen der Beseitigung der päpstlichen Tyrannei und der Lostrennung von Rom und der Erzbischof wegen seines ruhmvollen Anteils daran gelobt werden. Bekanntlich hatte sich Heinrich VIII. von England 1534 vom Papste und der päpstlichen Suprematie losgesagt, als Clemens VII. die Bitte des Königs, seine Ehe mit Katharina von Aragonien, der Tochter Ferdinands von Spanien, zu trennen, zu erfüllen Bedenken trug. Er vollzog die Scheidung selbst, ohne zu ahnen, welche heilsamen Folgen dieser Schritt für das Wohl Englands haben sollte. Von dieser Zeit an datiert die Reformation Englands. Der fromme Thomas Cranmer hatte

1) De W. 5, 40. Burkhardt, Briefwechsel 442.

zur Ehescheidung geraten und so an dem Werke der Reformation mitgearbeitet. Zwar blieb es in der Lehre beim Alten, aber die Trennung von Rom war ausgesprochen. In der Konvention vom 16. Juni 1536 wurde durch das sogenannte "Bischofsbuch’ eine Annäherung an das protestantische Bekenntnis herbeigeführt. Sie war das Werk Cranmers, der in Deutschland Luthers Lehre kennen gelernt hatte und nur durch die autokratische Willkür des Königs abgehalten wurde, größere Reformen vorzunehmen. So konnte er es nicht verhindern, daß schon 1539 an Stelle des Bischofsbuches das Königsbuch' mit seinen sechs Blutartikeln trat, welche mit unerhörter Grausamkeit in Anwendung gebracht wurden. Als Naogeorg seine Zuschrift an den Erzbischof von Canterbury richtete, waren noch die Wirkungen der Konvention von 1536 in Kraft, und so konnte er in der Hoffnung auf die gänzliche Durchführung der Reformation die bis dahin geschehenen Schritte, welche auf die Trennung von Rom abzielten, wohl mit Freude begrüßen.

Der Zuschrift folgt eine poetische Widmung des Dramas an Martin Luther (sacrarum litterarum eximio professori, Doctori Martino Luthero'). Er wisse wohl, sagt der Verfasser, wie gefährlich die von ihm versuchte Art der Polemik sei, bei der er die gegenwärtigen religiösen Zustände schildere. Alle, die dergleichen früher geschrieben, hätten sich nur mit der Vergangenheit beschäftigt; er glaube diesen Weg nicht einschlagen zu dürfen, aber nicht aus Unklugheit, sondern aus einem Gemüte, das in der Taufe geschworen habe, Gott hier mehr zu ehren als den Teufel.

Hostilis in baptismo iuratus animus

Adversus pompas et Satanae collegium. Weil uns nun Luther bei diesen Worten redet er den Reformator an zuerst die in ägyptische Finsternis versunkene Wahrheit trop des Fürsten der Finsternis in das hellste Licht zurückgeführt habe, so habe er beschlossen, unter seinem Namen. die vorliegende Tragödie zum Anschauen für die Freunde der Wahrheit herauszugeben, um mit dieser Erstlingsarbeit Luther seine Hochachtung zu beweisen und ihm seine Dankbarkeit für die hohen Verdienste zu bezeugen, die er sich um ihn erworben habe

Er bitte, die kleine Gabe nicht zu verschmähen, sondern ihn. der ihm bisjezt noch unbekannt sei, wenigstens den lezten Plaz unter seinen Freunden einnehmen zu lassen, ihn, den er schon längst aus freien Stücken des Namens eines Freundes gewürdigt habe.

Tu quaeso exiguum non spernas munusculum,
Sed me, hactenus ignotum tibi, vel ultimum
Tuos inter amicos habere sinas locum,

Quem dudum amici ultro es dignatus nomine.

Es folgen Prolog, Personenverzeichnis und die vier Akte der Tragödie. Ueber die Personen wird in einer deutschen Uebersehung nach der Vorrede folgende Erklärung gegeben: ‘Christus, Petrus und Paulus seind dir, frommer Leser, wohl bekannt. Aber durch Pammachium verstehe alle Päpste, so mit ihrer Geschwindigkeit alles überwunden, durch Porphyrium seine gelehrten Suppenfresser, Juristen und Sophisten, durch Julianum die älteren Kaiser, durch Nestorem Kanzler und ehrliche Hofräte, so gern Ordnung in der Regierung erhalten hätten; Veritas ist die Wahrheit, Parrhesia die Freiheit zu reden, Stasiades Aufruhr, Planium Irrsal, Chremius Geldmann, geldsüchtig, Pterophon Postbote, der schnell davonfleuchet, Dromo ein gemeiner Knecht, der große Haufe, so dem Teufel und den Pfaffen zum Argen unterthänig und willfärtig ist. Gehab dich wohl und gebrauche frommer Leute Arbeit zur Besserung und nicht zum Argen.'

Die Bedeutung des Pammachius erheischt ein längeres Verweilen bei seinem Inhalt. Petrus und Paulus sind entrüstet über den bösen Zustand der Christenheit und wünschen das Erscheinen des jüngsten Tages; aber Christus gestattet den Aufruhr, damit sich der Weizen von der Spreu scheide. Der Papst Pammachius, des Christentums mit seinen Forderungen der Demut und der Entsagung bis in den Tod überdrüssig, hindert die vom Kaiser Julian angeordnete Verkündigung des Religionsfriedens und wird von seinem Rat Porphyrius in dem Streben nach Reichtum, Ueppigkeit und Macht bestärkt. Damit wird der Bund mit Satan besiegelt, der den Papst mit einer dreifachen Krone schmückt, um ihn so als den treusten Knecht in seinem Reiche zu ehren. Alles jauchzt dem Papst und seinem neuen Evangelium zu, er thront im vollsten Glanze zu Rom.

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