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steht. Der unglückliche Mann hatte kein Vaterhaus, kein Vaterland, keine Kirche; e hatte nichts, wofür er sich selbst hätte aufopfern mögen. So ward er selbstsüchtig, furchtsam, zweideutig; es fehlte ihm die Liebe. Kein Wunder, daß er mit dem aufrichtigen, tapfern Luther, diesem treuen, liebevollen Seelsorger seiner Deutschen, völlig zerfiel.'1)

Die Humanisten haben auch ihren Anteil an der neuen Entwickelung des deutschen Geistes; aber da ihre Schriften alle in lateinischer Sprache, in der Sprache der Gelehrten, verfaßt wurden, so konnten sie nicht das Eigentum des Volkes werden, sondern ihre Wirksamkeit beschränkte sich auf die gelehrten Kreise. Da war es wieder Luther, der den rechten Griff that: seine großen reformatorischen Schriften sind in deutscher Sprache geschrieben. Von Anfang an war sein Streben darauf gerichtet, sein liebes deutsches Volk in deutscher Sprache zu belehren. Schon 1516, als er das Buch von der deutschen Theologie, dem er selbst erst den Namen verliehen hat, herausgab, sprach er in der Vorrede das bedeutungsvolle Wort: 'Ich danke Gott, daß ich in deutscher Zunge meinen Gott also finde und höre, wie ich und sie anher nicht funden haben, weder in lateinischer, griechischer, noch hebräischer Zunge.' Luther verlangte deutsche Predigt, deutsche Kirchenlieder. Sein größtes Verdienst, die Verdeutschung der Bibel, hat ihn zum Schöpfer der neuhochdeutschen Sprache gemacht. In seiner deutschen Bibel gab er der deutschen Nation ihr edelstes Bildungsmittel, ihr geistiges Einheitsband.' Selbst Goethe bekennt: Daß dieser treffliche Mann ein in dem verschiedensten Stile verfaßtes Werk und dessen dichterischen, geschichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns in der Muttersprache wie aus einem Gusse überlieferte, hat die Religion mehr gefördert, als wenn er die Eigentümlichkeiten des Originals im Einzelnen hätte nachbilden wollen.'2) Von 1534 an erfuhr die deutsche Litteratur eine glänzende Bereicherung durch deutsch ge= schriebene Schriften.

Auch das Drama hat nach dieser Seite hin eine überraschende Wendung genommen. Es entstanden freilich auch noch

1) K. v. Raumer, Gesch. der Pädagogik. 3. Aufl. Stuttg. 1857. 1, 112. 2) Werke 22, 45.

Holstein, Die Reformation.

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lateinische Dramen; sehr viele derselben haben Männer zu Verfassern, die der alten Kirche treu blieben. Andrerseits glaubte man auch den Schulen das lateinische Drama nicht entziehen zu dürfen, damit die lateinischen Schulen auch in dieser Beziehung ihrem Namen Ehre machten. Doch ehe wir dies weiter begründen, haben wir zu untersuchen, wie sich die Reformatoren zum Drama stellten.

Zweites Kapitel.

Die Stellung der Reformatoren zum Drama.

Martin Luther.

Luther fand die Passions-, Fastnacht- und andere Spiele vor. Ob er sich jemals bei einer Aufführung, sei es auf der Schule oder auf der Universität, beteiligt hat, ist nicht bekannt; aber sicherlich hat er solchen dramatischen Aufführungen, die überall im Schwange waren, beigewohnt. Daß in Wittenberg dergleichen Aufführungen stattfanden, ersehen wir aus einem Briefe Luthers an Spalatin vom 16. Februar 1525, in welchem er ihn bittet, ihn am nächsten Sonntag abends zu besuchen und einem Komödienspiel der Studenten, 'der Jugend unseres poetischen Reiches', in seinem Hause, dem ehemaligen Augustinerkloster, beizuwohnen. Zugleich sprach er die Bitte aus, der Freund möchte zu der der dramatischen Aufführung folgenden Bewirtung der jungen Künstler für etwas Wildpret besorgt sein.1) Und an Nikolaus Hausmann in Zwickau schreibt Luther am 2. April 1530: Ich würde es nicht ungern sehen, daß Christi Thaten in den Schulen, lateinisch und deutsch ordentlich und unverfälscht zusammengestellt, aufgeführt würden zu ihrem Gedächtnis und zur Belebung des ästhetischen Sinnes der Jugend (propter rei memoriam et affectum iunioribus augendum)'.2) Als Dr. Johannes Cellarius, der seit 1539 Pfarrer in Dresden war, ihn wegen jenes schlesischen Schulmeisters fragte, der, nicht ungelehrt, sich

1) De W. 2, 626; Burkhardt 79.

2) De W. 3, 566.

vorgenommen eine Terenzische Komödie zu agieren, aber viel Widerspruch erfahren habe, 'gleich als gebührete einem Christenmenschen solch Spielwerk aus heidnischen Poeten nicht', erwiderte Luther: Komödienspielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, erstlich daß sie sich üben in der lateinischen Sprache, zum andern, daß in Komödien fein künstlich erdichtet, abgemalet und fürgestellet werden solche Personen, dadurch die Leute unterrichtet und ein jeglicher seines Amtes und Standes erinnert und vermahnet werde, was einem Knecht, Herrn, jungen Gesellen und Alten gebühre, wohl anstehe, und was er thun soll; ja es wird darinnen fürgehalten und für die Augen gestellet aller Dignitäten Grad, Aemter und Gebühr, wie sich ein jeglicher in seinem Stande halten soll im äußerlichen Wandel, wie in einem Spiegel'.

'Zudem werden darin beschrieben und angezeigt die listigen Anschläge und Betrug der bösen Bälge; desgleichen was der Eltern und jungen Knaben Amt sei, wie sie ihre Kinder und junge Leute zum Ehestande ziehen und halten, wenn es Zeit mit ihnen ist, und wie die Kinder den Eltern gehorsam sein und freien sollen 2c. Solches wird in Komödien fürgehalten, welches denn sehr nüz und wohl zu wissen ist. Denn zum Regiment kann man nicht kommen, mag auch dasselbige nicht erhalten, denn durch den Ehestand. Und Christen sollen Komödien nicht ganz und gar fliehen, darum daß bisweilen grobe Zoten und Bühlerei darin seien, da man doch um derselben willen auch die Bibel nicht dürfte lesen. Darum ists nichts, daß sie solches fürwenden und um der Ursache willen verbieten wollen, daß ein Christ nicht sollte Komödien mögen lesen und spielen'.1)

Eine andere Aeußerung machte Luther in einem Tischgespräche am 29. Mai 1538: 'Komödien gefallen mir sehr wohl bei den Römern, welcher fürnehmste Meinung, causa finalis und endliche Ursache ist gewest, daß sie damit als mit einem Gemälde und lebendigem Exempel zum Ehestand locken und von Hurerei abziehen. Denn Polizeien und weltliche Regiment können nicht bestehen ohne den Ehestand. Deshalb suchten jene geistreichen

1) Tischreden, herausgegeben von Förstemann und Bindseil 4, 592.

Männer aufs trefflichste die Jugend durch Komödien wie durch Gemälde zur Ehe zu bewegen. Eheloser Stand, der Cölibat und Hurerei sind der Regiment und Welt Pestilenz und Gift'.1)

Wir sehen aus diesen Aeußerungen, daß Luther die dramatischen Aufführungen [billigte und zwar einerseits in Rücksicht auf den Nugen, welcher für die formale Bildung der Jugend daraus erwuchs, wobei ihm besonders die Uebung im Lateinsprechen wichtig erschien, andrerseits mit Rücksicht auf die ästhetische Bildung, wobei er besonders das sittliche Moment der altklassischen Dramen im Auge hatte. Dabei warnte er jedoch vor übertriebenem Kultus der alten Komödiendichter und ermahnte, man solle die heilige Schrift nicht lesen, wie ein Schulmeister den Knaben Terentium in der Schule lieset.2)

Waren diese gelegentlichen, in Briefen oder im Freundeskreise kundgegebenen Aeußerungen Luthers über das Drama nur wenigen bekannt geworden, so nahm man mit Freuden wahr, wie er biblische Stoffe zur Dramatisierung warm empfahl, als er die Bibelübersetzung 1534 mit der Uebersehung der alttestamentlichen Apokryphen schloß und in demselben Jahre die erste Gesamtausgabe der deutschen Bibel erscheinen ließ. Die Bücher Judith und Tobias schienen ihm Dichtungen zu sein, jenes eine gute, ernste, tapfere Tragödie, dieses eine feine, liebliche, gottselige Komödie. So sagt er in der Vorrede zum Buche Judith: 'Und mag sein, daß sie (die Juden) solche Gedichte gespielt haben, wie man bei uns die Passion spielet und anderer Heiligen Geschichte, damit sie ihr Volk und die Jugend lehreten, als in einem gemeinen Bilde oder Spiel, Gott vertrauen, fromm sein und alle Hilfe und Trost von Gott hoffen in allen Nöten wider alle Feinde. Darum ists ein fein, gut, heilig, nüßlich Buch, uns Christen wohl zu lesen, denn die Worte, so die Personen hier reden, soll man verstehen, als rede sie ein geistlicher Poet oder Prophet aus dem heiligen Geist, der solche Personen fürstellet in seinem Spiel und durch sie uns predigt'.3) In der Vorrede

1) Seidemann, Lauterbachs Tagebuch 89.

2) Tischreden 3, 374.

3) Walch 14, 83.

zum Tobias heißt es: 'Was man von dem Buche Judith gesaget, das mag man auch von diesem Buche Tobia sagen: Ists eine Geschichte, so ists eine feine heilige Geschichte. Ists aber ein Gedicht, so ists wahrlich auch ein recht schön, heilsam, nüßlich Gedicht und Spiel eines geistreichen Poeten, und ist zu vermuten, daß solcher schöner Gedichte und Spiele bei den Juden viel gewest sind, darin sie sich auf ihre Feste und Sabbath geübt und der Jugend also mit Lust Gottes Wort und Werk eingebildet haben, sonderlich da sie in gutem Frieden und Regiment gesessen sind, denn sie haben gar treffliche Leut gehabt, als: Propheten, Singer, Dichter und dergleichen, die Gottes Wort fleißig und allerlei Weise getrieben haben, und Gott gebe, daß die Griechen ihre Weise, Komödien und Tragödien zu spielen, von den Juden genommen haben, wie auch viel ander Weisheit und Gottesdienst, denn Judith giebt eine gute, ernste, tapfere Tragödie, so giebt Tobias eine feine, liebliche, gottselige Komödie'.1) Aehnlich spricht Luther in der Vorrede auf die Stücke in Esther und Daniel: 'Der Text Susannä, des Beel, Abacuc und Drachen siehet auch schönen geistlichen Gedichten gleich, wie Judith und Tobias. Denn die Namen lauten auch dazu, als: Susanna heißt ein Rosen, das ist ein schön fromm Land und Volk oder armer Haufe unter den Dörnen, Daniel heißt ein Richter und so fortan, ist alles leichtlich zu deuten auf eine Polizei, Dekonomie oder frommen Haufen der Gläubigen, es sei um die Geschicht wie es fan'.2)

Diese Worte waren den ehemaligen Schülern Wittenbergs, die zu Luthers Füßen gesessen hatten, der Mahnruf, sich auf das dramatische Gebiet zu wagen und in ihren Versuchen die von ihm so warm empfohlenen biblischen Stoffe zu bearbeiten. So wurde Luther gewissermaßen der geistige Urheber des biblischen Dramas, das von da ab einen besonderen Zweig der Litteratur bildet und namentlich in Sachsen die reichste Blüte trieb. Auch war Luther von dem Wesen der Komödie und Tragödie und ihrem Unterschiede wohl unterrichtet und sinnig erläutert er ein

1) Walch 14, 89.

2) Walch 14, 92.

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