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bat sie den Kurfürsten Johann Friedrich Montag nach Katharinä (27. November) 1536 um Rat in dieser Sache mit der Versicherung, daß sie beim Evangelium verharren und bis an ihr Ende bleiben wolle. Der Kurfürst holte ein Gutachten der Wittenberger ein und sandte es der Herzogin am 2. Dezember mit dem Bemerken, Schenk solle die Weihe ablehnen. Auch ihr Gemahl Herzog Heinrich war allmählich für die evangelische Sache gewonnen; an seinem Hofe zu Freiberg fanden die von seinem Bruder, dem erbitterten Gegner der Reformation, vertriebenen evangelischen Prediger freundliche Aufnahme, und als er nach dem Tode Georgs (14. April 1539) in der Regierung folgte, wurde die Reformation in Sachsen sofort eingeführt.

Hans Ackermann erklärt in der Widmung, daß er unlängst bei geringer Weile allein zu einer Erlustigung auf Anregung einiger günstiger Freunde vorgenommen habe, die Historie vom verlornen Sohn in deutsche Reime zu bringen, damit das Volk, 'so zu Zeiten mehr Lust zu solchen, denn den Text zu lesen trägt, dieselben dester baß in sich pilden und zu Gemüte füren möchten’. Er bemerkt ferner, daß bereits mehrere schöne lustige Historien aus dem Alten und Neuen Testament in deutsche Reime gebracht seien, die später durch andere gebessert und mit einer guten Form versehen worden seien, und da die Herzogin als eine löbliche und christliche Fürstin sehr gern diese und andere Historien der heiligen Schrift zu lesen und zu fassen begehre, so habe er sein 'unförmlich und einfeltig Geticht' ihr zuschreiben wollen. Der Prolog redet ernst von der 'evangelischen' That, die in dem nachfolgenden Spiel den Zuhörern vorgeführt werde.

Das fass' ein jeder in sein herß,

Glaubt auch vorwar, es ist kein scherz,

Es ist ein evangelisch that,

Wie Lucas die beschrieben hat.

Ebenso ernst sind die religiösen Mahnungen, welche im 'Beschluß' gegeben werden: zuerst daß wir aus Gnaden selig werden; aber dazu bedarf es der Erkenntnis des göttlichen Wortes und des Glaubens an die in Christo erschienene Gnade Gottes.

Denn Gottes freundlichkeit und gnad
Kein glimmend docht verlöscht nie ha‘,
Und wer sich guts zu Gott versicht,
Dem bleibet ungeholfen nicht.

Und dieser Glaube kann nicht verborgen sein,
So wenig als des feuers glut

On his und schein sich halten thut.

Durch Anfechtung wird in uns gottselige Furcht und Liebe gestärkt 2c. Auch eine pädagogische Tendenz spricht sich aus, wenn die Eltern ermahnt werden, ihre Kinder in Zucht und Tugend zu erziehen, damit ihnen nicht das Schicksal des verlornen Sohnes zu teil werde.

Aus Ackermann schöpften der Kaplan Andreas Scharpfenecker zu Windsbach (1544), der seine Arbeit selbst als einen kurzen Auszug der deutschen Komödie des Acolastus d. i. vom verlornen Sohn bezeichnet, ohne indes seinen Gewährsmann zu nennen; Nikolaus Risleben, Rektor der neustädtischen Schule zu Salzwedel (Magdeb. 1586), der auch Macropedius benußte; Ludwig Hollonius, Pastor zu Pölig in Pommern, in seinem 'Freimut d. i. vom verlornen Sohn' (Alten Stettin 1603), Johann Nenndorf, Rektor der Stadtschule zu Goslar (Goslar 1608), und Martin Böhme, Oberpfarrer in Lauban (Wittenb. 1618). Aus Nenndorf schöpfte wieder Nikolaus Locke, Subkonrektor der Ratsschule zu Lüneburg (Lüneb. 1619), und vielleicht auch der Verfasser der in den Schauspielen der englischen Komödianten verzeichneten Komödie (1620). Hans Sachs (1556) verfuhr ganz selbständig. Außer den genannten erwärmten sich noch viele andere für den Stoff der Parabel. Allmählich trat auch das religiöse Moment, das die ersten Bearbeiter geleitet hatte, in den Hintergrund; der verlorne Sohn wurde der Typus der Buhler und Schlemmer, oder man suchte die Parabel für praktische Erziehungszwecke auszunußen: so entstanden die Dramen vom Knaben- und Jugendspiegel, verfaßt von Jörg Wickram (Straßb. 1554), Josias Murer, Ratsmitglied und Amtmann zu Winterthur, der dazu Hans Salats Spiel zum teil ausschrieb (Zürich 1560), Johann Bußleben, Konrektor in Egeln (er widmete seine klein einfeltig und geringe Komödia' 1568 der Stadt Wernigerode), Johann Raffer, Pfarrer in Ensis

heim (jein Spiel wurde 1573 in Bern und 1577 in Rheinfelden aufgeführt), Jakob Schertweg, Pfarrer in Olten (Basel 1579), Georg Pfund (mit der Widmung vom 1. Sonntag des Advents 1596 an den Markgrafen Joachim Ernst von Brandenburg), Jakob Ayrer (1598), Friedrich Leseberg, Superintendent in Lüne (Lüneburg 1619). In gleicher Weise entstanden infolge der durch die Parabel gegebenen Anregung die S. 64 erwähnten Dramen vom Schul- und Studentenleben.

Von der Beliebtheit des Dramas vom verlornen Sohn zeugen. auch die verschiedenen Aufführungen in Leipzig (1540, wobei David Pfeiffer die Rolle des Sohnes, Simon Malkasten, sein Lehrer, die des Vaters spielten; der Arzt J. Reusch, der der Vorstellung beiwohnte, gestand, daß er durch Pfeiffers Spiel zu Thränen gerührt sei), in Solothurn (1543), in Frankfurt a. M. (1549 5. Februar von den Buchdruckern und Schuhmachern gespielt), Schaffhausen (10. Juni 1554), St. Gallen (14. April 1556 und 18. Januar 1582), Königssee (1557 zur Fastnacht von den ‘Schuldienern' gespielt und sind 3ß auser was bei der Collation aufgegangen, verrechnet'), in Stralsund (1557 up Gregorn Episcopen dach do speleden de van der Nicolausschole dat spil van dem vorlaren sone in S. Nicolaus Kerke'), Gardelegen (21. Februar 1558 auf dem Rathause), Weimar (5. Februar 1572 vor der fürstlichen Durchleuchtigkeit und am 6. Februar vor Rat und Bürgerschaft), Zeiß (1582), Rheinfelden (1602 von den Schulknaben gespielt, wobei der Rat 12 Gulden zahlte und das vom Vater gespendete Kalb einer löblichen Schuljugend zur Erquickung und freundlichen Aufmunterung schenkte), in Dortmund (20. April 1603 durch die Handwerksgesellen vom Clarenberge), Plau in Mecklenburg (1604), Meiningen (1614); ja noch 1672 wurde in Berlin die Komödie vom verlornen Sohn dargestellt, in welcher der Hanswurst die Hauptperson war; er prügelte sich in zwei Akten mit einem Heiligen und zwei Teufeln und erging sich in so anstößigen Redensarten und so leichtfertigen Wißen, daß der anwesende Hof sich voll Unwillen noch vor Schluß des Stückes entfernte. So war der geistliche Charakter jenes Dramas nach und nach gänzlich geschwunden und hatte dem weltlichen und volkstümlichen Plaß gemacht.

Siebentes Kapitel.

Das allegorische Drama.

Das allegorische Drama gehört zu denjenigen geistlichen Dramen, in denen nicht, wie es in den biblischen geschieht, ein historischer Stoff der Bibel bearbeitet wird, sondern ein der Glaubenslehre entlehnter Saß zu bildlicher Darstellung gelangt.

Die englische Moralität Everyman 1), die Dramatisierung einer ursprünglich buddhistischen Parabel von den Freunden in der Not und von dem treuen Aushalten der guten Werke, welche um 1529 in London erschien, wurde bald nach dem Erscheinen von dem Niederländer Peter van Diest (Petrus Diesthemius) in niederländischer Sprache bearbeitet. Diese nicht mehr vorhandene Bearbeitung, welche bei einer Versammlung der brabantischen Städte öffentlich in Antwerpen aufgeführt und mit dem Preise gekrönt wurde, übertrug Christian Sterck (Ischyrius) aus Jülich, Priester und Protodidaskalus in Mastricht, 1536 in das Lateinische, indem er seinem Drama den Titel Homulus gab.

Quilibet ante fui, mutato nomine dicor

Nunc Homulus; per me nam resipiscet homo.

Diese in der Gelehrtensprache des sechzehnten Jahrhunderts verfaßte Bearbeitung wurde die Grundlage für eine deutsche und Idiese wieder für eine niederländische. Die deutsche ging von dem Verleger des Homulus, Jaspar von Gennep in Köln, aus und wurde 1539 öffentlich aufgeführt. Der Uebersezer sagt in der ersten Ausgabe von 1540 in einer kurzen Zuschrift an den christichen Leser, er habe in dieser lateinischen Komödie Homulus Petri Diesthemii gefunden, daß darin 'wie in eym Spiegel das eben und sterben der Mynschen gesehen' werde; er habe [den Stoff etwas erweitert und dem Spiele den Namen ‘Der Sünden loin ist der Toid' (Röm. 6, 23) gegeben. Die Zusäße, namentlich die aus ungefähr 300 Versen bestehende Einleitung (Scenen, welche das üppige Leben des Homulus darstellen), nahm er aus dem Hekastus des Georg Macropedius, aus einem Schauspiel

1) K. Goedeke, Everyman, Homulus und Hekastus. Hann. 1865.

A

des protestantischen Leonhard Culmann und aus Pamphilus Gengenbachs Spiel von den zehn Altern. Es sollte in diesem Drama die Unsicherheit des menschlichen Lebens und die Untreue der Welt dargestellt und gezeigt werden, wie der Mensch beim Tode von allen Kreaturen verlassen sei und nur seine Tugend (Duigt) ihm beistehe. Genneps Bearbeitung erlebte bis 1669 noch sieben Auflagen. Ein Heinrich Wettengang übertrug 1665 den Homulus in moderne Verse 'nach Möglichkeit' und suchte ihn von ärgerlichen schrift- und lehrwidrigen Reden zu reinigen.

Der Homulus zeigt an einigen Stellen eine polemische Richtung gegen die Reformation; so heißt es im Prolog der Ausgabe von 1548:

Dreierlei glaub ist in eim haus,

Ach got was wil noch werden draus!
S. Paulus hats lang zuvor gesagt:
Wann sich nähet der jüngste tag,
Dann werden vil von Christo weichen
Und teuflischen lehren sich vergleichen.
Gerechtigkeit wird unterdrückt,

Wollust des fleisches sich herfür schmückt;
Der geistlich stand ist gar veracht,
Wer got dient wird bespot und belacht;
Ein jeder betracht uf dieser erd,

Wie er mach, das sein sack vol werd.

Ferner wird die lutherische Rechtfertigungslehre bekämpft und der neue Pastor' ist sicherlich einer der lutherisch gesinnten Prediger, die die Reformation in den Rheinlanden einzuführen suchten, wenn nicht Luther selbst damit gemeint ist.

Der lateinische Hekastus des Macropedius, eins der nach Inhalt und Form hervorragendsten Dramen des sechzehnten Jahrhunderts, in welchem ‘jeder Mensch wie in einem Spiegel ersehen kann, wie er durch Christum nach wahrer Reue über seine Sünden zu einem glücklichen und fröhlichen Tode gelangt', wurde im Sommer 1538 von den Schülern zu Utrecht aufgeführt. Aber obwohl die Aufführung nicht ohne Beifall vor sich ging, so fanden sich doch Stimmen, die dem Dichter vorwarfen, er begünstige einige Irrlehren der Zeit, indem er den Saß aufstellte, daß der Glaube und die Zerknirschung des Sünders allein zur Vergebung der Sünden genüge. Gegen diesen Vorwurf lutherischer

Holstein, Die Reformation.

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