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1529 mit seinem Drama hervortrat (S. 55). Aber schon zwei Jahre früher war zu Riga am 17. Februar 1527 Burkard Waldis' niederdeutsches Spiel ‘De parabell vam vorlorn Szohn' aufgeführt worden, ein Drama, das nicht nur als das hervorragendste Werk des Dichters des Esopus', sondern auch als die bedeutendste unter den zahlreichen dramatischen Bearbeitungen der biblischen Parabel, ja als eins der bedeutendsten Werke der ganzen dramatischen Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts anzusehen ist, bedeutend zugleich als eins der ersten litterarischen Denkmäler aus der Reformationszeit, das eine um so größere und nachhaltigere Wirkung ausüben mußte, als es in der Gestalt eines geistlichen Spieles erschien, durch welches das zuschauende Volk innerlich erwärmt und für die in demselben verherrlichte Rechtfertigungslehre, den Grundpfeiler der lutherischen Dogmatik, gewonnen wurde. Und wenn sich auch diese Wirkung scheinbar nur auf das lutherische Riga beschränkte, da von einer öffentlichen Aufführung des Waldisschen Fastnachtspieles an einem anderen Orte nichts bekannt ist, so bleibt doch die Möglichkeit einer weiteren Verbreitung des Stückes über das niederdeutsch redende Norddeutschland nicht ausgeschlossen.

Der um das Jahr 1495 in dem hessischen Landstädtchen Allendorf an der Werra geborene Dichter Burkard Waldis lebte zu der Zeit, in welcher die ersten reformatorischen Ideeen durch die aus Treptow vertriebenen Andreas Knöpken und Mag. Silvester Tegetmeyer in Riga verbreitet waren, in dieser echt deutsch gebliebenen Stadt als Mönch und Mitglied des Franziskanerordens in Dienste des Erzbischofs Jaspar van Linden. Es war im Jahre 1522, als der die neue Bewegung begünstigende Rat der Stadt den Erzbischof zur Reformierung der Klöster und des Gottesdienstes aufforderte und ihn bat, daß um Gottes und so vieler Menschen Seligkeit willen den Kirchen fromme und rechtgläubige Lehrer vorgesezt werden möchten, damit der Rat nicht in die Notwendigkeit gerate, die Sorge dafür selbst zu übernehmen. Luther, der durch den Sekretär der Stadt Riga Johann Lohmüller (Lomoller) am 20. August und 22. Oktober 1522 um schriftliche Abfassung seiner Lehre und Zusendung derselben gebeten

war1), sandte 'den auserwählten lieben Freunden Gottes, allen Christen zu Righe, Revell und Tarbthe (Dorpat)' im August 1523 eine Ermahnung, treu beim Evangelium zu verharren, das Wunder, das Gottes Gnade durch das Licht des Evangeliums bei ihnen gewirkt, dankbar zu erkennen und sich nicht wieder in die ägyptische Finsternis und zum Gößendienst verführen zu lassen. Die gesezten Fasten, Beten, Wallen, Messen, Vigilien, Stiften, Möncherei, Nonnerei, Pfafferei, solches alles sei Teufelslehre, Lästerung Gottes; 'darum daß sie vormessen, das an uns zu thun, das allein das Blut Christi durch den Glauben thun soll, geben damit den Menschenlehren und Werken, das doch allein Gottes Wort und Werken eiget'.2) Da der Erzbischof dem stürmischen Andringen des Rates keinen kräftigen Widerstand entgegenzusetzen. vermochte und die Interessen der katholischen Kirche gefährdet sah, so schickte er eine Gesandtschaft von drei Mönchen ab, um zunächst beim Kaiser Beschwerde zu führen. Unter diesen befand sich auch Burkard Waldis, der treue Sohn der Kirche. Die Gesandten erwirkten vom Statthalter des Kaisers, dem Markgrafen Philipp von Baden, die Androhung der Reichsacht im Falle fortgesetter Widerseßlichkeit, waren in Rom, ließen sich in Nürnberg von dem daselbst versammelten Reichstag den Befehl des kaiserlichen Statthalters bestätigen und wiederholten dem von Clemens VIII. nach Nürnberg gesandten Kardinallegaten Campeggio ihre Klagen. Als die Mission erfüllt war, wandte sich die Erbitterung des Rates von Riga gegen die heimkehrenden Mönche, von denen Antonius Boemhover und Burkard Waldis bei der Ankunft in Riga ergriffen und ins Gefängnis geworfen wurden; der dritte, Augustin Ulfelt, war in Dünamünde aus dem Schiffe gestiegen und entkommen. Aber schon nach wenigen Wochen verließ Waldis das Gefängnis, nachdem er, dem Drange seines Herzens folgend, sich zur evangelischen Lehre bekannt hatte. Von nun an wurde er ein eifriger Bekenner der reinen Lehre, einer der begeistertsten Anhänger Luthers. Er blieb in Riga, bezog ein Eckhaus in der nach der Düna führenden Schalstraße und betrieb

1) Kappe, Kleine Nachlese 2, 545. Kolde, Anal. Luth. 46.
2) De W. 2, 374.

das Geschäft eines Zinngießers (Kangeter' nennt er sich in der Vorrede zu seinem Drama), das ihn auf seinen Handelsreisen an viele Orte, wie Amsterdam, Lübeck, Breslau, Mainz, Naumburg, Einbeck, führte. Sein Ansehen wuchs so sehr, daß man in Münzangelegenheiten sich seinen Rat erbat, und es ist wahrscheinlich, daß er auch bei der Abfassung der neuen rigaischen Kirchenordnung von 1530 mitgewirkt hat. Als dann 1532 die livländische Konföderation mit dem Zwecke der Säkularisation des Erzstiftes geschlossen wurde, vereitelte zwar die Entschlossenheit des deutschen Heermeisters Walter von Plettenberg die Ausführung des Planes, verhinderte aber nicht das Zustandekommen einer förmlichen Verschwörung, die der wegen seiner Verräterei aus Riga entflohene Lohmüller von Königsberg aus leitete. Auch Waldis war für die Sache gewonnen und überbrachte bei Gelegenheit seiner Reisen, die ihn auch in größere oder kleinere Handelspläge der Ostseeprovinzen und Preußens führten, geheime Schriftstücke und Botschaften. Aber zu Weihnachten 1536, als er im Bauskeschen Verwandte seiner Frau besuchte, wurde er auf Befehl des Ordensmeisters Hermann von Brüggeney, der dem landesverräterischen Treiben auf alle Weise ein Ende zu machen fest entschlossen war, als Mitverschworner in Bauske gefangen gesezt, nach zwei Jahren nach Wenden, dem geheimen Richtplage des Ordens, abgeführt, wiederholt der Tortur unterworfen und endlich nach zweimaligen vergeblichen Versuchen durch seine Brüder Hans und Bernhard, die den Landgrafen Philipp von Hessen zur Absendung eines Fürbittschreibens vermochten, mit Unterstüßung des Rates zu Riga aus dem Kerker des Großmeisters 1540 befreit. Im August desselben Jahres kehrte er in seine Heimat zurück und wurde am 23. Oktober 1541 in Wittenberg immatrikuliert1), um die theologischen Studien, denen er sich während der schweren Kerkerhaft gewidmet hatte, fortzusehen und die teuren Glaubensmänner zu sehen, für deren Werk er sich schon seit beinahe zwanzig Jahren begeistert hatte. Er kehrte wohl schon 1542 nach Allendorf zurück und wirkte während des schmalkaldischen Krieges durch die Teilnahme an dem litterarischen Kampfe, der sich gegen Heinz von

1) Alb. 192: Burchardus Vualdis Hessus.

Wolfenbüttel erhoben hatte. Am 13. September 1544 wurde Burkard Waldis als erster protestantischer Pfarrer in Abterode eingeführt; er war auch noch bis an sein Ende (er starb 1556 oder 1557) litterarisch thätig, indem er seinen Esopus, den Psalter und eine Uebersetzung von Thomas Naogeorgs Regnum papisticum herausgab.

Burkard Waldis' Verlorner Sohn') steht an der Spize des deutschen Dramas des sechzehnten Jahrhunderts nicht nur der Zeit nach, sondern auch dem inneren Werte nach. In der in Prosa abgefaßten Vorrede betont Waldis, wie notwendig dem Menschen die Bekanntschaft mit der heiligen Schrift sei: alle Handwerksleute müßten bei ihrer Arbeit, der Bauer hinter dem Pfluge, der Drescher in der Scheune, die alten Weiber bei den Spinnrocken, die Kinder auf den Straßen von Gott und seinem Worte singen und beten. Er rühmt, daß mit dem begonnenen Kampfe gegen die päpstliche Herrschaft und gegen die Lehre von den Werken die Sonne der Gerechtigkeit uns wieder aufgegangen sei. Um die Abgötterei des Fastelabends, die auf das Heidentum zurückgeführt werden könne und von den Larventrägern zu Rom alljährlich celebriert werde, zu beseitigen und denselben in einen geistlichen Fastelabend zu verwandeln, habe er sich bewogen gefühlt, die Parabel vom verlornen Sohn zu einem Fastnachtspiel zu bearbeiten. Das Spiel, das am Sonntage Septuages. (17. Februar) 1527 aufgeführt wurde, wird vom Aktor, dem Leiter der Darstellung, mit einer Anrufung Gottes eröffnet, der alle Kreatur wohlgeschaffen, jedes in seiner Gestalt; alle sollen ihn loben in ihren Werken. Ihn preist auch der Mensch, dem Gott größere Gnade erwiesen, als den anderen allen, da er ihn nach Adams tödlichem Falle durch Christus erlöste. Wer sich zu ihm bekehrt, mit rechtem Glauben an ihm haftet, dem will er den Himmel geben:

Uth rechter gnad und ydel gunst,

On all unse todont, werk und kunst.

Das erzürnte den Teufel; er sandte den Antichrist, der einen besseren Weg zu zeigen versprach; er veranlaßte den Papst mit

1) Neudruck von G. Milchsack. Halle 1882.

seinen Rotten zur Verbreitung der Lehre, daß die Werke zur
Seligkeit helfen könnten. Damit wurde viel Unheil erzeugt. Aber
Gott weckte sein Wort auf, das lange Zeit bedeckt lag. Darum,
ihr Christen, lasset uns Gott mit lauter Stimme loben:
De wyle nu godts wort ewich blifft,

Welln wy hdt bewysen mit der schrifft,
Dat den gestoppet werde de mundt,
De godts wordt lestern tho aller stundt,
Und dat mit der parabell doen,

De yn Luca finden beschreven stan,

An dem vyffteynden uthgedruckt,
De mogen gh hören unvorruckt'
Dat gy ydt destebeth mögen vorstan,
Wor up dith spill hir sy gedan.

Nach dieser Anrede des Aktors stand ein Kind auf und veɩkündigte das Evangelium Lucä Kap. 15 (in niedersächsischer Sprache nach Luthers Uebersetzung), worauf der Aktor weiter sprach, dies Evangelium solle traktiert werden, doch nicht leichtfertig, wie es der Papst zu Rom thue:

An fastelavendes spell grot kosten lecht,

Do eyne larve de ander drecht:

Senior pultron de ridt vor,

Madonna putana steyt yn der doer,

Ribaldus up ße beyde wardt,

Dar werdt keyn laster nach [noch] schande gespart,

Dar mit bewysen, dat ße sindt

Des Jany und der affgode kyndt.

Wh willn avers anders leren,

In Christliken saken Christlik beren,
Und kerdt ydt unß tho argem nicht,

Dat unßer Stilus ys ßo slicht,
Mit Terentio gar wenich stymbt,

Nach mit Plauto over eyn kumbt,
De wyle ydt hs keyn fabel gedicht,
Sonder up de rechte warheit gericht,
Darum swyget still und blivet bestan,
Wy willen de sake heven an.

Nachdem der verlorne Sohn sein Erbteil erhalten hat, begiebt er sich auf die Reise und wird mit einem Spizbuben bekannt, der ihn zum Verprassen seines Geldes überredet. Im Wirtshause fieht Spizbube den Wirt traurig sizen; sonst sei es lustig gegangen

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