Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

wesens.

Leitung und Behandlung des Zoll-, Handels- und VerkehrsDer Entwurf wollte nicht weiter in die Selbstständigkeit der Einzelstaaten eingreifen, als durch die nationalen Bedürf nisse unbedingt geboten war. Der in anderen Bundesverfassungen enthaltene Satz: » die Einzelstaaten sind souverän, soweit ihre Souveränetät nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind« wurde als ein selbstverständlicher nicht ausdrücklich in den Entwurf aufgenommen, aber in der That streng eingehalten. Wie die Bundesgewalt in ihrer Sphäre vollständig souverän dasteht, so sind auch die Einzelstaaten in ihrem Bereiche autonom. In den weiten Gebieten der Justiz, der innern Verwal tung, des Unterrichtswesens, der Sorge für die Interessen der Wissenschaft und Kunst, der Landeskultur, wird ihnen ein wür diger und völlig unabhängiger Wirkungskreis gelassen, worin sie ebenso souverän bleiben, wie sie es bisher waren. In dieser Theilung der Sphäre der Souveränetät zwischen dem Bunde und den Einzelstaaten zeigt sich so recht der bundesstaatliche Charakter des Verfassungsentwurfes.

Um dieser Souveränetät der verbündeten Einzelstaaten auch in der Gesammtverfassung des Bundes einen entsprechenden Ausdruck zu geben, schuf der Entwurf das Organ des Bundesraths3, d. h. einer Delegirtenversammlung der einzelnen Fürsten, welcher ein reichlicher Antheil an der Gesetzgebung des Bundes, ein bescheidener, scharf begrenzter an der eigentlichen Bundesregierung eingeräumt ist, indem gerade die wichtigsten Funktionen der s. g. Exekutive der Krone Preussen ausschliesslich beigelegt sind; auch stehen sie der letzteren nicht kraft eines Auftrages des Bundesrathes, sondern kraft eigenen verfassungsmässigen Rechtes zu.

Wenn so die historische Macht der Fürsten, nach ihrem wirklichen Inhalte im Bundesrathe, unter dem leitenden Präsidium des mächtigsten, staatsrechtlich organisirt ist, so wird die reale Bedeutung der Nation dargestellt in einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung, dem Reichstage.

3) Graf Bismarck sagt in diesem Sinne: »Der Bundesrath ist vollständig unentbehrlich, als diejenige Stelle, wo die Souveränetät der Einzelstaaten fort fährt, ihren Ausdruck zu finden. Hier findet derjenige Ueberrest des hohen deutschen Adels seinen Platz, der seine Landeshoheit bewahrt hat.

So wichtig die Einfügung einer Nationalrepräsentation in den Organismus der Verfassung war, so bestand doch eine Hauptschwäche des Entwurfs darin, dass diesem volksthümlichen Faktor eine zu geringe Machtbefugniss beigelegt war. Allerdings sollte dem Reichstage die Mitwirkung auf dem gesammten Gebiete der Bundesgesetzgebung zustehen, selbst mit dem Rechte der Initiative; es war daher übertrieben, wenn man denselben durch die Bezeichnung als eines blossen »Redeübungsvereins« oder eines »Zollparlaments « herabzusetzen suchte, während man doch noch kurz vorher selbst in der Erreichung des letztern einen grossen politischen Fortschritt erkannt haben würde. Immerhin blieb es aber ein Mangel des Entwurfs, dass man die wichtigsten und umfassendsten Theile des Budgets, den ganzen Militär- und Marineetat, für alle Zeiten dem konstitutionellen Einflusse der Volksvertretung völlig entziehen wollte.

muss,

Ueberhaupt war der Abschnitt XII »von den Bundesfinanzen« das unvollständigste Kapitel des ganzen Entwurfes, welches gewissermassen erst eine nähere Regulirung durch den Reichstag zu erwarten schien. Ist es auch nicht zu verkennen, dass das Budgetrecht im Bundesstaate anders geordnet sein als im Einzelstaate, so durfte man doch nicht soweit hinter die Linie des in Deutschland feststehenden gemeinen Staatsrechts, ja der in ganz Europa anerkannten konstitutionellen Rechtsordnung zurückgehen, als in dem Entwurfe geschehen war1. Es war entschieden eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des konstitutionellen Princips, wie es einmal historische Berechtigung erhalten hat, dass eine für eine Uebergangsperiode zweckmässige, ja vielleicht nothwendige Einrichtung zum bleibenden staatsrechtlichen Grundsatze gemacht werden sollte.

Es wäre durch die unbedingte Annahme des Entwurfes das ganze Militärwesen gewissermassen aus der übrigen Staatsordnung

4) Treffend bemerkte R. v. Bennigsen in Betreff des Budgetrechts: >>Ich meine, dass wir der Entscheidung und der Lösung dieser Schwierigkeiten am nächsten kommen, wenn wir sagen, das Ergebniss der verfassungsmässigen Entwickelung in Deutschland hat eine Grenzlinie festgestellt, eine gewisse Durchschnittslinie, innerhalb welcher alle deutschen Verfassungen miteinander übereinstimmen und die deshalb gewissermassen als gemeines Staatsrecht für ganz Deutschland angesehen werden muss, die Grenzlinie nämlich zwischen den Befugnissen der Regierungsgewalt und der Landesvertretung.<< Sten. Ber. S. 164.

herausgeschnitten und zu einem, völlig nach absolutistischen Grundsätzen verwalteten Gebiete gemacht worden.

Da indessen sich bald herausstellte, dass die Regierungen hier zu einem Entgegenkommen bereit waren, wie dies Graf Bismarck schon in seiner ersten Rede andeutete, so war der schlimmste Stein des Anstosses beseitigt, welcher die Annahme des Entwurfes von Seiten des Reichstages hätte gefährden können.

Als Grundpfeiler des gesammten norddeutschen Bundes muss die Kriegsverfassung betrachtet werden, welche in dem Entwurfe mit besonderer Genauigkeit festgestellt war. In dieser Beziehung knüpfte derselbe an die langjährigen Bestrebungen der preussischen Regierung an, eine Reform der ehemaligen Bundeskriegsverfassung herbeizuführen. In dem Entwurfe der norddeutschen Bundesverfassung fand die in Preussen so lange bestrittene, in dem letzten Kriege so glänzend bewährte Reorganisation ihre gesetzliche Anerkennung für das ganze Gebiet des neuen Bundesstaates.

Als ein Mangel des Entwurfes wurde vielfach das Fehlen der s. g. Grundrechte hervorgehoben; vom praktischen Standpunkte gewiss mit Unrecht. Waren doch dieselben für % der Bundesbe völkerung durch die preussische Verfassung hinreichend festgestellt und genossen doch auch die Angehörigen der meisten übrigen Staaten in ihren Verfassungen ähnlicher Garantien, welche durch den Eintritt in den norddeutschen Bund unberührt blieben. Sollte die Bundesverfassung, um einiger staatlich zurückgebliebener Länder willen, auf ein Gebiet eingehen, dessen Betreten unzweifelhaft zu weitgehenden Principienstreitigkeiten geführt haben würde, sollte sie allgemeine Sätze aufstellen, welche entweder theoretische Axiome und blosse Verheissungen hätten bleiben müssen, oder welche im Falle praktischer Durchführung tief in die specielle Landesgesetzgebung eingeschnitten haben würden? Die Grundrechtsdebatten von Frankfurt mit ihrem doktrinären Charakter standen als warnendes Beispiel vor der Seele des deutschen Volkes. Es war daher nur zu rühmen, dass man diese ganze Seite des Staatslebens zunächst der Gesetzgebung der Einzelstaaten überliess und dem vorwärtsstrebenden Geiste des deutschen Volkes vertraute, dass derselbe auch einzelne staatlich zurückgebliebene Bruchtheile der Nation mit Nothwendigkeit einer zeitgemässen Entwickelung entgegenführen werde. Ueberhaupt muss es als der

grösste Vorzug des Entwurfes betrachtet werden, dass er nichts als eine elementare Grundlage geben will, welche der organischen Entfaltung für die Zukunft möglichst freien Spielraum gewährt. Während die frühere deutsche Bundesverfassung jede weitere Entwickelung im nationalen Sinne abschnitt und somit Gewalt und Bundesbruch mit Nothwendigkeit provocirte, wenn es sich darum handelte, unerlässliche nationale Fortschritte durchzusetzen, erleichtert der Entwurf jede zeitgemässe Weiterbildung der Verfassung im hohen Grade, indem er für eine Verfassungsänderung keineswegs die Einstimmigkeit aller Bundesglieder, sondern nur eine Mehrheit von 2 der Stimmen verlangt. Damit ist dem vorwärtsschreitenden Geiste des deutschen Volkes die Möglichkeit gegeben, allen berechtigten nationalen Forderungen auf verfassungsmässigem Wege Ausdruck zu verschaffen und ohne Ueberstürzung, wie ohne Rechtsbruch, die unvollkommene Uebergangsform des norddeutschen Bundes allmälig in eine Reichsverfassung der gesammten deutschen Nation organisch umzubilden.

§. 133.

Die Stellung des Reichstages zu dem vorgelegten Entwurfe und die allgemeine Diskussion vom 9.-13. März.

Da dieser erste Reichstag keine andere Aufgabe hatte, als die Verfassung des norddeutschen Bundes zu berathen, so wurde die Gruppirung der Parteien lediglich durch das Verhältniss der einzelnen Mitglieder zu dem vorgelegten Regierungsentwurfe bestimmt. Es traten deshalb alte eingewurzelte Unterschiede in den Hintergrund und bildeten sich neue Parteien nach neuen Principien. Vor allem machte sich in der Generaldebatte ein tiefgehender Unterschied geltend zwischen den Abgeordneten, welche das Zustandekommen der Verfassung auf Grundlage des Entwurfes ernstlich erstrebten, und solchen, welche als principielle Gegner des Entwurfes denselben beseitigt wissen wollten1.

1) Da ich hier keine politische Geschichte des ersten Reichstags geben, sondern nur dessen grundlegende Bedeutung für das Staatsrecht des nordd. Bundes darstellen will, so kann ich mich auf eine weitere Charakterisirung der feineren Parteiunterschiede hier nicht einlassen. Was die numerische Bedeutung der Hauptparteien betrifft, so zählten die Konservativen 58, die freien Konservativen 40, die Altliberalen 28, die Nationallibera

1

Unter den erstern, die wir als die positiven Elemente des Reichstages bezeichnen können, traten indessen verschiedene Richtungen hervor, indem die äusserste Rechte, die s. g. Konservativen, für die unveränderte Annahme des Entwurfes plaidirte und deshalb im Stadium der Vorberathungen gegen alle materiellen Verbesserungs- und Abänderungsanträge stimmte; während die Fraktion der freien Konservativen einzelnen Verbesserungen nicht abgeneigt war und in der Schlussberathung in der wichtigsten Frage mit der nationalliberalen Partei Hand in Hand ging. Diese war entschieden die einflussreichste Partei des Reichstages; aus sehr verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt, erstrebte sie das Zustandekommen der Verfassung auf Grundlage des Entwurfes und unterstützte die deutsche Politik des Grafen Bismarck mit Hingebung in allen wichtigen Principienfragen, ohne deshalb auf die Selbstständigkeit ihres Urtheils zu verzichten; sie war entschlossen, ehrlich und loyal auf den vorge legten Verfassungsentwurf einzugehen, glaubte aber, dass derselbe der Verbesserung in vieler Beziehung sowohl bedürftig, als fähig sei. Alle wesentlichen materiellen Verbesserungen, Ergänzungen und Abänderungen des Entwurfes, welche bestimmt waren, verfassungsmässigen Rechte des Volkes und der Volksvertretung zu sichern, soweit dies mit der Macht und Einheit Deutschlands verträglich schien, gingen von der nationalliberalen Partei aus. Uebrigens muss anerkannt werden, dass alle die genannten Par teien, welche eine positive Stellung zu dem Entwurfe einnahmen, einen ächt realpolitischen Sinn offenbarten, welcher bis jetzt in Deutschland so selten zum Durchbruche gekommen war, und dass Konservative wie Liberale ein gutes Stück ihres Doktrinarismus und ihre eingewurzelten Parteitheorien in patriotischer Selbstver läugnung auf dem Altare des Vaterlandes opferten, dass jede dieser Parteien manches ihr Wünschenswerthe aufgab, um darüber das Erreichbare nicht zu verlieren.

die

Diesen positiven Elementen standen in geringer Zahl und bunter Mischung die negativ en gegenüber, welche aus verschie

len 80, die Linke 20 Mitglieder. Ausser diesen 5 Fraktionen bestanden noch kleinere Gruppen, z. B. die s. g. Bundesstaatlich-Konstitutionellen, die Mitglie der des linken Centrums des preussischen Abgeordnetenhauses u. s. w. Sehrinstruktiv ist »die tabellarische Uebersicht der namentlichen Abstimmun gen im ersten deutschen Reichstage«. Leipzig bei Quandt und Händel.

« ZurückWeiter »