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Unterscheidung und eine ihr entsprechende besondere Benennung der verschiedenen Wissenschaften vom Staate längst nöthig gemacht. (Geschichte der Staatsw. III. S. 341.)

Allerdings gehen die Begriffsbestimmungen der Politik, den Worten nach, sehr auseinander, allein in der Hauptsache stimmen sie darin jetzt in der Regel überein, dass die Politik als die Wissenschaft von den richtigen Mitteln zur Erreichung der Staatszwecke aufgefasst wird. Gegen diese von Mohl scharf formulirte Fassung hat Bluntschli im Staatswörterbuche (Art. Politik) neuerdings den Vorwurf der Einseitigkeit erhoben, die Politik müsse ebenso die Zwecke des Staates, als die dazu gehörigen Mittel erörtern, sie bezeichne gleichmässig die Aufgaben des Staates und ihre Lösung. Diese Behauptung hat insofern ihre Richtigkeit, als eine Darstellung der Mittel, ohne jede Berücksichtigung der Ziele, geradezu unmöglich sein würde. Wie wollte Jemand Rechtspolitik treiben, ohne das Recht als Staatszweck anzuerkennen, oder Gewerbspolitik, ohne Förderung des Volkswohlstandes als Staatsaufgabe hinzustellen? Aber die tiefere Entwickelung der Staatszwecke aus den Zwecken des menschlichen Lebens überhaupt, die philosophische Begründung dieser Lehre ist doch Aufgabe einer andern Wissenschaft, nämlich der allgemeinen oder philosophischen Staatslehre, welche die philosophische Grundwissenschaft der Politik, wie aller Staatswissenschaft ist. Aus ihr entnimmt die Politik die höchsten Ziel- und Zweckbestimmungen des Staates; ohne sie würde die Politik zu einer trivialen Klugheitslehre herabsinken. Aber die eigentliche specifische Aufgabe der Politik, als einer Erfahrungswissenschaft, bleibt doch die Verwirklichung jener Zwecke durch die relativ besten Mittel, welche durch die gegebenen Zustände der verschiedenen Völker und Länder bedingt werden. Nur an der Hand reicher historischer Anschauungen, umfassender statistischer Kenntnisse und reifer Lebenserfahrungen kann die Politik ihre Aufgabe lösen, welche deshalb von Aristoteles mit Recht als »rov Existημæv ἢ δυνάμεων κυριωτάτη καὶ μάλιστα ἀρχιτεκτονική bezeichnet wird.

Auch das Staatsrecht kann aus dem Studium der Politik reichen Gewinn ziehen, dennoch gilt es, überall die Grenzmarken dieser Wissenschaften zu beobachten. Leicht lassen sich dieselben feststellen, wo es sich um die Scheidung des positiven Staatsrechts und der Politik handelt. Das positive Staatsrecht zeigt, was zwischen Regierung und Unterthanen wirklich Rechtens ist; die Politik dagegen lehrt, was nach Umständen am heilsamsten wäre, dass es Rechtens würde.

Schwerer ist das Gebiet des allgemeinen Staatsrechts gegen die Politik abzugrenzen, da auch hier, gleichwie in der Politik, nicht ein bestimmter Staat, sondern der Staat im allgemeinen Gegenstand der Betrachtung ist, da es sich auch hier nicht um unmittelbar

juristisch anwendbare Normen, sondern um eine allgemein wissenschaftliche Staatsrechtstheorie handelt. Es ist nicht zu verkennen, dass beide Wissenschaften, Staatsrecht und Politik, grösstentheils dieselben Objekte behandeln, nur in verschiedenen Beziehungen und von verschiedenen Standpunkten. Das allgemeine Staatsrecht stellt den staatlichen Organismus dar, sowohl im allgemeinen, wie in seinen verschiedenen Formen, aber immer von der rechtlichen Seite. Es handelt sich hier um Anforderungen der Rechtsidee, die zwar an und für sich noch nicht unmittelbar praktisch gelten, aber dem Leben der Staaten und Völker Gebote und Aufgaben stellen, während sich die Politik mit den Wegen und Mitteln beschäftigt, wodurch die Aufgaben des Staates am zweckmässigsten, nach den gegebenen Umständen, verwirklicht werden können. Richtig bemerkt H. Escher (Politik S. 12.), »Politik und Staatsrecht müssen sich gegenseitig berücksichtigen, daher kommt es, dass eine gesunde und geistvolle Theorie des allgemeinen Staatsrechts nicht umhin kann, ihre Blicke auch auf die Lehren der Politik zu richten, sowie hinwieder die Politik häufig mit den Grundsätzen des Staatsrechts in Berührung kommt. In beiden Fällen darf man nicht den Vorwurf des Uebergriffes oder der Begriffsverwechselung erheben, wenn jede Disciplin ihre Principien festhält und ihr eigenthümlicher Gesichtspunkt der dominirende bleibt.<<

§. 15.

Die Philosophie.

Diejenige Disciplin, welche die Staatswissenschaften mit der Philosophie verbindet, nennen wir philosophische Staatslehre1. Dieselbe ist keine rein-philosophische, sondern eine angewandt-philosophische Lehre für alle Lebensinteressen im Staate 2. Diese philosophische Betrachtung darf weder das Recht,

eine

1) Die Literatur dieser Lehre wird im ersten Buche gegeben werden. 2) Es zeugt von einem sehr untergeordneten wissenschaftlichen Standpunkte, wenn Bülau meint, die philosophische Rechtslehre sei »durch ihr prätendirtes Absehen von allen Wirklichkeiten der Staatswissenschaftslehre feindlich. Es ist dies ein unbegreiflicher Anachronismus, weil eine Staatsund Rechtsphilosophie, welche einen allgemeingültigen Vernunftcodex, Musterverfassung für abstrakte Staaten und Menschen, ohne alle Rücksicht auf historische Verhältnisse, aufstellen will, nirgends mehr anerkannt und gelehrt wird. Die wahre Rechtsphilosophie, welche die Idee des Rechts als der menschlichen Vernunft innewohnend nachweist, zugleich aber lehrt, dass alles wirkliche Recht nothwendig ein concretes, durch Umstände bedingtes, geschichtlich gewordenes ist, kann auch, auf die öffentlichen Verhältnisse angewendet, der Staatswissenschaft nicht feindlich sein. H. Escher, Handbuch der Politik, S. 13.

noch die gesellige Ordnung, weder den Wohlstand des Volkes und seine materiellen Interessen, noch die Geistesbildung, weder das Völkerrecht noch die auswärtigen Beziehungen ausser Acht lassen, aber sie beabsichtigt auch nicht, das ganze positive Material dieser Lehren zu geben. Diese Wissenschaft bringt vielmehr noch ein besonderes Interesse hinzu. Dieses liegt in der Uebersicht und Einheit der ganzen Untersuchung. Die philosophische Staatslehre soll die höchsten Principien für die Staatswissenschaften nennen und so ihrem Systeme den ordnenden Geist verleihen3. Eine solche philosophische Untersuchung will in das Innerste der Lehre eindringen, ihre Frage ist die nach den Principien, nach den höchsten Gesetzen der Wissenschaft. Sie soll für alle jene aufgezählten, besondern staatswissenschaftlichen Lehren der gemeinschaftliche Mittelpunkt werden, von welchem die Gültigkeit ihrer allgemeinsten Gesetze ausgeht, von welchem aus allein die gegenseitigen Ansprüche der speciellen Lehren aneinander ausgeglichen werden können. Es sind die höchsten Fragen nach Zweck und Wesen des Staates, welche die Staatswissenschaften mit der Philosophie zu verhandeln haben.

Die philosophische Staatslehre sucht ihre ersten Grundlagen in anthropologischen Ansichten, in der Psychologie, als der geistigen Menschenlehre *; sie lässt sich von der Logik den richtigen Weg, die Methode der Untersuchung zeigen und empfängt von der Ethik die bestimmenden Ideen über den Werth und die höchsten Zwecke des Menschenlebens. Nur aus den Zwecken des menschlichen Lebens können die Zwecke des Staates, als der wichtigsten und höchsten gemeinsamen Form des menschlichen Daseins, richtig bestimmt werden.

§. 16.

Die Geschichte.

Für das deutsche Staatsrecht ist natürlich auch die Ge

3) J. F. Fries, philosophische Staatslehre. E. Apelt, 1840.

Herausgegeben von

4) Jene allgemeinen psychologischen Grundlagen bezeichnet Schlözer als Metapolitik (Allgem. Staatsrecht §. 3. S. 15.). Mohl fordert >> eine politische Psychologie, welche einen wesentlichen Bestandtheil jedes vollständigen Systems der Politik bilden soll. « Geschichte der Staatsw. III.

S. 350.

schichte Deutschlands am wichtigsten, besonders derjenige Theil der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, welcher sich mit der historischen Entwickelung der Staatsverfassung und des öffentlichen Rechts in Deutschland, von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart, beschäftigt.

Unser staatlicher Rechtszustand ist ein historisch gewordener, welcher nur in seiner Genesis, in der Geschichte seines Werdens richtig erkannt werden kann. Nur durch die deutsche Staats- und Rechtsgeschichte werden die Institute des öffentlichen Rechts in Deutschland in ihr richtiges Licht gesetzt. Viele wichtige Lehren des deutschen Staatsrechts, z. B. von der Thronfolge, von der Ebenbürtigkeit, von den Landständen, vom hohen Adel und von den Mediatisirten, können nur an der Hand der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte wissenschaftlich erörtert werden.

Kaum irgend eine andere Disciplin wirkt so unmittelbar fruchtbringend auf das Studium des deutschen Staatsrechts ein, als die deutsche Staats- und Rechtsgeschichte 1.

1) Gerade das Studium des deutschen Staatsrechts führte zuerst auf eine Verbindung der allgemeinen deutschen Geschichte mit einer Darstellung der Verfassungsentwickelung in Deutschland hin, s. g. Reichsgeschichte, welche auf Universitäten vorgetragen und vielfach in kleinern und grössern Werken behandelt wurde. Zu nennen sind hier besonders Franz Dominikus Häberlin's ältere und mittlere deutsche Reichsgeschichte bis zum J. 1564, 1767-73, 12 Bände. Dessen neueste Reichsgeschichte, 1774 u. f. 20. Bd. bis 1597, fortgesetzt von Ren. Carl von Senckenberg bis zum Jahre 1650 in 8 Bänden, Bd. 25. 1904. Ch. G. Heinrich, deutsche Reichsgeschichte, 1787 bis 1805, 9 Bände. J. St. Pütter, historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des deutschen Reiches, zuerst 1786, 3 Bände. Die Begründung einer eigentlichen deutschen Staats- und Rechtsgeschichte in ihrem ganzen Umfange ist das Verdienst von Karl Friedrich Eichhorn (deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4 Bände, 1808-1823. 5. Aufl. 1843—1844). Dieses Meisterwerk steht noch in vielen Partien, auch des öffentlichen Rechts, unerreicht da. Seit Eichhorn ist das Feld der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte mit unausgesetztem Fleisse bebaut worden. Für die Verfassung der ältesten Zeiten ist besonders zu nennen G. Waitz, deutsche Verfassungsgeschichte, 4 Bände; für das gesammte Gebiet Georg Phillips, deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, 1845, 4. Aufl. 1859; Heinrich Zöpfl, deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 3. Aufl. 1858; Julius Hillebrand, Lehrbuch der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 1856; Ferdinand Walter, deutsche Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1858; Joh. Friedr. Schulte, Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte, 1861. Von dem grossen Werke, Geschichte des deutschen Rechts, herausgegeben von G. Beseler u. s. w., ist bis jetzt nur die Geschichte der Rechtsquellen von O. Stobbe erschienen, B. I. 1860. B. II. 1864.

Da aber die Staats- und Rechtsentwickelung eines Volkes nicht getrennt von den übrigen Momenten seiner Entwickelung, sondern im engen Zusammenhange mit seinen ökonomischen, socialen und sonstigen culturgeschichtlichen Erlebnissen vor sich geht, so kann auch die allgemeine Geschichte Deutschlands als Hülfswissenschaft des Staatsrechts gelten 2.

In neuerer Zeit haben auch auswärtige geschichtliche Ereignisse, besonders in gewissen Phasen der Umgestaltung, mächtig auf die staatlichen Zustände in Deutschland zurückgewirkt. Wie daher das Staatsrecht und die Staatenkunde auswärtiger Reiche für uns wichtig ist, so auch ihre Geschichte, besonders die Geschichte der französischen Revolution und die Geschichte von England 3.

Auch Memoiren und Biographien hervorragender Staatsmänner, besonders solcher, welche auf die deutschen staatlichen Zustände tief eingreifend gewirkt haben, sind für das Studium des Staatsrechts von Werth *.

Schliesslich sind noch zu nennen:

a. Die Hülfsmittel des geschichtlichen Studiums überhaupt: Diplomatik, Heraldik, Genealogie, Geographie 8.

2) J. E. Pfister, Geschichte der Deutschen, 1829-1835, 9 Bände, fortgesetzt von Bülau, 1842, Bd. 6; K. A. Menzel, Geschichte der Deutschen (bis zur Reformation), 1815-22, 8 Bände. Dessen Neuere Geschichte von der Reformation bis zur Bundesakte, 1826-1848, 12 Bände, 2. Aufl. begonnen 1855. Heinrich Luden, Geschichte des deutschen Volkes, 1825—37, 12 Bde. Wilhelm Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, 2 Bände, 2. Aufl. 1860. Ludwig Häusser, deutsche Geschichte vom Tode Friedrich's des Grossen bis zur Gründung des Bundes, 4 Bände, 3. Aufl. 1861.

3) Dahlmann, Geschichte der englischen Revolution, 3. Aufl. 1845; Geschichte der französischen Revolution, 1845, von demselben. Heinrich von Sybel, Geschichte der Revolutionszeit von 1789-1795, 3 Bände. Thomas Babington Macaulay, the history of England from the accession of James II. G. G. Gervinus, Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, 1855, bis jetzt 5 Bände.

4) So z. B. das Leben des Ministers Freiherrn von Stein von G. H. Pertz, 1819-55, 6 Bde.

5) J. Mabillon, de re diplom. libri VI. 1681. Nouveau traité diplomatique par deux Religieux Bénédictins de la congrég. de St. Maur, 1750–65. 6 vol. J. von Schmidt-Phiseldeck, Anleitung für Anfänger in der deutschen Diplomatik, 1804.

6) J. C. Gatterer, Abriss der Heraldik, 1773. 2. Ausg. 1792. Christian Samuel Theodor Bernd, die allgemeine Wappenwissenschaft in Lehre und

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