Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

254

Leben, kraft deren sich die unmittelbaren Glieder des Reiches zu Genossenschaften oder Bündnissen zusammenthaten. Vor allem wurde dabei das Eine erstrebt, dass die so geeinten Genossen ihre Streitigkeiten weder gewaltsam ausfechten, noch vor den gesetzlichen Richter bringen, sondern friedlich untereinander austragen sollten. Es wurden, auf Grund der Einigung, ein für allemal Formen festgestellt, in welchen die Bundesgenossen erst in Güte, sodann im Wege Rechtens, ihre Händel entscheiden lassen sollten. Diese Austräge waren daher nicht Kompromisse, abhängig vom jedesmaligen Belieben der Betheiligten, sondern Gerichte mit Jurisdiktionszwang, aber nicht Gerichte von Staatswegen, sondern Gerichte auf Grund der geschlossenen Einigung. Die freien Städte 3, die reichsunmittelbaren Familien in ihren Hausangelegenheiten, mehrere erbverbrüderte Familien, die Kurfürsten untereinander 5, Grafen und Reichsritter schufen sich derartige Vereinsgerichte. Das Austrägalwesen wurzelte so tief im Standesbewusstsein der Reichsunmittelbaren, dass auch mit der Gründung des Reichskammergerichts die Austräge nicht beseitigt werden konnten. Vielmehr er hielten sie damals durch den R.-A. von Worms 1495 eine reichsgesetzliche Sanktion, erfuhren aber zugleich eine völlige Umgestaltung. Die Austräge wurden von nun an eine Institution der Reichsjustizverfassung, eine bleibende Reichanstalt. Jetzt entstand eine eigentliche Austrägalinstanz, als

2) Austragen heisst überhaupt » zu Ende führen«, »hinausführen«, in Anwendung auf streitiges Recht » den Rechtsstreit zu Ende führen «<. Endlich beschränkt sich der Ausdruck auf eine specielle Form der Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Austraega heist der Austragsrichter im mittelaltrigen

Latein.

3) Das älteste Beispiel eines Austrägalverfahrens bietet wohl der rheinische Städtebund, 1241 u. 1254. J. F. Böhmer, Codex diplom. Moenofrancf. 1836. B. I. S. 101. Dass die überlieferten Beispiele derartiger Vereinsgerichte nicht über die Mitte des XIII. Jahrh. hinausreichen, beweist nicht, dass es keine frühern Austräge gegeben habe. Aegidi a. a. O. S. 537.

4) Seit dem XIV. Jahrh. wurden die Familien-, Haus- oder Stammausträge sehr häufig; es wurden dadurch für alle Zeiten Formen festgestellt, in welchen alle Streitigkeiten der Stammesgenossen mit Güte oder Recht beigelegt werden sollten. Zahlreiche Beispiele bei Pfeffinger, Vitr. illustr. IV. Lib. IV. Tit. V. S. 499 ff.

1764.

5) Zuerst bereits im Kurverein zu Rense, 1338, erneuert 1424, 1558 und

7

Unterinstanz der Reichsgerichte. Den Kurfürsten, Fürsten und Fürstenmässigen wurden ihre Austräge nicht nur erhalten, sondern die K.-G.-O. von 1495, §. 28. und 29. etzte für diejenigen der genannten Personen, welche keine »sunlerlichen, gewillkührten, rechtlichen Austräge«< gegeneinander hatten, eigene Austräge ein: Austräge der Ordung, gemeine Reichsausträge, welche, in Ermangelung von Privatausträgen, subsidiarisch zur Anwendung kommen sollen. Seit dieser Zeit unterschied man a) gewillkührte Austräge, ustraegae conventionales, b) privilegirte, welche auf besondern kaiserlichen Privilegien beruhten, c) gesetzliche oder Ausräge der Ordnung, welche den beiden ersten Arten nachtehen mussten.

Gesetzliche Austräge hatten I. Kurfürsten, Fürsten ind Fürstenmässige, der Kläger mochte sein von welchem Stande er wollte 10; doch bewirkte die Verschiedenheit des Standes les Klägers eine Verschiedenheit der Austräge 11, II. reichs unmittelbare Prälaten, Grafen, Herrn und Ritter, vor

6) Diese Unterinstanz musste von den Reichsgerichten wohl beobachtet werden. K.-G.-O. von 1555, Th. II. Tit. 2. §. 1. J. P. O. V. §. 56. R.-H.-R.-O. Tit. II. §. 2. und 3. Wahlk. XVIII. §. 4.

7) Dahin gehören die Mitglieder der fürstl. Häuser und die gefürsteten Grafen und Prälaten. Pütter, historische Entwickelung der St.-V. des d. R. I. S. 268. Ge. Frid. Car. Robert, dissert. de statu eorum, qui secundum leges imperii dicuntur »Fürstenmässige «. Marb. 1785. Berg a. a. O. S. 74. Aegidia. a. O. S. 540.

8) Das Institut der Legalaus träge bildete sich in der Reichsgesetzgebung nur allmählich aus. Die kurzen Bestimmungen von 1495 wurden schon auf den Reichstagen von Freiburg, 1498, und von Augsburg, 1500, mehr präcisirt; einen bedeutenden Fortschritt bewirkte der Reichstag von Worms, 1521, Wormser R.-A. XXXIII., aber erst der Augsburger Reichstag von 1548 brachte die betreffende Gesetzgebung zum eigentlichen Abschlusse, die Be schlüsse desselben gingen fast wörtlich in die R.-K.-G.-O. von 1555 über. Th. II. Tit. 2-9. betrifft die Austräge, Tit. 9-26. werden die Fälle aufgezählt, in welchen die Austräge meist aus Gründen des öffentlichen Interesses cessiren. 9) Diese erhielten besonders häufig die Reichsstädte, welche an den gesetzlichen keinen Theil hatten.

10) K.-G.-O. von 1555, Th. II. Tit. II. Tit. IV. §. 18. Konc. Th. II. Tit. 4. §. 21.

11) Gehörte nämlich der Kläger selbst zu dieser vornehmsten Klasse von Personen, so gab es nur Einen Austrägalweg. Im entgegengesetzten Falle hatte der Kläger zwischen 8 verschiedenen Wegen die Wahl. von Berg, S. 79.

ausgesetzt, dass sie von Personen der ersten oder derselben Klasse verklagt wurden 12. Ausser den angeführten Personen hatte niemand auf gesetzliche Austräge Anspruch.

Die Austrägalrichter hatten, als solche, die Eigenschaft beständiger kaiserlicher Kommissarien (K.-G.-O. von 1495. Tit. 24. K.-G.-O. von 1555. Th. II. Tit. 2. § 2.). Versäumte der Beklagte die ihm zukommenden Fristen, so konnte die Sache gleich in erster Instanz an die Reichsgerichte kommen, ebenso wenn das Austrägalgericht die Sache nicht binnen Jahresfrist entschieden hatte. Von den Erkenntnissen der Austrägalinstanzen konnte regelmässig an eines der höchsten Reichsgerichte appellirt werden.

Bei diesen musste auch die Vollstreckung der rechtskräftig gewordenen Austrägalurtheile nachgesucht werden. K.-G.-0. Th. II. Tit. 8. In einer Reihe der wichtigsten Fälle, besonders in allen Kriminalsachen, fanden die Austräge nicht statt.

§. 87.

Die kaiserlichen Hof- und Landgerichte 1.

Als Ueberreste der ältern Gerichtsverfassung hatten sich, trotz jahrhundertlang fortgesetzter reichsständischer Beschwerden 2, bis zum Ende des Reiches in Schwaben und Franken noch einige s. g. kaiserliche Hof- und Landgerichte erhalten, welche, unter kaiserlicher Autorität, in bestimmten Distrikten über die darin sich befindenden Reichsunmittelbaren und Mittelbaren die Gerichtsbarkeit in erster Instanz ausübten, insofern keine kai

12) Hier hatte der Kläger zwischen zwei Austrägalwegen die Wahl. von Berg, S. 83. Trotz der grossen Verschiedenheit des austrägalgerichtlichen Verfahrens stand doch schon damals überall das Princip aus, dass, wo Austräge aus Standesgenossen gebildet wurden, der Beklagte die Austragalrichter vorzuschlagen, der Kläger die Auswahl unter den vorgeschlagenen vorzunehmen hatte. Dies Princip ist in die deutsche Bundesverfassung übergegangen.

1) Senckenberg, von der kaiserl. Gerichtsbarkeit, 1760. J. J. Moser, von der Justizverf. II. S. 914. (Sechstes Buch.) Pütter, inst. §. 295. Häberlin, B. II. S. 445 ff. Leist, §. 141. Berg, Grundriss, S. 65 ff.

2) Schon im westphäl. Frieden, J. P. O. V. §. 36., wurde ihre Abschaffung in Aussicht gestellt, aber noch in der Wahlk. des letzten Kaisers figurirte sie als unerfülltes pium desiderium der Reichsstände. Wahlk. Franz II. a. XVIII. §. 8.

serlichen Exemtionsprivilegien entgegenstanden. In Rücksicht der Reichsunmittelbaren konkurrirten sie mit den höchsten Reichsgerichten in erster Instanz, in Betreff der Mittelbaren mit den Territorialgerichten. Von ihren Erkenntnissen sollte die Appellation an die höchsten Reichsgerichte gehen. Wahlk. XVIII. §. 10. Die wichtigsten dieser Gerichte waren das k. Hof- und Landgericht zu Roth weil3, das kaiserliche Landgericht zu Ober- und Niederschwaben, auf der Leutkircher Haide und in der Gepürs zu Weingarten, das k. Landgericht des Burggrafthums Nürnberg zu Anspach, das Landgericht des Herzogthums Franken zu Würzburg und Bamberg 6.

Fünfter Abschnitt.

Von dem Kriegs-, Finanz- und Polizeiwesen des deutschen Reiches.

§. 88. Kriegswesen '.

In Friedenszeiten gab es keine Reichsarmee; sie wurde vielmehr nur im Falle eines Reichskrieges aus den Kontingen

3) Moser, Justizverfassung, II. S. 914-938, wo auch die Literatur angegeben ist. Die neueste Gerichtsordnung wurde 1572 von Max II. erlassen, bei Schmauss, No. XLVI. S. 707 ff. Das Hofrichteramt begleiteten erblich die Grafen von Sulz, nach deren Aussterben die Fürsten von Schwarzenberg.

4) J. J. Moser, Justizverf. II. S. 938-990. J. P. de Ludewig', de Sueviae tribunali S. R. J. Hal. 1725. 4. (J. Reinhard Wegelin) Gründlich hist. Bericht von der kaiserl. und Reichslandvogtei in Schwaben, wie auch dem vom kaiserl. Landgerichte auf der Leutkircher Haide. 1755. Fol. Dies Gericht war im Pfandbesitze des Hauses Oesterreich und fortwährender Zankapfel zwischen den schwäbischen Reichsständen und dem Hause Oesterreich, besonders wegen der Appellationen nach Insbruck.

5) Ordnung des Kampfgerichts des Burggrafthums Nürnberg in K. F. Jungens Miscell. I. S. 161. Desselben unumstössliche Grundveste der Hoheit des kaiserl. Landgerichts, Burggrafthums Nürnberg. Onolzbach 1759. 4. Dies Landgericht war im Lehenbesitze der Markgrafen von Brandenburg. 6) Kampfrechtsordnung des Herzogthums Franken aus dem XV. Jahrh. bei Goldast, Reichssatzungen (1712), I. S. 238. Diese beiden Gerichte wurden von den dortigen Bischöfen besetzt.

1) Pragmatische Erörterung der Grundsätze der deutschen Reichskriegsverfassung (von G. F. von Blum). Frkf. und Leipzig 1795. Pütter, inst.

System des deutschen Staatsrechts.

17

ten der einzelnen deutschen Staaten zusammengesetzt. Die Grösse der von den Reichsständen zu stellenden Kontingente wurde früher nach der Wormser Reichsmatrikel von 1521 bestimmt 2. Später wurde durch den Reichsschluss von 1681 festgestellt, dass die Reichsarmee in simplo aus 40,000 M., und zwar 12,000 M. zu Pferde und 28,000 M. zu Fuss, bestehen sollte. Ein anderer Reichsschluss desselben Jahres vertheilte die ganze Mannschaft auf die 10 Kreise und überliess jedem Reichskreise die Subrepartition der ihm angesetzten Quote. Seitdem ist bei jedem Reichskriege nicht nur der Kreismannschaftsfuss von 1681 wieder erneuert, sondern zugleich bestimmt worden, ob das Duplum, Triplum oder Quintuplum von den 40,000 M. gestellt werden sollte. Jeder Kreisstand haftete dem Kreise für die richtige Stellung seines Kontingentes und musste zugleich für dessen Sold, Proviant, Munition und Rekrutirung sorgen. Die so zusammengesetzten Kreiskontingente traten alsdann, unter Anführung der Reichsgeneralität, zur Reichsarmee zusammen und wurden für Kaiser und Reich in Pflicht genommen. Der Höchstkommandirende wurde von Kaiser und Reich auf dem Reichstage ernannt. Um die durch einen Reichskrieg entstehenden Kosten, insofern dafür nicht von den einzelnen Kreisständen gesorgt werden musste, zu bestreiten, wurde eine Reichsoperationskasse gebildet. Daneben hatte jeder Kreis wieder seine Kreisoperationskasse, welche für Artillerie, Magazine, Lazarethe und andere ausserordentliche Ausgaben zu sorgen hatte.

Die beiden Reichsfestungen, Kehl und Philippsburg, waren im Zustande des kläglichsten Verfalls und durften seit dem Lüneviller Frieden Art. VI. nicht einmal wieder hergestellt werden. Neue Festungen durfte der Kaiser in der Reichsstände Landen nicht anlegen, ebensowenig bereits vorhandene wiederherstellen oder mit Besatzung belegen. J. P. O. VIII. §. 2. Wahlk. IV.

§. 384 ff. Häberlin, B. II. S. 235 ff. Derselbe im Staatsarchiv, I. Heft. Art. IV. Leist, Staatsr. §. 250. Die Reichskriegsverfassung war die klaglichste Seite dieser verkommenen Staatszustände. Durch sie war das Heer des mannhaftesten und kriegerischsten Volkes, die Reichsarmee traurigen Andenkens, zum Gespött von ganz Europa geworden. »>Willst du das h. römische Reich kennen lernen (sagt Moser, wo er von der Kriegsverfassung redet), so lies dies Buch. Präsentirt es sich darin von keiner vortheilhaften Seite, was kann ich dafür! «<

2) Die Wormser Matrikel steht bei Schmauss, B. I. No. XIII. S. 180 ff.

« ZurückWeiter »