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§. 65.

Der sogenannte Staatenstaat oder das Staatenreich.

Man pflegt bisweilen das ehemalige deutsche Reich in seinem letzten Stadium, etwa von 1648-1806, als Bundesstaat zu bezeichnen. Auch lässt sich nicht läugnen, dass eine gewisse äussere Aehnlichkeit zwischen der ehemaligen Reichsverfassung und der bundesstaatlichen Form staattfindet, indem hier wie dort ein Gesammtstaat und Gliederstaaten sich gegenüberstehen. Aber doch ist die innere Verschiedenheit zwischen diesen Staatsformen so gross, dass es eine durchaus falsche Auffassung ergiebt, wenn das ehemalige deutsche Reich unter den Begriff des Bundesstaates gestellt wird.

Zuerst drückt vor allem die historische Entstehung dem deutschen Reiche ein Gepräge auf, welches dem Wesen des Bundesstaates völlig fremd ist. Das deutsche Reich war in frühern Zeiten ein Einheitsstaat gewesen, soweit dies eben bei der Natur des mittelaltrigen Feudalstaates möglich war. Durch immer weiter gehende Auseinanderlegung in zahlreiche staatenähnliche Körper war der Feudalstaat zuletzt allerdings zu einem unregelmässigen Staatensysteme geworden, welches jedoch in vielen Beziehungen noch die Signatur seines Ursprungs an sich trug. Die ganze staatliche Umbildung war so vor sich gegangen, dass immer mehr einzelne staatliche Rechte, durch Verleihung der ursprünglichen Staatsgewalt, an die Territorialgewalten gekommen und dass so diese Komplexe von Land und Leuten zu staatenähnlichen Körpern geworden waren, welche für ihre Angehörigen wesentlich die Stelle des Staates vertreten mussten. Immer aber wurden staatsrechtlich noch alle Rechte der Landeshoheit aus der Reichsgewalt abgeleitet. Die Reichsgewalt war allein die originäre Staatsgewalt in Deutschland. Von einem selbstständigen Ursprunge der Gewalt der Gliederstaaten, wie dies beim Bundesstaate der Fall ist, konnte im deutschen Reiche staatsrechtlich nicht die Rede sein.

Zweitens blieb, trotz der Lockerung der Reichsgewalt und der thatsächlich immer weitergreifenden Unabhängigkeit der Territorialgewalten, die Unterordnung der Landeshoheit unter Kaiser und Reich ein Feudamentalsatz des deutschen Staatsrechts. De jure wenigstens war die Territorialgewalt keineswegs souverän, wie dies die Einzelstaaten beim Bundesstaate innerhalb ihrer Sphäre sind.

System des deutschen Staatsrechts.

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Drittens, und dies ist das wichtigste, hatte das deutsche Reich nicht, wie der Bundesstaat, eine unmittelbare Beziehung zur ganzen Nation. Es wendete sich, in der letzten Phase seines Daseins, immer nur an die Landesherren, als Zwischenobrigkeiten, nicht an die einzelnen Bürger selbst. Es empfing seine Mittel nur von den Einzelregierungen, es exequirte seine Gesetze und Beschlüsse nie selbst, sondern nur durch die Territorialgewalten. Es glich also in dieser Beziehung wieder mehr dem Staatenbunde, als dem Bundesstaate. Die Unterscheidung zwischen Reichs unmittelbaren und Mittelbaren, ein Grundzug des deutschen Reichsstaatsrechts, widerspricht dem Wesen des Bundesstaates diametral, welcher gerade ein Band der ganzen Nation sein will. Eine Nationalrepräsentation wäre daher in der letzten Entwicklungsstufe des Reiches mit dem Geiste seiner Verfassung ebenso im Widerspruche gewesen, wie sie gerade von dem Wesen des Bundesstaates nothwendig gefordert wird.

Hieraus folgt, dass das deutsche Reich weder ein Bundesstaat, noch ein Staatenbund, dass es vielmehr ein durchaus einzig dastehendes staatliches Gebilde ist, welches schon nach Pufendorf » monstro tantum simile« (S. 66) unter keine allgemeine Kategorie der Staatenverbindungen gebracht werden kann. Es ist dies deshalb unmöglich, weil es eine degenerirte Staatsbildung ist, die von ihrem ursprünglichen Principe allmählich immer mehr abgewichen ist. Das deutsche Reich ist ein aus den Fugen gegangener Feudalstaat. Man kann auch hier einen Gesammtstaat, das Reich und Gliederstaaten, die Territorien, von einander unterscheiden. Es besteht eine, das Ganze umspannende Reichsgewalt und eine wenigstens staatenähnliche Territorialgewalt. Das deutsche Reich ist daher, in seiner letzten Entwickelungsphase, allerdings kein Einheitsstaat mehr, sondern ein unregelmässiges Staatensystem mit monarchischer Spitze, welches man wohl, zum Unterschiede von andern Staatenverbindungen, Staaten staat, Staatenreich nennen kann. Doch soll damit keine generelle Form der Staatenverbindung bezeichnet, sondern nur ein Ausdruck für eine einzelne historische Staatsbildung gegeben sein, deren abnorme Natur eben keine Unterordnung unter einen allgemeinen Begriff, sondern nur eine bestimmte individuelle Charakterisirung zulässt.

Geschichtliche Entwickelung des staatlichen Rechtszustandes

in Deutschland.

(Zweites Buch.)

Erstes Kapitel.

Grundriss des deutschen Reichsstaatsrechts 1.

Erster Abschnitt.

Vom deutschen Reiche im Allgemeinen.

§. 66.

Entstehung des deutschen Reichs.

In der ältesten Zeit unserer Geschichte fehlte es den deutsch Völkerschaften an jeder staatlichen Gesammtverfassung. E in der Erschütterung der Völkerwanderung schmolzen die zalreichen kleinen Völkerschaften zu grössern Stämmen zusammea Den Franken war die Aufgabe zugefallen, diese Stämme zuier Reichseinheit zu verbinden. Chlodwig begann, Karl derrosse vollendete diese Arbeit. Das grosse Frankenreich hatte abe einen national - deutschen Charakter; es umfasste sowohl celth-romanische, wie deutsche Elemente. Durch den Vertrag von Verdun 843 und durch die darauf folgende definitive Lossag

nach der Absetzung Karl's des Dicken 888 trennte sich endh das vorherrschend germanische Ostfrankenreich von dem

Für das neuere Reichsstaatsrecht, wie es bis zu den letzten grossen estaltungen am Anfange dieses Jahrhunderts bestand, sind die wichtigallgemeinen Werke: J. J. Moser, deutsches Staatsrecht, 50 Theile st 2 Theilen Zusätzen und Register, 1737-54. Dessen: Neues Staatscht, 21 Bände und 1 Bd. Register, 1766-1775 (S. 80). Desselben Grundiss der heutigen Staatsverfassung des deutschen Reichs, Tübingen 1754. oh. Jac. Mascovii principia juris publici, Lipsiae (zuerst 1729, 6. Aufl. 1769, herausgegeb. von H. G. Franck). Joh. Henrici de Selchow elementa juris publici Germanici, Göttingen (neue Aufl. 1782). Vor allem aber sind zu empfehlen: Johannis Stephani Pütteri institutiones juris publici Germanici, Göttingen (zuerst 1770, zuletzt 1802), und Carl Friedrich Häberlin, Handbuch des deutschen Staatsrechts nach Pütter's System in 3 Bänden, Berlin, zuerst 1793, dann 2. Aufl. 1797 (Bd. I. und II. sind 1802 und 1803 noch einmal neu aufgelegt). Die specielle Literatur wird bei den einzelnen Lehren angegeben werden.

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