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gewalt durch einen selbstständigen Richterstand, welcher zwar vom Souverän angestellt wird und von ihm seine Gewalt ableitet, im Rechtsprechen aber völlig unabhängig ist. Allein diese verfassungsmässige Theilnahme verschiedener Organe ist keine Theilung der einheitlichen Staatsgewalt, welche im Souverän concentrirt bleibt. Dieser ist der Inhaber der vollen Staatsgewalt, aber in der Ausübung beschränkt durch Verfassung und Gesetz und nothwendig gebunden an mehr oder minder selbstständige Organe. Dies ist eine lebensfähige, kräftige Organisation, welche von der mechanischen Theilung der Gewalten unter verschiedene Subjekte wohl zu unterscheiden ist.

Sechstes Kapitel.

Die Verschiedenheit der Staaten nach ihrer

Verfassungsform 1.

§. 56.

Eintheilungsgrund.

Die Geschichte der Menschheit breitet vor unsern Augen eine reiche Mannigfaltigkeit staatlicher Entwickelung aus. Es ist ein wissenschaftliches Bedürfniss, die verschiedenen Erscheinungen, in welchen die Staatsidee zur Verwirklichung gekommen ist, auf

1) H. A. Zacharia, Staatsrecht, B. I. §. 21. S. 69. H. Zöpfl, Staatsrecht, B. I. §. 59. S. 102. Stahl, Rechtsphilosophie, B. II. Abschn. III. Kap. I. S. 211. Fr. Schleiermacher, über die Begriffe der verschiedenen Staatsformen. Abhandlung der Akademie der Wissenschaften in Berlin, 1814-1815, Philosoph. Classe, S. 17-49. Roscher, Umrisse zur Naturlehre der drei Staatsformen in der Zeitschrift für Geschichte von Adolf Schmidt, B. IV. S. 79-89. S. 322-365. S. 436-474. Franz Vorländer, die Staatsformen in ihrem Verhältnisse zur Entwickelung der Gesellschaft. Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, XIV. Jahrg. S. 292–347. G. Waitz, Politik, I. Ausf. über » die Unterscheidung der Staatsformen «<. S. 107-128. R. von Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. 1. S. 261. Derselbe in der Encyklopädie, S. 97 ff. 298 ff. Trendelenburg, Naturrecht, S. 431. Eine ausführliche und lichtvolle Charakteristik der einzelnen Staatsformen in ihren verschiedenen geschichtlichen Phasen giebt Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, Buch IV.

gewisse Gattungen und Hauptformen zurückzuführen. Auch hat die Wissenschaft schon von den ältesten Zeiten an solche Eintheilungen versucht, ohne dass es bis jetzt zu einer Uebereinstimmung unter den Gelehrten gekommen wäre. Besonders sind in neuester Zeit verschiedene Versuche gemacht worden, eine Eintheilung zu gewinnen, welche auf einer tiefern Anschauung des Staates beruhen sollte, als die bisher gebräuchlichen Eintheilungen.

Der Hauptfehler bei diesen Versuchen war, dass man sich über den wissenschaftlichen Zweck der gesuchten Eintheilung nicht klar war, und dass man das, was man von einem einseitigen Standpunkte aus gefunden hatte, für allgemein brauchbar und exclusiv richtig erklärte. Der Staat hat so mannigfaltige, nebeneinander laufende Richtungen, dass auch verschiedene Wissenschaften sich mit dem Staate von einem verschiedenen Standpunkte aus zu beschäftigen haben. Für jede wissenschaftliche Betrachtungsweise ist auch eine andere Eintheilung gerechtfertigt. Ueberall treten andere Momente als die eigentlich bestimmenden in den Vordergrund. Bei einer nationalökonomisch-statistischen Betrachtung wird z. B. die Hauptrichtung der gewerblichen Thätigkeit des Volkes sich in erster Linie geltend machen; man wird hier Nomaden-, Ackerbau-, Industrie-, Handelsstaaten unterscheiden. Die allgemeine Staatengeschichte sucht die den verschiedenen grossen Perioden angehörenden Verwirklichungen der Staatsidee auf gewisse historische Grundtypen zurückzuführen; so unterscheidet sie die Theokratie des Orients, das alt-hellenische Königthum, die antike Demokratie, das römische Imperatorenthum, den mittelalterigen Patrimonial- und Feudalstaat, die moderne absolute und konstitutionelle Monarchie. Die orientalische, antike, germanische, moderne Staatsidee wird hier in ihrer Eigenthümlichkeit charakterisirt. Die staatlichen Anschauungen und Grundstimmungen des Volkes werden hier einer besondern Betrachtung gewürdigt. Der Kulturhistoriker, welcher einen bestimmten Zweig der geistigen Entwickelung zum Gegenstande seiner wissenschaftlichen Erörterung macht, etwa Religion, Literatur, schöne Künste, wird die Staaten nach dem Einflusse auf diesen bestimmten Kulturzweig einzutheilen ebenso berechtigt sein, wie der Diplomat sie etwa eintheilt nach ihrer Macht Staaten ersten, zweiten, dritten Ranges oder nach ihrer Tendenz im internationalen Verkehre.

Indem wir allen diesen Eintheilungen eine relative Berechtigung, vom Standpunkte einer bestimmten Wissenschaft, zuerkennen, fragen wir hier nur ganz allein nach der Eintheilung der Staaten, welche den Zwecken und der Aufgabe der Staatsrechtswissenschaft entspricht 2. Nur eine staatsrechtlich korrekte und brauchbare Eintheilung der Staaten ist für uns von Werth.

Das Staatsrecht handelt von der Organisation des Volkes zum Staate, insbesondere von dem Verhältnisse des Volkes zur Staatsgewalt. Das Oberste und Wichtigste in dieser Organisation ist die Obrigkeit, als die herrschende und massgebende Macht im Staate. Der staatsrechtliche Eintheilungsgrund der Staaten liegt daher in der Konstituirung der Obrigkeit, in der Art und Weise, wie die Souveränetät personificirt ist. Das Staatsrecht kann daher die Staaten nur eintheilen nach dem Subjekte der Souveränetät.

Subjekt der Souveränetät ist entweder ein einzelner Mensch zu selbstständigem Rechte Monarchie, oder mehrere, ein bestimmter Stand Aristokratie, oder die Gesammtheit des Volkes Demokratie.

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In dieser uralten aristotelischen Eintheilung der Staatsverfassungen in Monarchie, Aristokratie und Demokratie ist nicht blos die Zahl das Princip der Eintheilung, sondern darin, ob Einer herrsche oder mehrere oder alle als Gesammtheit das Regiment führen, liegt eine tiefere Beziehung, indem die Verschiedenheit der Zahl mit einer Verschiedenheit des Charakters der Herrschaft in engem Zusammenhange steht. Der specifische Unterschied der verschiedenen Staatsformen ruht in der Art und Weise, wie der Gegensatz der Regierung und der Regierten aufgefasst wird, also in der Qualität, nicht in der Quantität des Herrschers 3.

Aristokratie und Demokratie stimmen jedoch darin überein, dass in beiden Staatsformen nicht eine einzelne physische Person, sondern eine Gesammtpersönlichkeit dort das aristokratische

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2) Z. B. das Völkerrecht fordert wieder eine andere Eintheilung. Ihm ist es gleichgültig, ob ein Staat Monarchie oder Republik ist, da ihm jeder souveräne Staat, als solcher, ohne Rücksicht auf seine innere Verfassungsform, als völkerrechtliche Persönlichkeit erscheint.

3) Dass bei Aristoteles nicht blos die Zahl der Herrschenden, sondern zugleich tiefer liegende Eigenschaften die Eintheilung der Verfassung bilden, ist hervorgehoben von Gustav Teichmüller, die aristotelische Eintheilung der Verfassungsformen. Petersburg 1859.

corpus, hier der zur herrschenden Volksversammlung geeinigte populus Subjekt der Souveränetät ist. Man bezeichnet daher beide mit dem gemeinsamen Namen Republik (aristokratische und demokratische Republik) und es lässt sich deshalb nichts dagegen einwenden, wenn manche Staatsgelehrte, wie Waitz und Zachariä, eine Zweitheilung der Staatsformen annehmen, indem sie die Aristokratie nur für eine » Mittelform« erklären, sodass nur Monarchie und Republik als Hauptformen stehen bleiben. Dagegen darf die Theokratie, wie dies von Bluntschli geschieht, nicht als eine eigene Staatsform aufgezählt werden. In der Staatsentwickelung ist das theokratische Princip ein höchst bedeutsamer Faktor und die Staatengeschichte wird mit besonderem Interesse die tiefe Wirksamkeit des theokratischen Gedankens nachzuweisen haben, aber als eine besondere gleichberechtigte Staatsform darf die Theokratie nicht aufgestellt werden. Das ihr eigenthümliche Princip betrifft nur den Glauben an den Ursprung der höchsten Gewalt, aber nicht das wirkliche Regiment, welches entweder ein König monarchisch oder eine Priesterschaft aristokratisch im Namen dieses Ursprungs führt. Die Theokratie würde nur dann den übrigen Staatsformen coordinirt werden können, wenn wirklich und nicht blos in der Vorstellung ein anderer, übermenschlicher Regent gegeben wäre.

So bleiben denn nur drei Hauptformen, die Monarchie, die Aristokratie, die Demokratie, von denen jedoch die beiden letzten wieder als Republik der Monarchie gegenübergestellt werden können.

arten.

Diese Formen haben aber wieder ihre mannigfachen Unter

§. 57.

I. Die Demokratie 1.

Das Wesen der Demokratie beruht darin, dass die Souveränetät im Volke ruht. Auch hier ist nicht die atomisirte Masse, nicht

4) Dies ist von mir in einer Recension gegen Bluntschli ausgeführt worden (Heidelberger Jahrbücher, 1853. No. 36. §. 56%,. Siehe Trendelenburg, Naturrecht, S. 431. §. 200.

1) M. de Toquer ille, de la démocratie en Amérique. L. II. éd. IV. 1936. Bluntschli, Geschichte des schweizerischen Bundesrechts. 2 Bande. Zurich 1849–52. Derselbe, im allgemeinen Staatsrechte, Bd. IV. Kap V. Der

das zufällige Aggregat der Einzelnen, noch weniger das Individuum souverän, sondern das Volk in seiner organischen Gliederung, in seinen Comitien, in seiner verfassungsmässigen Versammlung. Auch in der Demokratie, wie in jeder Staatsform, sind die einzelnen Individuen, als solche, Unterthanen der Staatsgewalt, aber das Eigenthümliche der Demokratie besteht darin, dass dieselben Einzelnen in ihrer verfassungsmässigen Einheit, als Gesammtpersönlichkeit gedacht, auch den Souverän konstituiren. Somit sind dieselben Menschen, als Glieder der Volksversammlung die Herrschenden, als Einzelne die Gehorchenden.

Die antike Demokratie ist von der modernen darin verschieden, dass jene durchgängig eine unmittelbare war 2, diese gewöhnlich eine repräsentative ist, d. h. im Alterthume, besonders in den griechischen Demokratien, übte das ganze versammelte Volk selbst die höchsten Souveränetätsrechte aus.

In der Volksversammlung, èxxλŋoía, fand der vielköpfige Demos von Athen seine lebendige Darstellung, wie überhaupt die Verfassung von Athen seit Klisthenes (510 v. Chr.) als der ausdruckvollste Typus der unmittelbaren Demokratie im Alterthume dasteht. In den modernen Staaten, welche nicht mehr auf der Grundlage einer rechtlosen Sklavenbevölkerung ruhen, kann die unmittelbare Demokratie nur vorkommen, unter den einfachsten Verhältnissen, bei kleinen Hirten- und Bauervölkerschaften. Das letzte Beispiel in Europa bieten wohl die Bergkantone der Schweiz, wo noch alljährlich die Landesgemeinde aller volljährigen Männer zusammentritt und durch ihr jubelndes Handmehr ihren souveränen Willen ausspricht.

Sonst hat überall, auch in der Schweiz, die Demokratie einen repräsentativen Charakter angenommen, d. h. das Volk übt nicht mehr in seiner Gesammtheit, in seiner Urversammlung die höchsten Rechte der Staatsgewalt aus, sondern wählt nur Repräsentanten, die an seiner Statt diese Rechte üben. Auch in der

selbe, im Staatswörterbuche unter dem Artikel »>Demokratie«, Bd. II. S. 696 bis 712. Guizot, de la démocratie en France, Par. 1849. Gervinus, Einleitung in die Geschichte des XIX. Jahrhunderts. Leipzig 1853, und Zöpfl, die Demokratie in Deutschland, Stuttgart 1853.

2) Spuren einer gewissen Repräsentation kommen in der Verfassung von Mantinea vor, wohl das einzige Beispiel im Alterthume. Aristoteles, Pol. lib. VI. cap. II. §. 2.

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