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turgemässen und wohlberechtigten Trieb, die ihm mangelnde Staatseinheit wenigstens durch eine möglichst enge Staatenverbindung zu ersetzen.

Durch das Zusammenleben in einem Staate knüpfen sich unter den verschiedenen Volkselementen engere Beziehungen; das Gefühl der Zusammengehörigkeit, die wechselseitige geistige Einwirkung, die gleiche staatliche Beherrschung bilden allmählich eine Einheit unter den Beherrschten, welche wir historische Volkseinheit, im Gegensatze zur natürlichen, nennen können. Wir unterscheiden das so entstehende Staatsvolk (z. B. die Schweizer, die Oesterreicher) von dem Naturvolke. Volk im erstern Sinne ist demnach jede Menschenzahl, welche von Einer Staatsgewalt beherrscht wird 5.

§. 48.

II. Land.

Das Volk ist die persönliche, das Land die dingliche Grundlage des Staates. Ohne festen Grund und Boden ist keine Einheit und Stetigkeit des Lebens möglich. Es kann wandernde Völker, aber keine wandernden Staaten geben (S. 118).

Die Natur und Beschaffenheit des Landes übt, wie auf den Charakter des Volkes, so auch auf die Art der Staatsbildung einen gewissen Einfluss aus, doch ist dieser auch vielfach überschätzt worden, so besonders seit Montesquieu. Mächtiger bleibt doch immer die geistige Kraft der Menschennatur und der energische Impuls einer höher begabten Nationalität. Türken und Slaven sind auf dem Boden von Hellas doch keine Hellenen geworden, und Germanen schufen den Staat und die Kultur von Island unter einem Breitengrade, wo Eskimos und Grönländer als Wilde kläglich verkümmern.

Weil das Land ein wesentlicher, ergänzender Theil des Staa

5) Die Unterscheidung zwischen den Ausdrücken »Nation« und »Volk« ist so schwankend, dass Blunts chli in der ersten Auflage »Volk« für die natürliche Stamm- und Spracheinheit, »Nation« für die im Staate geeinigte Menschenmenge erklärt, in der dritten Auflage aber gerade diesen Sprachgebrauch umkehrt. Wir sprechen daher lieber vom Naturvolke (den Deutschen) im Gegensatze zu dem Staatsvolke (den Oesterreichern oder den Schweizern). Die Deutschen waren im Mittelalter zugleich ein Naturvolk und ein Staatsvolk, jetzt sind sie nur noch ein Naturvolk, streben aber danach, wieder ein Staatsvolk zu werden.

tes ist, so hat der Staat auch ein besonderes Recht an dem Lande, welches sein Staatsgebiet bildet. Dieses Territorialrecht, auch Gebietshoheit genannt, wird fälschlich als >> Eigenthum, dominium«, bezeichnet; es ist vielmehr »imperium« und rein staatsrechtlicher Natur, kein Recht, welches nach Art des Eigenthums zur Vermögensbefriedigung dient (» omnia rex imperio possidet, singuli dominio «).

Die Gebietshoheit hat ihre positive Seite, indem jedem Staate vollkommene staatliche Herrschaft über sein ganzes Gebiet zusteht. Innerhalb desselben gelten nur seine Gesetze, nur seine Gerichte entscheiden, nur seine Regierungsmassregeln haben Anspruch auf Gehorsam. Dem Staate sind nicht blos die Menschen, sondern ihm ist auch das Land, als solches, unterworfen.

Der negative Inhalt der Gebietshoheit besteht in dem Rechte des Staates, jede andere Macht von einer staatlichen Wirksamkeit innerhalb seines Gebietes auszuschliessen. Ausnahme bilden die sogenannten völkerrechtlichen Servituten.

Sobald man das Territorialrecht des Souveräns nicht als patrimoniales Eigenthum, sondern als eine staatliche Herrschaft über das Land auffasst, erscheint auch die Bezeichnung des Regenten nach dem Lande (Roi de France) durchaus nicht verwerflich, doch ist die nach dem Volke »Roi des Français« ebenso gerechtfertigt, ja sogar noch edler und erhabener, weil das Volk über dem Lande steht 1.

Fünftes Kapitel.

Die Staatsgewalt.

§. 49.

Die Staatsgewalt im allgemeinen

In dem Begriffe des Staates liegt, als wesentliches Merkmal, das Vorhandensein einer höchsten herrschenden Gewalt, welche

1) Dies gegen Stahl, welcher in der Bezeichnung »König der Franzosen«< sogar »ein Bild der Barbarei« sieht. Auch die deutschen Könige nannten sich »reges Germanorum«<, eben so zogen die römischen Kaiser es vor, sich nach dem Volke zu nennen.

Staatsgewalt genannt wird (S. 119). Der Staat, als einheitlicher Organismus, bedarf eines Gesammtwillens, welcher befugt ist, über die Gesammtkraft zur Erreichung der Staatszwecke zu verfügen. Nur der einzelne Mensch, als solcher, hat schon von Natur einen Willen. Jede andere Persönlichkeit bedarf einer besondern Organisation, um ihren Willen auszudrücken und darzustellen, der Staat so gut, wie jedes andere Gemeinwesen. Ein solcher herrschender Staatswille kann nur hergestellt werden, wenn derselbe in einem Subjekte personificirt wird, denn die Staatsgewalt ist eine Gewalt, welche im Namen des Staates von Menschen geübt wird. Die Staatsgewalt bedarf zu ihrer Wirksamkeit im Leben eines bestimmten Trägers oder Inhabers, welchem die Ordnung und Leitung des Staatswesens zusteht. Das so zur Herrschaft im Staate berechtigte Subjekt heisst der Herrscher oder Souverän, es mag eine physische oder moralische Person sein. Die so in einem Subjekte persönlich gewordene Staatsgewalt heisst die Obrigkeit.

Die rechtliche Grundlage der Staatsgewalt ist dieselbe, auf welcher der Staat selbst beruht. Ist demnach in dem dritten Kapitel der Rechtsgrund des Staates überhaupt genügend dargethan worden, so ergiebt sich daraus auch die Berechtigung der Staatsgewalt, denn ohne Staatsgewalt ist eben kein Staat denkbar.

Die Staatsgewalt hat einen durchaus öffentlich-rechtlichen Charakter, d. h. der Herrscher ist nicht um seinetselbstwillen zu Privatzwecken mit dieser Gewalt bekleidet. >> Im Staate ist der

Souverän nicht weiter berechtigt, als er verpflichtet ist« 1.

Der herrschenden Gewalt der Obrigkeit steht die Gehorsamspflicht der Unterthanen gegenüber. Aber das Verhältniss des Volkes zum Herrscher ist kein persönliches Subjektionsverhältniss, wie Leibeigenschaft, Hörigkeit oder Gutsunterthänigkeit, kein kontraktlich-privatrechtliches Band, keine vasallitische Lehenstreue, sondern staatsrechtliche Unterordnung unter das Oberhaupt eines gesetzlich geordneten Gemeinwesens.

Nur diese Auffassung sichert den Unterthanen die Würde freier, gesetzlich gehorchender Staatsbürger, dem Herrscher die erhabene Stellung eines verfassungsmässigen Staatsoberhauptes.

Pütter, Beiträge zum deutAncillon, über Souveränetät, S. 13.

1) Stahl, Rechtsphilosophie, II. S. 141. schen Staatsrecht, B. 1. S. 319.

System des deutschen Staatsrechts.

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§. 50.

Eigenschaften der Staatsgewalt.

Die wesentlichen Eigenschaften der Staatsgewalt entspringen aus der Natur des Staates selbst und sind folgende:

1. Die Staatsgewalt ist eine höchste irdische Gewalt, suprema potestas, Souveränetät. Wäre in einem Gemeinwesen die leitende Gewalt einer andern Macht staatlich untergeordnet, so könnte ein solches auf den vollen Begriff des Staates keinen Anspruch machen.

2. Als höchste Gewalt ist sie unverantwortlich, weil jede Verantwortlichkeit eine höhere Macht voraussetzt, gegen welche die Rechtfertigung zu erfolgen und welche ein Urtheil auszusprechen hat.

3. Sie ist unwiderstehlich innerhalb ihres Gebietes und ihrer Sphäre. Indem sie, durch Zusammenlegung aller Einzelkräfte, über die Gesammtkraft des Staates verfügt, ist keine andere Kraft ihr zu widerstehen im Stande. Würde es einer andern Macht gelingen, der Staatsgewalt einen unüberwindlichen Widerstand mit Erfolg entgegenzustellen, so wäre damit die Staatsgewalt vernichtet oder wenigstens so lange ausser Wirksamkeit gesetzt, bis sie wieder zu einer unwiderstehlichen Gesammtkraft geworden ist.

4. Sie ist einheitlich und untheilbar. In einem Staate kann es nur Einen Herrscher geben, mag dies nun eine physische oder moralische Person sein1. Mehrere gleichberechtigte Herrscher oder Staatsgewalten nebeneinander würden dem Begriffe des einheitlichen Organismus widersprechen und, statt Sicherheit und Ordnung, Verwirrung und Auflösung mit sich führen.

5. Sie ist dauernd, d. h. unabhängig von dem Tode oder Wegfalle ihres persönlichen Inhabers. Wie der Staat nicht stirbt, civitas non moritur, ebensowenig die Staatsgewalt, mag auch ihr Träger dem menschlichen Schicksale, wie jeder andere Sterbliche, erliegen. Le roi ne meurt pas, d. h. der Staats könig oder das Königthum stirbt nicht.

So kann man die Staatsgewalt dauernd nennen, im Gegen

1) Das haben schon die Alten richtig gewürdigt, so Tacitus, in den Annales I. 6. » Ea est conditio imperandi, ut non aliter ratio constet, quam si uni reddatur. Ilias II. v. 204: »οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω!«

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satze zu dem schnellen Wechsel ihrer individuellen Träger, aber als ewig darf auch sie nicht bezeichnet werden. Wohl ist der Staat seiner Idee nach ewig, als eine für alle Zeiten nothwendige Form menschlichen Daseins, aber der einzelne Staat in concreto ist nicht ewig, noch weniger die in einem einzelnen Staate bestehende Staatsgewalt. Die Erde ist bedeckt mit den Trümmern untergegangener Staaten und umgestürzter Throne. Die Staaten sterben wie die Menschen, nur dass sie ihre Lebensdauer nicht nach Jahrzehnten, sondern nach Jahrhunderten berechnen.

Unrichtig und selbst blasphemisch ist es, wenn man der irdisch-menschlichen Staatsgewalt die Eigenschaften der Unfehlbarkeit, der Allgegenwart, der Heiligkeit beilegt, die nur der Gottheit allein zukommen.

§. 51.

Grenzen der Staatsgewalt 1.

Der Staat ist die höchste, oberste Macht auf Erden; die Menschen und alle ihre andern Gemeinschaften und Institute sind der Staatsgewalt, wenigstens in ihren äussern Beziehungen, untergeben. Man bezeichnet dies Verhältniss wohl als »die Omnipotenz des Staates oder des Parlaments «. Wenn z. B. in einem souveränen constitutionellen Staate, unter Zustimmung aller Faktoren der Staatsgewalt, ein Gesetz verfassungsmässig zu Stande gekommen ist, so ist formell ein solches Gesetz unbestritten gültig und rechtmässig, mag soin Inhalt sein, welcher er will; denn es ist keine höhere Autorität vorhanden, welche ein solches Gesetz als rechtswidrig verwerfen könnte. Es ist somit in gewisser Beziehung richtig, wenn man sagt, König und Kammern (das Parlament im Sinne des englischen Staatsrechts) können im Staate alles thun, was überhaupt menschlich-möglich ist. Aber diese Unumschränktheit ist nur eine formelle, keine materielle.

Ueber dem menschlichen Bereiche des Staates steht, als eine höhere Macht, die sittliche und natürliche Ordnung der Dinge 2, welche der Staat nicht umkehren oder verwirren darf,

1) Wilhelm von Humboldt, »Ideen zu einem Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«<, in seinen gesammelten Werken (1852), B. VII. S. 1-197. H. Zöpfl, B. I. §. 52. Stahl, II. §. 41. S. 154 ff.

2) Stahl, a. a. O. S. 155.

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