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Erscheinung, als eine ursprünglich gegebene, menschliche Ordnung der Dinge an, doch gehen sie dabei mehr von einer instinktiven Naturnothwendigkeit oder einem gewissen einseitigen physischen Triebe, z. B. dem Socialitätstriebe, der Hülfsbedürftigkeit, nicht von der Totalität des geistigen Wesens der Menschheit, nicht von dem zwingenden Gebote der Vernunft aus. Diese mehr naturgeschichtliche Theorie der Alten, welche den Menschen als » Staatsgeschöpf von Natur «, den Staat zunächst als Naturprodukt betrachtet und ihn wohl mit dem Staate der Bienen und Ameisen vergleicht 2, steht darin über allen spätern Theorien, welche den Staat auf ein vereinzeltes historisches Faktum oder einen Vertrag gründen, dass sie den Staat als einen nothwendigen, ächt menschlichen Zustand ansieht; sie findet aber ihre höhere wissenschaftliche Läuterung, ihren wahrhaft staatsphilosophischen Ausdruck erst in der rationalen Theorie der Vernunftnothwendigkeit 3.

Die Begründung der Staatsordnung ist nicht nur ein Naturbedürfniss, sondern eine ethische Pflicht, weil die Menschen ausserhalb des Staates ihre Bestimmung nicht erfüllen und das Gesetz der Gerechtigkeit nicht zur Herrschaft bringen können. Damit ist vollständig dargethan, dass es überhaupt Staaten geben muss und dass jeder Einzelne sich einer staatlichen Ordnung unterwerfen soll.

2) Aristoteles, lib. I. cap. I. §. 9.: »'Ez toútwær ovv qavegòv öti twv φύσει ἡ πόλις ἐστί, καὶ ὅτι ἄνθρωπος φύσει πολιτικὸν ζῷον, καὶ ὁ ἄπολις διὰ φύσιν καὶ οὐ διὰ τύχην ἤτοι φαυλός ἐστιν ἢ κρείττων ἤ ἄνθρωπος. — §. 10. Διότι δὲ πολιτικὸν ὁ ἄνθρωπος ζῷον πάσης μελίττης καὶ παντὸς ἀγελαίου ζώου μᾶλλον, δῆλον. — §. 12. Ὅτι μὲν οὖν ἡ πόλις καὶ φύσει καὶ πρότερον ἤ ἕκαστος, δῆλον· · ὁ δὲ μὴ δυνάμενος κοινωνεῖν ἢ μηθὲν δεόμενος δι' αὐτάρκειαν, οὐθὲν μέρος πόλεως, ὥστε ἢ θηρίον ἢ θεός. Φύσει μὲν οὖν ἡ ὁρμὴ ἐν πᾶσιν ἐπὶ τὴν τοιαύτην κοινωνίαν.«

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In ähnlicher naturhistorischer Weise fasst Cicero de republica I. 25, den staatsbildenden Trieb der Menschen auf: »prima caussa coëundi non est tam imbecillitas quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio, non est enim singulare aut solivagum genus hoc.<<

3) In eigenthümlicher Weise combinirt Dahlmann die naturgeschichtlich-aristotelische Auffassung mit der rationalphilosophischen: »Dem Staate geht kein Naturzustand voran, der von blinden Trieben und vernunftlosen Menschen handelt, der Naturzustand des Menschen ist, Vernunft zu besitzen der Staat ist eine ursprüngliche Ordnung, ein nothwendiger Zustand, ein Vermögen der Menschheit und eines von den die Gattung zur Vollendung führenden Vermögen.»

Mit diesem Nachweise glauben aber einzelne Juristen sich nicht begnügen zu können, sie verlangen vielmehr noch eine rechtliche Begründung für die Existenz der einzelnen Staaten, da allerdings der Staat überhaupt durch seine vernünftige Idee gerechtfertigt sei, nicht aber die Existenz der einzelnen Staaten A. B. oder C. Da diese durch den menschlichen Willen begründet seien, so sei es schliesslich doch immer die Einheit des Willens einer bestimmten Menschenmenge, sich einer bestimmten Staatsgewalt zu unterwerfen, wodurch die Staaten in concreto entstünden und bestünden und diese Uebereinstimmung lasse sich immer doch nur als Vertrag denken *.

Allerdings beruht jeder Staat, selbst der unbeschränkteste, immer auf einer gewissen thatsächlichen Uebereinstimmung der gehorchenden Unterthanen. Eben indem sie gehorchen oder sich wenigstens nicht gegen die bestehende Staatsordnung auflehnen, ertheilen sie den bestehenden Staatszuständen eine gewisse Zustimmung. Allein es bleibt eine willkührliche Fiktion, sich eine solche Uebereinstimmung als Vertrag zu denken. Es giebt sehr viele Verhältnisse, in Betreff deren die Menschen übereinstimmend denken und handeln, ohne dass diese Uebereinstimmung deshalb auf einem Vertrage beruhte. Auch ist diese Uebereinstimmung keineswegs immer eine allgemeine aller Unterthanen; eine widerstrebende Minorität wird oft zwangsweise von der Majorität, ja bisweilen sogar die Majorität von einer energischen Minorität im Gehorsam gehalten; auch ist diese Uebereinstimmung vielmehr eine unbewusste, als eine bewusste. Die Macht der Gewohnheit, die in den menschlichen Zuständen eine so bedeutsame Rolle spielt, ist der eigentliche Garant jeder Staatsverfassung. Die Macht der Gewohnheit herrscht in der öffentlichen Meinung über uns, sie setzt die Staatsgewalten ein und hält sie in ihrer Kraft 5.

Wir verwerfen daher den Staatsvertrag nicht nur als Rechtfertigung des Staates überhaupt, sondern halten es auch keineswegs für geboten, die mehr oder weniger stattfindende Uebereinstimmung

4) In dieser Weise vertheidigt z. B. Reinhold Schmid die Vertragstheorie in den höchst beachtenswerthen » Grundzügen der allgemeinen Staats- und Rechtslehre«, in seiner Theorie und Methodik des bürgerlichen Rechts. Jena 1848. S. 132.

5) J. J. Fries, Rechtsphilosophie, S. 84.

der in einem bestimmten Staate vereinigten Menschen sich in Form eines Vertrages zu denken 6.

Der Staat überhaupt erscheint gerechtfertigt durch seine vernünftige Idee, durch seinen Zweck, welcher der Willkühr der Menschen entzogen und mit sittlich-rechtlicher Nothwendigkeit gegeben ist. Die Gründung des Staates in concreto kann aber nur als ein geschichtliches Phänomen betrachtet werden, wofür es keine rechtlich konstitutiven Principien giebt. Die Begründung eines wirklichen Staates kann nicht durch das Gesetz mit Nothwendigkeit geschehen, sie ist für sich kein rechtlicher, sondern ein politischer Akt, sie ist der überwiegenden Gewalt überlassen, welche sich zum Regenten macht. Jede Gewalt aber, die als Regent auftritt, findet ihre Rechtfertigung darin, dass sie die Verwirklichung des vernünftigen Staatszwecks zu ihrer Aufgabe macht.

Die Macht enthält nie die Rechtfertigung der Staatsgewalt, sie ist aber das Mittel, die Staatsordnung praktisch ins Leben einzuführen. Die Idee des Staates bedarf eines historischen Factums, um durch die Macht zur Anerkennung im Leben zu gelangen. Die historisch vermittelnden Thatsachen, wodurch die Staatsidee mit Macht bekleidet und ins Leben eingeführt wird, gehören nicht der allgemeinen staatsphilosophischen Betrachtung, sondern der Geschichte eines bestimmten Volkes und Staates an.

6) Treffend bemerkt H. A. Zachariä, Staatsrecht, B. I. S. 57, §. 17.: >>die Staatsgewalt in concreto aber, d. h. wie sie in einem wirklichen Staate nach positivem Rechte einem bestimmten Subjekte als zuständig erscheint, kann im allgemeinen keine andern Grundlagen haben, als das Recht überhaupt, also die auf vernünftiger Erkenntniss beruhende gemeinsame Ueberzeugung der lebendigen Glieder des Gemeinwesens. .... Diese rechtliche Ueberzeugung als vertragsmässige Uebereinkunft der Staatsglieder zu bezeichnen, ist theils dem Wesen des Rechts widersprechend, theils wird dadurch nichts erklärt, theils führt es zu falschen, der Natur des Staates widersprechenden Konsequenzen.<<

7) Sehr richtig sagt Trendelenburg, Naturrecht, S. 299: »das beständige und unveräusserliche Fundament des Staates, das zwar blinde, aber nothwendige ist die in sich selbst ruhende Macht sie ist zwar die Grundlage des Staates, aber der Zweck, welcher erst die Macht berechtigt, ist die menschliche Bestimmung, die Entwickelung des Menschen im Grossen.<<

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Auf dasselbe kommt auch die Ansicht von Zöpfl hinaus, wenn er §. 44. sagt: »der metaphysische Grund der Gültigkeit der Staatsgewalt ist ihre Vernünftigkeit, der historische Grund ihrer Geltung ist ihre Eigenschaft als Macht selbst. «<

Viertes Kapitel.

Volk und Land.

§. 47.

I. Volk'.

Die Menschheit zerfällt in natürliche Gliederungen, welche wir Völker nennen. Die ursprüngliche Einheit eines Volkes beruht auf seiner Abstammung. Mit ihr ist die Einheit des Geistes, der Sitte und Sprache gegeben. Aus Mischungen verschiedener Völker entstehen neue Völker.

Der Staat ist nicht Aufgabe der Menschheit, sondern des Volkes, ein Universalreich würde die eigenthümlichen Anlagen und Fähigkeiten der Völker unterdrücken und ihren besondern geschichtlichen Beruf vernichten 2. Das Volk ist die natürliche Grundlage des Staates3.

1) Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, II. Buch, II. Kapitel, S. 81. Derselbe im Staatswörterbuche, Bd. VII. Artikel Nation, Volk, Nationalitätsprincip. S. 152. Stahl, B. II., II. Abschnitt, II. Kapitel. S. 161. Zöpfl, B. I. §. 11 ff. Sehr beachtenswerth ist auch der Abschnitt in C. Rössler's System der Staatslehre über » die Bedeutung der Nationalität«. S. 527-546.

2) Darum darf man nicht den Universalstaat als Ideal der menschlichen Entwickelung betrachten. Es ist eine Errungenschaft unserer tiefern wissenschaftlichen Anschauung, dass wir nicht, wie der unhistorische Liberalismus des vorigen Jahrhunderts, die Nationalität als ein >> reaktionäres Vorurtheil«< ansehen, welches mit steigender Kultur etwa immer mehr abgelegt werden würde. Jener Humanismus, der alle Völker in einen grossen Humanitätsbrei einrühren möchte, ist jetzt eine überwundene Trivialität. Wie das Individuum im Staate seine Individualität, so soll das zum Staate organisirte Volk im Staatenvereine seine Nationalität für alle Zeiten behaupten. Jede wahre Kulturnation hat ihre eigenthümliche Aufgabe, ihre specifische Mission in der Weltgeschichte. Diese kann sie nur in eigenthümlicher Weise darstellen in einem nationalen Staate. Nur durch die Nationalität erhält die Menschengeschichte ihren energischen Reichthum und ihr wahrhaftes Leben. Nur wo verschiedene Völker und Staaten, als sittlich-geistige Organismen, sich gegenseitig durch Verkehr und Austausch ihrer geistigen und materiellen Produkte fördern und anregen, nur auf nationaler Basis ist eine wahrhaft menschliche Entwickelung im Grossen möglich. Erst wenn die Völker und Staaten sich in ihrer nationalen Eigenthümlichkeit völlig ausgelebt hätten, wäre der Universalstaat denkbar, dann aber wäre auch die Weltgeschichte an ihrem Ende.

3) Dies erkannt zu haben, ist ein grosses Verdienst der historischen

Allein der Gang der geschichtlichen Entwickelung hat vielfache Abweichungen von diesem naturgemässen Principe herbeigeführt. Wir finden Völker, die in eine Mehrheit von Staaten getheilt sind, wie im Alterthume die Griechen, in der Neuzeit die Deutschen. Umgekehrt findet man verschiedene Nationalitäten zu Einem Staate vereinigt (Oesterreich, die Schweiz), ja fast jeder grössere Staat hat fremde Volksparzellen in sich. Solche Verhältnisse haben durch den Gang der geschichtlichen Entwickelung ihre Berechtigung erhalten; diese verkennen, hiesse das europäische Staatensystem in ein Chaos auflösen.

Das Nationalitätsprincip wird bei Neubegründung staatlicher Verhältnisse allerdings eine wichtige politische Maxime sein, aber es kann nicht alle entgegenstehenden wohlbegründeten Rechte vernichten, ja es lässt sich im concreten Falle nirgends streng durchführen, da es überall gemischte Bevölkerung giebt und manche Naturvölker nicht fähig oder wenigstens nicht reif sind, eigene Staaten zu bilden. Dagegen hat jedes Volk, wenn es auch staatlich zu einem grössern Staatsganzen gehört, ein Recht auf die Erhaltung seiner nationalen Sprache und Sitte. Eben so hat ein Volk, welches in mehrere Staaten gespalten ist, den na

Schule. Savigny, System, B. I. §. 9. Daselbst wird der Staat als »die leibliche Gestalt der geistigen Volksgemeinschaft« charakterisirt. Auch Stahl a. a. O. S. 162 macht dies energisch geltend: »Die Menschheit im Ganzen hat weder die Gemeinschaft und Geschlossenheit der natürlichen Bedürfnisse, noch die Einheit und Individualität des sittlichen Bewusstseins. Darum ist der Staat auch nicht Beruf der gesammten Menschheit, dass sie ein Universalreich bilde, sondern des Volkes. - So muss auch der Staat als Ordner und

Träger jenes Lebens jedem Volke besonders zukommen.<<

4) Die Staatslehre hat die Berechtigung des Nationalitätsprincips für die Politik anzuerkennen, aber sie muss zugleich seine Grenzen bestimmen und vor einseitiger Uebertreibung warnen. Nicht jedes Volk, als solches, ist berufen, einen eignen Staat zu bilden. Nicht alle Völker sind wahre Staatsvölker. Den einen fehlt es an einer ihnen eigenthümlichen Staatsidee, den andern an der Kraft, diese selbstständig zu verwirklichen. Solche Völker sind darauf angewiesen, sich der Leitung und Erziehung begabterer und kräftigerer Völker unterzuordnen. Rössler, S. 539. Bluntschli, I. S. 88. So sind die kleinen Bruchtheile slavischer Völker, die weder durch Zahl, noch durch geistige Kraft im Stande sind, einen Nationalstaat zu bilden, auf die Leitung Oesterreichs naturgemäss angewiesen, während die Beherrschung des grossen italienischen Kulturvolkes durch Fremde eine Anomalie war, die in unsern Tagen durch den Gang der Weltgeschichte rektificirt worden ist. Letztere entscheidet freilich immer in letzter Instanz über die Fähigkeit und Würdigkeit eines Volkes, seine Nationalität auch staatlich darzustellen: >>die Weltgeschichte ist das Weltgericht«.

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