Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

ihn religiös und moralisch beherrschen wollten. Eine Trennung von Recht, Staat, Sittlichkeit und Religion war hier noch nicht vollzogen, wie dies bis auf den heutigen Tag bei den Staaten des Islam noch nicht geschehen ist und jede freiheitliche und verfassungsmässige Entwickelung bei diesen Völkern bis jetzt unmöglich gemacht hat. Was die Staaten des Orients in theokratisch-hierarchischer Weise anstrebten, steckten sich die antiken Republiken, besonders Griechenlands, in weltlich-politischer Richtung zum Ziele. Je mehr man in den Geist des altgriechischen Staatswesens eindringt, um so mehr wird man finden, dass das Streben der Staatsgesetzgeber dort in einem vorzüglichen Grade darauf gerichtet war, aus dem Staate eine wirkliche Erziehungsanstalt zu machen, freilich in anderer Weise im heitern, kunstfrohen Athen, als im lykurgischen Sparta. Der Politik des Plato und Aristoteles liegt dieselbe Anschauung zu Grunde. Nach dieser Theorie ging der Mensch im Bürger unter, der Staat war das sittliche Universum. Gerade das Christenthum, indem es die persönliche Würde des Menschen emporhob und den Menschen höher stellte als den Bürger, hat vor allem dazu beigetragen, den Ansichten der Neuern über die Zwecke des Staates eine, von denen der Alten durchaus abweichende Richtung zu geben. Diese erhabene Ansicht vom Menschen, welche den Alten fremd war, macht die innere sittliche Welt zu einem Heiligthume, welches nur durch freie Selbstentschliessung und den Willen Gottes, nicht durch eine äussere Gewalt bestimmt werden soll. Mit diesen christlichen Ideen stimmte die ursprüngliche Nationalauffassung der germanischen Völker überein, welche von jeher die Freiheit des Individuums, der einzelnen Kreise und Korporationen, dem Staate gegenüber, aufs bestimmteste betont hatte. Will man einmal von einer christlich-germanischen Staatslehre reden, so ist gewiss ihr erstes Postulat, dass die Grenzen der Staatswirksamkeit scharf bezeichnet und eingehalten werden, dass der Staat die Freiheit der sittlichen und religiösen Entwickelung anerkenne und weder der Sphäre des Individuums, noch der Kirche, zu nahe trete, mit einem Worte, dass das Moment der Aeusserlichkeit in der Staatsthätigkeit festgehalten werde. Unter den Neuern ist Hegel am meisten wieder zur antiken Auffassung zurückgekehrt, indem er die Verwirklichung der sittlichen Idee zum Staatszwecke macht und vom Staate sagt: »er ist der sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche substantielle Wille«<. Obgleich bei Hegel Moral und Sittlichkeit bekanntlich nicht identisch ist und die Sittlichkeit einen objektivern Charakter hat, so wird doch auch von ihm dem Staate eine zu weit gehende unmögliche Aufgabe gesteckt, nämlich das Sittengesetz in seinem ganzen Umfange durch seine immerhin blos äusserlichen Mittel herzustellen. Trotz der grossartigen Eigenthümlichkeit der Hegel'schen Entwickelung bleibt auch hier der Krebsschaden dieser Theorie, die unnatürliche Allmacht des Staates und die Zerdrückung der freien, individuellen

Sphäre, ungeheilt. So kommt Hegel zu einer Apotheose des Staates (» die Idee des Staates<< ist ihm » der wirkliche Gott«, der Staat ist »göttlicher Wille, als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist «), zu einer Verschlingung des ganzen menschlichen Strebens durch den Staat, was mit der tiefinnerlichen Lebensauffassung des Christenthums und dem individuellen Freiheitsgefühle der Germanen im schneidendsten Widerspruche steht.

§. 40.

Allseitige, aber scharf begrenzte Bestimmung des Staatszweckes.

Die bisher erörterten Theorien verwarfen wir, theils weil sie zu einseitig, theils weil sie zu unbestimmt waren.

Bei einer richtigen Bestimmung des Staatszweckes sind daher zwei Momente besonders zu beachten:

1) der Staatszweck darf nicht einseitig beschränkt werden, wie bei der Kant'schen Rechtstheorie, vielmehr muss der Staat in der Allseitigkeit und dem Reichthume seiner Beziehungen erkannt werden,

2) der Staat darf die individuelle Freiheit der Einzelnen, welche eine nothwendige Bedingung ihrer vernünftigen Entwickelung ist, nicht vernichten, sondern muss sie schützen und anerkennen.

Stellen wir die Frage: was soll in einem gebildeten Staate vernünftiger Weise der Zweck des Staates sein? so müssen wir bei der Beantwortung davon ausgehen, dass der Staat die grösste Vereinigung unter Menschen, die Einheit des bürgerlichen Lebens unter den Formen der Volksverfassung, oder wie Savigny sagt, die Form, die leibliche Gestalt der Volksgemeinschaft ist. In dem Staate soll also die Totalität des Volkslebens zum natürlichen Ausdrucke kommen 1. Der Staat ist keine

1) Die Totalität des Staatszweckes wird geltend gemacht von Stahl, Rechtsphilosophie, II. §. 39. S. 150: »Demgemäss umfasst die Wirksamkeit des Staates die Totalität des menschlichen Gemeinlebens. Er ist nicht ein Verein für ein Ziel, sondern schlechthin der Verein für das Ziel der Gemeinschaft. Unter sein Bereich fallen daher alle Verhältnisse und Ziele des menschlichen Lebens.« Mit besonderer Klarheit ist diese Allseitigkeit des Staatszweckes auch längst vorher von Fries hervorgehoben in seiner Schrift »vom deutschen Bunde und deutscher Staatsverfassung«, Heidelberg 1816 (2. Auflage 1831), in seiner » Politik oder philosophischen Staatslehre«<, S. 62 ff.

Maschine, welche einer ausser ihr liegenden Person, etwa einem fremden Volke oder Machthaber, dienen soll. Der Staat ist ein wohlgegliederter Organismus, aber kein Naturerzeugniss, kein Mensch im Grossen mit einer geheimnissvollen Staatsseele und einem mystischen Selbstzwecke, er ist eine Einrichtung, welche die Menschen nothwendig zur Erreichung ihrer Zwecke bedürfen, er ist durch die Menschen und für die Menschen; seine wahren Zwecke können daher nur die wahren Zwecke der einzelnen im Staate lebenden Menschen sein.

Die Bestrebungen des verständigen Menschen lassen sich auf folgende drei Grundrichtungen zurückführen :

1) Wirthschaftliches Leben, worin der Mensch seine Thätigkeit auf die äussere Natur richtet, um ihr Güter abzugewinnen und sich gegen ihre nachtheiligen Einflüsse zu schützen Zweck Wohlstand,

2) Gesellschaftliches Leben, worin die Menschen ihre Verhältnisse zueinander verständig ordnen - Zweck ist Ordnung, besonders Recht,

3) Bildungsleben, worin der Mensch seine Thätigkeit auf sich selbst richtet, auf seine Vervollkommnung Zweck ist Bildung, d. h. nicht blos Aufklärung, sondern an höchster Stelle sittliche und religiöse Entwickelung.

Alle diese Zwecke des menschlichen Lebens fallen auch in das Bereich des Staates. Es ist kein Grund vorhanden, warum einer dieser Zwecke von der Aufgabe des Staates willkührlich ausgeschlossen werden sollte, alle Momente des menschlichen Lebens gehören mit zur Aufgabe des Staates, sie sind so eng verbunden, dass sie gar nicht willkührlich von einander getrennt werden können. Wir nennen daher auch als Zwecke des Staatslebens Recht, Bildung und Wohlstand.

Das Recht und die Gerechtigkeit ist die vornehmste Aufgabe des Staates, seine specifische Mission in der Weltordnung. Gerechtigkeit ist die philosophische Idee des Staates, der höchste gebietende Gedanke; auch steht die ganze gesellige Ordnung am Ende immer unter den Formen des positiven Rechts. Auch für Bildung und Wohlstand kann die Leitung und Herrschaft des Staates nur rechtlicher Art sein; d. h. der Staat kann diese Aufgaben nicht weiter verwirklichen, als es durch erzwingbare Gebote und äussere Anstalten möglich ist.

Erkennen wir diesen blos äusserlichen oder rechtlichen Charakter der Staatswirksamkeit an, so sind damit auch die Schranken gezogen, wodurch die Freiheit der individuellen Entwickelung gegen die Staatsmacht geschützt wird.

So fallen, nach unserer Ansicht, alle jene drei Grundrichtungen des menschlichen Lebens in das Bereich des Staates, aber nicht in jeder Beziehung, sondern

erstens nur soweit, als es Zwecke des Gemeinlebens sind. Nicht die Totalität des menschlichen Lebens, sondern die Totalität des menschlichen Gemeinlebens ist Sache des Staates. Der Staat erfüllt die Lebensaufgabe der Nation, nicht die der Individuen. Frei bewegt sich, unter der schützenden Hand des Staates, das Privatleben seiner Bürger, nur beschränkt durch die Forderungen der öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt.

Zweitens ist der Staat nicht das sociale Leben selbst, sondern nur der Träger und Förderer desselben; er kann nicht die Einzelnen sittlich oder wohlhabend machen, sondern kann nur die äussere Ordnung, und, wo es sich um geistige Interessen handelt, die indirekte Förderung übernehmen.

Drittens soll auch die Förderung der geistigen und materiellen Interessen durch den Staat erst da eintreten, wo die Privatthätigkeit nicht ausreicht 2. Der Staat hat besonders solche Einrichtungen und Anstalten zu bewirken, deren Beschaffung den Kräften der Einzelnen und ihrer freien Association nicht möglich ist oder welche auf dem Privatwege wenigstens nicht so vollständig erreicht werden können.

Die von uns entwickelte Theorie erkennt die Allseitigkeit des Staatszweckes an, sie vindicirt dem Staate das gesammte Volksleben nach allen seinen Richtungen, aber mit einer so bestimmten Begrenzung, dass die Freiheit der individuellen Entwickelung nicht Gefahr läuft, in der äusserlichen Staatslenkung unterzugehen.

2) Diese Grenzlinie zwischen Staats- und Privatthätigkeit wird daher sehr verschieden gezogen werden müssen, je nach der Kulturstufe und nach der höher oder niedriger stehenden Selbstthätigkeit eines Volkes; vieles was in Russland nur vom Staate übernommen und durchgeführt werden kann, fällt in England und Nordamerika der freien Initiative des Volkslebens und dem selbstständigen Associationswesen der Privaten zu.

Unsere Theorie enthält zugleich die Rechtfertigung aller lebenskräftigen civilisirten Staaten, welche sich nie auf den Rechtsschutz beschränkt haben.

Drittes Kapitel.

Rechtsgrund des Staates.

§. 41.

Feststellung der zu beantwortenden Frage.

Die in der Erfahrung bestehenden Staaten bieten überall die Erscheinung, dass in denselben die Menschen einer herrschenden Gewalt unterworfen sind, dass sie, als Mitglieder des Staatsvereins, zu bestimmten Handlungen, selbst durch physischen Zwang, angehalten werden. Diese Beschränkung der individuellen Freiheit forderte zum Nachdenken darüber auf, ob die Herrschaft des Staates blos eine faktische Gewalt, eine rohe Naturmacht sei, oder ob sich für die Existenz des Staates und der Staatsgewalt ein tieferer Rechtfertigungsgrund angeben lasse. Indem man beim Nachdenken über diese wichtige Frage auf die Entstehung des Staates zurückging, verwechselte man häufig die Frage nach dem Rechtsgrunde des Staates mit der nach der Entstehung desselben. Beide Fragen sind indessen verschieden und scharf zu trennen. Die Frage nach der Entstehung des Staates ist eine historische, welche nur für einen concreten Staat aufgeworfen und beantwortet werden kann. Wir können fragen, wie ist der englische, der französische oder der indische und ägyptische Staat entstanden, aber nicht, wie ist der Staat in abstracto entstanden. Wir können wohl die Nachrichten und Sagen über die ältesten Staatsbildungen zusammenstellen und daraus gewisse allgemeine Folgerungen ableiten, wir können auch Erklärungsgründe aufsuchen, wie wohl die Menschen zuerst darauf gekommen sind, zu Staatsvereinen zusammenzutreten, aber wir können keine philosophische Urgeschichte des Staates geben. Nur der wirkliche Staat, nicht der Staat in abstracto entsteht. Nur mit Rücksicht auf ein bestimmtes Volk ist die Entstehungsgeschichte des Staates von

« ZurückWeiter »