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§. 35.

Verschiedene Bezeichnungen für den Staat '.

Es ist schliesslich nicht ausser Acht zu lassen, wie die verschiedenen Völker den Staat benannt haben. Bei den Griechen fällt die Bezeichnung der Stadt und des Staates noch zusammen (óλs), indem ihr Staat aus dem städtischen Gemeinwesen hervorgegangen war und wesentlich auf den Umfang einer Stadt beschränkt blieb.

Auch bei den Römern bezeichnet »civitas« zugleich den Staat und die Stadtgemeinde, hat aber dabei eine mehr persönliche Beziehung auf die Bürger selbst. Höher steht schon die andere römische Bezeichnung »res publica«, weil hier nicht blos eine Stadtgemeinde, sondern ein ganzes Volk (res populi, res populica) zu Grunde gelegt und die Bedeutung des öffentlichen Volkswohles, im Gegensatze zum Privatinteresse, hervorgehoben wird.

Dem Mittelalter, welchem der Staatsbegriff in Privatberechtigungen fast verloren gegangen war, fehlte für denselben auch das entsprechende Wort. Erst mit der Wiederbelebung der Staatsidee, am Scheidepunkte zwischen Mittelalter und Neuzeit, hat sich in den modernen romanischen und germanischen Sprachen der Ausdruck: »Staat, stato, état, state« eingefunden. In Deutschland scheint sich sogar, erst seit den Zeiten Ludwig's XIII. und Ludwig's XIV., das Wort »Staat«, in Nachbildung des französischen état, eingebürgert zu haben. An sich bezeichnet dieses Wort weiter nichts, als einen Zustand ganz im allgemeinen, und anfangs fügte man wohl zur näheren Bestimmung status rei publicae hinzu. Allmählich aber liess man diesen Zusatz hinweg und brauchte das Wort » Staat« ausschliesslich für den Staatszustand, als den wichtigsten menschlichen Zustand.

Mit diesem Worte ist für die modernen Sprachen eine durchaus entsprechende Bezeichnung gefunden, welche, ohne alle Nebenbedeutung, auf Staaten von jeder Art, von jeder Grösse und jeder Verfassungsform passt.

Alle andern Bezeichnungen, welche etwa noch daneben vorkommen, haben eine gewisse specielle Richtung, wie das Wort

1) Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht. B. I. S. 40, Anmerkung.

Reich, welches nur für grosse und monarchische Staatswesen passt und zwar besonders für solche gebraucht wird, die aus mehrern untergeordneten Staaten zusammengesetzt sind, wie das Wort »Macht«, »puissance«, wobei man besonders an die Beziehungen des Staates nach aussen im Verkehre mit andern Staaten zu denken pflegt. Das Wort » Land« bezeichnet zunächst die dingliche Grundlage des Staates, das Landgebiet, wird aber auch wohl für den Staat selbst gesetzt, doch hat es immer eine solche territoriale Nebenbeziehung. Das Wort »Nation« hat wieder eine besondere Beziehung auf die gemeinsame Stammesgenossenschaft der im Staate verbundenen Menschen, und bei » Volk«, welches in Beziehung auf andere Staaten, im völkerrechtlichen Verkehre, bisweilen für Staat gebraucht wird, denkt man doch immer zugleich an den Gegensatz von Regierung und Regierten.

Für das abstrakte Bedürfniss der Wissenschaft, welche eine ganz allgemeine Bezeichnung ohne jede specielle Nebenbedeutung verlangt, ist das moderne Wort » Staat« von ganz besonderm Werthe.

Zweites Kapitel.

Zweck des Staates 1.

§. 36.

Verschiedenheit der Auffassungen.

Es giebt einzelne Staatsgelehrte, die überhaupt jede Erforschung des Staatszweckes für verwerflich halten, weil die Staaten, nach ihrer Auffassung, eigentlich gar keinen, wenigstens keinen gemeinschaftlichen Zweck haben, oder weil die Staaten lediglich Selbstzweck seien. Das erste ist die Auffassung Haller's, welcher behauptet, dass man den Staat für etwas Willkührliches halte und somit ihn »lästere«<, wenn man vom Staatszwecke

1) Friedrich Murhard, der Zweck des Staates. Eine propolitische Untersuchung im Lichte unsers Jahrhunderts. Göttingen 1832. H. Zöpfl, Staatsrecht, I. §§. 22—33. H. A. Zachariä, B. I. §. 13. S. 39 ff. K. S. Zacharia, 40 Bücher. S. 147 ff. R. Maurenbrecher, §. 22-29. Stahl, Rechtsphilos. II. S. 144 ff. §. 39—41.

spreche 2. Das andere ist der Standpunkt der Naturphilosophie, sie betrachtet den Staat als » ein naturwüchsiges Erzeugniss der Weltordnung «, welches eben keine andere Aufgabe haben könne, »als seine organische Stelle im Organismus des Universums einzunehmen<«<.

Eine derartige Auffassung mag da an ihrem Platze sein, wo es sich um physische Naturerzeugnisse handelt, sie ist aber abgeschmackt und unwürdig, wo Menschen und menschliche Einrichtungen in Frage stehen. Eine jede derartige Einrichtung muss einen Zweck haben, also einen Zweck für Menschen, wenn sie durch menschliche Kräfte gebildet und gehandhabt wird.

Verstehen wir unter Staatszweck den vernünftigen Inhalt, die höhere Bestimmung und Aufgabe, welche durch den Staat verwirklicht werden soll, so ist es ein Irrthum oder eine Wortspielerei, wenn man die Existenz eines Staatszweckes verneint. Ohne Staatszweck würde der Staat vielmehr als etwas Unvernünftiges und Gedankenleeres erscheinen *.

Andere wollen nur keine Aufstellung eines allgemeinen, auf alle Staaten anwendbaren Staatszweckes zugeben, sondern behaupten, jeder Staat habe seinen besondern Zweck, z. B. die Römer die Eroberung, die Indier die Religion, die Karthager den Handel, die Engländer die politische Freiheit u. s. w.

Allerdings treten in verschiedenen Staaten, zu verschiedenen

2) Haller, Restaur. B. I. S. 470, behauptet, es existire gar kein gemeinschaftlicher Staatszweck, sondern blos eine Menge sehr verschiedener Privatzwecke: »die Wahrheit ist, dass die Staaten als solche gar keinen, oder doch keinen gemeinschaftlichen Zweck haben«<.

3) Diese Richtung gipfelt sich besonders bei Adam Müller in seinen Elementen der Staatskunst, wo behauptet wird, der Staat sei so wenig für den einzelnen Menschen, als dieser für den Staat da, sondern es seien vielmehr beide in ungetheilter Gemeinschaft der Ausdruck eines göttlichen Gedankens, sowie die Schnecke nicht für die Schaale und diese nicht für jene bestimmt sei, sondern beide zusammen die Form eines Lebens bilden. In gleicher Weise charakterisirt Johann Jacob Wagner den Staat: »der Staat hat nicht beliebige Zwecke, seine eigene höchste Entwickelung ist sein Ziel und der Zweck des vollendeten Staates ist nur der, seine organische Stelle einzunehmen im Organismus des Universums «<.

4) Jordan, Lehrbuch des allgemeinen und deutschen Staatsrechts, §. 33., sagt: »>Wer dem Staate gar keinen bestimmten Zweck zu Grunde legt, nimmt ihm sein Wesen und seine wahre Bedeutsamkeit und behauptet, dass nicht die Vernunft, sondern der Zufall oder die Laune zu bestimmen habe, was der Staat sein soll.<<

Zeiten, auch verschiedene Bestrebungen und Richtungen in den Vordergrund, aber man darf in den geschichtlichen Erscheinungen die allgemein menschliche, überall sich gleichbleibende Bedeutung des Staates nicht verkennen.

Vor allem muss, um den richtigen Standpunkt zu gewinnen, unterschieden werden, was zum Zwecke eines Staates gemacht werden kann und was der Zweck des Staates, seiner Idee nach, sein soll.

Alles, was sich durch äusserliche Staatsgebote erreichen und durch die vereinigten Kräfte von Menschen unter einer Herrschergewalt bewirken lässt, kann auch willkührlich als Staatszweck angesetzt werden. So kann geschichtlich manches als Staatszweck vorkommen, was Herrscher oder Völker, nach despotischer Willkühr oder republikanischer Laune, zur Aufgabe ihrer Staaten gemacht haben, z. B. Plünderungs- und Eroberungskriege, Bau von Pyramiden, Tempeln, Palästen. Aber die Staatslehre trifft ihre Zweckbestimmung nicht nach diesen zufälligen Launen von Herrschern und Völkern, sondern sie sucht in dem Gange der Menschengeschichte nach dem tiefern geistigen Gehalte, nach den Ideen, welche den thatsächlichen Erscheinungen zu Grunde liegen; sie erhebt sich zu einem höhern Gesetze, nach welchem die Zwecke des Staates gewählt werden sollen 6.

Einen solchen allgemeinen Staatszweck, in welchem die ganze Aufgabe des Staates ausgesprochen ist, festzustellen, hat sich die Wissenschaft seit langen Zeiten bemüht und ist, bei dieser s. g. politischen Teleologie, zu verschiedenen Theorien gekommen. Obgleich die Gelehrten ihre Ansichten vom Staatszwecke in der abweichendsten Weise bestimmt und in den mannigfaltigsten Ausdrücken formulirt haben, so lassen sich doch alle diese Theorien auf zwei Hauptrichtungen zurückführen; nach der einen ist der Zweck des Staates ausschliesslich die Geltung des

5) Man kann dies wohl auch den besondern historischen Staatszweck nennen; die Frage nach dem historischen Zwecke kann nur durch die Geschichte eines bestimmten Volkes und Staates beantwortet werden. Murhard, über den historischen »Zweck des Staates «<, S. 19-36. Stahl a. a. O. S. 149: »Allerdings wird nach der Individualität der Zeitepoche und des Volkes diese oder jene Bestrebung vorherrschen, aber deshalb hat der Staat doch eine sich überall gleichbleibende Bedeutung für das menschliche Leben.«

6) Fries, Politik oder Staatslehre. S. 64.

Rechtsgesetzes, nach der andern fällt der Staatszweck mit dem Zwecke der Menschheit zusammen.

Die letztere Richtung geht entweder mehr von der materiellen Seite des menschlichen Daseins aus und stellt alsdann Glückseligkeit, Wohlfahrt, allgemeinen Nutzen auch als Staatszweck hin (Wohlfahrtstheorie), oder sie hält sich mehr an die höchsten idealen Aufgaben der Menschheit und erklärt danach »sittliche Vervollkommnung« für Staatszweck.

Demnach ergeben sich drei Haupttheorien vom Staatszwecke:
I. Theorie des Rechtsgesetzes,

II. Wohlfahrtstheorie,

III. Theorie des Sittengesetzes.

Da diese Theorien in der Wissenschaft und im Leben eine grosse Bedeutung erlangt haben, so werden dieselben hier kurz erörtert und geprüft werden.

§. 37.

I. Theorie des Rechtsgesetzes.

Im nothwendigen Gegensatze zu dem eingreifenden und willkührlichen Staatsdespotismus der vergangenen Jahrhunderte entstand diese Theorie, welche Schutz und Sicherheit der Rechte als ausschliesslichen Staatszweck hinstellt. Diese Ausschliesslichkeit des Rechtszweckes wurde schon von Pufendorf in Deutschland und von Locke in England geltend gemacht. Zu ganz besonderem Ansehen gelangte diese Theorie aber durch Kant, welchem fast alle Juristen und Naturrechtslehrer folgten, weshalb sie häufig geradezu als die Kantische Theorie bezeichnet wird.

Der Grundgedanke dieser Theorie ist: Jedermann muss seine natürliche Freiheit im Handeln soweit beschränken, dass die gleiche äussere Freiheit seiner Mitmenschen daneben bestehen kann. Dies ist ein Vernunftgebot für die Coëxistenz der Menschen. Da aber der Mensch, als zugleich sinnliches Wesen, nicht immer dem Gebote seiner Vernunft gehorcht, so bedarf es einer äussern Gewalt, welche ihn im Nothfalle unter dasselbe zwingt. Der Staat ist nach dieser Theorie die Zwangsanstalt, das Recht zu verwirklichen. Diese Ansicht wird auf die verschiedenartigste Weise ausgedrückt1, bleibt aber im Wesen immer dieselbe, indem

1) Pufendorf: »ad pacem et securitatem communem «. Böhmer:

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