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kennt die Rechtspersönlichkeit anderer Staaten und die Strafbarkeit gewisser gegen das Prinzip des internationalen Rechtverkehrs verstoßender Angriffe an. Auch hierdurch wird die Behauptung, daß die internationalen Beziehungen der Staaten nur auf sittlicher Vorschrift beruhen, vollkommen widerlegt.

Auf die Beweggründe der einzelnen Staaten, die zur Anerkennung der Recht sehenden Gemeinschaftszustände hinleiten, kann nichts ankommen. Nothwendigkeit, Nüglichkeit, politische Berechnung, religiöser Glaube, Irrthum oder Furcht stehen als Motive einander hinsichtlich des von ihnen bewirkten Resultates völlig gleich. Wie die Völker in ihrem inneren Staatsleben nur dasjenige als dauernd anerkennen, was ihnen nothwendig erscheint oder was fie als zuständlich unabänderlich vorfinden und sich dem wirklich oder vermeintlich Nothwendigen fügen, so bewirkt auch die Anerkennung einer als rechtskräftige Thatsache der Geschichte genommenen Gemeinschaft einen völkerpsy= chologisch erkennbaren Zustand des Unterworfenseins für jede Nation, der durch gelegentliche oder vorübergehende Störungen in Kriegsfällen ebenso wenig befeitigt wird, wie der Prozeß des Lebens durch vorübergehende Störungen der Ernährung oder Athmung im menschlichen Leibe aufgehoben wird.

Ihrer Form nach kann die Rechtsquelle der Anerkennung stillschweigend in den Thatsachen des auswärtigen Verkehrs sich offenbaren, oder auch in ausdrücklichen Erklärungen, wie denjenigen des Aachener Congresses vom Jahre 18182) und des Berliner Traktates von 18783) bestätigt werden. Jeder Anspruch eines Staates, von seines Gleichen als Rechtswesen geachtet zu werden, seht bereits eine darin nur wiederholte Anerkennung einer Norm gebenden Gemeinschaftsmacht deswegen voraus, weil jeder Staat sich außer Stande weiß, von seiner Seite die auswärtigen Beziehungen einseitig und ausschließlich zu regeln.

Was von uns als Anerkenntniß einer den Völkerverkehr beherrschenden, thatsächlich bestehenden und Recht erzeugenden Macht der Gemeinschaft aufgefaßt wird, führt vielfach auch die Bezeichnung als communis consensus) oder auch übereinstimmendes Rechtsbewußtsein". Gegen diesen Ausdruck ist, wenn er überall richtig verstanden wird, nichts einzuwenden. Aber er kann leicht den Irrthum veranlassen, als handelte es sich bei dem consensus um ein stillschweigend unter den Nationen vereinbartes Vertragsverhältniß oder um eine Vertragstheorie, ähnlich derjenigen, mit welcher man ehemals die Staatsgewalt auf präsumirten Consensus der einzelnen Bürger zu stüßen suchte. Dieser Irrthum könnte in Beziehung auf einzelne Rechtsfäße, wenn sie streitig werden, zu völlig fehlerhaften Schlußfolgerungen führen. Es war nicht der Consensus der Nationen, der den internationalen Machtzustand der Gemeinschaft geschaffen hat.

Vielmehr schließt schon der erste Act des Eintretens in einen als beherrschend anerkannten Zustand des Verkehrs für neu eintretende Staaten auch die Unterwerfung unter alle nothwendig daraus abzuleitenden Folgen in sich, ohne daß nach einem vermutheten Consensus im einzelnen Falle zu fragen wäre.

Es verhält sich mit dem Zustande der Völkerrechtsgemeinschaft ähnlich wie mit dem altrömischen, von der Rechtssitte anerkannten, durch Zusammenleben der Gatten, ohne Hinzutreten äußerlicher Formalitäten geschaffenen Ehebündniß, womit bestimmte, im Wesen der Ehe liegende Verpflichtungen der Ehegatten gegen einander verbunden sein mußten, ohne daß ein besonderer Consensus in Beziehung auf Einzelheiten erforderlich gewesen wäre.

Es ist nicht ein erst zu begründender, sondern ein bereits thatsächlich gegebener Zustand in den Verkehrsbeziehungen der Nationen, auf welchen fich die nachträgliche Anerkennung als einen Recht und Pflicht erzeu= genden und bedingenden richtet. Aus diesem Grunde verdient das Wort Anerkennung den Vorzug vor anderen Bezeichnungen.

1) Bierling (a. a. D.) S. 83 ist der Ansicht, daß die Norm, die ich als Behauptung, Fortseßung und Erhaltung einer thatsächlich bereits bestehenden Ges meinschaft auffaffe, als das primäre, also Schaffende anzusehen sei. Er sagt: „Nicht die Lebensgemeinschaft ist das ursprünglich Gegebene, aus deren Anschauung und nach deren Charakter sich dann die Normen des gemeinschaftlichen Lebens entwickeln, sondern die Normen sind es, die jeder Lebensgemeinschaft, gleichwie sie deren Eristenz bedingen, so ihr auch den speziellen Charakter geben u s. w. —“

Im übrigen würde diese Streitfrage ungefähr so viel bedeuten, wie die Dispu tation darüber, ob die Eichel oder der Eichbaum früher erschaffen wurde. Die Römer nahmen ihrerseits das Vorhandensein eines Thatbestandes in der Gesellschaft als das primäre an, worauf sich dann hinterher die Anerkennung richtete.

S. 1. 5 § 1 de extraord cogn. 50, 13: dignitatis illaesae status, legibus ac moribus comprobatus

Auch der Völkerrechtszustand ist ein status communionis inter gentes, moribus vel pactis ac legibus comprobatus.

Andererseits sagt Bierling (a. a. D. I, S. 8):

,,Anerkennung ist nur ein stätiges, ununterbrochenes, habituelles Respektiren, sich gebunden oder unterworfen Fühlen in Beziehung auf einen gewissen Gegenstand, insbesondere auf gewisse Grundsäße. Speziell rechtliche Anerkennung aber oder Anerkennung als Recht ist nur das dauernde Anerkennen von Grundsäßen (ich würde sagen: „Anerkennen von Grundsäßen als dauernder“) innerhalb eines gewissen Kreises, einer gewissen Mehrheit zusammenlebender Personen als Norm und Regel dieses Zusammenlebens.

Aehnlich übrigens auch Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts (1847), S. 310. 2) Aachener Protocoll vom 15. November 1818: Les souverains en formant cette union auguste, ont regardé comme la base fondamentale, leur invariable résolution de ne jamais s'écarter, ni entre eux ni dans leurs relations avec d'autres états, de l'observation la plus stricte des principes du droit des gens, principes qui dans leur application à un état de paix permanent, peuvent seulement garantir efficacement l'indépendance de chaque gouvernement et la stabilité de l'association générale.

Aehnlich das Londoner Protocoll von 1871 bezüglich der Pontusfrage und, was England anbelangt, die Territorial Waters Jurisdiction Act von 1878.

3) Art. 40: Jusqu'à la conclusion d'un traité entre la Turquie et la Serbie les sujets Serbes voyageant ou séjournant dans l'Empire Ottoman seront traités suivant les principes généraux du droit international. 4) Common consent: Wharton, Comm: § 122.

§ 25. Gewohnheitsrecht.

Literatur: De Senckenberg, De jure observantiae ac consuetudine in causis publicis privatisve. 1743. Puchta, Das Gewohnheitsrecht. Erlangen

Savigny, Systeme des heutigen

Bierling, Zur Kritik der ju

R. v. Jhering, Der Zwed Ch. Brocher, Les révoluVanni, Della Con

1828. Bd. I, S. 125. 131. II, 227. Römischen Rechts I S. 34ff., 76ff., 413ff. ristischen Grundbegriffe 1. Th. S. 17 ff. 139 ff. im Rechte Bd. II (1883) S. 57 ff., S. 239. tions du droit. (Genève 1882.) Bd. 1, S. 217ff. suetudine nei suoi rapporti col diritto e colla legislazione. Perugia 1877. M. Mountague Bernard, The growth of laws and usages of war. London 1856. Sir Robert Phillimore, Commentaries I, § 42. E. Creasy, First Platform of Internat. Law. London 1876. S. 77 ff. J. D. Lawson, The Law of Usages and Customs with illustrative cases. St. Louis 1881. F. Pollock, Essays. London 1882. pag. 54. — Sir Henry Maine, Early Law and Custom. London 1883. Francis Wharton, Commentaries on Law. Philad. 1884. §§ 14-16, 22, 122.

Sir

Der Begriff der Gewohnheit als einer Rechtsquelle innerhalb der internationalen Beziehungen steht demjenigen der Anerkennung so nahe, daß in Frage kommen könnte, ob theoretisch für die Behandlung des Völkerrechts ein Bedürfniß bestehe, zwischen beiden zu unterscheiden. In der Staatspraxis und der bisherigen Rechtsliteratur spielt jedoch die Bezugnahme aus Gewohnheiten eine erhebliche Rolle. Es empfiehlt sich auf diesem Grunde, ihr besondere Berücksichtigung angedeihen zu lassen.

Gewohnheit ist die meistens unbewußte, möglicherweise aber auch bewußte Wiederholung und Continuität menschlicher Thätigfeiten bis zu dem Maße, daß dadurch der Wille in ein constantes Unterwerfungsverhältniß während ihrer Dauer versezt wird. Gewohnheiten sind eine Macht im Leben des einzelnen Menschen, der gesellschaftlichen Verbände der Völker und der Staaten: theils eine natürliche, insofern dem physischen Leben und seinen Bedürfnissen genügt wird (Wohnung, Kleidung, Ernährung) theils eine sittliche, insofern Befestigung der Moral bewirkt wird, theils eine rechtliche Macht, insofern durch bewußte Saßung einer Nöthigung gegen Zuwiderhandelnde die öffentliche Ordnung des Zusammenlebens gestützt werden soll.

Rechtsgewohnheiten können also zwar in ihren historischen Anfängen ursprünglich als unbewußte Vorzüge des Völkerlebens, in der Vollendung ihres Daseins und nach ihrer Wirkung dagegen niemals ohne ein mehr oder minder geklärtes Zweckbewußtsein vorgestellt werden.

Jede Rechtsgewohnheit seßt ein in den Völkern bereits rechtlich gewordenes Gemeinleben voraus, und beruht theilweise auf örtlicher Nachbarschaft, theils auf einheitlichen Zweckrichtungen einer durch Berufsgemeinschaften vereinigten Gesellschaft.

Auf örtlicher Basis entstehen Localgewohnheiten (Ortsrechte), deren Ver= schiedenheiten gerade in der Scheidung und Begränzung des räumlichen Zufammenlebens, und der selbstgenügsamen Abgeschlossenheit der Lebenskreise ihren Grund finden.1)

Eine Verallgemeinerung solcher örtlichen Rechte kann nachträglich indessen im Wege der Rezeption im weitesten Umfange ermöglicht werden, wofür das bekannteste Beispiel durch die Erhebung eines ursprünglichen Stadtrechtes von Rom zum Weltrecht geboten wird.

Ohne bestimmte örtliche Grundlage der Uebung könnten dagegen nur dann Gewohnheiten rechtlicher Art entstehen, wenn durch persönliche Berufsgemeinschaft eine Ständigkeit gesellschaftlicher Interessen vermittelt wird und darum die Einzelnen zur Innehaltung gewisser Normen genöthigt werden.

Was das Völkerrecht anbelangt, so ist es undenkbar, daß sich auf dem Boden mehrerer von den Culturvölkern bewohnter Welttheile oder auf der gesammten Erdoberfläche identische Rechtsgebräuche spontan und gleichzeitig in Beziehung auf allgemeine Interessen bilden sollten.) Denn Abschließung gegen das Fremde wirkt wesentlich in den örtlichen Gewohnheiten mit. Der Uebergang nationaler Rechtsgewohnheiten in den Zustand interna= tionaler Geltung ist daher nur im Wege bewußter Nachahmung oder Aneignung, d. h. durch Rezeption in der Weise möglich, wie bei der Lex Rhodia de jactu im Alterthum oder dem Corpus Juris Civilis im Mittelalter.

Solche Aneignungen durch Rezeption sind gleichsam derivative Akte der Gewohnheit, wobei irgend eine anerkannte Potenz des religiösen oder politisch staatlichen Lebens oder auch sittlicher Ideen zwar nicht allein entscheidend, aber doch immerhin mitwirkend eingreift. Denn kein Volk rezipirt nachahmend das Fremdländische, wenn dessen Werth nicht als ein zweifelloser allgemein angenommen wird, und selbst dann noch würde es meistentheils besonderer repräsentativer Organe, wie ständiger Gerichte oder fürstlicher Machtvollkommenheit bedürfen, um fremder Völkersitte zur Ueberlegenheit über eingeborne Volkssitte zu verhelfen.

Anders verhält es sich, wenn Rechtsgewohnheiten ohne Gebietsschranke und ohne besondere räumliche Basis entstehen, und wo ein gleichsam personales Unterwerfungsverhältniß einzelner Menschen zu den Normen solcher Gesellschaftsinteressen entsteht, die über die Gränzen einzelner Staaten hinausgewachsen sind. Dieser Art ist die wichtigste unter den gewohnheitsrechtlichen Bildungen des älteren Völkerrechts, als welche die Seegebräuche und jenes Seerecht anzuerkennen sind, die sich aus dem Mittelalter bis auf die Gegenwart in ihren Grundzügen fortgepflanzt haben. Auch in ihr wirkt eine gewisse Autorität hervorragend entwickelter Handelsvölker nach. Eigentlich entscheidend war aber auch hier, daß auf einem und demselben, allen zugänglichen Seegebiete aus verschiedenen Ländern Männer zusammentrafen, die eines

Berufes waren, dieselben Regeln des Handels beobachteten und von denselben Gefahren einer vis major bedroht waren.

Aehnlich wie es sich mit den alten Seegebräuchen verhält, geschah es auch mit den Kriegsgebräuchen. Das Ritterthum war eine durch staatliche und räumliche Schranken unbehinderte Berufsgemeinschaft Europäischer Kampfgenossenschaft, durch deren Kampfregeln die Gegnerschaft fechtens der Parteien gemäßigt wurde. Allmälig sind alsdann solche Regeln in die stehenden Armeen übergegangen und durch die Nachwirkung des ritterlichen Geistes in den Offiziercorps lebendig erhalten worden.

Eine dritte Gestaltung personaler Berufsüberlieferungen würde das Juristenrecht bilden, wofern eine besonders constituirte Klasse von Rechtsverständigen die Justizpflege vermittelt. Auf dem Boden der internationalen Beziehungen könnte juristische Berufsgenossenschaft freilich erst dann im größeren Umfang gewöhnliches Recht erzeugend wirken, wenn ständige Völkertribunale vorhanden wäre.

Dagegen läßt sich nicht verkennen, daß die moderne internationale Berufsgemeinschaft der Diplomatie völlig geeignet erscheint, in der formalen Richtung der Geschäftsbehandlung bindende Gewohnheiten zu erzeugen.

Selbstverständlich ist somit, daß personale und räumliche Verhältnisse, wie in Hinsicht der Seegebräuche zur Erzeugung des Gewohnheitsrechtes zusammenwirken können. 3)

Was den Beweis des Gewohnheitsrechtes anbelangt, so könnte ein solcher vom Richter überhaupt nur dann streitenden Parteien auferlegt werden, wenn es sich entweder um örtliche Gewohnheiten außerhalb seiner Gerichtsbarkeitgränze oder um ein ihm fremdes Spezialrecht gewisser Berufsklassen handelte. Von Beiden kann in den allgemeinen friedlichen Verkehrsbeziehungen der Culturnationen nicht die Rede sein. Der Richter sollte in der Lage sein, die Völkerrechtsgewohnheiten zu kennen. Seine Unwissenheit in dieser Materie wäre, wenn sie irgendwo hervorträte, angesichts der allgemein vorhandenen Bildungsmittel als Verwahrlosung juristischer Selbst= bildung anzusehen.

In Beziehung auf die kriegerischen Rechtsverhältnisse, wird zu unterscheiden sein, ob der urtheilende Richter innerhalb des Rahmens einer auf Volksbewaffnung und allgemeiner Dienstpflicht beruhenden Wehrverfassung steht, oder ob das Militärrecht die Eigenschaft eines dem Richter fremden Standesrechts an sich trägt. Wird beispielsweise vor continentalen Richtern in Europa ein Rechtstreit wegen des Eigenthums an einem aus der Landbeute entspringenden Objecte verhandelt, so wäre ihm nicht zuzumuthen, die coloniale Kriegspraxis Englischer Truppen zu kennen.

Ist der Richter bei der Beurtheilung völkerrechtlicher Streitfragen in Zweifel, so versteht es sich von selbst, daß die Acte der Anerkennung bestehender Rechtsgewohnheiten durch Aufzeichnung in Rechtsbüchern, durch ergangene Vorentscheidungen competenter Gerichtshöse oder durch Erklärungen der

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