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gewisse Gruppe von Staaten auf vertragsmäßiger Vereinbarung beruht, für andere Staatengruppen auf Gewohnheit zurückgeführt werden kann. Erweiterungen des gegenwärtigen Europäischen Völkerrechtsgebietes durch Aufnahme minder civilisirter Staaten werden voraussichtlich nur in der Weise zu bewerkstelligen sein, daß gewohnheitsrechtliche Säße des Europäischen Verkehrs zu ihrer Verallgemeinerung eine Vermittlung durch Vertragsschluß finden oder Europäisches Vertragsrecht durch nachahmende Gewohnheiten in die Praxis neuer Staaten übergehet.

Unterscheidet man in richtiger Weise zwischen dem Entstehungsgrunde des Rechts und seinen Erkenntnißmitteln, durch welche ein seiner Existenz nach bezweifelter Rechtssaß dargethan und auf rechtlich zweifelhafte Thatbestände anwendbar gemacht werden kann, so ergiebt sich, daß außer der Anerkennung der Gewohnheit den Verträgen und den Landesgefeßen anderweitige Quellen für das Völkerrecht nicht nachgewiesen werden können.

Irrig ist es daher auch, wenn von älteren oder neueren Schriftstellern als Quellen der Rechterzeugung noch aufgeführt werden:

Die Urtheile höchster Gerichtshöfe und

die Schriften der Rechtsgelehrten, d. h. Hülfsmittel, welche nur dazu dienen können, den Nachweis einer bereits gefeßten Rechtsnorm zu erbringen, aber nicht diejenige Macht des zuständlichen Gemeinschaftslebens besigen, die erforderlich sein würde, um einer neu von ihnen zu schaffenden Rechtsregel Befolgung zu sichern.

Noch viel erheblicher erscheint das Mißverständniß derer, welche den Be= griff der Rechtsquellen bis dahin erweitern, daß sogar die der Auslegung der Rechtsquellen, zumal der Geseße dienenden Operationen der Logik, der Analogie oder die Interpretation selber als Quellen der Rechterzeugung hinstellt werden.1)

Auf einer Verwechselung von Rechtsverhältnissen und Rechtsquellen beruht es, wenn endlich sogar die Geschichte selbst zu letteren hinzugerechnet wird. 2)

1) So Hartmann, Institutionen des Völkerrechts § 1.

2) Woolsey, Introduction § 6, dem auch F. v. Martens, Völkerrecht § 43 Note 4 beistimmt.

§ 23.

Inhalt der Völkerrechtsquellen.

Der Inhalt der Völkerrechtsquellen wird hinsichtlich seiner möglichen Begränzung durch den Begriff des Völkerrechts näher bestimmt. Ueberall handelt es sich um einen imperativen Rechtssag für solche auswärtigen Beziehungen der Staaten oder der Verkehrsgemeinschaft, die der Ordnung bedürfen und dem freien Ermessen der einzelnen Staatsgewalten nicht überLassen werden können.

Die Normen des Völkerrechts sind entweder:

1. allgemeine, für den rechtlichen Verkehr der Culturstaaten schlechthin unerläßliche, oder

2. besondere, aus den Verkehrsbedürfnissen einzelner, insbesondere benachbarter Staaten hervorgegangene. Allenfalls kann man auch mit Rücksicht auf die zeitlichen Verhältnisse der Anwendbarkeit dauernde oder bleibende und vorübergehende Vorschriften unterscheiden. Diesen Eigenschaften der Allgemeinheit, der territorialen Beschränkung, der Dauer der Völkerrechtsnormen entsprechen in der Hauptsache die hauptsächlichsten Merkmale der einzelnen Völkerrechtsquellen. Zuständlich dauernde, bleibende und allgemeine Rechtsverhältnisse der Internationalität entspringen vornehmlich denjenigen Rechtsquellen, die man als unmittelbar wirkende bezeichnen kann (Anerkennung und Gewohnheit), während das Entstehen von Völkergewohnheiten ausgeschlossen erscheint, wo es an der Voraussetzung der Regelmäßigkeit in der Erscheinung und Wiederkehr gewisser Thatbestände fehlt.

Inhaltlich genommen, sind die völkerrechtlichen Normen sodann in Rücksicht der daraus hervorgehenden Rechte und Pflichten ferner zu unterscheiden : 1. als gebietende, welche Handlungen fordern,

2. als untersagende, welche Unterlassungen auferlegen,

3. als befugende oder gestattende, welche die Erfüllung einer Pflicht zu Handlungen oder Unterlassungen von einer concreten Entscheidung des Berechtigten abhängig erachten und den Imperativ des Duldens seßen.

Gebietende Vorschriften seßten ein höheres Machtverhältniß des Befehlenden voraus. Bestände die Völkerrechtsgemeinschaft von Hause aus nur aus gleich mächtigen und gleich selbständigen Staaten, so würde die thatsächliche Voraussetzung für die Entstehung vieler Völkerrechtsnormen fehlen. Aehnlich verhält es sich mit verbietenden Normen. Doch ist der Zwang zu Handlungen, d. h. als Gebot, vergleichungsweise seiner Potenz nach stärker, als die Nöthigung zu menschlichen Unterlassungen, d. h. als Verbot. Die Mehrzahl der allgemeinen völkerrechtlichen Normen ist aus diesem Grunde nach dem gegen= wärtigen Stande negativer, d. h. verbietender Art.

Gerade der Denkweise früherer Jahrhunderte ist es jedoch in keiner Weise anstößig erschienen, Autoritäten mit international wirkender Machtstellung anzuerkennen. Solche Ansprüche wurden ehemals von den Völkern in der meistens irrigen Annahme einer Unterwerfungspflicht angenommen und dann fernerhin auch nach Lösung der von jenen Autoritäten geknüpften Bande beibehalten. In derartiger Stellung einer höheren, allgemeine Rechtscultur wirkenden Macht befanden sich die Organe der Kirche und des Römischen Kaiserthums. Erwägt man insbesondere, daß das Oströmische und das Weströmische Kaiserthum zu verschiedenen Zeiten Länder fast des gesammten Europäischen Konti

nents umfaßten, so erscheint es begreiflich, daß auch nach eingetretenem Machtzerfall früher ergangene Gebote oder Verbote durch das Rechtsbewußtsein emanzipirter Staaten und umgestalteter Volkskörper festgehalten werden mußten oder konnten.

Schon aus diesem Grunde ist es für das Verständniß der internationalen Rechtsquellen durchaus unerläßlich, deren historische Fundamente aufzusuchen. Aus einer lediglich dogmatischen Betrachtung der heute selbständig neben einander gestellten Staatswesen würde unmöglich sein, eine hinreichend klare Vorstellung von dem Wesen der Völkerrechtsquellen und ihren Wirkungen zu gewinnen. Denn oft genug wird die Einsicht in die Macht internationaler Rechtsgemeinschaft durch den anscheinend selbständigen Entwickelungsgang moderner Gesetzgebungen behindert oder das Bewußtsein rechtsgeschichtlicher Continuität in den auswärtigen Beziehungen der Nationen durch Umwälzungen staatsrechtlicher Art abgeschwächt.

§ 24.

Anerkennung als Völkerrechtsquelle.

Literatur: Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe (1877). Bd. I, § 67 ff. F. Wharton, Comm. on Law (1884) § 63.

Unter allen Quellen des Völkerrechts steht nach ihrer gegenständlichen Bedeutung, Allgemeinheit und Wichtigkeit die Anerkennung bestehender geschichtlicher Machtzustände als nothwendig, überall und dauernd für den internationalen Verkehr rechtlich normgebender obenan, vorausgesetzt, daß in solcher Anerkennung sich ein den Nationen gemeinsames Rechtsbewußtsein bethätigt.1)

Zunächst ist davon auszugehen, daß die wirklich unabänderliche oder als unabänderlich genommene Herrschaft bestimmter Thatsachen im gesellschaftlichen Leben der Menschen deren rechtliches Wollen ebenso stark oder mög= licher Weise noch stärker zu bestimmen vermag, als irgend welche Kundgebung der Macht eines durch den Willen des Volkes oder durch Erbrecht berufenen Herrschers. Der letzte Grund aus welchem dem Gesetze die Eigenschaft einer Rechtsquelle zugesprochen werden muß, ist gleichfalls kein anderer, als die rechtliche Bestimmung des Volkswillens durch die überall als nothwendig anerkannte Verpflichtung, Gehorsam prästiren zu sollen.

Das von allen Culturstaaten theils ausgesprochene, theils bethätigte wechsel= seitige Anerkenntniß gewisser der Willkür entrüdter, aus der nothwendigen, dauernden und allgemeinen Verkehrsgenossenschaft der Völker hervorgehender Grundsätze der Berechtigung und Verpflichtung begründet innerhalb der internationalen Beziehungen die Qualität objectiver Rechtsnorm für alle diejenigen Säße, welche entweder in solchem Anerkenntniß erwiesenermaßeu vorausge

sehen waren, oder mit Nothwendigkeit im Wege der Schlußfolgerung daraus abgeleitet werden müssen.

Durch Anerkennung geschaffen sind somit alle diejenigen Normen, deren Vorhandensein sich in der Unzulässigkeit einer sie negirenden Zuwiderhandlung dem allgemeinen Rechtsbewußtsein der Nationen einprägt.

Jeder Staat, der andere Staaten neben sich als berechtigte Mitglieder innerhalb auswärtiger Verkehrsgemeinschaft anerkennt oder behandelt und rechtlich auch seinerseits anerkannt oder behandelt sein will, seßt sich damit auch alle jene dauernden und unabänderlichen Regeln als Richtschnur seines Handelns, ohne deren Innehaltung ein rechtlicher Bestand der Staatengenossenschaft unmöglich sein würde. Wie vielen und welchen Staaten gegenüber das Anerkenntniß solcher für den Verkehr normgebender Vorschriften ursprünglich abgegeben wurde, ist an sich völlig gleichgiltig.

Einmal bethätigt, wirkt ein solches Anerkenntniß in Beziehung auf alle noth= wendig daraus herzuleitenden Consequenzen so lange fort, als der Staat selber fortbesteht. Er könnte sich von den im Verlaufe der Geschichte unabänderlich eintretenden Consequenzen desselben nur dann freimachen, wenn er im Stande und gewillt wäre, aus der Verkehrsgemeinschaft wiederum auszuscheiden oder sich von anderen zu isoliren.

Denkbar ist freilich, daß einzelne bestimmte Regeln des Allgemeinen Völkerrechts ausnahmsweise deswegen in gewissen Staaten nicht wirksam werden, weil die vorausgeseßten Verkehrsverhältnisse zwingender Art in ihnen nicht eintreten. Binnenstaaten, die wie die Schweiz oder Serbien vom Meere abgeschlossen sind, brauchen die Regeln des Seerechts nicht in den Bereich ihrer eigenen Rechtsordnung aufzunehmen. Man kann ihnen die Absicht beimessen, diese ihnen räumlich unzugänglichen oder fernliegenden Angelegenheiten, als außerhalb ihres rechtlichen Wollens gelegen, völlig unbeachtet zu lassen. Troßdem würde die Gesammtheit der von den feefahrenden Nationen anerkannten Regeln als ein Theil des allgemeinen Völkerrechts anzusehen sein.

Somit ist es richtig, wenn man gesagt hat, Einstimmigkeit in der Zustimmung der Nationen sei nicht erforderlich, um einer Völkerrechtsregel den Charakter der Allgemeinheit zu verschaffen.

Stellt man fich dagegen vor, daß ein solcher vom Meere lange Zeit hindurch abgeschlossen gewesener Binnenstaat durch Eroberung oder Länderzuwachs oder natürliche Veränderungen auf der Erdoberfläche an die Küste vorrückt, so würde, internationale Anerkennung des territorialen Zuwachses vorausge sezt, auch ohne weitere Zustimmungserklärung des Erobernden das durch den Gang der Jahrhunderte entwickelte Seeverkehrsrecht als ein auch ihn bindendes erachtet werden müssen, sobald dieser ehemals auf den Binnenverkehr beschränkt gewesene Staat in den Seeverkehr thatsächlich eintritt und sich um die Anerkennung seiner räumlich veränderten Rechtspersönlichkeit bewarb.

Das Prinzip, wodurch der thatsächlichen Macht weltgeschichtlich befestigter Gemeinschaftszustände der Nationen die Anerkennung jedes einzelnen Staates noth

wendig erwirkt wird, ist kein anderes, als die unbestreitbar vorhandene Einsicht aller Culturstaaten, daß ihre eigene Macht durchaus unzulänglich sein würde, um sich im Zustande willkürlicher Isolirung oder mit den Mitteln rein moralischer Ideengemeinschaft selbständig zu behaupten.

Fragt man also: Aus welchen Thatsachen die Anerkennung irgend welcher völkerrechtlicher Verkehrsnorm als einer aus dem Genossenschaftsverhältniß der Staaten abzuleitenden, jeden einzelnen Staat verpflichtenden Rechtsregel gefolgert werden müsse, so könnte darauf zunächst erwidert werden: Keines theoretisch geführten Nachweises bedarf dasjenige, was von Niemandem in der Rechtspraxis bestritten wird.

Der Beweis für das grundsäßliche Vorhandensein völkerrechtlicher Normen ist von keiner Staatsregierung versucht worden, weil er nirgends verlangt wird und es nicht Sache der Praxis sein kann, philosophische Vorfragen des menschlichen Erkenntnißvermögens zum Gegenstande internationaler Erörterung zu machen.

Nur von der abstracten Speculation und von Seiten solcher, deren Rechtsbegriffe sich durchaus nach dem Vorbilde der Privatrechtsgesetzgebung formirt haben, kann die in der lebendigen Praxis civilisirter Staaten wurzelnde Anerkennung eines sie verpflichtenden, und sie rechtlich beherrschenden, weil nothwendigen Gemeinschaftszustandes bezweifelt werden.

Anerkennung als Quelle des Völkerrechts darf also nicht so aufgefaßt werden, als sollten etwa darin sämmtliche aus ihr hervorgehende Schlußfolge= rungen für den einzelnen Fall in bewußter Weise vorher inbegriffen sein. Anerkennende Staaten brauchen bei Bemessung ihrer Rechte und Pflichten nicht weiter zu gehen, als moderne Gesetzgeber, die, auf casuistische Vollständigkeit ihrer Bestimmung verzichtend, sich darauf beschränken, den Rechtsgrundsak festzustellen, dessen logisch nothwendige und der allgemeinen Absicht des Gesetzgebers entsprechende Consequenzen unausgesprochen bleiben, aber überall vom Gesetzgeber selbst so lange mitgewollt werden, als nicht Ausnahmebestim= mungen gleichzeitig oder nachträglich getroffen werden.

Der historische Beweis für die Völkerrecht erzeugende Macht der Anerkennung liegt bereits in den Fundamenten der internationalen Privatrechtspraxis gegeben. Indem die Gerichtsgewalten jedes civilisirten Staates einerseits die Selbständigkeit ihrer eigenen Competenz dem Auslande gegen= über wahren, andrerseits aber auch das persönliche und besondere Recht des Fremden würdigen, indem sie die civile oder Strafe drohende Rechtsordnung des Auslandes innerhalb bestimmter gegenständlicher und räumlicher Gränzen wechselseitig anerkennen, vollzieht sich auch das Anerkenntniß eines über die Gebietsschranken des einzelnen Staates hinausreichenden allgemein menschlichen Rechtszweckes und der zu seiner Verwirklichung nothwendigen Selbständigkeit in der Verpflichtung und Berechtigung jedes einzelnen Staates, mit welchen beiden Bedingungen die Recht sehende Macht der internationalen Gemeinschaftszustände gegeben ist. Jede der modernen Strafgeseßgebungen er

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