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§ 121.

Niederländer und Belgier, Skandinavier, Schweizer, Ungarn.

Die Zusammenstellung dieser secundären Länder an diesem Plaze bedarf keiner Rechtfertigung. Sie stehen vorwiegend unter dem wissenschaftlichen Einflusse Deutschlands.

Das Land des Grotius und des Bynkershoek hat in diesem Jahrhunderte für Bereicherung der völkerrechtlichen Literatur keine sehr rege Thätigkeit entwickelt. 1) Noch weniger hat die Heimath Vattel's gethan; allerdings war Bluntschli ein Schweizer, seine völkerrechtliche Entwickelung aber datirt erst von der Heidelberger Periode seines Lebens. Die jeßige relative Unfruchtbarkeit der Schweiz in den Moral- und Socialwissenschaften ist übrigens eine Thatsache, die in den politischen und socialen Verhältnissen der Eidgenossen= schaft theilweise ihre Erklärung findet. Dies kann auch von anderen kleinen Staaten gelten. 2)

Von einem Holländer ist erst 1884 eine Gesammtdarstellung erschienen, 3) und zwar in englischer Sprache. Es ist dies das »>Manual of International Law, for the use of navies, colonies and consulates « des Niederländischen Generalconsuls und Ministers in China, Jan Helenus Ferguson (Haag, London, Hong-kong). Das achtungswerthe Werk umfaßt sechs Theile: I. General Principles. II. Individual Rights of States and the modifications of these Rights. Ein internationales Privatrecht, mit vielen für die Praxis der im Titel bezeichneten Kreise nüßlichen Angaben. III. Maritime and commercial International Law. IV. Mutual Rights and Responsabilities of States in time of peace. V. War and its appartenances. VI. Reestablishment of peace.

Belgien kann an Gesammtdarstellungen nur den bereits § 112 erwähnten Abriß von Arnß aufweisen; -- obschon in diesem Lande, infolge des Umstandes, daß die »Revue de droit international« von Rolin-Jaequemyns 1869 und das » Institut de Droit International« 1873 hauptsächlich durch denselben hochverdienten Juristen und Staatsmann gestiftet worden sind, eine verhältnißmäßig nicht unbedeutende Thätigkeit auch auf dem Felde des Völkerrechts herrscht. Der Genter Professor Laurent, der auch als Historiker genannt werden muß, hat ein sehr ausführliches » Droit civil international« geschrieben. In den Skandinavischen Staaten sind beinahe keine das Völkerrecht im Ganzen darstellenden Schriften zu nennen. Eggers ist § 100 unter den Wolffianern erwähnt.

Der bekannte Rechtshistoriker Janus Laurits Andreas KolderupRosenvinge (1792-1850), Professor in Kopenhagen, hat einen guten Grundriß verfaßt, dessen zweite Auflage 1835 erschienen ist. 4)

Die Vorlesungen des Kopenhagener Professors Frederik Kristian Bornemann (1810-1861) sind nach seinem Tode von Professor Karl Goos und dem gelehrten ehemaligen Minister Krieger, mit Noten versehen und herausgegeben worden: »Forelaesninger over den positive Folkereta. Kopenhagen, 1866. Der Norwegischen Uebersetzung von Holzendorff's,,Europäischem Völkerrecht" ist § 115 gedacht worden.

In der Französischen Schweiz ist für das Völkerrecht weiter nichts zu nennen als der ganz kurze Grundriß des Genfer Professors Joseph Hornung (1823-1884): » Résumé des cours de droit public et de droit international 1879;5) während das Internationale Privatrecht von Ch. Brocher (1811-1884) mit großer Sorgfalt behandelt worden ist. 6)

In Ungarn war bis vor Kurzem das Völkerrecht lediglich oder doch hauptsächlich vertreten durch die von Rudolf Werner veranstaltete Uebersehung des Lehrbuchs des Naturrechts" von Schilling (oben § 108). Seit einigen Jahren hat sich jedoch eine größere Thätigkeit entwickelt, Dank den Arbeiten von Kiß, dessen » Europai nemzetközi jog« (Erlau, 1876) meist nach Heffter's Muster verfaßt ist; des Pesther Professors Apathy, welcher unter dem Titel » Tételes europai nemzetközi jog « (1878) Heffter's Buch verarbeitet und ergänzt hat; endlich des Kaschauer Professors Rößler, der 1879 in seinem kleinen aber inhaltsreichen Grundrisse »Bevezetes a tételes nemzetközi jogba« eine genaue Kenntniß der einschlägigen, namentlich Deutschen Literatur kundgiebt.7)

1) Auffallend war auch, daß das Grotius-Jubiläum am 10. April 1883 in nicht gerade würdiger Weise gefeiert worden ist.

2) Ueber die Unfruchtbarkeit der kleineren Länder, insbesondere der Schweiz, auf dem Gebiete der Moral- und politischen Wissenschaften: De Candolle, Histoire des sciences et des savants (2. Aufl. 1885), S. 517.

3) Ueber das nachgelassene Werk des sonst verdienten Gabinus De Wal (1785-1834): »>Inleiding tot de wetenschap van het Europesche Volkenregta 1835, s. Mohl, S. 377. Das Internationale Privatrecht hat in Asser einen sehr gewandten und anregenden Bearbeiter gefunden

4) Mohl, S. 283.

5) Revue, Bd. X, S. 106. Ueber Hornung: Annuaire Bd. IV, S. 30; Revue, Bd. XVI, S. 615.

6) Ueber Ch. Brocher: Revue, Bd. XVI, S. 611. Der dritte Band seines >>Cours de droit international privéa ist nach seinem Tode erschienen. Sehr zu bedauern ist, daß der hervorragende Civilist Pierre Odier, Professor in Genf (1803–1859), einen »Cours de droit des gens«<, den er für Privatvorlesungen ausgearbeitet hatte und dessen Manuscript in meinen Händen ist, nicht dem Drucke bestimmt hat.

Henri Brocher de la Fléchère, auch Professor in Genf, ist Verfasser philosophischer Studien über die Entstehung und die Entwickelung des Rechts, welche sich auch auf das Völkerrecht beziehen.

7) Vgl. Stoert, Revue, Bd. XIII, S. 529.

§ 122.

Russen.

Rußland ist gegenwärtig einer der Staaten, welche dem Völkerrechte die sorgfältigste Pflege zu Theil werden lassen. Doch sind der Gesammtwerke äußerst wenige, ja vollendet und systematisch ist nur eines, von Martens. Die alten Grundrisse von Michael von Skiaden und von Christian von Schloezer (Tables des matières contenues dans la science du droit des gens moderne de l'Europe, fondé sur les traités et la coutume «<, Dorpat 1804)) dürfen hier übergangen werden. Von Bluntschli und Heffter sind Uebersetzungen veranstaltet worden (oben § 113-114). Der Deutsch - Russe Bulmerincq ist unter den Deutschen behandelt. Bis zu Friedrich von Martens, von dem sogleich die Rede sein wird, können nur die folgenden Schriftsteller und Schriften genannt werden:

Besobrasoff: »Des Principes du droit des gens«. Petersburg, 1839. In Französischer Sprache. Die folgenden haben Russisch geschrieben:

Dimitri Ivanowitsch Katchenowski, geboren 1827, gestorben 1872, Professor zu Kharkow, ein vielseitig gebildeter Jurist. Seine,,wissenschaftliche Darstellungen", Kharkom 1863, 1866, sind unvollendet, oder richtiger, sie kommen nicht über die Einleitung. 3)

Michael Kapoustine, geboren 1828, Profeffor in Moskau und Jaroslaw, jezt Director der Universität Dorpat: „Allgemeine Uebersicht der Materien des Völkerrechts", 1856 1859. Kurzes,, Völkerrecht". Jaroslaw, 1873.4)

Stoianow, Professor in Kharkow:,,Skizzen der Geschichte und Dogmatik des Völkerrechts." 1875.5)

Jeht aber ist durch Friedrich von Martens, Professor in Petersburg, die juristische Literatur Rußlands um ein ausführliches, systematisches Handbuch bereichert worden, welches neben den besseren Büchern des Westens genannt zu werden verdient.

Bekanntlich ist Martens Verfasser mehrerer trefflicher Schriften, worunter besonders das „Consularwesen im Orient“ und die „Sammlung der Verträge" mit musterhaft redigirten historischen Einleitungen, hervorzuheben sind. Sein oben genanntes Werk besteht aus zwei Bänden, die in Russischer Sprache 1882-1883 in Petersburg erschienen sind; vom ersten Bande ist eine Französische Uebersetzung (»Traité de droit international, von Alfred Leo, Paris, 1883) und eine Deutsche (,, Völkerrecht. Das Internationale Recht der civilisirten Staaten", von Carl Bergbohm, Berlin, 1883) erschienen.

Die Systematik von Martens, die er seit mehreren Jahren in seinen Vorlesungen bewährt gefunden hat, ist eine eigenthümliche; der Inhalt des Werkes bietet auch Manches dar, welches dasselbe von denen seiner Vorgänger wesentlich unterscheidet. Martens will die realen socialrechtlichen Grundlagen

der internationalen Gemeinschaft, an deren Leben die civilisirten Nationen Theil nehmen, in ihrer geschichtlichen Entwickelung aufdecken“... — „Alle Fragen der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts werden wir von der Idee der internationalen Gemeinschaft aus erörtern. Sie liegt der modernen Völkerordnung zu Grunde und hat in der Völkerrechtstheorie als das oberste Princip zu fungiren, welches alle von derselben vorgetragenen Säße einerseits stüßt und andererseits mit einander verknüpft." Nach Gründung dieses Princips auf reale Thatsachen werden die Staaten betrachtet: ,,einmal als Subjecte des Völkerrechts in ihren gegenseitigen Beziehungen, sodann in ihrem Verhältniß zum Staatsterritorium, endlich als Contrahenten, die internationale Verpflichtungen übernehmen." Dieses Alles bildet den ,,Allgemeinen Theil", welcher somit folgende vier Kapitel enthält: Das Recht der internationalen Gemeinschaft, die Subjecte des internationalen Verkehrs und des Völkerrechts, das Staatsgebiet und die internationalen Verkehrswege, die internationalen Verträge. Dieser allgemeine Theil, dem eine reichhaltige, vorzugsweise geschichtliche Einleitung vorangeht, bildet den Inhalt des ersten Bandes.

Der zweite Band enthält den „Besonderen Theil“, nämlich die Lehre von den,,realen, lebendigen Beziehungen, welche die modernen Culturvölker miteinander verbinden und den Inhalt der internationalen Verwaltung der Staaten abgeben." Dazu rechnet Martens: 1),,die Interessen sowohl ganzer Völker als auch verschiedener Collectivpersonen in Betreff des geistigen Lebens nach seiner religiösen, intellectuellen und ästhetischen Seite; 2) die internationale Verwaltung im Gebiet des physischen Lebens, also der staatlichen, socialen und individuellen Erwerbs- und Wirthschaftsthätigkeit; 3) die Regulirung der bürgerlichen Rechtsordnung und des Rechtsschußes in Betreff aller Staatsangehörigen, die sich in fremden Staatsgebieten aufhalten, durch ordentliches Prozeßverfahren und Gerichtsurtheil (internationales Privat- und Strafrecht). Endlich 4) Kriegsrecht und Neutralitätsrecht."6) Dieser Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts" entspricht theilweise den Ausführungen von Lorenz von Stein in seinen ,,Bemerkungen über das internationale Verwaltungsrecht" (Schmoller's Jahrbuch, 1882, S. 1), denjenigen von Bluntschli in der ,,Organisation des Europäischen Staatenvereins" (Gesammelte kleine Schriften, Bd. II, S. 307), und auch den Andeutungen von Ahrens in seiner Encyklopädie (oben § 108).

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Durch seine eminente Kenntniß des historischen Materials, insbesondere der in dem Russischen Staatsarchive aufbewahrten, bisher mehr oder minder unzugänglichen Urkunden-Schätze war Martens vorzugsweise berufen, mit einer, namentlich in Beziehung auf Rußland und Russische Verhältnisse, ausgezeichneten Arbeit die Wissenschaft des Völkerrechts zu bereichern.

1) Annuaire de l'Institut de droit international, Bd. II, S. 352. Bd. III, S. 416. 2) Kamp, S. 23, 54. Christian v. Schloezer, geb. 1774, gest. 1831, Sohn des August Ludwig Schloezer, war Professor in Dorpat und Moskau, zuleßt

in Bonn. Seine Tables find lediglich Grundriß, Materienrubriken ohne Ausführung, zum Gebrauche der Zuhörer und nach Martens, mit Vorrede und kurzem »coup d'oeil général.<«

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3) Ueber Katchenowski: Rolin-Jaequemyns, Revue de droit international, Bd. V, S. 525. Kamarowski, ebendaselbst, Bd. VIII, S. 389.

4) Ueber Kapoustine: Kamarowski (a. a. D.), S. 388.

5) Ueber Stoianow: Kamarowski (a. a. D.), S. 389.

6) Martens, Deutsche Ausgabe, Bd. II, S. 176. Bulmerincq, Revue, Bd. XIV, S. 444; Bd. XV, S. 630; Schmoller's Jahrbuch, 1883, S. 260; 1884. Geffden, Revue, Bd. XVI, S. 100. Kamarowski, Revue, Bd. XIV, S. 624. Lammasch in Grünhut's Zeitschrift, Bd XI, S. 105: „Friedrich von Martens und der Berliner Vertrag". Ueber Martens: Annuaire, Bd. IV. S. 56.

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§ 123. Griechen.

Als vor beinahe vierzig Jahren Nicolaus Johannes Saripolos aus Larnaka (Cypern), in Athen über Völkerrecht zu lesen anfig, war vor Allem nöthig, eine juristische Sprache für diese in Griechenland noch nicht gepflegte Disciplin zu schaffen. Dieser Aufgabe war der feingebildete Professor wohl gewachsen, der es als eine patriotische Pflicht ansah, sie in der würdigsten Weise zu lösen; dazu schöpfte er aus den Klassikern, vorzugsweise aus Thukydides, bei welchem er die meisten den völkerrechtlichen Begriffen entsprechenden Wörter fand. Im Jahre 1860 hat er sein elegantes, in Griechenland hochangesehenes Lehrbuch veröffeutlicht: »Tà t☎v ¿0væv év sipývy xai év πολέμῳ νόμιμα. 2 δρ. 8°.

Es ist dies meines Wissens das einzige in Griechenland erschienene Originalwerk über das gesammte Völkerrecht und dient heute noch den Studirenden als Hülfsbuch.

Kurze Zeit nachher überseßte der Nachfolger von Saripolos auf dem Lehrstuhle für Völkerrecht, Diomedes Kyriakou, das Heffter'sche Buch oder richtiger die Bergson'sche Französische Uebersetzung desselben, und behielt die von Saripolos geschaffene Terminologie bei.1)

1) Annuaire de l'Institut de droit international, Bd. III, S. 149; Bd. IV, 73. Saripolos, geboren 1817, studirte zuerst Medizin, dann die Rechte in Paris, und war Professor an der Universität Athen 1846-1852 und 1862-1875. Er ist Advocat in Athen.

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