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In den folgenden Paragraphen soll nun eine Uebersicht gegeben werden über die wichtigeren Leistungen unseres Jahrhunderts auf dem Gebiete des positiven Völkerrechts. Diese lassen sich, wie mir scheint, troß vieler Verschiedenheiten doch sämmtlich oder beinahe sämmtlich dadurch charakterisiren, daß sie dem natürlichen und philosophischen Völkerrechte nicht feindlich entgegentreten, dasselbe auch nicht ignoriren wollen, sondern es anerkennen und mehr oder minder berücksichtigen. Die Einen stehen gleichsam auf der äußersten Linie des eklek, tischen Positivismus; Andere errichten ihr positivrechtliches Gebäude auf fester philosophischer Grundlage; Andere wieder vermischen mehr oder minder bewußt das Bestehende mit dem Gewünschten, das Geltende mit dem Idealen, so daß manches anziehende Buch nur mit Vorsicht in die Hand genommen werden darf. Der eklektische Grundzug ist Allen gemeinsam, und so halte ich es für statthaft von ferneren doctrinellen Unterschieden und Abtheilungen in den folgenden Seiten abzusehen.

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Literatur: Kaltenborn, Kritik, S. 137, 173, 183, 196. Bulmerincq, Syste= matik, S. 147, 153, 160, 167. Mohl, Geschichte und Literatur, Bd. I, S. 393.

Friedrich Saalfeld, geboren 1785, war seit 1811 Professor der Philosophie in Göttingen, wo er studirt und promovirt hatte; 1809 war er daselbst als Privatdocent aufgetreten, nachdem er sich 1807 in Heidelberg habilitirt hatte. Er war ein sehr thätiger Schriftsteller und starb 1834.1) Sein legtes Werk war das Handbuch des Positiven Völkerrechts", Tübingen 1833, (391 kleine Octavseiten).

Dieses klar geschriebene Werk zerfällt, außer der Einleitung, in zwei Haupttheile: Das Völkerrecht in Friedenszeiten (von den Staaten, vorzüglich den Europäischen, im Allgemeinen; vom Eigenthumsrechte der Völker; von den Rechten und Verbindlichkeiten der Völker in Betreff der Unterhaltung des freundlichen Verkehrs unter denselben), und das Völkerrecht in Kriegszeiten. Nach dem gleichen Schema, im Allgemeinen, bearbeitet, aber weitere mündliche Ausführungen vorausseßend ist der „Grundriß“. Die Literatur ist in beiden Werken mit Maß und Geschmack berücksichtigt.

Saalfeld's Grundriß „trat auf inmitten der Napoleonischen Universalherrschaft als mahnende Stimme an ein altes, in Vergessenheit gerathenes Institut. Schmalz dagegen schrieb zu einer Zeit, wo das Völkerrecht in seine unverjährbaren Rechte wieder eingesetzt worden war. Er hatte also nicht an das Verlorengegangene zu mahnen und zu erinnern, es lag ihm lediglich ob: den

thatsächlich herrschenden und durch die wichtigen Thatsachen des Wiener Congreßes neu und fester begründeten Zustand wissenschaftlich zu gestalten.“2)

Theodor Schmalz, geboren 1760, gestorben 1831, war Professor in Rinteln und in Königsberg (1788), Director der Universität Halle (1803) und der erste Rektor der Universität Berlin. Er hat sich bekanntlich in vielen Disciplinen hervorgethan, im römischen und deutschen Privatrecht, im öffentlichen Rechte, besonders in den Cameralwissenschaften. 1795 gab er in Königsberg sein berühmtes Naturrecht heraus, welches Jarde als die Wissenschaft des natürlichen Rechts" 1831 neu edirte und worin er sich im wesentlichen als Kantianer zeigt.3) 1804 erschien seine,,Encyklopädie des gemeinen Rechts", wo das Völkerrecht auch berücksichtigt ist.

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In der Vorrede zum „Europäischen Völkerrecht“, geschrieben Berlin, 15. November 1816, sagt er: „Daß ich lediglich auf Gewohnheiten und Gebrauch das Völkerrecht gründe, wird sich aus dem Buch von selbst ergeben. Verträge können es nicht gründen, wohl aber lehren, was die Mächte dabei als Gewohnheitsrecht vorausseßten und also anerkannten.“

Das übersichtlich und gefällig geschriebene Buch, nicht in Paragraphen eingetheilt, wie Schmalz ausdrücklich bemerkt, zerfällt, wie schon der Titel angiebt, in acht Bücher; die Systematisirung ist sehr willkürlich. Buch I: Begriffs= bestimmung und ganz dürftige geschichtliche Einleitung. Buch II: von den Mächten Europa's, von den Völkerrechtsnormen, Verträgen und schriftlichen Verhandlungen. Buch III: Gesandtenrecht. — Buch IV: von den Gebieten der Völker, von den Rechten der Völker gegen einander, die Staatsverfassung betreffend; Verhältnisse in Rücksicht der Rechtspflege und der Staatsverwaltung. Buch V: persönliche Verhältnisse der Souveräne, Recht in Ansehung der Meere, Handel, Unabhängigkeit der Völker. Buch VI: Feindseligkeit, Krieg. ---Buch VII: Verträge, Schließung des Friedens. - Buch VIII: Bündnisse, Neutralität. Der Gebrauch des Werkes ist durch ein alphabetisches Register erleichtert. Literaturangaben fehlen; am Schluß ist eine „Bibliothek des Europäischen Völkerrechts" angehängt.

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Von 1818 bis 1820 erschien zu Rudolstadt, in drei Bänden ein „Syste= matischer Grundriß des praktischen Europäischen Völkerrechts", von Julius Schmelzing.

Dieser Autor, geboren in den achtziger Jahren des leßten Jahrhunderts, scheint seinen persönlichen Verhältnissen nach wenig bekannt zu sein,*) hätte aber ein besseres Schicksal verdient. Er hat während einiger Jahre eine reiche literarische Thätigkeit entwickelt. Er war 1819 und 1820 Regiments-Auditor in einem bayrischen Ulanenregiment

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Der Systematische Grundriß" (3 Theile, ca. 1100 Seiten) wird von Kaltenborn (1847) bezeichnet als,, das vollständigste System des Völkerrechts aus neuerer Zeit". Der Vorrede nach war er bestimmt, „nicht nur als Leitfaden bei academischen Vorlesungen, sondern auch beim Selbstunterrichte gebraucht zu werden." Er entspricht auch diesem Zwecke, besonders durch reich

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haltige Literaturangaben, Der Verfasser war offenbar sehr realistisch gesinnt; nur ein allgemeines, positives, praktisches, Europäisches Völkerrecht" wollte er schreiben; das unpraktische, sogenannte rationale Staats- und Völkerrecht" will er von den Universitäten verbannen; er berücksichtigt vornehmlich die Gegenwart, und die ihm nächstliegenden Verhältnisse. Die meisten zur Unterstüßung oder beispielsweisen Erörterung der Grundsäße des Europäischen Völkerrechts angeführten Geschichtsdaten oder Vertrags- und Geseßesbestimmungen betreffen die Verhältnisse der Deutschen Bundesstaaten und unter diesen zunächst Bayern.“ Also Europäisches, allgemeines Völkerrecht mit particu= laristischem Anstrich: vielleicht liegt darin eine der Ursachen des verhältnißmäßig geringen Erfolges dieses sehr achtungswerthen Buches, dessen Titel übrigens zu bescheiden ist.

Das Völkerrecht zerfällt nach Schmelzing in drei Hauptabtheilungen (nach privatrechtlichem Schema): die rechtlich-politische Persönlichkeit, das Sachenrecht, das Obligationenrecht. Im ersten Theile werden auch die eigentlich zum Völkerrechte nicht gehörigen persönlichen und Familienrechte der Souveräne dargestellt. Im Sachenrechte wird gehandelt von den Erwerbsarten des Völkereigenthums, von den Landesgebieten, von Eigenthum und Herrschaft der See und der Flüsse, von den Benutzungsarten der See und der Flüsse. Im Obligationenrecht werden dargestellt die Befugnisse und Verbindlichkeiten der Völker aus freundlichen Verhältnissen (Gesandtschaftsrecht, Staatsverträge, Handel und Verkehr, schriftliche Verhandlungen der Staaten und Souveräne) und aus feindseligen Verhältnissen (Entstehen feindseliger Verhältnisse, Rechtsverfolgung, Aufhebung durch gütliche Ausgleichung und durch Krieg).

Von Schmelzing wird noch ein „,,Lehrbuch des Europäischen Völkerrechts“, Altona 1821, 8o. angeführt, welches ich aber nicht gesehen habe.

Karl Heinrich Ludwig Poelik, geboren 1772, gestorben 1838, lehrte Geschichte, Moral, Philosophie, Natur- und Völkerrecht, Politik, Statistik in Dresden, Wittenberg, Leipzig. Zu den zahlreichen Schriften dieses fleißigen und fruchtbaren Publicisten, die sich hauptsächlich auf Geschichte und Staatswissenschaften beziehen, gehörte, außer den Abschnitten über Natur- und Völkerrecht und philosophisches Staats- und Staatenrecht im Bande I der ,,Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit" (Leipzig 1823, 2. Aufl. 1827), worin er auf Grundlage der Kant'schen Andeutungen das philosophische Völkerrecht ziemlich vollständig und zugleich sehr selbständig ausbaut "5) (siehe § 105, Note 2), das „Praktische Europäische Völkerrecht, nebst Diplomatie und Staatspraxis", als Band V (1824, 1828) der obenerwähnten,,Staatswissenschaften".

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Kaltenborn erkennt auch in dieser Bearbeitung des Praktischen Völkerrechts ,, den geistreichen Eklektiker auf Grundlage der Kant'schen Rechtsauffassung.“ Mohl (Band I, S. 141-143, 393) behandelt dieses Werk, welchem ein vorübergehender Beifall zu Theil ward, sehr strenge. Auf bleibenden Werth kann es trop geschickter Ausführung keinen Anspruch erheben. Als Bezeich

Handbuch des Völkerrechts 1.

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nung für das Völkerrecht schlägt Pölik,,praktisches Staatenrecht" vor, weil es nicht von den im philosophischen Sinne genommenen Völkern selber geübt wird, sondern von den Regierungen, und zwar der im Europäischen und Amerikanischen Staatensystem bestehenden Reiche und Staaten, weshalb auch seit der Anerkennung der politischen Selbständigkeit der Nord-Amerikanischen Staaten die Benennung,,Europäisches Völkerrecht" zu eng gewesen sei. Für die Seßung des Epitheton,, praktisch" statt,,positiv" wird angeführt, daß es keinen Coder positiver Rechte und Gefeße giebt ... Dieses praktische Völkerrecht sei eigentlich nur ein Abstractum der allgemeinen Grundsäße und politischen Formen aus den in dem wirklichen Verkehre der Europäischen und Amerikanischen Reiche und Staaten seit den drei letzten Jahrhunderten vorgekommenen Verträgen und politischen Vorgängen."6).

1) Saalfeld gab gleich im selben Jahre 1809 neben dem bereits erwähnten Grundrisse den ersten Band des »Recueil historique des lois constitutionelles et des règlements généraux d'administration publiés en France depuis le commencement de la Révolution jusqu'à présenta; 1810 den 2. Band, außerdem ein »Essai sur l'importance commerciale et politique des trois villes libres et hanséatiques de Lübeck, Brême et Hambourg, und die „Geschichte des Portugiesischen Colonialwesens in Ostindien"; 1812, die Geschichte des Holländischen Colonialwesens in Ostindien“, und das „Handbuch des Westfälischen Staatsrechts"; 1813 1814, das Staatsrecht von Frankreich"; in den folgenden Jahren mehrere geschichtliche Werke („Geschichte Napoleon Buonapartes“; „Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit“; Fortseßung der Pütter'schen „,Gelehrten-Geschichte“, Göttingen (1820) u a. m.; auch einen Grundriß zu Vorlesungen über Politik 1821).

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2) Bulmerincq, S. 153.

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3) Ueber Schmalz als Kantischen Naturrechtsschriftsteller: Bulmerincq, S. 79. 4) Die biographischen und literarischen Sammelwerke pflegen Schmelzing zu übergehen. Man hat von ihm ein „Staatsrecht des Königreichs Bayern“, Grundlinien der Physiologie des Staats oder der sogenannten Staatswissenschaft und Politik“, „Betrachtungen über den Begriff und die Wirksamkeit der Landstände, nach den Principien des allgemeinen und natürlichen Staatsrechts“, u. a. m.

5) Ueber Pöliz als Rechtsphilosophen: Bulmerincq, S. 96; Kaltenborn, S. 137. 6) Bulmerincq, S. 168.

§ 112. Klüber.

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Literatur: Mohl, Geschichte und Literatur, Bd. I, S. 393, Bd. II, S. 473. Kaltenborn, Kritik, S. 175. Bulmerincq, Systematik, S. 157. Eisenhart, in der Allgemeinen Deutschen Biographie.

Klüber's unübertroffene und fast unbegreifliche" Kenntniß der staatsrechtlichen Literatur, seine,,Hegemonie im Deutschen Bundesrechte" find allbekannt. Meister war er ebenfalls im Völkerrechte; doch war hier, Dank

hauptsächlich Martens, weniger zu schaffen, daher die Bedeutung Klüber's auf diesem Gebiete eine verhältnißmäßig minder hervorragende genannt werden muß. Immerhin hat er seine Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgänger verdunkelt, was man namentlich in Beziehung auf Schmelzing bedauern darf. Klüber's ,,Völkerrecht", zuerst erschienen Stuttgart 1819 als » Droit des gens moderne de l'Europe, par Jean-Louis Klüber, avec un supplément contenant une bibliothèque du droit des gens«, erschien in Deutscher Sprache 1821 als „Europäisches Völkerrecht", in Griechischer Sprache (von Klonaras) 1822, Russisch (von Lyslow) 1828; eine neuere Deutsche Ausgabe hat der mehr begabte als fleißige Professor Karl Eduard Morstadt (geb. 1815, gest. 1850) besorgt, die erst nach seinem Tode 1851 erschienen ist. Die lette Französische Ausgabe hat 1874 der Elsässer August Ott, Nationalöconom und Publicist, veranstaltet.

Vielfach ist das Klüber'sche Völkerrecht academischen Vorlesungen zu Grunde gelegt worden, auch auf nicht Deutschen Hochschulen, so während langer Jahre und noch 1884 in Brüssel, wo der besonders als Civilist namhafte Aegidius Arng (1812-1884) ein kurzes, aber inhaltreiches Compendium wesentlich nach Klüber herausgegeben hat, worin die Belgischen Verhältnisse sorgfältig berücksichtigt sind (»Programme du cours de droit des gens fait à l'université de Bruxelles « 1882). 1)

Dieses dauernde Ansehen ist wohl verdient. Klüber's Völkerrecht, eine Frucht des reifen Alters, reichster Erfahrung, bewundernswürdiger Belesenheit, ist freilich in systematischer Hinsicht mangelhaft;") doch ist der Plan überfichtlich.

Nach einem Vorbereitenden Titel", worin abgehandelt werden Begriff, Abtheilung, Quellen, verwandte und Hülfswissenschaften, Culturgeschichte und Literatur des Völkerrechts, folgt als erster Theil die Lehre von den Staaten überhaupt (Begriff, Souveränetätsverhältnisse, Vereinigung der Staaten) und von den Europäischen Staaten insbesondere; dann, als zweiter Theil, die Lehre von den Rechten der Europäischen Staaten unter sich, wobei die noch von Arnt beibehaltene Eintheilung der Rechte in unbedingte (absolute) und bedingte (hypothetische) zu Grunde gelegt wird. Unter der Rubrik der bedingten Rechte wird gehandelt,,von den Rechten in Absicht auf friedliche Verhältnisse (Recht des Staatseigenthums, Recht der Verträge, Recht der Unterhandlungen, insonderheit durch Gesandte); als bedingte Rechte,,in Absicht auf feindliche Verhältnisse" gelten das Recht des Krieges, das Recht der Neutralität, das Recht des Friedens.

Die Schreibart ist einfach, bestimmt, ächt juridisch. Eine Fülle von Literaturangaben und von geschichtlichen Nachweisen findet man in den zahlreichen Anmerkungen.

Die Tendenz Klüber's, welche vom abstracten philosophischen Standpunkte aus etwas absprechend beurtheilt zu werden pflegt, giebt sich am Besten in einigen Citaten kund, die ich der Morstadt'schen Ausgabe entnehme. Sein Ver

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