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dener Staaten in ihren Beziehungen unter einander zu verfolgenden Sonderzwecke. Oberstes Princip ist das Princip des Rechts. Das positive Völkerrecht schließt sich an das philosophische an. Die völkerrechtlichen Verhältnisse werden bestimmt von den natürlichen, religiösen, geistigen, sittlichen, wirthschaftlichen Verhältnissen. Auch mit der Systematik beschäftigt sich Ahrens, welcher wohl bezeichnet werden kann als der für das Völkerrecht wichtigste Rechtsphilosoph der neueren Zeit.

Friedrich Adolf Schilling (1792 1865), Profeffor in Halle, Breslau, Leipzig, auch als Civilist bekannt, hat eine Skizze des Völkerrechts gegeben im,,Lehrbuch des Naturrechts oder der philosophischen Rechtswissenschaft.“ Leipzig 1859-1863.4)

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Als Eklektiker mögen noch genannt werden: Leopold August Warnkönig (1794-1866), Professor in Lüttich, Löwen, Gent, Freiburg, Tübingen, welcher in seiner 1839 erschienenen Rechtsphilosophie oder Naturlehre des Rechts", S. 434f., das Verhältniß gegenseitig sich anerkennender Völker als ein juristisches auffaßt5); Immanuel Hermann von Fichte (17971879), Professor in Bonn und Tübingen, welcher im,,System der Ethik" (Thl. II, Abth. 2) 1850-1853, das Herbart'sche Princip des Wohlwollens und der Billigkeit mit dem Ahrens'schen Rechtsprincipe verknüpft;6) — endlich Adolf Trendelenburg (1802-1872), Professor in Berlin seit 1833, welcher am Schluß des zweiten Theils seines,,Naturrechts auf dem Gebiete der Ethik" (Leipzig 1860, 1868), §§ 218-235, unter dem Titel „, Völker und Staaten" das Völkerrecht behandelt. Im Jahre seines Todes hat auch Trendelenburg, an Kant's,,Ewigen Frieden" anschließend, eine geistreiche Schrift:,,Lücken im Völkerrechte" veröffentlicht.

Stahl hat das Völkerrecht unerörtert gelassen.

1) Bulmerincq, S. 117.

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2) Ueber Ahrens: von Holzendorff, in der Revue de droit international, Bd. VII, S. 125. Ahrens wurde gleich bei der Stiftung des Instituts für Völkerrecht zum Mitgliede desselben ernannt. Mit Recht sagt von ihm Holzendorff: »La philosophie du droit des gens... se souviendra toujours d'Ahrens comme d'un de ses plus habiles interprètes. La profondeur philosophique du génie allemand alliée à l'heureuse lucidité de l'esprit français forme le caractère distinctif et le principal mérite de notre regretté collègue.... Il a contribué pour une large part à l'étude des rapports scientifiques du droit positif avec les idées universelles de la justice«.

3) Mir liegt die (7.) Französische Ausgabe, Leipzig 1875, vor. Ueberdem find viele Ueberseßungen in Italienischer, Spanischer, Portugiesischer, Polnischer, Ungarischer Sprache.

4) S. unten § 121 (Ungarn).

5) Bulmerincq, S. 123.

6) Bulmerincq, S. 126.

§ 109.

Englische und Schottische Philosophen.

Nur von dreien soll hier die Rede sein, welche außer der Sprache fast nichts gemein haben, übrigens in Beziehung auf das Völkerrecht von ganz ungleicher Bedeutung sind. Der Eine, ein theilweise auf dem Festlande gebildeter Schottischer Denker und Lehrer, hat das Studium des Natur- und Völkerrechts zur Hauptaufgabe seines Lebens gemacht, während die Anderen sich mehr als Dilettanten in geistreicher Weise über das Völkerrecht ausgesprochen haben, und bei Manchen auch gar nicht als Völkerrechtsphilosophen gelten. Diese beiden sind unter sich wieder ungleich; Bentham steht höher als Mackintosh.

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,,Es ist zu bedauern", sagt Mohl, 1),,daß Bentham dem Völkerrechte keine gründlicheren und ausführlicheren Erörterungen gewidmet hat. Gerade hier wäre seine scharfe Logik und seine das allgemeine Glück der Menschen bezweckende Richtung vorzugsweise an der Stelle gewesen, und bei der noch so geringen Durchbildung der lezten Zwecke und des Systems hätte er große Dienste leisten können." Als er die » Principles of International Law << zwischen 1786 und 1789 schrieb, stand Jeremy Bentham (geboren 1748, gestorben 1832) auf dem Höhepunkte seines Talents. Er hatte bereits wichtige Schriften veröffentlicht, das » Fragment on Government «, die,,Apologie des Wuchers". Die Principles wurden aber erst nach seinem Tode gedruckt, in der unter Bowring's Leitung veranstalteten Gesammtausgabe seiner Schriften (1843, Band II, S. 535). Ohne deren Werth zn überschäßen, fällt Mohl folgendes Urtheil: Es ist nicht möglich, ein bezeichnenderes Muster von der staunenswerthen analytischen Kraft, der enge geschlossenen Logik, der völligen Furchtlosigkeit selbst vor einer Absurdität der Folgefäße, der Gedrängtheit der Worte und Gedanken Benthams aufzuweisen, als diese kleine Arbeit... Wer den Mann etwa noch nicht kennen sollte, der kann ihn hier in seiner ganzen Eigenthümlichkeit vor sich sehen. Auch sein Nüglichkeitsprincip zeigt sich in völliger Starrheit und Unzureichenheit." Bentham will übrigens kein System geben, sondern nur die materiellen Grundlagen des Völkerrechts, wie er sich dasselbe denkt, formuliren, als: Objecte des Völkerrechts, Subjecte, Ursachen und Wirkungen des Krieges, und die Mittel zum ewigen Frieden. Objecte sind ihm,,Erstrebung des allgemeinen Nußens im Verkehre unabhängiger Staaten, und, im Falle eines Krieges Herbeiführung des möglichst geringen Unglückes."

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Angehängt haben die Herausgeber, unter dem Titel »Junctiana Proposals«<, den, wie es scheint 1822 (oder 1825) geschriebenen Vorschlag einer Durchstechung des Isthmus von Panama durch eine Actiengesellschaft,,Junctiana“, infolge allgemeinen Vertrags, als Anwendung der Principien.

In seinem hohen Greisenalter (1827-1830) hat sich Bentham abermals

mit Fragen des Völkerrechts beschäftigt, wie zu ersehen ist aus gewissen bisher unedirten Aufzeichnungen, die er Jabez Henry, dem Autor einer guten Schrift über internationales Privatrecht, anvertraute. Einzelne von diesen Aufzeichnungen hat Nys bekannt gemacht; sie bilden den Präliminartitel des vom geistreichen Rechts- und Staatsphilosophen geplanten Völkergesetzbuches. Die Gleichheit der Staaten wird als Dogma vorangestellt (Art. 1, Art. 2: The equality of all is hereby recognised by all).2)

Wesentlich ist die Einführung des Wortes »International Law«, die von 3ouch, wie oben (§ 90) gesagt worden ist, angebahnt, von Bentham aber glücklich zu Stande gebracht worden ist.

Eine 1797 gehaltene Antrittsrede zu Vorlesungen des berühmten, auf verschiedenen Gebieten tüchtigen Sir James Mackintosh (1765-1832) ist in merkwürdiger Weise überschäßt worden. Man hat dieselbe ins Französische übersetzt und verschiedenen Auflagen Vattels beigegeben. Sie enthält geist= reiche Aperçus, ist aber im Ganzen für die Wissenschaft des Völkerrechts werthlos. 3)

Für den gelehrten, theilweise in Genf, Berlin, Bonn gebildeten, doch bei weitem Blicke ächt nationalen Schotten, James Lorimer, geboren 1818, seit 1862 Professor des Staatsrechts und des Natur- und Völkerrechts in Edinburgh, ist the Law of Nations the Law of Nature, realised in the relations of separate political communities. Dieses Princip entwickelt er hauptsächlich in seinem zweibändigen Werke: »Institutes of the Law of Nations, a treatise of the jural relations of separate political communities « (Edinburgh und London, 1883-1884), welches von Ernst Nys, Professor und Richter in Brüssel, geboren 1851, mit großem Geschicke in französischer Sprache resumirt worden ist, unter dem Titel: »Principes de droit international«<, Brüssel 1884.4)

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Lorimer steht in völligem Gegensaße zu Bentham. Er ist ein Vertreter der Schottischen Common Sense Schule und hat seine Ansichten, welche durch William Hamilton ihre vorzügliche Entwickelung erhalten, zuerst entwickelt in den Institutes of Law, a treatise of the principles of jurisprudence as determined by Nature « (1872, 2. Aufl. 1880). Er geht aus vom kosmic character of existence, or in other words, its absolute rectitude.<< ,,Die Naturgesetze, welche die menschlichen Beziehungen beherrschen, sind nothwendig, unvermeidlich; materiell können sie freilich verlegt werden, sie bleiben aber nichtsdestoweniger Geseze. Ihr Charakter ist unveränderlich; doch das Erfüllen oder Nichterfüllen ist menschliche Willenssache. Sie sind zwar nicht Muß-Gesetze, wohl aber Soll-Gesetze."

Grundcharakter des Völkerrechts ist, daß dieses Recht die Verwirklichung der Freiheit der Völker ist durch die Bestätigung und Anerkennung ihrer wirklichen gegenseitigen Macht. L'interdépendance, heißt es im Vorworte der französischen Ausgabe, S. XI, »non la dépendance, telle est la conception

de liberté que le droit cherche à réaliser. Des entités interdépendantes doivent s'assister mutuellement si elles veulent jouir de la liberté dans leur sphère respective. « Folglich begreift das Völkerrecht drei Hauptlehren: die Lehre von der Anerkennung, die Lehre von den normalen Verhältnissen, welche aus der Lehre der Anerkennung entspringen, und die Lehre von den aus derselben Anerkennungslehre entstehenden anomalen Verhältnissen. Grundbegriff der Lehre von der Anerkennung: sämmtliche Rechte und Verbindlichkeiten haben ihren Ursprung in den Thatsachen des natürlichen Lebens. Die Lehre ist die des Staatslebens selbst, seiner internationalen de facto Existenz.

Die normalen Verhältnisse oder Beziehungen sind die Verhältnisse in Zeiten des Friedens.

Anomal sind die Beziehungen in Kriegszeiten: zwischen den Kriegführenden, zwischen Kriegführenden und Neutralen, zwischen den Neutralen. Da die aktiven Pflichten den passiven vorgehen, geht Intervention der Neutralität vor, welche zu den anomalen Verhältnissen gehört. Nach Lorimer, und hier stimmt er mit Bentham überein, soll der Staat vor Allem bestrebt sein, die internationalen Verbrechen zu verhüten, die internationalen nüßlichen Werke zu fördern. Als den Thatfachen widersprechend bekämpft Lorimer das Princip der Gleichheit unter den Staaten. Wie Kant, wie Bentham, entwirft er auch den Plan eines internationalen Staatsorganismus.

1) Mohl, Bd. I, S. 384.

2) Nys, Notes inédites de Bentham sur le droit international. Quarterly Law Review 1885.

3) Mohl, S. 371. Unbegreiflich ist die übergünstige Art, in welcher Wheaton diese Rede beurtheilt. Die Rede von Mackintosh ist von Royer-Collard übersett worden.

4) Ueber diese Bearbeitung äußert sich Lorimer selbst, in der Vorrede, wie folgt: Le présent livre) n'est pas, à proprement parler, une traduction de mes Institutes of the law of nations. Mon ami et collègue de l'Institut de droit international, M. Ernest Nys, a bien voulu se charger de résumer l'ouvrage anglais, et il l'a fait avec un succès que je tiens à reconnaître. Les Principes de droit international renferment toute la substance des deux volumes de l'édition originale. Les exemples, quelques notes et citations, des pièces justificatives ont disparu; mais l'argumentation est demeurée intacte et la quintessence de la doctrine est reproduite avec une scrupuleuse fidélité.<<

Siebentes Kapitel.

Der neuere philosophische und eklektische Positivismus.

§ 110. Vorbemerkung.

Die Zeiten der Französischen Revolution und des ersten Napoleon waren der Völkerrechtswissenschaft nicht günstig. Viele Einzelfragen, auch ganze Ge= biete wurden zwar in werthvollen Monographien erörtert, namentlich das Seehandels- und Seekriegsrecht und die Rechte der Neutralen; allein zum Ausarbeiten von wissenschaftlichen Gesammtdarstellungen, zum Aufstellen von Rechtssystemen in einem Augenblicke, wo alles Recht mit Füßen getreten wurde, nur das Recht des Stärkeren zu gelten schien, dazu gehörte eine geistige Unverdrossenheit und ein sittlicher Muth, die nur Wenigen beschieden sind. Obschon nun ein Kant, ein Fichte und andere Philosophen an ihren naturrechtlichen Lehren weiter bauten, ein Martens unentwegt fortarbeitete, Gérard de Rayneval und einige Franzosen im naturrechtlichen Sinne schrieben, auch mehrere in verschiedenen Ländern, inmitten des Kriegslärms vom ewigen Frieden träumten, - war es im Ganzen doch eine unfruchtbare Periode, und die Ursache liegt auf der Hand.

Jenen geistigen und sittlichen Muth, von dem ich eben sprach, hatte auch und besonders der Göttinger Lehrer Friedrich Saalfeld, welcher 1809 seinen Grundriß eines Systems des Europäischen Völkerrechts zum Gebrauche academischer Vorlesungen" herausgab.

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Sobald aber die Napoleonische Herrschaft gestürzt war, folgten verschie dene Werke, namentlich in Deutschland, rasch auf einander. Schmalz's ,,Europäisches Völkerrecht in acht Büchern" erschien 1817; Schmelzing's ,,Grundriß" 1818-1820, dessen Lehrbuch" 1821; Klüber's erste Auflage 1819; Pölig's Praktisches Europäisches Völkerrecht" 1823. 1830 kamen die das Völkerrecht betreffenden Bücher von Zachariä (oben, § 105) und von Pinheiro-Ferreira (§ 106) heraus, 1833 das,,Handbuch des positiven Völkerrechts" vom bereits genannten Saalfeld. 1826 war jenseits des Weltmeeres der erste Band der Kent'schen »Commentaries « gedruckt worden. Whea ton's >>Elements« erschienen 1836, Manning's Commentaries on the law of nations 1839, Heffter's Europäisches Völkerrecht 1844. Gegenwärtig vergeht kein Jahr, das nicht neue, meist wichtige Arbeiten aufzu= weisen hätte.

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