Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

halbes Jahrhundert verstreichen, bis er in den,,Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" (1797, richtiger 1796) seine Doctrin des Völkerrechts auseinandersetzte; vom Ideal des ewigen Friedens hat er seit den achtziger Jahren geschrieben. In den „Metaphysischen Anfangsgründen“ ist nur eine Skizze des Völkerrechts enthalten, welche auch einzeln in französischer Uebersetzung herausgegeben worden ist. 1) Wie Grotius, geht Kant vom Kriege aus, welchen er aber als Naturzustand der Völker auffaßt, an dessen Stelle der Rechtszustand des Friedens treten soll. Dazu ist die Vereinigung der Menschheit zum Völkerstaat erwünscht und, wie der (ausdrücklich als unausführbar erklärte) ewige Friede, zwar nicht in vollem Maaße erreichbar, aber doch einer fortwährenden Annäherung fähig. Diese Annäherung bildet die Grundtendenz der völkerrechtlichen Auffassung Kant's.

Den Namen Völkerrecht will er durch,,Staatenrecht", jus publicum civitatum, erseßen. Die Beziehungen des Völkerstaats zu den Völkern, die nicht dazu gehören, werden geregelt durch das „Weltbürgerrecht“, jus cosmopoliticum, welches mit dem Staatsrecht und dem Staatenrecht das öffentliche Recht bildet, und eigentlich seinem Inhalte nach nur im (völkerrechtlichen) Rechte auf Verkehr besteht. Kant's Auffassung des Rechtes hat bekanntlich besonders bei den Juristen Anklang gefunden. Die Rechtsauffaffung der meisten Practiker der Gegenwart", schrieb Kaltenborn 1847, scheint noch kantianisch zu sein." Von den Schriftstellern über Naturrecht und natürliches Völkerrecht, welche als Kantianer gelten, nenne ich nur die Folgenden:

"

Der ausgezeichnete Civilist Gottlieb Hufeland (1760-1817), Profeffor in Jena, Würzburg, Landshut, Halle: Lehrfäße des Naturrechts" (1790, 1795).2)

"

Joh. Heinrich Abicht, 1762-1816, Professor in Erlangen und Wilna: ,,Kurze Darstellung des Natur- und Völkerrechts", 1795.

Johann Christoph Hoffbauer, 1766-1827, Professor in Halle, veröffentlichte schon 1793 sein,,Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt". 4. Aufl. 1824.

Karl Heinrich (von) Gros, 1765-1840, Professor in Erlangen und Halle, Würtembergischer Geheimrath und Präsident des obersten Gerichtshofes in Stuttgart, giebt in seinem,,Lehrbuche der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts" (1802, oft aufgelegt), einen kurzen, aber hübschen Abriß des,,natürlichen Völkerrechts" als dritten Haupttheil.

Leonhard Dresch, 1786-1836, Privatdocent in Heidelberg, gab 1810 eine,,Systematische Entwickelung der Grundbegriffe und Grundprinzipien des gefammten Privatrechts, der Staatslehre und des Völkerrechts". Darauf wurde er Profeffor in Tübingen; 1822 in Landshut, dann in München.

Daß Kant's Rechtsauffassung mehrere der in den nächsten Abschnitten behandelten Positivisten (Schmalz, Pölik, Klüber) beeinflußt hat, erhellt schon aus dem eben Gesagten. Hier soll nur von dem größten unter den Kantianer Rechtslehrern die Rede sein, dessen völkerrechtliches Werk als vollständig lan

"

tianisch bezeichnet werden darf, nämlich von Karl Salomon Zachariae. Bekanntlich war Zachariae, geboren 1769, gestorben 1843, Profeffor zuerst zu Wittenberg, dann von 1807 an in Heidelberg, als Civilist hervorragender denn als Staatsrechtslehrer; am wenigsten ist sein Völkerrecht zu loben. Dieses erschien 1830 in den,,Vierzig Büchern vom Staate" (Bd. IV, Abthl. 1, Bd. V der zweiten Auflage 1841): „Von dem Rechte des Krieges und des Friedens oder von den Verhältnissen unter Völkern, welche im Stande der Natur leben; Ver einigung der Völker zu einem Völkerstaate; Weltbürgerrecht." Nach Kaltenborn ist hier das Verdienst nur in der breiteren und zugleich geistreich interessanten Ausführung der Kant'schen Hauptsäße zu suchen“.. -,,wir sind nicht im Stande gewesen", fügt Kaltenborn hinzu,,,oberste Grundsäße zu entdecken, noch systematische Deductionen der Einzelnheiten zu verspüren“. Das Verhältniß des (natürlichen) Völkerrechts zum Naturrecht wird von Zachariae so aufgefaßt:,,Beide sind nicht den Grundsäßen oder ihren Theilen nach, sondern nur den Subjecten nach, von deren Rechtsverhältnissen sie handeln, von einander verschieden." Im Ganzen läßt sich nach Kaltenborn ,, diese Zachariae'sche Arbeit als eine geistreiche Verflachung der Kantschen Rechtsansicht bezeichnen." - Mohl urtheilt auch strenge, doch mit untermischtem Lob. Einzelne Kapitel hält er für höchst bedeutend, die reiche Frucht des Studiums eines ganzen Lebens, so z. B. das sogenannte Staatenrecht. Davon nicht zu reden, daß fast jede Seite irgend einen geistreichen Gedanken oder eine gelehrte Hinweisung giebt."3)

Außerhalb Deutschlands mögen noch als Kantianer citirt sein: die Sta= liener P. Baroli, Professor der Philosophie in Pavia, und P. Tolomei in Padua, deren Schriften von Mohl erwähnt und gewürdigt werden, *) und der Belgier Pierre Joseph Destriveaux, 1780-1853, Professor in Lüttich, dessen früher überschäßtes, jezt gänzlich verschollenes »Traité de droit public<< (Brüssel 1849) ein gewöhnliches Compendium des Völkerrechts auf Kant'scher Grundlage enthält. 5)

1) » Traité du droit des gens, dédié aux puissances alliées et à leurs ministres, extrait d'un ouvrage de Kant.« Paris 1814. Kant's Völkerrecht ist charakterisirt von Zeller; von Kaltenborn, S. 133; von Bulmerincq, S. 82. Eine kurze Charakteristik der Kant'schen Naturrechtslehre giebt Geyer in von Holzendorff's Encyklopädie, Bd. I, S. 23. S. 32 wirft Geyer einen Blick auf die völkerrechtlichen Ausführungen der neueren Naturrechtslehrer. Die Metaphysischen Anfangsgründe“ finden sich im IX. Bande der Gesammtausgabe von Kant's Werken, von Rosenkranz und Schubert.

"

2) Hufeland ist als Kantianer zu bezeichnen, troßdem seine „Lehrsäße“, wie das „Naturrecht“ von Hoffbauer und wie das „Recht der Natur“ von Schmalz, vor den ,,Metaphysischen Anfangsgründen" erschienen sind. Als Kantianer nennt Kaltenborn (S. 137): Hufeland, Schaumann, Hoffbauer, Heydenreich (1764 -1801), Schmid (1761-1812), Jakob (1759-1827), Abicht, Mellin (1755 -1825), die bereits vor dem ersten Abdrucke der Kant'schen Rechtslehre schrieben;

sodann Tieftrunk (1759 — 1837), Stephani, Gros, Fries, Maaß (1766 — 1823), Schmalz, Gerlach, Bauer, Dresch, Krug (1770-1842), „,im Allgemei nen auch von Droste-Hülshoff und Andere.“ Von ihnen Allen sagt er: „Sie er heben sich fast gar nicht über Kant und begnügen sich, einen gewissen Zusammenhang unter den einzelnen Materien zu Stande zu bringen, das Ganze klarer und bestimmter zu faffen, oder auch eklektisch, dabei aber ganz willkürlich auszuschmücken.“

Bulmerincq handelt von Hufeland, als Systematiker S. 78, von Schmalz · S. 79, von Gros S. 91, von Pöliß S. 93; Kaltenborn von Hufeland, Schmalz, Jacob, Hoffbauer, Gerlach, v. Droste-Hülshoff S. 280 283; von Pölik S. 137.

Schmalz ist hauptsächlich als Positivist von Bedeutung und wird als solcher im § 111 besprochen werden. Desgleichen der weniger bedeutende Pöliş.

Eine eigene Stellung hat der frühzeitig gestorbene, hochbegabte Hermesianer Clemens August, Freiherr v. Droste-Hülshoff (1793-1832), Profeffor in Bonn, in seinem „Lehrbuch des Naturrechts“ (1823, 1831) eingenommen. Er zieht darin, nach Kaltenborn's (S. 308) Ausdruck, „mit aller ihm eigenthümlichen Schärfe und Pikanterie gegen die Läugner des Völkerrechts siegreich zu Felde."

Unbedeutend ist das gegen Kant opponirende, aphoristische, prätentiöse Werkchen von Wilhelm Kern (von 1806-1815 Privatdocent in Göttingen): „Theorie des (allgemeinen) Völkerrechts", Göttingen 1803.

Für Kern ist das sonderbarste aller Rechte" unstreitig das Völkerrecht,,,ein Zwitterrecht, ein Amphibienrecht, ein Halbrecht, ein Zweig oder vielmehr eine Anwendung des Naturrechts, das in seiner Anwendung formlos herumläuft u. s. w.

3) Mohl, Geschichte und Literatur, S. 389. Kaltenborn, S. 139. Bulmerincq, S. 99.

4) Nach Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, S. 388, ist das philosophische Völkerrecht in Bd. V und VI des »Diritto naturale privato e publico des Baroli (Cremona 1837) „in seiner ganzen Art fast Deutsch"; während im »Corso elementare di diritto naturale e razionale« von Tolomei (Padua 1848) ein Abschnitt über Völkerrecht enthalten ist, wozu „Vattel den Stoff, Kant die Philosophie liefert", und in welchem übrigens nur die allerelementarsten Begriffe" zu finden sind,,,ohne gründliche Ausführung oder tiefere Auffassung."

5) Ueber Destriveaux, Mohl, S. 390, und Lütticher »Liber Memorialis<, C. 197.

§ 106. Fichte.

Literatur: Zeller, Geschichte der Deutschen Philosophie, S. 500. Kalten: born, Kritik, S. 142. Bulmerincq, Systematik, S. 86.

Johann Gottlieb Fichte, geboren 1762, gestorben 1814, gab in der ,,Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, oder angewandtes Naturrecht" (1796-1797), als zweiten Anhang des Naturrechts, einen Grundriß des Völker- und Weltbürgerrechts" heraus, worin das Völkerrecht eben nur als angewandtes Naturrecht erscheint, indessen vollständiger behandelt wird als von Kant.

.

Eubjecte des Völkerrechts sind, nach Fichte, nicht die Völker oder Staaten, sondern die einzelnen Staatsbürger. Die Unabhängigkeit der Staaten, deren Nothwendigkeit er hervorhebt, die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung, das gegenseitige Aufsichtsrecht, gründet er auf Vertrag. Das Weltbürgerrecht hat zum Gegenstand das Recht des zu keinem der vertragsmäßig verbundenen Staaten · gehörenden Bürgers.

Fichte hatte im Völkerrechte wenig Anhänger. Seiner Lehre mehr als der Lehre Kant's scheint sich indessen angeschlossen zu haben der bereits bei Vattel und bei Martens genannte Silvester Pinheiro Ferreira, der in Portugal Minister war, hernach lange in Paris privatisirte. Dessen philosophisches Völkerrecht ist enthalten im » Cours de droit public interne et externe«, Bd. I, Paris 1830, wie es auch in seinen Noten zu Vattel und Martens erkennbar ist. 1)

1) Ueber Pinheiro Ferreira: Kaltenborn, S. 130. Mohl, S. 390. Oben § 99 und § 104, Note 7.

§ 107. Hegel

Literatur: Kahle, Darstellung und Kritik der Hegel'schen Rechtsphilosophie. Berlin 1845. Analyse der Hegel'schen Lehre vom Völkerrecht

S. 150. Bulmerincq, Systematik, S. 87.

Kaltenborn, Kritik,

Die Hegel'sche Lehre vom Völkerrechte ist enthalten in den „Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriß“, 1817 zuerst kurz in der „Encyclopädie der Staatswissenschaften“, dann ausgeführt und erweitert 1821, 1833, 1840. Seit 1818 war Hegel Professor in Berlin, und noch lange nach seinem 1831 erfolgten Tode war sein Einfluß groß auch in den juristischen und Verwaltungskreisen Preußens. Gans, der die Ausgabe von 1833 besorgte, hat den Hegelianismus auf die Rechtsgeschichte angewendet; Oppenheim auf das Völkerrecht. Doch ist gerade das Völkerrecht eine schwache Seite der Hegel'schen Rechtsauffassung.

Das Völkerrecht ist,, äußeres Staatsrecht" und wird in Hegel's Rechtssystem neben dem innneren Staatsrechte und der Weltgeschichte (die Weltgericht ist) eingereiht. Oberster Grundsatz des Völkerrechts ist Selbständigkeit der einzelnen Staaten und deren gegenseitige Anerkennung. Der Kant'sche Völkerstaat wird verworfen; jedem Staat ist das eigene Wohl im Verhältniß zu den Anderen höchstes Gesetz, die internationale Gemeinschaft ist etwas Willkürliches. Die Grundfäße des Völkerrechts sind blos Sollgesete.

Als Hegelianer, welche für das Natur- und Völkerrecht von einiger Bedeutung sind, werden, neben Oppenheim (unten § 115), Biter, Kahle und

Besser genannt. Heute scheint sowohl des Ersteren,,System des natürlichen Rechts" (1845) als des Lehteren,,System des Naturrechts" (1830) in Vergessenheit gerathen zu sein. In Kahle's,,Speculativer Staatslehre oder Philosophie des Rechts" (1846) wird das ,,Verhältniß der einzelnen Staaten zu einander" erörtert und der Staatenbund empfohlen. 1)

-

1) Ueber Friedrich Bißer, Bulmerincq, S. 113. Ueber Kahle, Bulmerincq, S. 115. Auch bei Heffter ist Hegel's Einfluß wahrnehmbar. Ahrens sagt, daß Heffter den besseren, die objectiven Verhältnisse umfassenden Geist der Hegel'schen Philosophie in sich aufgenommen hat.

$ 108.

Andere Deutsche Philosophen. Ahrens.

Herbart (1776-1841) hat sich in seiner Analytischen Beleuchtung des Naturrechts und der Moral" (1836), nur andeutungsweise und fragmentarisch über das Völkerrecht ausgesprochen.

"

Es genüge hier hervorzuheben, daß nach ihm das Rechtsgeseh dem Sittengefeße in seiner Anwendung auf das Aeußere gleich ist, daß die Liebe zum Einzelnen zum allgemeinen Wohlwollen erhöht werden soll, und hiermit eine solche Gemeinschaft gestiftet werden, daß sie dem Auge des Allgütigen gefallen könne; daß Billigkeit und Wohlwollen an Stelle des Rechts als Principien für Völkerrechtsconceffionen gefordert werden."1)

"

Von Krause (1781-1832) sind auf das Völkerrecht bezüglich die Vorschläge zu einem Europäischen Staatenbunde,,,als Grundlage des allgemeinen Friedens..", welche er in den Deutschen Blättern" 1814 veröffentlichte; früher hatte er einen „Menschheitbund“ anbahnen wollen, der sich sogar auf die Planeten erstrecken sollte. Von seinem „Abriß des Systems der Rechtsphilosophie" (1826), wie von seines Schülers Röder (1806-1880),,Grundzügen des Naturrechts" (1846), ist in Beziehung auf Völkerrecht wenig zu sagen.

«

Wichtig dagegen ist Heinrich Ahrens, 2) geboren 1808, gestorben 1874, Professor in Brüssel, Grah, Leipzig, Krause's bedeutendster Schüler. Er gab 1839 sein,,Naturrecht", » Cours de droit naturel heraus, welches in verschiedenen Sprachen zahlreiche Ausgaben hatte, 3) und worin im Buche III ein Ueberblick über das Völkerrecht gegeben wird. Auch in der Juristischen En= cyklopädie oder organischen Darstellung der Rechts- und Staatswissenschaft auf Grundlage einer ethischen Rechtsphilosophie" (1855-1857; übersetzt in's Spanische, Italienische, Französische, Russische, Polnische) wird ziemlich eingehend und sinnreich vom Völkerrechte gehandelt. Das,,öffentliche Völkerrecht" wird bezeichnet als der Inbegriff der Normen für den von jedem Volk in seinen Gesammtverhältnissen zu erstrebenden Gesammtzweck, das „Privat-Völferrecht" als der Inbegriff der Normen für die von den Einzelnen verschie

« ZurückWeiter »