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Es kann auffallen, daß Grotius von seinen Vorgängern auf dem Gebiete des Völkerrechts nur sehr wenig und etwas geringschäßig spricht.5)

Manches Andere, Wichtigere, ist an dem Werke auszusetzen: einige Unsicher heit in mehreren Begriffsbestimmungen und in der Terminologie; noch weit mehr eine von unserem Standpunkte aus mangelhafte Systematik. 6) Die weitläufigen Abschweifungen auf die Gebiete des Naturrechts und des allgemeinen Staatsrechts wird man Grotius nicht vorwerfen, wenn man beachtet, daß der Titel diese Gebiete umfaßt: »in quibus jus naturae et gentium, item juris publici praecipua explicantur.

Der Plan des Werkes ist im Kurzen folgender 7):

Im ersten Theile wird geprüft, Quid bellum, quid jus und an bellare unquam justum sit. Der Privatkrieg wird vom öffentlichen unterschieden, welchen eigentlich nur die höchste Staatsgewalt führt: hier werden staatsrechtliche Fragen von summum imperium und von Kriegen der Unterthanen gegen die Regierung erörtert; zuletzt wird die Frage beantwortet, quis bellum licite gerat.

Der zweite Theil handelt von den Veranlassungen oder Gründen des Krieges. Erster gerechter Grund ist Vertheidigung, defensio sui et rerum. Ein fernerer Grund ist injuria facta, et primum adversus id quod nostrum est. Daher eingehende Untersuchungen über Eigenthum und Verträge, welche in das Privatrecht und in das allgemeine Staatsrecht, zum geringeren Theile in das Völkerrecht gehören. Doch wird hier das Recht der öffentlichen Verträge und das Gesandtschaftsrecht behandelt.

Den dritten Theil bildet das eigentliche Kriegsrecht. Es wird darin,,im Allgemeinen gelehrt, was im Kriege erlaubt sei, sodann insbesondere von Repressalien, von der Kriegsankündigung, vom Rechte den Feind zu tödten, von Kriegsverheerung, vom Kriegserwerbe, von Kriegsgefangenen, von Ueberwundenen, vom Postliminium, von der Neutralität, von Privatexpeditionen, von Treue und Glauben zwischen den Feinden und deren Verträgen, von solchen Kriegsverträgen, wodurch der Krieg geendiget wird, als Friedensschlüsse, Loos, Zweikampf, Compromiß, freiwillige Ergebung, ferner von Befestigung folcher Verträge durch Geiseln und Unterpfand, von Kriegsverträgen im Kriege selbst, also Waffenstillständen, Passeports, Auslösung der Gefangenen, von Verträgen der Kriegsfeldherrn und Sponfionen, von Versprechungen der Privatpersonen im Kriege, von stillschweigenden Kriegsverträgen gehandelt, und endlich mit Ermahnungen zum Frieden geschlossen."8)

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,,Aus diesem allen erhellet nun hinlänglich", fügt Ompteda mit Recht hinzu, daß Grotius zwar im Grunde nur das Recht des Krieges abhandle, jedoch dabei nicht leicht einen Gegenstand des Völkerrechts überhaupt unberühret lasse; so daß sein Werk allerdings als ein Lehrbuch des gesammten Völkerrechts anzusehen ist, und man ihm das Verdienst, ein solches zuerst geliefert zu haben, nicht wohl absprechen kann".

1) Dies betont Ompteda mit Recht (a. a. D.), wo auch S. 184 einige Belege aus den Briefen des Grotius abgedruckt sind. Das Schreiben vom 11. Januar 1623 an Peiresc ist oben, § 86, n. 1, citirt. Am 16. Juni desselben Jahres schrieb Grotius: »Do operam commentationi de jure belli, sed lente satis procedo « Am 7. August: »Versor in examinandis controversiis praecipuis, quae ad jus gentium pertinent «

2) Nach Kirchmann's Ueberseßung. Die Prolegomenen sind in sorgfältigster Weise excerpirt von Ompteda, S. 185.

3) So die Wechelsche Ausgabe 1626. Zusaß zwischen den beiden sive..: »aut divinis constitutum legibus.<

4) Temperavi me ab his quae alterius sunt tractationis, ut quae docent quid ex usu sit facere: quia ista suam habent artem specialem politicam, quam recte ita solam tractat Aristoteles ut alieni nihil admisceat, contra quam fecit Bodinus, apud quem haec ars cum juris nostri arte confunditur. Nonnullis tamen locis ejus quod utile est feci mentionem, sed obiter, et ut id ipsum a justi quaestione apertius distinguerem. Injuriam mihi faciet si quis me ad ullas nostri saeculi controversias, aut natas, aut quae nasciturae praevideri possunt, respexisse arbitratur. Vere enim profiteor, sicut mathematici figuras a corporibus semotas considerant, ita me in jure tractando ab omni singulari facto abduxisse animum.<<

5) Er nennt in seinen Prolegomenen Franciscus Victoria, Heinrich v Gorcum, Wilhelm Matthäi als Theologen, als Juristen Johannes Lupus, Franciscus Arias, Joannes de Lignano, Martinus Laudensis; ferner Petrus Faber, Gentilis und Ayala; endlich als Romanisten Covarruvias und Vasquez, und als Franzosen, die die Pflege der Geschichte mit der des Rechtes verbinden, Bodin und Hotomannuŝ. 6) Eingehende Kritik der Grotianischen Systematik, bei Bulmerincq, Syfte matik, S. 19-27.

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An bellare unquam justum sit.

7) Sorgfältig ist der Inhalt des Werkes excerpirt von Ompteda, S. 194–248. Die Ueberschriften der Kapitel mögen hier folgen: Erstes Buch: Quid bellum, quid jus. Belli partitio in publicum et privatum. Summi imperii explicatio. bello subditorum in superiores. Quis bellum licite gerat.

De

3weites Buch: De belli causis, et primum de defensione sui et rerum. De his quae hominibus communiter competunt. De acquisitione originaria rerum, ubi de mari et fluminibus. De derelictione praesumta et eam secuta occupatione, et quid ab usucapione et praescriptione differat. De acquisitione originaria juris in personas; ubi de jure parentum, de matrimoniis, de collegiis, de jure in subditos, servos. De acquisitione derivativa facto hominis, ubi de alienatione imperii et rerum imperii. De acquisitione derivativa quae fit per legem, ubi de successionibus ab intestato. De acquisitionibus quae vulgo dicuntur juris gentium. — Quando imperia vel dominia desinant. De obligatione quae ex dominio oritur. De promissis. De contractibus. - De eorum, qui summum imperium habent, promissis et contractibus et juramentis.

De jurejurando.

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De foederibus ac sponsionibus.

De interpretatione. De damno per injuriam dato, et obligatione quae inde oritur. De legationum jure. De jure sepulturae.

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poenarum communicatione.

De poenis. De

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nita de non temere etiam ex justis causis suscipiendo bello. De causis belli pro aliis suscipiendi. De causis justis, ut bellum geratur ab his qui sub

alieno imperio sunt.

Drittes Buch: Quantum in bello liceat, regulae generales ex jure naturae; ubi et de dolis et mendacio. Quomodo jure gentium bona subditorum pro debito imperantium obligentur; ubi de repressaliis De bello justo sive solemni jure gentium; ubi de indictione. De jure interficiendi hostes in bello solenni et alia vi in corpus. De rebus vastandis eripiendisque. acquirendi bello capta. De jure in captivos.

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De jure

De imperio in victos.

De postliminio. Monita de his quae fiunt in bello injusto Temperamentum circa ius interficiendi in bello justo. Temperamentum circa vastationem et similia. Temperamentum circa res captas. captos. Temperamentum circa acquisitionem imperii.

sunt.

Temperamentum circa
Temperamentum

circa ea quae jure gentium postliminio carent De his qui in bello medii De his quae in bello publico privatim fiunt. De fide inter hostes. De fide publica qua bellum finitur; ubi de pacis pactione, de sorte, de certamine condicto, de arbitrio, deditione, obsidibus, pignoribus. nente bello; ubi de induciis, commeatu, captivorum redemptione. minorum potestatum in bello.

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Ausgaben, Ueberseßungen des » Jus Belli ac Pacis«,

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„So oft ein Hauptgelehrter auf das Theatrum tritt", bemerkt Glafey sehr richtig,,,fänget sich mit demselben eine neue Scene an, das ist, der ganze Schwarm der Uebrigen hänget sich an seine Lehren, und verwendet solche in feinen eigenen Nußen. Da werden compendia daraus gemacht, commentarii darüber geschrieben, und die meisten Disputationes aus demselben zusammengetragen, welches Regiment ein solcher großer Gelehrter oft ein halbes seculum führt, bis wieder ein Anderer auf die Bühne tritt... Eben also fing sich mit Grotio ein neuer periodus an, in welchem die Gelehrten im studio juris Naturae weiter Nichts thaten, als daß sie über dessen Jus B. et P. disputirten, commentirten, selbiges in compendia und Tabellen brachten, und endlich gar in andere Sprachen überseßten. Dieses dauerte so lange, bis Pufendorf auftrat. . . . .“

Die wichtigsten dieser Commentatoren, Annotatoren u. f. w. des Grotius sollen hier genannt werden. Ihre Thätigkeit erstreckt sich weit über Pufendorf, bis in die Jehtzeit. Das Jus belli ac pacis ist im Ganzen noch nicht

veraltet. Dessen ungeheuerer Erfolg liefert, wie Ahrens hervorhebt, den das Gemüth erfreuenden Beweis, daß Werke, welche sich an den in der Menschheit und in den Völkern lebenden Geist der Humanität wenden und aus der christlichen Religion den alle Dogmen und confessionellen Unterschiede überragen= den göttlichen Geist der Menschenliebe für das Leben fruchtbar zu machen suchen, eines gesegneten, nachhaltigen Erfolges im Leben der Menschheit gewiß sind."

Das Buch hatte bis zum Jahre 1758, wo Vattel erschien, mindestens 45 Lateinische Ausgaben. Man hat hervorgehoben, daß schon 1691, also 66 Jahre nach dessen Erscheinen und 46 Jahre nach des Verfassers Tode, eine Ausgabe cum notis variorum veranstaltet wurde. Eine prachtvolle und gute Ausgabe ist u. A. diejenige von Lausanne 1751. Noch um die Mitte unseres Jahrhunderts (1854) hat der gelehrte William Whewell (1795-1866), Vice-Chancellor der Universität Cambridge, Theolog, Philosoph und Naturforscher, eine neue Ausgabe veranstaltet, nebst einer verkürzten Englischen Ueberseßung und Anmerkungen verschiedener Autoren. Andere Englische Uebersetzungen erschienen seit 1654, Holländische seit 1635; ferner erschien das Buch auch Schwedisch, Spanisch, Italienisch; Französisch von Courtin mehrmals seit 1687, seit 1724 (sehr frei) von Barbeyrac, zu Basel 1768; - 1792 von Jeudi Dugour, >> doctrinaire et professeur au collège de la Flèche, libraire à Paris« ; 1867 von Pradier-Fodéré. Deutsch von Sinold gen. Schüß, mit einer Vorrede von Thomafius 1707; von Serlin 1709; endlich 1869 in wenig lobenswerther Weise vom Präsidenten v. Kirchmann.

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Von Verfassern von Commentaren, Noten, Vorlesungen u. dgl. zu Grotius sind zu nennen:

Johann v. Felden oder vom Felde, Profeffor in Helmstädt, der den Grotius streng kritisirte in »Annotata in Hugonem Grotium«. Amsterdam, 1652, 1653. Theodor Graswindel (1600 1666) antwortete mit »Stricturae ad censuram Jo. Feldeni«, 1653, 1654, 1675, 1678. Felden replicirte 1663, mit den Schlußworten über seinen Gegner: »Videtur homo non modo stupidus, sed et servilis«.

Johann Heinrich Boeckler, Boeclerus, 1611-1672, Professor der Geschichte und der Beredsamkeit in Straßburg, kurze Zeit Profeffor in Upsala, vorzüglich bekannt als Verfasser der » Institutiones politicae und Herausgeber des Seldenschen Natur- und Völkerrechts der Hebräer. Sein Buch In Hugonem Grotium de Jure Belli ac Pacis« erschien 1663 und öfter. Kaspar Ziegler, Profeffor in Wittenberg, 1621-1690: »Notae et animadversiones«, 1666 und öfter.

Johann Adam Osiander, Tübinger Theolog, 1622 1697: Observationes, 1670 und öfter.

Heinrich Henniges, 1645

1711, Brandenburgischer Justizminister und langjähriger Comitialgesandter, der sich auch unter dem Pseudonym Justinus Presbeuta befannt machte: »Observationes politico-morales«, Sulzbach 1672.

Johann Friedrich Gronovius, 1611–1671, Professor zur Deventer und Leyden, berühmter Gelehrter und Philolog, dessen vielleicht nicht für die Deffentlichkeit bestimmte Anmerkungen dem Texte des Grotius in den Ausgaben seit 1680 mehrfach beigefügt sind.

Johannn Georg Simon in Jena: Noten und Parallelstellen seit 1673.
Valentin Veltheim: »Introductio«, 1676.

Chr. Fr. Wächtler, 1652-1731, Advokat in Dresden: »Lectiones Grotianae, 1680.

Johann Georg Kulpis, 1652-1698, Professor zu Straßburg, herzoglich Württembergischer Rath und Abgesandter in Ryswick, im Staatsrechte vorzüglich berühmt. Sein »Collegium Grotianum, ein tüchtiges Werk, kein eigentlicher Commentar, ist seit 1682 öfter herausgegeben worden.

Johann Christoph Beckmann, Becmann, 1641 - 1717, der be= kannte Frankfurter Polyhistor, hat die berühmte Ausgabe von 1691, 1699, cum notis variorum veranstaltet.

Die Anmerkungen des Johann Tesmar, 1643 1693, Professor in Marburg, und diejenigen des bekannten Straßburgers Ulrich Obrecht, 1646 1701, erschienen zusammen 1696; sie haben nur geringen Werth.

Gelehrt und geachtet ist hingegen der Commentar des Utrechters Willem van der Muelen, 1658 1719; erschienen zuerst 1696.

Just Christoph Boehmer, 1671-1732, Professor der Theologie in Helmstädt: »Dissertationes Grotianae«, 1703.

Johann Wolfgang Jäger, 16471720, Tübinger Theolog und Kanzler: »Observationes theologicae et morales«<, 1710.

Johann Balthasar v Wernher, 1675-1742, Professor in Halle und Frankfurt, bekannter Romanist, Analecta«, 1720.

Die vorzüglichsten Erläuterer und Bearbeiter des Grotius sind die beiden Cocceji: Heinrich (seit 1712 Freiherr), und dessen noch berühmterer Sohn, Freiherr Samuel v. Cocceji.

Heinrich Cocceji, als Sohn eines gelehrten Theologen 1644 in Bremen geboren, studirte zu Leyden, wurde 1670 zu Oxford promovirt, war Pufendorfs Nachfolger in Heidelberg, wurde 1688 Professor in Utrecht, 1690 Dr= dinarius der Juristenfacultät in Frankfurt; er starb 1719. Er hinterließ, neben vielen anderen Schriften, von denen hauptsächlich die »Juris publici prudentia compendio exhibita« (1695) im Staatsrechte Epoche machte, handschriftliche Noten zu Grotius, und den Anfang eines ausführlichen Commen= tars, wovon zwei » Exercitationes « zu den Prolegomenen und zum ersten Buche unter dem Titel » Prodromus justitiae gentium im Jahre seines Todes im Drucke erschienen.

Samuel v. Cocceji, geb. 1679 zu Heidelberg, war mit zweiundzwanzig Jahren Professor in Frankfurt; seine glänzende Carriere im höheren Preußischen Staatsdienste, seine Betheiligung an zahlreichen Staats-, Verwaltungs- und diplomatischen Geschäften, besonders an der Reform der Justiz

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