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Hugo, der seit seinem zwölften Jahre in Leyden studirt hatte, erwarb sich auf dieser Reise zu Orleans den juristischen Doctorhut. Er hatte bereits als lateinischer Dichter einen ansehnlichen Ruf; er machte sich sehr bald als Philologe bekannt, indem er Martianus Capella und Aratus herausgab. Achtzehn Jahre alt, erhielt er von den Generalstaaten den Auftrag, die Geschichte der Befreiung der Niederlande zu schreiben. Zugleich war er als praktischer Jurist thätig. Er wurde bald General (Fiscal-) Advokat von Holland, See. land und Westfriesland, und nach einigen Jahren Pensionär von Rotterdam und Mitglied der Generalstaaten; auch wurde er 1613 mit einer diplomatischen Mission nach England betraut. Damals schon hatte sich die Politik seiner bemächtigt. Er vertheidigte die altnationale, aristokratische Staatsverfassung gegen Monarchie und Demagogie, und ergriff die Partei der Arminianer gegen den finsteren, starren Calvinismus der Gomaristen. Mit Uytenbogaert, der sein Lehrer gewesen war, verfaßte er die berühmte Remonstration; er entwickelte überhaupt eine bedeutende schriftstellerische Thätigkeit in den politischreligiösen Streitigkeiten jener Zeit. Albekannt sind seine Einkerkerung (1618), seine Verurtheilung zu lebenslänglichem Gefängniß, seine Haft auf dem Loevestein, fein kühnes Entweichen (1621). Er flüchtete nach Antwerpen und begab sich dann nach Paris, wo er in den Kreisen der Staatsmänner und Gelehrten die ehrenvollste Aufnahme fand; namentlich befreundete er sich mit der Familie de Thou, dem Präsidenten de Mesmes und dem so wunderbar vielseitigen Beiresc. 1)

Grotius hatte während seiner Haft stets fleißig gearbeitet. 2) Sofort nach feiner Befreiung schrieb er den »Apologeticus (1622), worin er über seinen Prozeß berichtete; dann legte er Hand an das Werk über Völkerrecht, welches seinem Namen unsterblichen Ruhm erwerben sollte. Die Abfassung fällt zwischen dem Anfang von 1623 und dem Sommer oder Herbst 1624. Der Druck begann im November des letteren Jahres; auf der Frankfurter Oftermesse 1625 wurde das Buch bereits verkauft, ehe es noch fertig gedruckt war. Diese erste Ausgabe, mit der Jahresangabe 1625 und dem Druckorte Paris, war nach wenigen Monaten vergriffen.

Das Gebiet des Völkerrechts und des Naturrechts war Grotius seit langer Zeit wohl bekannt; seine Belesenheit war erstaunlich, sein juristisches und philosophisches Denken gereift und gründlich; einzelne Theile waren schon längst von ihm bearbeitet: das »De jure praedae«, dessen 1864 wiederaufgefundenes Manuscript erst vor wenigen Jahren gedruckt worden ist,3) datirt von 1604 --- 1605; nur ein Kapitel aus demselben, das »Mare liberum war 1609 veröffentlicht worden. Dies war eine Jugendschrift. Das »De jure belli ac pacis« ist die gereifte Frucht langjährigen Nachdenkens, unablässigen Studiums, und reicher, oft bitterer Erfahrungen. Das Abfassen und Niederschreiben, wobei ein jüngerer Freund und Verwandter, Theodor Graswindel aus Delft, behülflich war, ging rasch vor sich, theils in Paris, theils in Balagny, dem Landsize des Herrn von Mesmes, theils in Senlis. Nur wenige Bücher standen

zur Verfügung, die aus der Thuanischen Bibliothek entliehen wurden; das vortreffliche Gedächtniß des Grotius mußte Vieles ersetzen. 4)

Das Buch ist Ludwig dem Dreizehnten gewidmet; das geistreiche, edle, etwas überschwängliche Widmungsschreiben führt das Datum 1625.

Etwa zehn Jahre blieb Grotius in Frankreich, bescheiden lebend, zum Theile von einer Jahrespension, die ihm der König bewilligt hatte, und die nur unregelmäßig ausbezahlt wurde, schließlich ganz ausblieb. Endlich wurde ihm 1630 sein confiscirtes Vermögen zurückerstattet. Er versuchte sich wieder in Holland niederzulassen, mußte aber darauf verzichten. Da ging er nach Hamburg, wo ihn ein Landsmann auf seinem Landsize bei Dockenhude gastlich aufnahm; zur nämlichen Zeit hielt sich Cartesius unter ähnlichen Verhältnissen in Holland auf. Von verschiedenen Seiten ergingen an Grotius die ehrenvollsten Anträge; Dänemark, Polen, Spanien wollten ihn anstellen, selbst Wallenstein soll an ihn gedacht haben. Nur schwer entschloß er sich 1634 in schwedische Dienste zu treten. Oxenstierna, der ihn hochschätzte, wie es schon Gustav Adolf gethan, schickte ihn als Gesandter nach Paris: eine mühevolle Stellung, die noch dadurch erschwert wurde, daß Richelieu Grotius nicht gerne sah und der Holländische Gesandte gegen ihn intriguirte. Zwar wurde Oxenstierns Vertrauen nicht erschüttert, Christine aber scheint zeitweise ihm weniger günstig gewesen zu sein. Allerlei Verdrießlichkeiten wurden ihm zu Theil. Endlich faßte er den Entschluß vom Amte zurückzutreten. Er reiste nach Schweden, wo ihm die Königin die gewünschte Entlassung in huldvoller Weise ertheilte. Auf der Rückreise litt er an der Kassubischen Küste Schiffbruch, langte mit größter Mühe krank in Rostock an, und starb daselbst fern von den Seinen, in frommster Ergebung als gläubiger Christ, am 28. August 1645.5)

So endete dieser große Mann, dessen Leben anfangs so glänzend und glücklich, dann aber, zwar stets würdig und geehrt, doch von manchem Mißgeschicke durchkreuzt war. Sein Ansehen wuchs nach seinem Tode, besonders in der eigenen Heimat, welche ihn verstoßen hatte. Sein Buch »De jure belli ac pacis hat seit dem Westphälischen Frieden bis in das vorige Jahrhundert hinein gewissermaßen als Völkergesetzbuch Europas gegolten; heute noch wird es, wenn auch nicht mehr oft gelesen, so doch beständig gelobt und gerühmt; man hat sagen dürfen, daß zwei Wissenschaften aus demselben entsprungen sind: das Naturrecht und das Völkerrecht. Nur mit Rücksicht auf dieses lettere soll es hier betrachtet werden.

1) Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, conseiller au parlement de Provence, geb. 1580, geft. 1636, war ein ausgezeichneter, stets hilfreicher, überall thätig eingreifender Mäcen und fast allseitig gebildeter Gelehrter. Er ermunterte Grotius zur Abfaffung des »Jus belli ac pacis«. »Non otior«, schrieb ihm Grotius am 11. Januar 1624, »sed in illo de Jure Gentium opere pergo; quod si tale futurum est ut lectores demereri possit, habebit quod tibi debeat posteritas, qui me ad hunc laborem et auxilio et hortatu tuo excitasti. Und bei Zusendung

eines Exemplars schreibt er wieder: »Accipe jussis carmina coepta tuis, ait Poëta. Ego vero non carmen, sed librum tibi mitto tuo hortatu tuisque auspiciis coeptum«.

2) Während seiner Haft verfaßte Grotius, außer mehreren (metrischen) Uebersezungen der Klassiker und anderen Schriften, zwei berühmte Bücher: die Einleitung in die Kenntniß des Holländischen Rechts, welche jezt noch in den alten Holländischen Kolonien Gesezeskraft besißt (Revue de droit international, Bd. XV, S. 167), und den „Beweis vom wahren Gottesdienst“, »De veritate religionis christianae, welcher in fast alle bekannten Sprachen, auch ins Arabische, Chinesische, Malayische übersezt worden ist.

3) Hamaker, 1868.

4) Daher einzelne Ungenauigkeiten, namentlich in den Citaten, welche später, zum Theil erst von Barbeyrac, berichtigt worden sind.

5) Seit Jahren hatte sich Grotius von der einseitig protestantischen Gesinnung losgesagt; er ist nicht zum Katholicismus übergetreten, wie man behauptet hat, er wünschte aber die Aussöhnung der verschiedenen christlichen Bekenntnisse und war lediglich gläubiger Christ; sein Leben stand mit seinem Glauben im schönsten Einflange. Zu vergleichen: Broer, De terugkeer van Hugo de Groot tot het katholike Geloof. 1856.

Grotius' Gebeine liegen in Delft. Wijnmalen, Revue de Droit international, Bd. XV, S. 160.

§ 87.

Die » Libri tres de Jure Belli ac Pacis«.

Literatur: Die § 86 genannten Werke.

Bulmerincq, Systematik des Völkerrechts von Hugo Grotius bis auf die Gegenwart. Dorpat 1858. Ompteda, S. 182.

Der vollständige Titel des Buchs lautet: »De jure belli ac pacis libri tres, in quibus jus naturae et gentium, item juris publici praecipua explicantur.<<

menen.

Die Absicht des Grotius war ursprünglich und vorwiegend auf Kriegsrecht gerichtet. Sein Buch sollte handeln De jure belli; unter seiner Feder ist es zu einem Buche De jure belli ac pacis, De jure gentium, De jure naturae et gentium erwachsen. 1) Daß er vor Allem den Krieg im Auge hatte, leuchtet schon aus der Widmung hervor, noch mehr aus den ProlegoEr sah,, in den christlichen Ländern eine zügellose Kriegführung, deren sich selbst rohe Völker geschämt haben würden: man greift aus unbedeutenden oder gar keinen Gründen zu den Waffen, und hat man sie einmal ergriffen, so wird weder das göttliche noch das menschliche Recht geachtet, gleichsam als ob auf Befehl die Wuth zu allen Verbrechen losgelaffen wor= den wäre."2) Nun haben einige, im Anblick dieser Roheit, dem Christen den Gebrauch der Waffen überhaupt untersagen wollen: eine schädliche Uebertrei

bung. In Anbetracht dieser Zustände hat sich Grotius bewogen gefunden, über diesen Stoff zu schreiben, in der Ueberzeugung, esse aliquod inter populos jus commune, quod et ad bella et in bellis valeret.« Die Erweiterung aber seiner Aufgabe bekundet er schon in den ersten Worten der Prolegomenen, indem er dem »Jus civile, sive Romanum sive quod cuique patrium est«, welches von so Vielen in Commentaren und Compendien behandelt worden ist, das sehr vernachlässigte Völkerrecht gegenüberstellt: »Jus illud, quod inter populos plures aut populorum rectores intercedit, sive ab ipsa natura profectum, sive moribus et pacto tacito introductum, attigerunt pauci, universim ac certo ordine tractavit hactenus nemo.«3) Dieses Völkerrecht, welches Viele, sowohl Heiden als Christen, verkannt haben, ist aber wirklich als Recht vorhanden. Vorerst existirt das Naturrecht, entspringend aus dem dem Menschen von Natur innewohnenden Geselligkeitstrieb: >appetitus societatis, id est communitatis, non qualiscumque, sed tranquillae et pro sui intellectus modo ordinatae, cum his qui sui sunt generis. Dieses menschliche Naturrecht stimmt mit den von Gott gegebenen Vorschriften genau überein, welche das göttliche Recht ausmachen. Beide, Natur- und göttliches Recht, liegen dem Jus civile zu Grunde, und nicht weniger auch dem Rechte, quod inter populos versatur. Das Völkerrecht ist aber mehr als blos natürliches Recht; wie das bürgerliche Recht entsteht es auch aus Nüglichkeitsrücksichten, durch Consens der Völker: »Sicut cujusque civitatis jura utilitatem suae civitatis respiciunt, ita inter civitates aut omnes aut plerasque ex consensu jura quaedam nasci potuerunt, et nata apparent, quae utilitatem respicerent, non coetuum singulorum, sed magnae illius universitatis, et hoc jus est quod gentium dicitur, quoties id nomen a jure naturali distinguimus«. Also willkürliches Völkerrecht neben dem natürlichen, und dieses willkürliche Völkerrecht wird auch in einem engeren Sinne Völkerrecht genannt.

Im Werke selbst giebt Grotius bei jedem Gegenstande zuerst die Grundfäße des natürlichen Völkerrechtes, dann diejenigen des willkürlichen, positiven, welches auf dem Völkerconsense, also hauptsächlich auf dem Herkommen beruht.

Zu Grunde gelegt wird stets das natürliche Recht. Der zweite Theil des Titels, »Jus naturae et gentium«, ist somit wohl geeignet.

Ueberhaupt ist nicht zu verkennen, daß Grotius hauptsächlich natürliches Völkerrecht darstellt. Nur dieses, das philosophische Recht, scheint ihm einer wissenschaftlichen Gestaltung fähig. »Artis formam ei (jurisprudentiae) imponere multi antehac destinarunt: perfecit nemo, neque verò fieri potest nisi, quod non satis curatum est hactenus, ea quae ex constituto veniunt a naturalibus recte separentur. Nam naturalia cum semper eadem sint, facile possunt in artem colligi: illae autem, quae ex constituto veniunt, cum et mutentur saepe et alibi alia sint, extra artem posita sunt, ut aliae rerum singularium perceptiones.<<

Das willkürliche, positive Recht kommt mehr oder minder als Anhängfel nach dem natürlichen.

Die in der Einleitung aufgestellten Begriffe des natürlichen, göttlichen, bürgerlichen und Völkerrechts werden im Buche I, Kap. I, ausführlicher gekennzeichnet. Im § 14 wird im Gebiete des menschlichen willkürlichen Rechtes das Völkerrecht dem civilen Rechte entgegengestellt: Das Jas voluntarium humanum ist »vel civile, vel latius patens. Civile est quod a potestate civili proficiscitur. Potestas civilis est quae civitati praeest. Est autem civitas coetus perfectus liberorum hominum, juris fruendi et communis utilitatis causa sociatus. . . Latius autem patens est jus gentium, id est quod gentium omnium aut multarum voluntate vim obligandi accepit. Multarum addidi, quia vix ullum jus reperitur extra jus naturale, quod ipsum quoque gentium dici solet, omnibus gentibus commune. Imo saepe in una parte orbis terrarum est jus gentium quod alibi non est, ut de captivitate et postliminio suo loco dicemus. Probatur autem hoc jus gentium pari modo quo jus non scriptum civile, usu continuo et testimonio peritorum. Est enim hoc jus, ut recte notat Dio Chrysostomus, εὕρημα βίου καὶ χρόνου. . . Mag auch hier der Sinn des Ausdrucks jus gentium mehr oder minder unklar sein, so viel steht fest, daß das Völkerrecht darin einbegriffen und die Existenz eines willkürlichen, positiven Völkerrechts, auf usus continuus basirend, hiermit anerkannt und ausgesprochen ist. Die Gegner des positiven Völkerrechts haben diese Stelle auch richtig aufgefaßt, wie weiter unten ersichtlich sein wird.

In den Prolegomenen theilt noch Grotius den Plan des Werkes mit, dann berichtet er über die Quellen und Hülfsmittel die ihm zu Gebote gestanden: als Leitfaden hat ihm das Naturrecht gedient, dann hat er die Zeugnisse der Philosophen, Geschichtschreiber, Dichter und Redner benußt, die Heilige Schrift, die Werke der Rechtsgelehrten. Die geschichtlichen Thatsachen hat er vorwiegend aus dem classischen Alterthume geschöpft, zeitgenössische Begebenheiten hat er durchaus unberücksichtigt lassen wollen, Politik hat er sorgfältig vom Rechte unterschieden und meistens gemieden.*)

Damit gewann das Buch jenen wohlthuenden Charakter hoher Würde, heiterer Unparteilichkeit, strenger Wissenschaftlichkeit, der ohne Zweifel zu feinem erstaunlichen Erfolge nicht unwesentlich beigetragen hat. Die Schwäche aber, die davon unzertrennlich ist, leuchtet ein: Gentilis, welcher die Ereignisse seiner Zeit stets berücksichtigt und bespricht, ist in dieser Beziehung für unsere heutige Anschauung werthvoller als Grotius, und ebenso Zouch, von dem in § 90 die Rede sein wird.

Die Sprache des Grotius ist durchweg elegant, die Darstellung geistreich, fesselnd. Man erkennt überall den Meister; aber ermüdend ist für uns die Unmasse von Citaten aus Lateinischen und Griechischen Autoren, wodurch indessen die unendliche Belesenheit und das wunderbare Gedächtniß des Grotius bezeugt wird.

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