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das subjective Urtheil des Ehrgefühls an die höchste Gerichtsstelle gesetzt wurde, verhinderte es auf der anderen Seite die richtige, fachliche Würdigung politischstaatlicher Zweckbestimmungen.

In der Andeutung dieser culturhistorischen Gesichtspunkte eröffnet sich gleichzeitig ein Hinweis auf die Erscheinungen des höfifchen Lebens im Mittelalter. Muß man zugeben, daß die Entwickelung des Völkerrechts seit dem Untergange der Römischen Republik und noch mehr seit der Festwurzelung des Gegensates zwischen Papstthum und Kaiserthum einerseits, wie zwischen Königthum und Grundadel andererseits an monarchische Regierungsformen enger angeknüpft war, so darf nicht bezweifelt werden, daß die Höfe der Fürsten diejenigen Stellen bezeichnen, wo internationale Sitte und Ceremonialwesen mit Rücksichten der auswärtigen Politik sich verbanden. 5) In dieser Richtung ist anzuerkennen, daß seit dem Ende des Mittelalters die größeren fürstlichen Höfe überall vornehmlich von den Tendenzen des Clerus und der ritterlichen Traditionen beherrscht wurden, sei es nun, daß sich diese aristokratischen Gesellschaftsmächte untereinander bekämpften oder zu gemeinsamem Verhalten verbündeten eine Thatsache, die für die Praxis der Diplomatie und die Handhabung völkerrechtlicher Anforderungen nirgends außer Acht gelassen werden darf.

Das Ritterthum zeigte aber bei seiner äußeren Anlehnung an die mittelalterlichen Höfe, denen es seine gesellschaftlichen Verkehrsformen mittheilte, auch gleichzeitig, daß ihm künstlerisch-volksthümliche Kräfte neben seiner sonst aristokratischen Lebensrichtung innewohnten. Denn aus ihm entstammte eine neue Weltanschauung, die sich neben der rein kirchlichen Auffassung der menschlichen Lebensaufgaben behauptete und ihren Plaß auch nachmals gegen die Angriffe eines in das classische Alterthum zurückgreifenden Idealismus wirksam vertheidigte. Jene ritterliche Lebensanschauung, welche man in aller Kürze als Romantik bezeichnet hat, ergriff nicht blos höfische, sondern auch bürgers liche Kreise und diente deswegen als eines der Bindeglieder gesellschaftlicher Gemeincultur. Nicht einmal die Menge des Volkes vermochte sich der tief eindringenden Macht dieser ritterlichen Gedankenrichtung völlig zu entziehen. Denn in jener Europäisch zu nennenden Poesie, welche von Frankreich, zumal von der Provence ausgehend, über fast alle christlichen Staaten den unwiderstehlichen Duft des Minneliedes und den Zauber des ritterlichen Epos ausgoß,6) wurden alle Bestandtheile der weltlichen Gesellschaft auf ihren Höhepunkten wie in ihren Tiefenlagen gleichzeitig ergriffen. Während die oft wunderbare Rückkehr der Kreuzfahrer aus dem gelobten Lande einen abenteuerlichen, der Odyssee ähnlichen Erzählungsstoff darbot, lieferten die Kämpfe gegen Saracenen die Gestalten einer in Einzelerzählungen aufgelösten Ilias: Stoffe, welche die Gemüther der Hörenden in Westeuropa ebenso fesselten wie die alten Gesänge Homers einstmals die Hellenische Welt. Durch Gegenstand und Inhalt erscheint die ritterliche Poesie als Bestandtheil der Weltliteratur, wodurch in der Folgezeit die Bahnen aller nationalen Literatur mit beherrscht wurden. Nicht einmal die uralte Germanische und Celtische Volkssage vermochte sich

solchen Einflüssen zu entziehen, denn die Gestalten der Völkerwanderung oder der nordischen Mythologie, der Tafelrunde und der Paladine Karls des Großen verjüngen sich während des XII. Jahrhunderts in dem Bann dieser Poesie als ritterliche Helden. Das Nibelungen-Lied bietet eines der merkwürdigsten Beispiele für die Verschmelzung volksthümlicher Sage mit der Ueberlieferung ritterlicher Dichtkunst.

1) Im Zeitalter der Kreuzzüge wurde in den dabei zumeist betheiligten Staaten die schwere Reiterei zum Hauptbestandtheil der Heere. Pruz (a. a D.) S. 183.

2) Der Deutsche Laienadel blieb in seiner überwältigenden Mehrheit von der ersten Kreuzzugsbewegung, die den Rhein nicht überschritt, vollkommen unberührt. Nitsch, Geschichte II, 125.

3) Im Orient gab es gemeinsame Kampfspiele zwischen Franken und Saracenen. Prut (a. a. D.) S. 193.

4) Die Geschichte lehrt, daß nicht blos Karl der Große und Friedrich II. die guten Seiten der Muhamedaner anerkannten, sondern christliche Ritterlichkeit auch von den Arabern geehrt wurde. Im Allgemeinen waren zur Zeit der Kreuzzüge die Christen die intolerante Partei. Pruß (a a. D.) S. 56 ff.

5) Ueber die unter den Salischen Kaisern in Deutschland beginnende Verweltlichung des Hoflebens: Nitsch, Geschichte des Deutschen Volkes II, 69.

6) A. Springer (Paris im XIII. Jahrhundert. 1854. S. 7) wird von Pruß als einer derjenigen citirt, welche dem Französischen bereits im Mittelalter die Bedeutung einer Weltsprache vindicirten.

Sechstes Kapitel.

Städtewesen, Handel und Seeverkehr im Mittelalter.

$ 75.

Der städtische Handel.

Literatur: Ein umfassendes Verzeichniß über die Literatur des mittelalterlichen Handelsrechts giebt Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, § 5. Mar:

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tens, Versuch einer historischen Entwickelung des wahren Ursprunges des Wechselrechts. Endemann, Studien in der Romanisch-Canonistischen Wirthschaftslehre Bd. I, 1874. G. Laftig, Entwickelungswege und Quellen des Handelsrechts 1877, S. 5 ff. F. G. A. Schmidt, Handelsgesellschaften in der Deuts schen Stadtrechtsquelle des Mittelalters. 1883. L. Cibrario, Della economia politica del medio evo. 2 ed. Torino 1841. P. E. Giudici, Storia dei communi Italiani. Firenze 1864-1866. Giuseppe Müller, Le colonie commerciali degli Italiani in Oriente nel medio evo. Venezia 1866 1868. A. Lattes, Il diritto commerciale nella legislazione statutaria delle città italiane. Milano 1883.

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Das Städte verwüstende Einströmen der Barbaren hatte den Handel zu Lande und zur See im südlichen Europa auf das Schwerste geschädigt oder gar vernichtet. Die Lebenskraft materieller wirthschaftlicher Cultur verhielt sich aber, gleicherweise wie die Ueberlieferung des Römischen Rechtes, gerade auf Italienischem Boden vergleichungsweise am längsten, so daß hier Neubildungen im früheren Mittelalter aus dem Schutte der alten Welt am_leichtesten ermöglicht waren.

Die sichersten, von der Natur begünstigten Zufluchtstätten gegen die Zerstörungswuth räuberischer Horden, wie Venedig und Amalfi, wurden zu Ausgangspunkten des mercantilen Unternehmungsgeistes. Im Zeitalter der Kreuzzüge hatten sich die central gelegenen Gestade des mittelländischen Meeres bereits mit bedeutenden Handelspläßen bedeckt. Von ihnen wurden die Erinnerungen an den antiken Orienthandel wieder aufgenommen und im Zusammenhange mit den großen Heerzügen der Kreuzfahrer weiter entwickelt. Ein neues Hinterland für den Absatz Orientalischer Producte war im nördlichen Europa gewonnen worden. Kein Wunder, daß der Italienische Handel im XII. Jahrhundert weitaus jene Gränzen überschritt, die zu Zeiten der alten Römischen Kaiserherrschaft erreicht worden waren, wenngleich er sich auf eine größere Anzahl rivalisirender Städte, wie, außer den bereits genannten, auf Pisa, Genua, Verona, Florenz, Mailand vertheilte.

In höherem Maße, als dies auf dem politisch einheitlichen Gebiete der späteren Römerzeit möglich gewesen war, nahm der Handel zwischen zahlreichen selbständigen Gemeinwesen einen internationalen Charakter an.

Italien wurde deswegen zur Ursprungsstätte des mittelalterlichen Europäischen, auf gewohnheitsmäßiger Uebung beruhenden Handelsrechts, dessen Ausbreitung sich in kurzer Zeit über ganz Europa vollzog. Ohne daß Fürsten oder Staatsregierungen darauf Bedacht genommen hatten, die rechtlichen Verhältnisse der Handeltreibenden festzustellen, traten diese Gebräuche überall ins Leben, wo dieselben Bedingungen ihrer Pflege und Handhabung gegeben waren, wo also der Kaufmannstand in städtischen Gemeinwesen sich selbständig orgaInisirte und seine genossenschaftlichen Verhältnisse selbst zu regeln oder gar durch Statuten sich corporativ zu schüßen vermochte.

Für alle diejenigen Rechtsbeziehungen des Handelsverkehrs, deren Inhalt neuen Bedürfnissen entsprach und durch Definitionen des Römischen Rechts nicht hinreichend abgegränzt werden konnte, lieferte die Italienische Sprache ihre, bis auf die Gegenwart festgehaltenen Bezeichnungen, die auch dann noch im technischen Gebrauche herrschend blieben, als in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts unter Ludwig XIV. die Französische Gesetzgebung begann, auf dem Gebiete des Handelsrechts selbstthätig zu werden.

Wohl nirgends in der Welt findet sich, wenn man vom gemeinen Longobardischen Lehnrecht absieht, eine gewohnheitsrechtliche Bildung, die von so allgemeiner, und so viele selbständige Staaten umfassender Bedeutung gewesen wäre, wie diejenige des aus Italien abstammenden Handelsrechts. Italiens

Boden hat somit während des Mittelalters vier Weltrechtsbildungen gezeitigt, vermittelt oder wiederbelebt: das Römische Civilrecht (unter einer ihm durch veränderte Verhältnisse des Grundbesites auferlegten, gegenständlichen Beschränkung), das Canonisch - kirchliche Recht der Päpste, das Lehnrecht des grundbesigenden Adels und jenes neue Handelsrecht, das mit den Waarenzügen der Venezianer, Genuesen oder Nordländer die Alpenpässe überschritt und sich überall heimisch zu machen wußte.

In der entgegengeseßten Weltrichtung der Levante waren es die Italienischen Handelsniederlassungen der Genuesen, Venezianer und Pisaner, wodurch diesen Gebräuchen Geltung geschafft wurde, deren erste Aufzeichnungen bis in das XI. Jahrhundert zurückreichen mögen,1) und dann ein Vorbild gaben, dem die bedeutenderen Handelspläße folgten. Während die Interessen der Venezianer ganz vornehmlich dem Verkehr mit der Levante zugewendet blieben, waren es, nachdem die Bedeutung Siciliens und Süditaliens gefunken, vornehmlich Pisa, Genua und Florenz, welche auf das nördliche und nordwestliche Europa bildend und Beispiel gebend einwirkten.

Erleichtert ward die Befestigung gewohnheitsrechtlicher Bildungen auf dem Gebiete des Handels und der Gewerbe durch den engen standesgenossenschaftlichen Verband der Kaufleute und Gewerbtreibenden, durch ihren gemeinsamen Gegensatz in Clerus und Adel, durch das Emporkommen der städtischen Macht in Italien, Deutschland und Frankreich, durch den Einfluß eben jener Corporationen auf das städtische Regiment, durch das wachsende Geldbedürfniß der Fürsten, denen mancherlei städtische Selbständigkeitsrechte abgekauft wurden, die sich gewaltsam nicht ertroßen ließen.

Zahlreich waren daher die handelsrechtlichen Neubildungen, die aus dem Rahmen des Römischen Civilrechts weit heraustraten. Die Entwickelung neuer Formen für gemeinschaftlich betriebene Handelsunternehmungen, für Actiengesellschaften und Firmen, für Creditgeschäfte und Haftung, für die Verant wortlichkeit des Frachtführers. Denn die Natur der Verhältnisse brachte es bei der Zersplitterung der territorialen Verhältnisse mit sich, daß der Spe= ditionshandel und das Commissionsgeschäft im Mittelalter weitaus größere Sorgfalt und Aufmerksamkeit beanspruchten, als ihnen im Alterthum gewidmet zu werden brauchte. Aehnliche Verhältnisse begünstigten die Ent wickelung des Versicherungsgeschäfts.

Als eine der bedeutendsten, folgenreichsten und verbreitetsten Schöpfungen der mittelalterlichen Rechtsgeschichten erscheint um die Mitte des XIII. Jahrhunderts das Wechselgeschäft, dessen Ursprung weiter zurückreichen muß, als die ältesten Wechselurkunden erkennen lassen. Die Mannigfaltigkeit der Münzen, die Verschiedenheit in den Zahlungsmitteln, die an den Orten des Vertragsschlusses und der Vertragserfüllung vorausgeseßt werden mußte, die Gefahr des Verlustes, die bei der Unsicherheit der Straßen den Transport edler Metalle begleitete, drängten zur Erfindung einer diese Differenzen und Gefahren ausgleichenden, privilegirten Urkunde. In Florenz frühzeitig hoch

entwickelt, gelangte das Wechselwesen und Wechselrecht Italienischer Gilden mit dem Waarenhandel in das nördliche Europa; denn ehe Florenz zur Gebietsstätte mittelalterlicher Kunst und Literatur werden konnte, mußte es sich durch seine Industrie und seinen Handel zu wirthschaftlicher Blüthe empor= gehoben haben. Hier wiederholten sich Erscheinungen, die im Griechischen Alterthum bereits als zusammengehörig erkannt worden waren.

Mit der Verbreitung des Geldwechsels in Europa klärte sich das Verständniß für Waarenverpfändung, Lagerhauseinrichtungen, Bankwesen und andere den Bedürfnissen des Handels dienende Institute, sowie für den Werth einer gleichmäßigen Technik des Großhandels, der Ausmünzungen, der Maß- und Gewichtsordnungen. Lombardische Geldwechsler erschienen, wahrscheinlich als Begleiter oder im Gefolge Italienischer Waarenzüge, auf der Nordseite der Alpen und begründeten in London eine Geschäftsniederlassung, deren älteste Heimstätte in der Lombard-Straße noch heute das Centrum des gesammten Geldverkehrs aller Culturvölker bezeichnet.

Das mittelalterliche Handelsrecht hätte weder durch den Deutschen Kaiser noch durch den Papst decretirt oder aufrecht erhalten und geschützt werden können. War es denkbar, daß bischöfliche Gerichte oder bäuerische Schöffen oder adlige Barone oder Römisch-rechtlich gebildete Juristen mit ihrer Rechtsprechung den Bedürfnissen des neu entwickelten Handels entsprechen konnten?

Wenn der Geldwechsel und das Wechselrecht einen internationalen kosmopolitischen Zug erkennen lassen und das Mittelalter unzweifelhaft einen bedeutenden Fortschritt wirthschaftlicher Einsicht vollzieht, indem es Zahlungsmittel als Waare betrachten lernt, so repräsentirt auf der anderen Seite das Markt- und Meßwesen den Grundzug territorialer und localer Befangenheit überall da, wo es mit den Zweckbestimmungen monopolistisch zu suchender Vortheile gepaart erscheint. Auf solchen Märkten und Messen erhielt sich der Tauschhandel längere Zeit, als dies sonst möglich gewesen wäre. Aber auch in ihm lagen mancherlei Bedingungen völkerschaftlicher Annäherung. Das Zusammenströmen zahlreicher Fremder zum Zwecke des Güteraustausches zu gewissen Zeiten und an bestimmten Orten, verbunden mit der Zusage rechtlichen Schußes oder eines sichern Geleites, durchbrach die engen Schranken ständischer Gliederung, gewöhnte die Stadtbevölkerungen an das Verständniß fremder Sitten und Gebräuche, belebte die Achtung vor den Interessen des Ausländers und näherte die Einwohnerschaften von Stadt und Land einander an.

Daß trot zahlreicher örtlicher Verschiedenheiten die Handelsgewohnheiten während des Mittelalters in so vielen Punkten übereinstimmende Grundzüge aufweisen, beruht vornehmlich auf dem Markt- und Meßverkehr der Binnenstädte. Im Zusammenhang mit solchen Vereinigungen der Kaufmannschaft organisirten sich Handelszüge gleich Orientalischen Carawanen und erreichten damit auch den Vortheil größerer Sicherheit gegen räuberische Anfälle zu einer Zeit, wo es dem Einzelnen noch nicht vergönnt war, sicher seines Weges ziehen zu können. Würdigt man die internationalen Tendenzen des mittel

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