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sondern auch dem nationalen Selbständigkeitsrechte anderer Nationen und somit der Praxis öffentlicher Gleichberechtigung Vorschub zu leisten.

1) Vgl. darüber namentlich Binding, Geschichte des Burgundisch-Romanischen Königreichs. 1868.

2) Brunner (a. a. D.) S. 205 sezt die „abschließende“ Redaction in das Ende der Regierungszeit von Chlodwig unter Verwerthung des Merkmals, daß Christenthum und Heidenthum gleichzeitig darin ignorirt werden. Als die leßten, dem 8. Jahrhundert angehörigen Leges Barbarorum erscheinen die Lex Angliorum et Werinorum, die Lex Frisionum und die Lex Saxonum. Ueber die Ausgaben und Literatur s. denselben Autor S. 209.

3) Es ist ein Naturgesez des Völkerlebens, daß unvermittelte und plößliche Aufnahme verfeinerter Culturgenüsse barbarische Nationen physisch und sittlich zerstört Bemerkenswerthe Betrachtungen darüber bei Bage hot, Physics and Politics. London 1872. Dieses Gesetz wurde im Zeitalter der Völkerwanderung in seinen Wirkungen durch das gleichzeitige Eingreifen der Kirche gemildert.

4) S. Nitsch (a. a. D.) I, 131–155.

5) Die Abgesandten des Kaisers Michael von Ostrom erkannten 812 zu Aachen die Kaiserwürde Karls d. G. förmlich an. (Eginhard: more suo, id est graeca lingua Imperatorem eum et Basileum appellantes.) Später verweigerten Byzantinische Kaiser gelegentlich die Zubilligung des Titels Basileus (wie beispielsweise Basilius Macedo).

6) Ueber die herzogliche Würde bei den Seegermanen und Angelsachsen s. Freeman, History of the Norman Conquest I, 579.

§ 72.

Wehrverfassung und Lehnswesen.

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Literatur: Stenzel, Versuch einer Geschichte der Kriegsverfassung Deutschlands im Mittelalter. 1820. Peucer, Das Deutsche Kriegswesen der Urzeiten in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Volksund Staatsleben. 1860. Baldamus, Das Heerwesen unter den späteren Karolingern 1879. Roth, Geschichte des Beneficialwesens. 1850. Der selbe, Feudalität und Unterthanenverband. 1863. - Ehrenberg, Commen dation und Huldigung. 1877. — F. Laurent, Histoire du droit des gens. VII, 1118ff. Ciccaglione, Storia del diritto Italiano (1884) I, 235 -292. H. Hallam, View of the State of Europe during the middle Ages (1818) I, 101 ff. Reeves, History of the English Law (new ed. by Finlason 1869) vol. I, 53 ff., vol. II, 552 ff.

Kaum in irgend einem anderen Volkswesen, das Römische nicht ausge nommen, hat die Wehrverfassung eine Gestaltung von so univerfaler Bedeutung angenommen wie bei den Germanen; denn bei den Völkern der alten Welt ruhte sie, von einfach oder einheitlich organisirten Kräften ausgehend,

entweder auf einem theokratischen Princip, oder auf dem Zusammenhang mit der königlichen Gewalt, oder auf communalstaatlicher Grundlage.

Wie groß also immer die Aehnlichkeiten in der ältesten Waffenordnung wandernder Arischer Völkerstämme, beispielsweise in den beiden Zeitepochen der Herakliden und Odoakers oder Stilichos gewesen sein mögen immer bleibt die Thatsache entscheidend, daß im Mittelalter sich auf Germanischer Grundlage in ganz Europa eine gleichartige Stellung der Wehreinrichtung herausbildete, die nicht nur dem Kriegswesen einen gemeinsamen Typus von internationaler Gültigkeit verlieh, sondern auch außerdem in Verbindung mit den Gerichtsverfassungs-Grundsätzen, den kirchlichen Einrichtungen 1) und der monar chischen Gewalt die nachmals eingetretene Neubildung der Nationalitäten einleitete.

Diese über die große Mehrzahl aller Europäischen Staaten verbreitete Rechtsform des Kriegswesens lag im Lehn, dessen Entwickelungsraum zwischen den ersten Anfängen in der Altfränkischen Monarchie2) und dem Abschluß des gemeinen Lehnsrechtes in den Libri Feudorum einen Zeitraum von fünfhundert Jahren beansprucht haben mag, bevor man von der Feudalität als einer Europa beherrschenden, universalen Institution sprechen konnte.

Die allgemein wirkende innere Nöthigung zum Uebergang von jener Urform der Kriegsdienstleistung, die man als Beute dienst bezeichnen könnte, in das Beneficial- oder Lehnswesen lag in der Unmöglichkeit, die Urverfassung allgemeiner Wehrhaftigkeit der Freien und die Anforderungen eines sich nach kurzen friedlichen Zwischenräumen wiederholenden Kriegsdienstes in Einklang zu sehen mit den wirthschaftlichen Bedürfnissen großer, auf weit auseinander zerstreuten Strecken ansässig gewordener Völkerstämme.

Ernährte im Zeitalter der ersten Völkerwanderungen der Sold Römischer Imperatoren oder die in Geld ausgezahlte Kriegscontribution angegriffener Culturstaaten oder gewaltsam weggeschleppte Kriegsbeute die herumziehenden Kampfgenossenschaften, so kam es nach geschehener Niederlassung Germanischer Stämme darauf an, für den ständigen und regelmäßigen Unterhalt des Kriegers im Voraus zu sorgen, was nur in Gestalt einfachster Arbeitstheilung zwischen der Heerdienstpflichtigkeit auserlesener Waffenträger und wirthschaftlicher Landarbeit kleiner Leute zu ermöglichen war. Auch bei anderen älteren Nationen zeigten sich mancherlei dem Lehen ähnliche Erscheinungen. Länder und Befißthümer, sogar Kronen, Würdenstellungen und Königreiche wurden im Orient von mächtigen Eroberern unter dem Vorbehalt des Widerrufs gegen Uebernahme bestimmter Leistungen von Seiten der Empfänger verliehen. Derartige Verleihungen entsprangen jedoch regelmäßig aus dem Be= dürfniß, anderweitig fehlende Machtmittel der Herrschaft über unterworfene Nationen zu ersehen.

Das Germanische Beneficium entsprang aus volksthümlichen Bedürfnissen, d. h. aus der Erkenntniß jener nothwendigen Schonung landarbeitender

Klassen, deren Beachtung gleichzeitig den monarchischen Interessen überall entsprach.

Ohne die bei anderen Völkern in der Urzeit geboten gewesenen Mittel theokratischer Offenbarung oder eines priesterlich gehandhabten Gesetzes zur Erzwingung des Gehorsams freier Männer zu besißen, konnte das Germanische Königthum zum Aufbau auch der inneren Ordnung nicht anders gelangen als durch die allmälige Erschaffung eines Dienstadels, der deswegen mit der Leihe von Grund und Boden ausgestattet werden mußte, weil die Mittel der Geldwirthschaft nicht vorhanden und die Aussichten auf Entlohnung durch gelegentliche Kriegsbeute nicht mehr ausreichend waren, schließlich auch an die Durchführung eines Naturalsteuersystems, wie im kirchlichen Zehnten, in jenen Zeiten nicht gedacht werden konnten.

Von der nothwendig gewordenen Arbeitstheilung zwischen Heerdienst oder Gestellungspflicht einerseits und Landarbeit des Bauern andererseits ausgehend, erzeugt das Beneficium sodann das Germanische Urbild aller welt= lichen Amts- und Steuerordnung und nach dem Verfall der Karolingischen Grafenverfassung auch der einzig möglichen Vermittelung eines Rechtsschutzverhältnisses für solche, die weder durch königliche Gerichte, noch durch genossenschaftliche Vereinigung, noch durch die Waffen der Selbsthülfe hinreichend gegen Bedrückung und Willkür vertheidigt werden konnten.

Nur in kleineren, örtlich beschränkten Gebieten des Lehns, deren Umfang freilich ein sehr ungleicher sein konnte, war es möglich, durch die präsente und gleichzeitig bewaffnete Macht des Vasallen3) die räumliche Abwesenheit der königlichen Gewalt für die Menge des Landvolkes zu erseßen und nach Jahrhunderten der Verwüstung die Gewöhnung an die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht des Gehorsams auf Umwegen vorzubereiten.

Wie sehr die Lehnsinstitution nicht nur dem mittelalterlichen Bedürfniß der Kriegsordnung nach Außen, sondern auch gleichzeitig den Anforderungen des Rechtsschutzes nach Innen entsprach, ergiebt am klarsten die Thatsache, daß es eben nicht blos vermeintliche Schenkungen oder königliche Vergabungen waren, aus denen das vasallitische Verhältniß hervorging. In Zeiten allgemeiner Unsicherheit sind in der Mehrzahl der größeren Staaten nicht wenige Grundbesihmassen, die ursprünglich Allod waren, zu Lehen aufgetragen worden, um eines wirksameren Rechtsschutzes theilhaftig zu werden, als ihn der freie Eigenthümer sich wahren konnte: eine Erscheinung, die sich in der Verallgemeinerung ländlicher Hörigkeit und Abhängigkeit in Folge eines oft freiwillig erwählten Unterwerfungsactes ehemals selbständig gewesener Landbewohner unter Verzichtleistung auf die alten bäuerlichen Freiheiten wiederholte.

Durchaus analoge Entwickelungsbedingungen führten in der Gesammtheit der mittelalterlichen Staaten zur Umwandlung der ursprünglich persönlichen Verleihung des Grundlehns zu der Erblichkeit des Lehns: ein Vorgang, dem keinesfalls universale Bedeutung für den Entwickelungsgang der völkerrechtlichen Beziehungen abgesprochen werden kann. Denn in ihm manifestirt sich

endgültig der Uebergang von der Altgermanischen Personalität der Rechtsanwendung zu dem System der Territorialität, das heißt zu dem Gedanken der örtlichen Gebundenheit des Rechtes und seiner Beschränkung auf ein bestimmt begränztes Gebiet, innerhalb dessen dann freilich die durch Lehn und Grundbesitz oder Hofwesen, durch geistliches Amt, bürgerlichen Beruf oder bäuerische Abhängigkeit bedingten ständischen Gliederungen ihre personale Bedeutung behalten können. Die allmälig eintretende Unterordnung der personalen Rechtsstellungen unter den in der Erblichkeit des Lehns wurzelnden Gedanken der Territorialität bewährte sich aber gerade darin, daß man in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters personale Sonderrechte der höheren Stände als „Privilegien" auffaßte, deren Bestätigung bei einem Regierungswechsel durch den Landesherrn erforderlich erachtet wurde.

Durch die in Recht und Pflicht des Vasallen eintretende Erblichkeit im Zusammenhange mit der überall geltend gewordenen Vorstellung einer dem Grundbesig innewohnenden politischen Qualität der Dienstbarkeiten, Amts= berechtigungen oder Beherrschungsverhältnisse scheidet sich dann endgültig die öffentlich rechtliche Ueberlieferung des Germanischen Rechtes von dem Römischen Recht, welches zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut keine grundfäßlich trennenden Unterscheidungsmerkmale gesezt hatte.

An das Lehn anknüpfend, wird das ländliche oder agrare Immobiliar recht des großen und größten Grundbesizes zur Basis eines höher entwickelten Staatsbegriffes, der, weil er an einheitlichen Vorstellungen großer Nationen nicht hängen konnte, an die Größe der Gebiete anknüpfte, deren Abtrennung aus dem Dominium eminens in den Händen eines,,Oberherrn" lag. Privatrechtlich gedachte Gebietsnußungen vermittelten den staatsrechtlichen Begriff wirksamer Gebietsherrschaft oder Regierungsordnung und beengten oder erweiterten je nach den Umständen auch die Vorstellungen von dem Inhalt der königlichen Gewalt: beengend durch ihren Zusammenhang mit den mittelalterlichen, ständischen Verfassungsbildungen, erweiternd durch ihre Verbindungen mit dem Wachsthum folcher gesellschaftlichen Bedürfnisse, die im kleinsten Rahmen örtlicher Machtbefugnisse des Vasallen nicht hinlänglich befriedigt werden konnten, son= dern zu einer stärkeren Centralisation der Gewalt drängten.

Durch das Lehnrecht gelangte, siegreich gegenüber der in Frankreich und unter den Karolingern verderblich gewesenen Theilbarkeit der Reichsgebiete nach oben aufsteigend der Grundsatz der Untheilbarkeit des Landes aus den mehr privatrechtlichen Beziehungen in das öffentliche Recht der Thronfolge und des Staatsvermögens. Der rechtshistorische Entwickelungsgang des Germanen= thums ist somit großentheils demjenigen des Römischen Staatswesens entgegengesetzt.

War bei den Römern das Jus privatum ein Sonderrecht, abgetrennt vom Jus sacrum und publicum der alten Volksgemeinde, so löst sich nach der Germanischen Eroberung überall das öffentliche Recht von den anfänglichen privatrechtlichen Vorstellungen des untheilbaren, erblichen Grundlehens ab, so

daß der Grundbegriff persönlicher, von Hause aus nur durch freien Willen beschränkbarer Freiheit der einzelnen Rechtsgenossen als Fundament der öffentlichen Rechtsbeziehungen erschien.4) Nach allen Seiten hin entwickelungsfähig, beeinflußte das feudale System seit dem 11. Jahrhundert sämmtliche Institutionen der bürgerlichen und geistlichen Gesellschaft.

Was zunächst die Kirche anbelangt, so vermochte auch diese sich dem Einfluß der Vasallität nicht zu entziehen, obgleich ihr zur Versorgung der Geistlichkeit und zur Ausstattung ihrer Anstalten der Zehnte neben zahlreichen Zuwendungen von freien Gütern und Werthgegenständen zur Verfügung stand. Die Kirche empfing und vergab Lehen.

Aus jenem Dualismus geistlicher Exemtionen und Immunitäten auf der einen Seite und der weltlichen, im Lehn wurzelnden Berechtigungen und Verpflichtungen entsprang der Investiturstreit, eine der bemerkenswerthesten Phasen des Kampfes zwischen Staat und Kirche, dessen Inhalt unter vielfach veränderten Gestalten sich auch in späteren Jahrhunderten wiederholte. Zwischen dem Laienadel und dem hohen Clerus bildete somit das Lehen eine gesellschaftliche Uebergangsformation, vermöge welcher die Geistlichkeit in den Gang weltlicher Staatsgeschäfte, vornehmlich in den allgemeinen Entwickelungsproceß reichs- oder landständischer Corporationen, hineingezogen wurde.

Selbst die städtische Machtentfaltung vermochte sich in den Europäischen Staaten Germanischen Ursprungs dem Zusammenhange mit dem Lehnswesen nicht zu entziehen. Das Institut der Burg- und Marktlehen griff in den Zusammenhang der städtischen Interessen, je nach den thatsächlichen Verhält nissen, bald hemmend, bald fördernd ein. Und in der negativen Richtung der Befreiung gewisser Städte von feudalen Berechtigungen des umwohnenden Landadels oder der Fürsten lag vielfach der Ausgangspunkt einer neuen, an die städtischen Corporationen anknüpfenden Culturblüthe.

Solchergestalt war das Lehn geeignet, nach allen Seiten hin theils Verbindungen und Uebergänge, theils Gegensätze und Streitfragen zu schaffen. Dies zeigte sich insbesondere dann, wenn man den völlig verschiedenen Entwickelungsgang beobachtet, den zumeist seit dem Zeitalter der Kreuzzüge die monarchischen Staatsverfassungen in Europa genommen haben. In England 5) namentlich ward die strenge Durchführung und Handhabung der oberlehnsherrlichen Gewalt durch die Normannischen Könige das Mittel zur Herstellung einer frühzeitig vollendeten Staatseinheit und zur Ueberbrückung der gesellschaftlichen Gegenfäße durch Parlamentsverfassung und Selbstverwaltung der Gemeinden, während umgekehrt auf dem Europäischen Continent die lehnsrechtlichen Institutionen als schwer zu überwindender antimonarchischer Machtorganismus das Fürstenthum zu jenen wechselvollen Bürgerkriegen nöthigte, in denen die städtischen Corporationen zwar eine hervorragende Rolle spielten, aber ihre Gemeindefreiheiten schließlich preisgeben mußten.

In internationaler Richtung und in den außerstaatlichen Beziehungen bewährte sich die universale Lebensmacht der mittelalterlich feudalen Anschauungen

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