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Entfaltung, unabhängig vom religiösen Glauben, nicht gelangen konnte, so wird es leicht begreiflich, daß nach Mohamedanischer Lehre das Kriegsrecht viel früher zu einem festen Abschluß gelangen mußte. Dies geschah durch die Wirksamkeit der neuen orthodoxen Rechtsschulen, deren Aufgabe es war, die Vorschriften des Koran und der Tradition in Einklang zu seßen mit den wahrnehmbar gewordenen Bedürfnissen des praktischen Lebens.

Das Handbuch der Hidayah, dessen Verfasser 1196 starb, enthält in zehn Kapiteln klare Vorschriften über Kriegsrecht. 3) Als Hauptwerk über internationales Kriegsrecht muß jedoch das zur Blüthezeit der Mohamedanischen Herrschaft um 1280 in Spanien auf der Hidayah beruhende Vikayâh angesehen werden. 4) Wenn man annähme, daß dessen Verfasser einer an= erkannten Autorität genoß oder seine Arbeit von dem Gesetzgeber anbefohlen war, so würde es wohl zulässig sein, die Vikan âh als älteste Arabische Codification des Kriegsrechtes zu bezeichnen.

Keine der wesentlichen Beziehungen des Kriegsrechtes fehlt in diesem durch Präcision und Kürze ausgezeichneten Rechtsbuche, in welchem nicht blos von Beute und Eroberung, sondern sogar von Kriegssteuern, Contributionen, Kriegscontrebande und Postliminium, wenn auch nicht gerade unter den heute ge= bräuchlichen Bezeichnungen, die Rede ist.

Alles in Allem genommen, verdient das Kriegsrecht der Araber den Ruhm der Menschlichkeit. Die wichtigsten Grundzüge desselben waren folgende: Der Krieg muß vorher angekündigt werden. Die übliche Form dieser Ankündigung ist die Aufforderung zur Bekehrung oder zur Zahlung von Kopfsteuer für den Chalifen. Frauen sollen sich, außer in Nothfällen, am Kriege nicht betheiligen. Sie haben auch keinen passiven Kriegsstand und müssen ebenso wie Kinder, Greise, Wahnsinnige und Krüppel verschont bleiben. Zehn Dinge sind im Kriege verboten: z. B. Waffengewalt während der vier besonders bezeichneten Friedensmomente (Gottesfriede), Verstümmelung an Nasen und Ohren, Verlegung von Kriegsgefandten, Vergiftung von Brunnen und Trinkwasser, der Kampf gegen Rechtgläubige und anderes mehr. 5)

Vergleichungsweise streng erscheinen die Vorschriften über Kriegsgefangenschaft deswegen, weil als normales Schicksal des Gefangenen (wenn er sich nicht bekehrt) Tod oder Sclaverei bestimmt und Freilassung oder Löfung nur durch mildere Praxis aus Nüglichkeitsgründen zugelassen war. Einen unbedingten und dauernden Friedensschluß mit Ungläubigen giebt es nicht; es sei denn, daß der Besiegte sich zur Entrichtung der Grundsteuer, also zur Unterwerfung bequemt. Die normale Dauer des Friedens beträgt zehn Jahre. Plöglicher Ueberfall und Friedensbruch gilt als verwerflich. 6)

Auf das Eingehendste sind durch das Arabische Recht die Verhältnisse der Kriegsbeute und der Eroberung geregelt.

Plünderung durch einzelne Kämpfer ist auf das strengste verpönt und mit Höllenstrafe bedroht. Aus Altorientalischer Praxis entstammt die Ordnung

der Gottesbeute, wonach der fünfte Theil des Kriegserwerbes den Verwandten des Propheten oder gleichsam der pia causa der Muhamedaner ge= widmet ist. Alle nicht geweihte Beute wird ordnungsmäßig vertheilt und zwar unter sorgfältiger Vorausbestimmung der Antheile (für Reiterei, Fußvolk u. s. w.).

Daß die Araber zur Zeit ihrer großen Eroberungen mit dem Rechtsbegriff vom immobiliaren Privatgrundeigenthum wenig vertraut waren, lehrte ihr Eroberungsrecht, das in allen seinen Hauptstücken auf die gesellschaftliche Ueberlieferung nomadisirender Stämme hinweist. In den alten acerbautreibenden Gemeinwesen, im Nilthale, in den fruchtbaren Districten Mesopotamiens und in Spanien stellt sich der Sieg der Araber ungefähr so dar, wie ehemals die Herrschaft der Hyksos im alten Aegypten. Grundsäglich gebührte erobertes Land nicht einmal dem Chalifen persönlich, sondern der Gesammtheit aller Moslim in der ganzen Welt: eine juristisch zwar un= brauchbare, aber der religiösen Begeisterung schnell vorwärts stürmender Reiter= horden ganz entsprechende Vorstellung.

Völlig verschieden von den Neigungen des siegreichen Germanen waren somit diejenigen des erobernden Arabers. Seinem Vorstellungskreise fehlte ein landschaftliches Mittelglied zwischen dem Reiz der Wüste und der phantastischen Großartigkeit des um eine Prachtmoschee gelagerten Bazars. Ihm konnte es nicht behagen, in Wäldern zu roden oder der Wildniß den Ackerbau abzuringen. Wo er bebautes Land vorfand, zog er vor, die unterworfene einheimische Bevölkerung in Knechtschaft für sich arbeiten zu lassen. Das Lehnssystem war zwar den Arabern nicht unbekannt, aus den völkerpsychologischen Differenzen zwischen Germanen und Arabern erklärt sich aber der völlig verschiedene Entwickelungsgang, den im Mittelalter die Culturgeschichte der beiden größten erobernden Nationen genommen hat.

1) S. darüber Sprenger, (a. a. D.) III, 312ff.

2) Sure II, 257: „Es giebt keinen Zwang in der Religion." Auch die Aufforderungen zur Annahme des reinen Monotheismus, die Muhamed selbst an den Griechischen Kaiser Heraclius, den Fürsten des Koptenreichs und andere Herrscher richten ließ, klingen noch bescheiden und knüpfen an die Stelle des Koran III, 47 und IX, 31 an. Es heißt daselbst: Obschon ich Prophet bin, maße ich mir keine Autorität über Euch an, aber wir erkennen auch Jesum, die Engel, Eure Nönche und die Heiligen nicht als göttliche Wesen an." Sprenger (a. a. D.) III, 267, Erst die Tradition schuf durch Verheißungen und Drohungen die Begeisterung Für den Gehad (Glaubenskrieg). Ali sagte: „Der Krieg für die Sache Gottes ist eines von den Thoren des Paradieses."

3) Die Ueberschriften dieser Kapitel sind (nach Haneberg) folgende: 1. Von der Verpflichtung zur Theilnahme am Kampfe gegen die Ungläubigen. 2. Art und Weise der Kriegführung. 3. Friedensschluß, Gewährung von Sicherheit für Einzelne und durch Einzelne. 4. Von der Beute und ihrer Vertheilung. 5. Von den Er. oberungen der Ungläubigen. 6. Von der Behandlung der Schußbefohlenen. 7. Vom

Zehnt oder von der Grundsteuer. 8. Von der Kopfsteuer. 9. Von dem Verfahren gegen Apostaten. 10. Von der Behandlung der Rebellen. Diese Kapitelüberschriften kehren im Wesentlichen bei sämmtlichen Handbüchern wieder.

4) Verfasser ist Borhan el Sheriah Mahmud el Mahbub. Haneberg, der (a. a. D.) S. 60 eine Uebersetzung mittheilt, nimmt an, daß das,,Kriegsbüchlein" auswendig gelernt wurde.

5) Der Krieg gegen Keter (z. B. die Schiiten) gilt sogar als heiliger (sog. Gehadj).

6) Dies schloß natürlich praktische Zuwiderhandlungen ebenso wenig wie unter christlichen Monarchen aus. So wurde 1648 den Venezianern Candia durch plößlichen Ueberfall entrissen.

§ 68.

Die Kirchenverfassung und das Canonische Recht. Literatur: Außer den zahlreichen Lehrbüchern des Kirchenrechts, unter denen dasjenige von Hinschius das katholische Verfassungsrecht am gründlichsten in völliger Unabhängigkeit von confessionellen Traditionen darstellt: Bickel, Geschichte des Kirchenrechts. Gießen 1843. v. Schulte, Die gegenseitigen Verhältnisse der Bischöfe, Concilien, Päpste. Prag 1871. Maaßen, Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts im Abendlande Bd. 1. Graz 1870. v. Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur des Canonis schen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart. Bd I. (Stuttgart 1875.) Sir Robert Phillimore, Commentaries vol. II, 343 ff.

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Ob eine wirkliche Continuität zwischen der urchristlichen Idee und der Römischen Kirchengestaltung bestehe, kann hier unerörtert bleiben. Jedenfalls ermöglichte es ihre Verfassung der mittelalterlichen Kirche als Weltmacht aufzutreten, die gleichzeitig und gleichartig in allen christlichen Staaten wirkte und lehrte, außerdem aber auch über und neben den einzelnen Ländern eine gesonderte und selbständige Existenz zu behaupten vermochte.

Grundlage und erste Stufe aller weiteren Bildungen war die Gemeinde gewesen: Anfangs eine auf sich selbst gestellte personale Vereinigung von Glaubens- und Leidensgenossen, die Angesichts zahlreicher Bedrückungen oder Verfolgungen genöthigt war, ihr Dasein zu verbergen und ihre Versammlungsstätten zu wechseln, wurde sie zuletzt zur räumlich abgegränzten territorialen Grundeinheit des christlichen Lebens, aus welcher der Begriff einer universalen, äußeren sichtbaren Kirche allmälig herausreifte, bis er seinen vollendeten Ausdruck in der einheitlichen Kirchengestaltung des Römischen Katholicismus erhielt. Die ältesten Gemeinden der Urchristen fanden ihren Gegensatz in der Machtüberlegenheit der jüdisch gebliebenen oder heidnischen Welt, die sie umgab oder zur inneren Vereinigung ihrer Glieder drängte. Nach dem Siege des Christenthums über den heidnischen Staat kehrte sich dies Verhältniß um:

Die räumlich abgeschlossene Gemeinde christlicher Staaten entbehrte meisten= theils des sichtbaren Gegensatzes neben sich. Sie fühlte sich als Macht über das Leben und das Gewissen der Einzelnen oder als Glied eines großen Organismus, der sie hinwiederum durch das Priesterthum beherrschte, dessen Führerschaft in dem Kampfe gegen feindliche Gewalten des Heidenthums den Oberbefehl ausgeübt hatte und auch nach gewonnenem Siege durch Autorität der Lehre und durch Spendung der Sacramente für die Alltagsbeziehungen der Menschen in allen wichtigen Vorgängen des Hauses und der Familie herrschend blieb.

Indem sich die sichtbare Kirche und zwar zunächst in städtischen Verkehrsplätzen ausbreitete, wiederholte sich dieser Proceß der Gemeindebildung überall bis an die äußersten Gränzen der Christenheit und sogar über diese hinaus. Gemeindebildung war daher überall das nächste und erste Ziel aller Mission, wenn es darauf ankam, die Herrschaft des Glaubens über die Einzelnen oder neu gewonnene Nationen zu begründen.

Die am meisten entscheidende Thatsache des öffentlichen Lebens im Mittelalter war sicherlich die, daß die Kirche in ihren Gemeinden ein unterstes Organ des Volkslebens besaß, in welchem sie ihre priesterliche Macht bewähren und behaupten konnte, während später entstandene Staaten sich sehr langsam so weit erstreckten, daß sie die Gemeinde in den Bereich ihrer Machtinteressen zu ziehen vermochten. Jede auf Nachbarschaft, auf Grundbesizertheilung oder Erwerbsverhältnissen beruhende Ortsgemeinde des Mittelalters war vorher zunächst Kirchengemeinde, was vornehmlich in allen ländlichen Bezirken einflußreich wurde. In solchen Gemeinden repräsentirte auch das schiedsrichterliche Amt des Clerus die Anfänge ständiger Justiz.

Auf einer zweiten Entwickelungsstufe, welche die Verlegung der politischen Centralgewalt nach Constantinopel, den Untergang des Weströmischen Kaiserthums und die Begründung Germanischer Staatswesen durch Gothen, Longobarden, Franken und Sachsen auf den Ländergebieten Italiens, Spaniens, Galliens, Britanniens und Germaniens zur Voraussetzung hat, vollzieht sich jene für die internationalen Beziehungen nicht unwichtige Trennung zwischen der Orientalischen Staatskirche der Byzantinischen Kaiser und den mehr kirchenstaatlichen Bildungen des Abendlandes, die von der jeweiligen Stellung der Frankenkönige und (nach Karl dem Großen) der Deutschen Kaiser so lange beeinflußt werden, bis die Römische Kirche ihre volle Unabhängigkeit gewinnt: ein Zustand der Dinge, der trot mancher noch später eintretenden, aber vorübergehenden Schwankungen gegen das Ende des XI. Jahrhunderts erreicht erscheint.

Der kirchenrechtliche Ausdruck dieser Umwandlung offenbart sich in der scharfen Sonderung des höheren und niederen Clerus, in der Abgränzung der bischöflichen und erzbischöflichen Regierungsrechte, in der hierarchischen Unterordnung der kirchlichen Amtsstellen, woran es zu Zeiten des Urchristenthums durchaus gefehlt hatte, endlich in der ihnen entsprechenden räumlichen

Eintheilung des der kirchlichen Herrschaft unterliegenden Gebietes in bischöfliche Sprengel und Kirchenprovinzen. Es sind zwei Erscheinungen, die, nachdem sie in dieser Periode zuerst allgemein üblich und fühlbar geworden sind, auf die Staatenbeziehungen der Folgezeit stets nachgewirkt haben: die Veranstaltung großer öcumenischer Kirchenversammlungen seit dem IV. Jahrhundert, die Einrichtung nationaler Landessynoden (zumal in der Spanischen und Fränkischen Kirche) und die Ausbildung des kirchlichen Aemterrechts im Sinne des ständigen Berufs und der fachmäßigen Vorbildung, nach derem Muster der Staat sich vielfach richtete, als er eine monarchische Aemterordnung nothwendig fand.

Was zunächst die öcumenischen Concilien oder Weltkirchencongresse anbelangt, so sind sie unzweifelhaft, ganz abgesehen von ihrer innerkirchlichen Bedeutung, für die Feststellung sowohl des Dogmas als auch der canonischen Grundregeln des christlichen Lebens, als ein in internationaler Hinsicht bedeutfames Phänomen der Universalgeschichte aufzufassen. Es wäre ein handgreiflicher Irrthum, wenn man annehmen wollte, die Rückwirkung der Concilienschlüsse auf die Stellung der Fürsten zu einander wäre eine nebensächliche und unbedeutende gewesen. Bis in das Reformationszeitalter hinein erschien ein allgemeines Kirchenconcil als die höchste und unbestreitbarste Instanz des gesammten kirchlich religiösen, sittlichen und öffentlich rechtlichen Lebens der Völker, als internationale Versammlung kirchlich staatlicher Organe mit gesetzgebender und richtender Gewalt, sich bethätigend sogar gegen die Päpste und von diesen selbst in früheren Zeiten angerufen. Für denjenigen Zeitraum der Geschichte, wo bischöfliche Diocesen und metropolitane Kirchenprovinzen lediglich nach religiösen Gesichtspunkten innerhalb der einzelnen Nationen abgegränzt wurden, läßt sich daher wohl behaupten, die öcumenischen Concilien seien die grundsäßlich vollendetste Repräsentation gewesen, zu welcher die ka tholische Christenheit vor dem Zeitalter der Reformation überhaupt gelangen konnte eine Einrichtung, in der Einheit des Glaubens sich mit der Mannigfaltigkeit der durch nationale Gliederungen der Staaten bedingten Bedürfnisse des politischen Lebens ins Gleichgewicht zu sehen vermochten. Wären nachmals die öcumenischen Concilien nach gerechtem Vertheilungsmodus gebildet worden und gleich den mittelalterlichen Bildungen des Englischen Parlamentarismus zu dem Grundsaße der Periodicität in ihre Vereinigung gelangt, so wäre damit wahrscheinlich der Ausgangspunkt gefunden gewesen, die großen Conflicte späterer Zeiten zu verhüten und einen vollkommneren Völkerrechtszustand zu begründen. Die Durchführung eines solchen, dem päpstlichen Machtinteresse freilich durchaus zuwiderlaufenden Planes würde aber gleichzeitig die Fortentwickelung der in der älteren Fränkischen Periode so einflußreich gewordenen Nationalconcilien erfordert haben, um mit und aus diesen zu einer universalen Repräsentation nicht nur rein dogmatischer, son= dern auch sittlicher und politischer Interessen zu gelangen.

Was das Aemterrecht der Kirche anbelangt, so mußten seine Gestaltungen

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