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Bona fides und Mangel des dolus, auch den XII Tafeln begriffsmäßig nicht fremd, waren nicht nur die wesentlichsten Merkmale aller practitischen aequitas, sondern auch die Mittelpunkte, um welche sich das Obligationenrecht bewegte. Und gerade das Obligationenrecht repräsentirt denjenigen Theil des jus gentium, wo dieses gegenüber oder neben dem jus civile zuerst erstarkte.

Sodann wirkte auf das prätorische Peregrinenedict sicherlich auch jene geistige Macht, welche von Griechischer Philosophie nach Rom übertragen worden war. Wurzelte die aequitas vornehmlich in Altrömischen Begriffen, so entsprach ihr als philosophische Weltrechtsvorstellung der Griechen derjenige der naturalis ratio und menschlicher Freiheit (libertas), nachdem man dieselbe von der Zugehörigkeit zu bestimmten Staatsrechten getrennt oder ge= lehrt hatte, daß persönliche und sittliche Freiheit des Einzelnen am besten durch Zurückhaltung von öffentlichen Geschäften gewahrt werden könnten. 6)

Dieses natürliche Recht (jus naturale) der allgemein menschlichen Freiheit entbehrte für die rechtsprechenden Organe der Römer zwar der unmittelbaren Anwendbarkeit, mußte aber für die Fortbildung des Edicts Bedeutung erlangen. Denn aus ihm entfloß die wichtige Forderung, daß der übereinstimmende Willensgehalt freier Menschen ohne Rücksicht auf die Formen seiner Aeußerungen überall rechtlich geachtet und bei eintretenden Streitigkeiten im Privatrechtsverkehr nach den Maßstäben der Sittlichkeit (boni mores), der Ratio= nalität und der praktischen Geschäftserfahrung ermittelt werden sollte. In der Kaiserzeit besonderte sich dann wiederum das Naturrecht als rein philosophische Betrachtung der Vernunftordnung. Internationales Privatrecht (jus gentium) und Naturrecht der Römer waren somit zwar nicht identisch, aber doch nahe verwandt und durch die Vorstellung der Freiheitsrechte des Menschen in Berührung geseßt. Verstand die Philosophie die menschliche Freiheit zunächst ethisch, so nahm die Rechtspraxis sie geschäftlich im grundsäßlichen Gegensatz gegen die Beengungen des Verkehrs durch zeitraubende Proceduren oder Formalitäten.

Weder die Rechtsgutachten und Aussprüche kaiserlicher Juristen, die sich immer nur auf den einzelnen Fall bezogen, noch die Gesetzgebungsacte der Comitien, noch kaiserliche Constitutionen hätten jemals das Werk der innerlichen Ausgleichung zwischen jus civile und jus gentium herbeiführen können. Nur der prätorischen Magistratur und ihren Edicten war diese Möglichkeit verliehen, mit deren Erfüllung dem Weltrechtsverkehr innerhalb der Privatsphäre der größte Dienst geleistet wurde.

Das Römische Civilrecht, wie es in den Pandecten Justinians erhalten ist, darf nicht als ein System von (privaten) Menschenrechten genommen werden, denn noch immer wird die Rechtsfähigkeit an die Zugehörigkeit der Rechtssubjecte zum Römischen Weltreich geknüpft, wenn es auch in dem Bereiche desselben keine Peregrinen im alten Sinne mehr giebt.

Demnach wohnt dem Römischen Privatrecht in allen denjenigen Bestandtheilen, die von den Culturformationen der Kirche, der Geistlichkeit und des religiösen Glaubens oder von der späteren Gestaltung der Grundbesigverhältnisse nicht nothwendiger Weise berührt werden mußten, die Eigenschaft inne, als Weltrecht für den vermögensrechtlichen Verkehr der Menschen, ohne Rücksicht auf religiösen Glauben, Sprachgemeinschaft oder Nationalität, Stand oder Gesellschaftsklassen, zu dienen.

Mit dem Entwickelungsgange des jus gentium Schritt haltend, erwuchs aus dem Edicte der Prätoren und der Rechtspflege die Wissenschaft des practischen Civilrechts, deren Principien universale Bedeutung für alle Zeiten beanspruchen dürfen. Von diesem Anspruch kann auch dadurch nichts herabgemindert werden, daß der Inhalt einzelner, in den Thatsachen des antiken Lebens wurzelnder Rechtssäge durch Umgestaltungen der gesellschaftlichen Zustände in der Folgezeit entwerthet worden ist. Das Wichtigste der Römischen Jurisprudenz bleibt, daß sie im Verlaufe der Kaiserzeit gelernt hatte, unabhängig von den Wandlungen der Politik, von Glaubenssatzungen und von philosophischen Speculationen, sowie von althergebrachten Wortformeln aus der fachlichen Natur der Rechtsgeschäfte den freien Rechtswillen des Menschen zu erkennen. 7)

1) Ueber die Prätur s. Mommsen, Staatsrecht 11, 185 ff. Der erste praetor, qui inter cives jus dicit war 387 v. Chr. eingesetzt worden. Der sog. praetor peregrinus (eigentlich praetor, qui inter peregrinos jus dicit) war an den Aufent halt in der Stadt nicht gebunden. Der Peregrinenprätor ward 605 Vorsitzender der (ersten) ständigen Criminalcommission für repetundae, bei denen die Rechte der Peregrinen eine große Rolle spielten.

2) S. darüber Voigt (a. a. D.) II, 134.

3) Mommsen (Staatsverwaltung II, 212 n. 3) findet es merkwürdig und von den neueren Juristen nicht gehörig beachtet, daß aus unserer Literatur das edictum praetoris peregrini gänzlich verschwunden ist, denn der angebliche Com, mentar Labeo's dazu beruhe auf einem Mißverständniß (L. 9 § 4 Dig. 4, 3). Mir scheint umgekehrt, daß das Verschwinden des Peregrinen-Edicts in der Kaiserzeit so natürlich und allmälig vor sich ging, daß weder die alten noch die neueren Juristen etwas Auffallendes darin erblicken konnten.

4) Mommsen, Staatsrecht II, 217.

5) Vornehmlich de offic. III, 5, 23. 17, 67; de republ. 1, 2; Orat. Part. 37, 130. Vgl. darüber Voigt (a. a. D.) I, 65.

6) Ueber die naturrechtlichen Lehren der Griechischen Philosophie siehe Voigt (a. a. D.) I, 81 ff.

7) Ueber die durch das jus gentium geschaffene Interpretationsmarime fiehe Boigt (a. a. D.) IV, 49ff.

Viertes Kapitel.

Die christliche Kirche im Mittelalter.

§ 65.

Die rechtliche Bedeutung der christlichen Idee.

Literatur: Köstlin, Das Wesen der Kirche. Stuttgart 1854. F. Ch. Baur, Das Christenthum und die christliche Kirche der ersten Jahrhunderte. 2. Aufl. Tübingen 1860. S. 175-304. Derselbe, Die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts in den Hauptmomenten ihrer Entwickelung. Tübingen 1859. S. 229-262. F. Laurent, Études sur l'histoire de l'humanité. T. IV. (Le christianisme). 1855. S. 19 ff.

Keine der großen monotheistischen Religionen trat unvorbereitet in den geistigen Zusammenhang mit der sichtbaren Welt. Am wenigsten aber war dies beim Christenthum der Fall. Seine historischen Grundlagen sind in der Hauptsache in dem bisherigen Gange der internationalen Entwickelungspro= zesse bereits angedeutet und offenbaren sich in dreifacher Gestalt: In der streng nationalen religiösen Lebensauffassung des Judenthums, in der kosmopolitischen Anlage des hellenischen Geistes, der schließlich den Orient und den Occident einander genähert hatte, in der centralistisch rechtlichen Ordnung des Römerthumes. Durch die Vereinigung und Verschmelzung dieser Ele= mentarbestandtheile erhob sich das Christenthum zur Weltreligion. Denn es zeigt sich, daß, von den Colonisationen später entdeckter Welttheile abgesehen, das Christenthum nicht viel weiter vorgedrungen ist, als bis zu den äußersten Gränzen derjenigen Gebiete, welche von den Einflüssen des Hebräischen, Griechischen und Römischen Geistes oder von der Macht Germanischer, von Rom beeinflußter Waffen berührt worden waren.

Aus dem Judenthum und seiner troß der Römischen Herrschaft nicht gebrochenen Nationalität entstammte die still aber mächtig wirkende Anziehungskraft der Messianität, die Verheißung einer die irdische Unvollkommenheit der Staatsgestaltungen überstrahlenden Herrlichkeit des Gottesreiches, der den Griechen und Römern völlig fremde Dualismus von Gott und Welt, das den Volksgeist der Israeliten tief durchdringende Gefühl menschlicher Sünde und menschlichen Erlösungsbedürfnisses, die asketische Richtung einer das Fleisch" abtödtenden oder unterjochenden Buße.

Daher die geschichtliche und Anfangs auch örtliche Gebundenheit des Christenthums an die Stätten des heiligen Landes, wo der Erlöser gewan

delt, daher die Abhängigkeit der christlichen Lehre von der Vorgeschichte des alten Testaments, vor allen Dingen aber die überall Gemeinden bildende Kraft der Bekehrten und Getauften, die gerade die Juden durch Eril und Gefangenschaft in den Leiden der Jahrhunderte längst gelernt und bereits vor der Zerstörung Zions durch Titus in zahlreichen Städten, wie Antiochien, Damaskus, Alexandrien und sogar in Rom, bethätigt hatten. Aus dem Judenthum endlich entstammte der äußere Apparat des priesterlichen Rituals, den das Christenthum für seine Zwecke ausgestaltete und entwickelte, die Mischung des Schriftgelehrtenthums, das den Buchstaben der alten Schrift und ihrer Verheißungen auf die Wortauslegungen des neuen Bundes zu übertragen und damit die Anrufung ungeschriebener Traditionen zu verbinden wußte, um Fortbildungen zu eng gewordener Satzungen zu ermöglichen.

Blieb das vorchristliche Zudenthum grundsäßlich im nationalen Monotheismus durchaus befangen, so hatte sich dagegen die Griechische Philosophie nach Sokrates allgemein zum universalen Monotheismus erhoben und ein von allem Ritual unabhängiges Sittengesetz aufzustellen unternommen. Als das Christenthum des Paulus, aus den Syrischen Ursprungsstätten der Lehre heraustretend, die Gestade des Aegäischen Meeres und damit große Weltstädte wie Ephesus, Athen, Korinth und nachmals Rom erreichte, wurde es unvermeidlich in Berührung mit denjenigen philosophischen Lehren gefeßt, welche zu jener Zeit am weitesten verbreitet waren. Die nationalen Ueberlieferungen ältester jüdisch-christlicher Anschauung erhoben sich in jene höheren Regionen der Speculation, aus welcher schließlich die Lehre vom Logos und der Trinität in die Urkunde der Schrift oder in das Bekenntniß gelangten. Ursprache der neuen Religionsurkunden und Evangelien ward die Sprache der Philosophen, ohne die ein schriftlicher Gedankenaustausch in den ersten Zeiten des Urchristenthums kaum denkbar gewesen wäre. 1) Erst durch den Gebrauch der Griechischen Sprache ward der christlichen Lehre die Möglichkeit eröffnet, in den allmeinen Weltverkehr einzutreten und das speculative Interesse der nicht blos büßenden, sondern auch forschenden Zeitgenossen anzuregen. Sodann in den Mittelpunkt des damaligen politischen Lebens, nach Rom gelangend, verband fich die Verkündung des Evangeliums mit der juristischen Ueberlieferung der Rechtsbildung und der Idee der Weltherrschaft. An die Stelle des orbis terrarum setzte sich nach und nach das imperium des unsichtbaren Kosmos, des Himmelsreiches, der Gedanke der Katholicität, der Einheit und Allgemeinheit der Kirche. Die Formulirung bestimmter Wortfäße, Glaubensregeln und Dogmen, die Feststellung von Bekenntnissen nicht blos historischen Inhalts der Heilsthatsachen, sondern auch suprenaturalistischer Theoreme folgte aus den legislatorischen Vorbildern der Römischen Jurisprudenz und ihrer an die Methode der Jurisprudenz sich anschließenden Definitionspraxis. Wie die Griechische Philosophie so mußte auch die charakteristische Seite des Römischen Lebens in die weitere Ausgestaltung der christlichen Lehren eingreifen: im Leiden der Märtyrer die Anwendung des Römischen Strafrechts auch

auf solche, die gleichsam hochverrätherisch in staatsfeindlicher Gesinnung die Majestät der Kaiser und des Römischen Volkes durch Ueberordnung einer höhe ren Weltordnung leugneten; im Handeln der Apostel und ihrer Nachfolger die Aufstellung von Definitionen des Glaubens, von deren Annahme der Begriff der Rechtgläubigkeit und die Zugehörigkeit zur mitbürgerlichen Genossenschaft in der Gemeinde abhängig gemacht werden sollte.

So ist das Christenthum als eine internationale in den äußeren Weltgang seit dem Zeitalter des Tiberius eingreifende Potenz nicht anders zu begreifen, als durch die religiös vermittelte Vereinigung des im Judenthum, im Hellenenthum und Römerthum vornehmlich internationalen Ausdehnungstriebes: Dargestellt war somit im Christenthum, nachdem es sich in Rom festgeseßt und von dortaus weiter zu verbreiten begonnen hatte: 1. die nationaljüdische, schriftlich bezeugte Tradition der Verheißung und des priesterlichen Amtes im Gegensatz zum Laienthum; 2. die speculative Richtung der Hellenischen Philosophie, welche das göttliche Wesen theils als logischen Begriff, theils als eine sich in verschiedenen Manifestationen offenbarende, in der Natur wirkende Kraft des Guten zu erfassen und zu lehren bemüht gewesen war; endlich 3. die Römische Tradition, hervortretend in der Tendenz rechtlich verpflichtender Dogmenbildung und Bekenntnißformulirung, sowie in der Gestaltung der Kirchenverfassung, welche drei Phasen nach Römischem Vorbilde in der alten und mittelalterlichen Geschichte durchlief: die Phase der urchristlichen, durch keine organisirten Gewaltverhältnisse verbundenen Einzelgemeinde, als Abbild der Gemeinde von Jerusalem oder in späterer Zeit der Gemeinde von Rom, gleichsam die communalstaatliche Formation der antiken Welt. Die mittlere Phase der Diöcefan- und Metropolitan= verfassung, als Abbild einer gleichsam föderalen Bundesverfassung kirchlicher Provinzen; die letzte Phase einer centralistischen Universalverfassung, als Abbild des Römischen Principats und Imperatorenthums in der geistlichen Weltordnung.

Zwischen diesen Hauptphasen gab es selbstverständlich eine nicht geringe Anzahl von Uebergängen oder Vermittelungen. Im Großen und Ganzen aber darf nicht übersehen werden, daß die christliche Idee in ihrem politischen, also äußerlichen Verlaufe, von den drei Grunogestalten der weltlichen Staatsbildung beherrscht wurde: von der communalstaatlichen in den ältesten Einzelgemeinden, von der bundesgenossenschaftlichen in den Gemeindeverbänden der Bisthümer und Erzbisthümer, von der centralistischen Weltstaatsbildung im Principat des über das Erzbisthum hinausreichenden Oberpriesterthums, worin gleichzeitig die Altorientalischen Großmachtsbildungen der Theokratie wieder aufleben.

Das Volksthum eines sinkenden, im Niedergange begriffenen Zeitalters kann freilich staatlich und gesellschaftlich niemals durch einfache Wiederholung oder Combination seiner eigenen. bereits geschichtlich verbrauchten oder abge= schlossenen Culturarbeit verjüngt werden. Seinen rein religiösen Bestand

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