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den, daß seine welterobernde Macht im Stande war, unzählbare Völkerstämme, Bewohner der nordischen Wildnisse und des subtropischen Wüstensaumes, Nachkommen Altägyptischer und Asiatischer Culturvölker, Semitische Monotheisten und Griechische Philosophen, Celtische Hochalpenbewohner und Ba= tavische Seefahrer in den Rahmen einer von den Juristen und Staatsmännern geschaffenen Einheit gemeinsamer Rechtsordnungen einzufügen. Als dieses ungeheure Werk, die Doppelarbeit einerseits der Völkerentwöhnung von uralten Sitten und Rechtsgebräuchen jener Nationen, andererseits der Anpassung aller practisch brauchbaren Elemente des Rechtsverkehrs gelungen war, gab es in Wirklichkeit ein antikes Weltbürgerrecht auf Grundlage Römischer Civilisation, das die Philosophie zwar geträumt, aber niemals zu schaffen im Stande gewesen war. Mochte es auch im staatlich politischen Sinne Angesichts einer alles verschlingenden Despotie geringwerthig erscheinen; im menschheitlichen Sinne war die Einheit der wichtigsten Rechtsvorstellungen ein Gut von unermeßlicher Bedeutung.

Mit diesem Anerkenntniß einer dem Römischen Recht nachzurühmenden Einheitlichkeit und Widerspruchslosigkeit darf man indessen keine falschen Vorstellungen verbinden. Denn zwischen den ältesten, an die Volkssage und die Königsmythen anstreifenden Anfängen des Priesterrechts und den lezten Rechtssammlungen Oströmischer Kaiser liegt eine unvergleichliche Reihe von Entwickelungen, deren Wesen aber gerade durch den inneren Zusammenhang ihrer Bedingungen einer historischen Einheit angenähert wird, so daß sich nirgends die Grundmerkmale der Römischen Rechtsanlage plößlich verleugnen.

Mit der inneren Gleichmäßigkeit der Entwickelung aller Rechtsinstitute stand es wesentlich im Zusammenhang, daß, so lange der Rechtsstoff im Großen und Ganzen noch bildungsfähig war, niemals ein Gesezgebungs-Organismus allein bei seiner Vervollkommnung, Ergänzung, Reinigung und Verbesserung betheiligt war, wie ehemals etwa die Macht der Priester oder Könige in Orientalischen Staaten oder die Abstimmung der Volksversammlungen in Hellenischen Republiken.

Bis zu dem Zeitpunkte, da die geistigen und materiellen Kräfte der Römer der Erschöpfung verfielen und das Imperatorenthum unter öden Hofceremonialien eine Scheinmacht mit fremden Söldnern mühsam aufrecht erhielt, waren es immer mehrere Organe gewesen, die, sich wechselseitig ergänzend und beschränkend, zur Fortbildung des Rechtes, sei es in der Administration der Provinzen, sei es in der Entscheidung einzelner Rechtsfälle, sei es in den Geseßgebungsacten der Comitien, oder in den Berathungen des Senats zusammenwirkten. Selbst die Cäsaren der ersten Jahrhunderte nach Christus dachten nicht daran, sämmtliche Functionen der Rechtserzeugung in ihren persönlichen Willen zu centralisiren.

Auf solchem Wege gleichzeitigen Zusammenwirkens mehrerer Staatsorgane ward dem Römischen Rechte allseitige Brauchbarkeit und zwar leichte Anwend

barkeit gesichert, die überall darauf beruht, daß die Tragweite der geltend ge machten Normen nicht in die Gebiete abstracter Speculation hinüberreicht, gleichzeitig aber über die kurzsichtige Casuistik des einzelnen Falles hinausgeht.

Wer die besten Theile des Römischen Pandektenrechts und die in ihm bezeugte Methode juristischen Denkens mit der Behandlung verwandter Themata im Talmud, oder in den Schriften Griechischer Rhetoren und Philosophen verglichen, wird auch ohne vorangegangene historische Studien wenigstens einen deutlich merkbaren Eindruck davon gewinnen, wie in den Römischen Juristen jene Macht klarer, practisch brauchbarer Rechtsanschauung sich gleichsam personificirt hatte, die aus dem Volksgeiste selbst abstammte, und sich vor ihnen theils in Volksversammlungen, theils in Gesetzgebungsausschüssen, theils in der Wirksamkeit der Volkstribunen und des Senates, vornehmlich aber in der Prätur unverkennbar geoffenbart hatte.

Die Römischen Juristen standen am Schlußpunct der ihrer legten Arbeit unterworfenen Materie gegenüber dem Verfassungswesen des Staates ungefähr so, wie die Griechische Philosophie zur Zeit des Aristoteles oder seiner Nachfolger Angesichts des von Makedonien herannahenden oder bereits hereingebrochenen Verderbens.

Als Papinian und Ulpian im Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. ihre ruhmvollen Rechtssprüche ertheilten, konnte man bereits aus den Germanischen Wäldern jenseits der Donau und aus den Steppen Daciens den überwältigenden Kriegsruf der Barbaren weithin vernehmen, keinenfalls aber darüber in Zweifel sein, daß das Römische Volks- und Staatswesen unrettbar vom Imperatorenthum verschlungen worden war. Das öffentliche Recht der Römer hatte unter Caracalla aufgehört zu existiren, als das Römische Privatweltrecht auf dem Gipfel wissenschaftlicher Ausbildung angelangt war und das politische Bürgerrecht keinen Gegenstand des Streites mehr abgeben konnte.

Betrachtet man die historische Gleichzeitigkeit tiefster politischer Erniedrigung des Hömischen Gemeinwesens unter kaiserlichen Tyrannen, deren Verworfenheit niemals übertroffen worden ist, und hoher Privatrechtscultur, so kann man nicht im Zweifel sein, daß beide Thatsachen sich wechselseitig bedingten.

Bei den Griechen war der juristische Gedanke zu keiner vollen Selbstän digkeit in seinem Dasein gelangt. Alles bewegend, blieb die politische Idee auch Alles beherrschend. In Rom trennte sich staatliche Zweckmäßigkeit und prac tischer Geschäftsverkehr, indem das Recht der Einzelnen sich begriffsmäßig von dem Nußen der Staatsgesammtheit absonderte.

Das größte Werk der Römischen Rechtsentwickelung bestand somit in der Klärung und Feststellung der Privatrechtssphäre im Verhältniß zum öffentlichen Recht. Dies zu vollbringen war nur eine Nation befähigt, die bei allen ihren Waffenthaten und Eroberungen rechtliche Ueberlieferungen auf das Strengste festhielt. Beherrschend in den Vorstellungskreisen der Römer wirk

ten nämlich jene Thatsachen: Jeder Bürger behielt in den unterworfenen Provinzen sein persönliches Recht soweit, als nicht die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten gewisse Veränderungen nothwendig mit sich brachte. Dem Fremden dagegen, der nach Rom kam, ward soviel an Rechtsfähigkeit zuge= standen, als mit der nicht politischen Beurtheilung seiner Interessen und der menschlichen Billigkeit sich vereinbaren ließ.

Zwischen dem vollen Bürgerrecht der Römer und dem rein privaten Rechtsgenuß des Fremden gab es Jahrhunderte hindurch erhebliche Zwischenstufen. Man unterschied Latinisches Recht und Italisches Recht gegenüber dem Provinzialrecht. Schließlich blieb nach dem Verschwinden dieser Zwischengestalten das einheitliche Privatrecht von Unterthanen unter dem Titel eines politisch inhaltlosen Bürgerrechts, eines Privatrechts, ohne sonstige Unterscheidung sprachlicher, nationaler oder religiöser Unterscheidungsmerkmale. Das war das Ergebniß einer Betrachtungsweise, die vornehmlich in der Zeit des Verfalles auf die hervorragendsten Juristen um so mehr anziehend wirken mußte, je weniger ihnen Aussicht geboten war, auf den Gang der öffentlichen Angelegenheiten entscheidend einwirken zu können.

Culturgeschichtlich in seiner Gesammtheit gewürdigt, enthält somit das Römische Recht drei große Massen von Rechtssäßen.

Erstens das Privatrecht, das sich in strengster innerer Geschlossenheit zu einem einheitlichen System entwickelt hatte und zum Abschluß gerade in der Zeit allgemeinsten Sittenverfalles und trostloser politischer Staatszerrüttung gediehen war: die einzige Ueberlieferung des Volksgeistes, die von der Despotie geachtet und geschont wurde, daher geeignet, unabhängig von bestimmten Staatsformen als entnationalisirtes Rechtssystem überall in seinen Hauptsäßen angenommen und fortgepflanzt zu werden, ein reines Product practischer Rechtskenntniß und juristischer Geschäftserfahrung, ausgestattet mit der Anlage, als internationales Privatrecht von der Wissenschaft schlechthin auch unter räumlich und zeitlich veränderten Verhältnissen der Staatenbildung verwerthet zu werden.

Zweitens das öffentliche Recht mit seinen verschiedenen Verzweigungen. 3war entbehrt auch diese Masse nicht eines gewissen historischen Zusammenhanges mit der Vergangenheit älterer Verfassungsformen. Das Entscheidende aber bleibt dabei, daß es seine Daseinsberechtigung in der Voraussetzung kaiserlicher Willkür hat. Man empfindet, daß das Römische Weltreich unfähig war, irgend eine andere Verfassung zu haben als diejenige centralisirter, uneingeschränkter Kaisermacht, die auch den großen Juristen als Fügung des Verhängnisses erscheinen mußte. Aber es ist von vornherein klar, daß dieser Verfassung keinerlei Nachahmungswürdigkeit an sich innewohnte. Eben dies begriff man früher nicht. Die kaiserliche Idee und die Anziehungskraft des Cäsarismus waren es gerade, wodurch die Römische Jurisprudenz befähigt ward, die Zerstörung des Römischen Reiches selbst zu überleben. Irr

thümlich erblickte man im Römischen Recht selber weniger die archivalische Erhaltung durch das Corpus juris, sondern ein Werk kaiserlicher Weisheit.

Endlich haben wir drittens diejenigen an Umfang geringen Bestandtheile der Römischen Rechtsbildung ins Auge zu fassen, welche als völkerrechtlich im engeren Sinne bezeichnet werden können und sich auf das Verhältniß der Hömer zu anderen Mächten beziehen.

1) Als Bildungsfactor der gelehrten Weltbildung moderner Zeiten ist der Orient durch die Hebräische Sprache nur bei Theologen repräsentirt, das Hellenenthum durch den Unterricht im Griechischen für die historisch-linguistischen und philosophischen Studienkreise, das Lateinische als nothwendiger Bestandtheil aller höheren, nicht blos der Gelehrten Bildung repräsentirt, sodaß hier im Allgemeinen nicht der höhere ästhetische und wissenschaftliche Werth, der dem Griechischen zuerkannt werden mußte, sondern die größere zeitliche Nähe der antiken Culturen und deren practische Brauchbarkeit (für Kirchendienst, Staatsamt und Romanische Sprachstudien) entschied. 2) Bei den Griechen taucht der Name Italien" zuerst im Zeitalter Alexanders des Großen auf, als Alexander von Epirus bei Pästum landete. Liv. VIII, 17, 10.

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§ 58.

Die Entwickelungsepochen in den völkerrechtlichen
Beziehungen der Römer.

Literatur: Die vollständigste Uebersicht über die Literatur der Römischen Rechtsgeschichte giebt A. Rivier (im Anschluß an Savigny's Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter) in seiner Introduction Historique au droit Romain. Nouv. ed. Bruxelles 1881, § 4, § 214ff. Vornehmlich: Puchta, Cursus der Institutionen I (8. Ausgabe von Krüger, 1875). Rudorff, Römische Rechtsgeschichte. 2. Bd. 1857-1859. Kunze, Institutionen und Geschichte des Römischen Rechts. (2. Ausgabe 1879). Esmarch, Römische Rechtsgeschichte. (2. Ausgabe 1877 ff.) v. Jhering, Geist des Römischen Rechts. (Französisch von Meulenaere 1877.) - Padelletti, Lehrbuch der Römischen Rechtsgeschichte. (Deutsche Ausgabe von v. Holzendorff, 1879). S. 3. 193 373 ff. Maynz, Cours de droit Romain. 4. éd. 1876. Willems, Le droit public Romain depuis l'origine de Rome jusqu'à Constantin-le-Grand. 3. éd. Louvain 1874.

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Bruxelles

Obgleich das Altrömische Recht mannigfache Verwandtschaften mit Griechischen Anschauungen aufweist, ist der Entwickelungsgang der Römischen Rechtserzeugung und Jurisprudenz dennoch ein völlig verschiedener, sogar weltgeschichtlich einzigartiger gewesen. Man kann die Natur des Römischen Rechts der Bildsamkeit der für Werke der Plastik geeigneten Dietallmassen vergleichen, deren Vereinigung und Mischung es ermöglicht, die Sprödigkeit und Härte des Stahls gleichzeitig mit der Weichheit des Kupfers zu verschmelzen.

Was den Griechen troß der Fülle ihrer Culturanlagen gefehlt hatte, war den Römern verliehen: Formenstrenge in der Wahrung und Fort bildung ihrer Rechtsgrundsäße, Einseitigkeit eines unbeirrt auf die practischen Bedürfnisse des gesellschaftlichen Lebens gerich= teten Sinnes, ein höheres Maß von Unabhängigkeit der rechts, bildenden Staatsorgane vor den Schwankungen rein politischer Bewegungen. In Griechenland hatten zuletzt Religion, Ethik, Recht und Kunst ihren lehten Einheitspunkt in den Zweckmäßigkeitsforderungen der freien bürgerlichen Staatsgenossenschaft, also in der Politik gefunden. Anders in Rom. Staat, Behörden und Gesetzgebung folgten einem im Innern des Volkes lebendigen Triebe, die feste, mit altem Herkommen der Väter verwach fene, auf den Einklang von Sitte und Religion gestüßte Lebensordnung nicht durch gelegentliche Gesetzesvorschriften verwirren zu lassen, sondern im engsten Zusammenhang einheitlicher, durch feste Formen gesicherter Rechtsübung zu fichern.

Es ist deshalb ganz richtig, wenn von jeher die Römer als Rechts- und Staatsvolk in aller Kürze charakterisirt worden sind. Ihnen fehlte jener kosmopolitische Zug des Griechischen Geistes, der zwar zu den höchsten Leistun gen der Kunst, Wissenschaft und Technik Anregungen mannigfachster Art gab, aber auch nothwendig zur Zersplitterung des staatlichen Lebens führen mußte. Rom bewahrte sich strenge Einheitlichkeit seines Rechts auf allen Stufen seiner Verfassungsbildung. Aus dem Stadtrecht eines Anfangs wenig bedeutenden Burgfleckens ward ein Volksrecht glücklicher Eroberer und schließlich ein Weltrecht, das seine Schöpfer überlebte.

Erst seit der durch Hugo und Savigny erfolgten Begründung der neueren historischen Rechtsschule und im Zusammenhang mit einer kritisch sichtenden Geschichtsschreibung, die, an Niebuhrs Namen anknüpfend, die reinsten und zuverlässigsten Quellen der Historie aufsuchte, gleichzeitig aber auch den inneren Gehalt der alten Römischen Volkssage wissenschaftlich zu verwerthen verstand, hat man begriffen, daß der innere Zusammenhang des Römischen Rechts und aller seiner Bestandtheile aus den von Justinian gesammelten Bruchstücken und Kaisergesehen nicht voll erkannt werden kann, zu seiner Erforschung vielmehr der geschichtliche Prozeß allmäliger Entfaltung des Rechts blosgelegt werden muß.1)

Die Epochen der Römischen Rechtsgeschichte sind, wenn man von den großen Abschnitten der Verfassungsentwickelung, also vom Untergange republikanischer und monarchischer Staatsformen absieht, nicht leicht abzugränzen. Denn die Almäligkeit und Unmerklichkeit der juristischen Umbildungsprozesse und Gestaltveränderungen gehört zu den eigenartigen Merkmalen der Römischen Rechtsgeschichte.

Ebenso wenig darf übersehen werden, daß da das Werth-Verhältniß des öffentlichen Rechtes zum Privatrecht und Prozeß zu verschiedenen Zeiten eben:

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