Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

auch nachdem sie sich von einander geschieden, eine ideale Lebensgestaltung in der Erinnerung an seine Person hinterließ, aus welcher dann in der Folgezeit von den einzelnen philosophischen Schulen dasjenige zum Zwecke der geistigen Fortpflanzung herausgegriffen wurde, was dem Einzelnen an Sokrates vornehmlich bedeutend und verehrungswürdig erschienen war, oder auch der Fassungskraft und Naturanlage einzelner Schüler besonders nahe gelegen hatte.

Wie die Künste, insbesondere Architectur, Plastik, Malerei und Poesie, mit ihrer nationalen Richtung das Hellenische Staatswesen aufgebaut und in Athen der Blüthe entgegengeführt hatten, so wurde auf der anderen Seite die Philofophie mit ihrer nothwendig in Religion, Politik und Sittenlehre menschheitlichen Richtung eine Begleiterscheinung des staatlichen Verfalles.

Selbständige Denker, die den Maßstab des sittlich Gebotenen oder Erlaubten aus ewigen und unabänderlichen Principien außerhalb der politischen Zweckmäßigkeitsforderungen ableiten, finden im öffentlichen Leben selten einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz. Wenigstens dann nicht, wenn die Demokratie, wie in Athen der Fall war, in den Zustand der Massenentartung verfällt oder das Staatswesen, wie anderwärts in Griechenland während des 4. Jahrhunderts v. Chr. so oft geschah, der Tyrannis der Gewalthaber zur Beute fällt. Zwar hatte Platon die Hoffnung auf die Möglichkeit, den Attischen und Hellenischen Volksgeist durch sittliche Wiedergeburt zu erneuern, noch nicht aufgegeben, als er diejenigen Staatsideale entwarf, durch deren Aneignung die Zwietracht der Parteien in einem Zustand politischen, sittlichen und öconomischen Gemeinschaftslebens aufgelöst werden sollte. 8) Aber schon Aristoteles mußte die nachmals eingetretene Wendung der staatlichen Dinge voraussehen, nachdem er die Niederlage Athens erlebt und die Hinneigung Alexanders des Großen zu dem Asiatischen Pomp fürstlicher Gewaltverherrlichung erkannt hatte.

Hatte die Weltschöpfung und Kosmogonie der Jonischen Naturphilosophie ihr ältestes Problem gestellt, so lieferte die Politik ihr das leßte, und zwar in der doppelten Aufgabe, die historischen und thatsächlichen Bedingungen der Entstehung, Erhaltung, Leitung und Zerstörung staatlicher Bildungen zu entdecken und diejenigen Grundsäße aufzufinden, auf welche fußend der Staatsbürger eines untergehenden oder verfallenden Gemeinwesens sich selbst dem Schicksale allgemeinen Verderbens zu entreißen und in die unzugänglichen Formen eines rein sittlichen Kosmos zurückzuziehen vermochte.

Für die internationalen Beziehungen der Folgezeit sind Politik und Ethik in ihrem Anschluß an die Auffassungsweise des Sokrates, Platon oder oder Aristoteles als wissenschaftliche Stiftungsurkunden einer weltbürgerlichen Gemeinschaft im Kosmos der Ideen aufzufassen.

Zerstörte die Jonische Naturphilosophie den Zusammenhang der scheinbar unbeseelten oder als göttlich vorgestellten Naturkräfte mit den uralten Lehren priesterlicher Gottesweisheit, indem an deren Stelle die ewig sich erneuernde Selbstschöpfung der Natur in Gemäßheit der Bewegungen irgend

einer ihnen innewohnenden, sei es als vernünftig, sei es als unbewußt vorgestellten Urkraft, gesetzt wird, so vernichteten Ethik und Politik die Verbindung oder doch den ursprünglich gegebenen Zusammenhang zwischen den Lebensaufgaben des einzelnen Menschen und seiner genossenschaftlichen Rechtsstellung im Staatswesen. Denn in der Periode des Verfalles muß die weltbürgerlich kosmopolitische und sittliche Aufgabe des Einzellebens immer höher gestellt werden, als die Fesselung freier Persönlichkeit durch praktisch nationale Gemeinschaftsziele, die dem Einzelnen entweder unerreichbar oder geradezu verwerflich erscheinen.

In demselben Maße, wie das staatliche Leben in der Hellenistischen Zeit weiter zurückging und wissenschaftlich kritische Probleme in den Vordergrund der Interessen traten, mehrte sich auch die Zahl und räumliche Verbreitung solcher, die in voller Zurückgezogenheit von öffentlich politischer Wirksamkeit ihre Selbstachtung zu retten suchten: eine Erscheinung, die sich unter ähnlichen Verhältnissen und Voraussetzungen, zumal aber im Römischen Alterthum mit beginnender Bersetzung der republicanischen Staatsformen und noch mehr in dem Zeitalter des Cäsarismus wiederholt.

Die Idee des Weltbürgerrechts innerhalb eines räumlich unbegränzbaren Kosmos intellectueller Gemeinschaft ist somit eine Frucht der Griechischen Philosophie und zwar vornehmlich derjenigen Richtung, welche die richtige Erkenntniß der vom alten Götterglauben ebenso wohl, wie von den politischen Zweckmäßigkeitsforderungen befreiten, aus der ethischen Natur abgeleiteten und von Staatsgesetzen befreiten Sittenlehre als höchstes Gut erkannt und geübt wissen wollte.

Wie auf dem Boden von Hellas unter einzelnen Freistaaten und kleineren Gemeinwesen ein Hellenisches, die kleinen Communalstaaten mit einander verbindendes Conföderationsrecht sich gebildet hatte, das den begriffsmäßigen Forderungen des Völkerrechts deswegen genügte, weil es die beiden Forderungen innerer Autonomie jedes einzelnen Gemeinwesens und das Anerkenntniß eines fie nach Außen rechtlich beschränkenden Gesammtzweckes enthielt, so erhob sich auch der nationale Griechische Geist, durch seine philosophische Läuterung zur Erkenntniß der von Sittengefeßen beherrschten Menschheit. In dieser Erkenntniß wurzelt aber gleichzeitig das wissenschaftliche Princip des Völkerrechts. Im Alterthum selbst gelangte dasselbe nur deswegen nicht zu weiterer praktischer Ausgestaltung, weil von ihrem Erscheinungsstandpunkte ausgehend, die Griechischen Philosophen sich nicht vorzustellen vermochten, daß souveräne Volksversammlungen oder gewaltthätige Tyrannen zu ihren Zeiten durch allgemein menschliche Pflichtgebote, unabhängig von abergläubischen Ceremonien, bei der Wahrnehmung auswärtiger Staatsbeziehungen geleitet werden könnten. Mit anderen Worten: es gelang den Griechischen Philosophen nicht, eine staatliche oder rechtliche Construction zu finden, die geeignet gewesen wäre, jenen mächtigen Strom des geistigen Lebens zu überbrücken, an dessen einem Ufer die

Idee freistaatlicher Autonomie gelegen war, während am gegenüberliegenden Ufer die Idee der universal menschheitlichen Pflichtenlehre herrschte. 9) Der Gedanke föderativer Bildungen ist von seinem Hellenischen Ursprungsgebiete, wo eine Nation in verschiedene Kleinstaaten sich zersplittert hatte, niemals auf die Beziehungen großer einheitlicher Nationalstaaten zu einander übertragen worden.

Im Uebrigen bleibt das einheitliche Weltbild, das Aristoteles vor der Nachwelt entrollte, das großartigste Monument menschlicher Denkkraft. Die Natur wird zur organisirten Selbstherrscherin im Kosmos, der Staat selbst eine Provinz in dem Weltreiche der menschlich gesellschaftlichen Natur, das erkennende Denken das Werk eines die Thatsachen und Erscheinungen des Lebens beobachtenden Prozesses.

1) Samos war damals der Mittelpunkt für die internationalen Beziehungen, es stand in den engsten politischen Beziehungen zu Aegypten. Pythagoras bes gab sich in die Dorischen Colonien Unteritaliens und gründete seine Schule in Kroton. Man schrieb ihm Unfehlbarkeit zu. Ranke (a. a. D. S. 7) fagt: „Ich fürchte nicht, zu weit zu gehen, wenn ich in dem pythagoräischen Bunde ein Institut sehe, das sich dem Vordringen des Phönicischen Aberglaubens, der von Carthago aus den Westen der Welt umfaßte, erfolgreich entgegenseßte. Es gewährt eine weite Aussicht, wenn man behauptet, daß die Lehre der Druiden in Gallien mit der pythagoräischen zusammenhänge."

2) Diodor (XIII, 84) giebt an, daß Agrigent, wo Empedokles auftrat, 200 000 Fremde in sich beherbergte. Empedokles stiftete, von allem Götterdienste absehend, die Lehre von den vier Elementen des Weltalls.

3) Auch der Stifter der Eleaten, Xenophanes, war bei dem Einfall der Meder aus Jonien entflohen.

4) S. Schleiermacher, Ueber Anaxagoras' Philosophie (Berlin 1815). Er war auch darin ein Vorgänger des Sokrates, daß er aus Athen verbannt wurde.

5) Dies geht schon daraus hervor, daß Protagoras der erste war, der nicht mehr unentgeltlich lehrte, sondern ein Honorar beanspruchte. Plato, Protag. 349a. Ihm folgten die Sophisten, doch scheint dieses Honorar mehr dem rhetorischen Unterricht als den philosophischen Vorträgen gegolten zu haben. S. auch Büchsenschüß, Besiz und Erwerb im Griechischen Alterthum, S. 562.

6) Ueber die Stellung der Sophisten zum Staatswesen s. Curtius (a. a. D.) III, 95 ff.

7) Ich vermuthe, daß seine pacevtixý aus der ihm bekannten Praris des Kreuzverhörs der Zeugen abstammte, die am Attischen Prozeß hochentwickelt war. Diese Art der Dialektik ist nicht von den Philosophen erfunden, sondern übernommen und vervollkommnet worden. Sie bildet dann ein Zwischenglied zwischen ihr und der Rhetorik. Die Kunst des Beweises war lange Zeit vor Gericht geübt worden, ehe fie der Philosophie die von Platon musterhaft geübte Methode der Darstellung lieferte. 8) Ueber Platons Verhältniß zur activen Politik s. Curtius (a. a. O) III, 544. Syrakus sollte unter dem jüngeren Dionysios als Philosophenstaat eingerichtet Handbuch des Völkerrechts I.

16

werden; Tyrannen und Tyrannenmörder zählten zu den Verehrern Platons. Später wandten sich die Akademiker vom politischen Leben ab.

9) Selbst die Möglichkeit einer monarchischen Herrschaft über Hellenen und Perser ward bezweifelt. Aristoteles dachte an eine Art von Personalunion. S. Plut. de fortun. Alex. I, 6: οὐ γὰρ ὡς Ἀριστοτέλης συνεβούλευε αὐτῷ, τοῖς μὲν Ἕλλησιν ἡγεμονικῶς, τοῖς δέ βαρβάροις δεσποτικῶς χρώμενος. καὶ τῶν μὲν ὡς φίλων καὶ οἰκειών ἐπιμελούμενος, τοῖς δὲ ὡς ζώοις ἢ φυτοῖς προσφερομένος.

Drittes Kapitel.

Das Römerthum.

§ 57.

Der Rechtscharakter der Römischen Cultur.

Literatur: v. Jhering, Geist des Römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung. 4. Aufl. 1878. Bd. I. S. 312ff. G. B. Niebuhr, Römische Geschichte. 3 Bde. 1811–1832 (zuleßt von Jsler in 8 Theilen 1873). J. Rubino, Untersuchungen über Römische Verfassung und Geschichte. 1839. Der= Th. Mommsen, Römische Geschichte. 3 Bde. 6. Aufl. 1874.

[ocr errors]

selbe, Römisches Staatsrecht. 2 Bde. 2. Aufl. 1876--1877.

Die erste Culturschicht internationaler Beziehungen lieferte der Orient, eine zweite das Hellenenthum.

Die dritte Schichtung aller universalen Culturbestandtheile des antiken Völkerlebens wird durch das Römerthum gebildet. 1) Rom übernahm durch die Eroberung Süditaliens und Siciliens während der Punischen Kriege, sodann ostwärts in seinen Eroberungszügen fortschreitend das Culturerbe der Griechen und der Orientalischen Nationen einschließlich Aegyptens.

Nach ihrer Geistesanlage in Künsten und Wissenschaften, an Beweglichkeit und Erfindungsgabe hinter den Hellenen weit zurückstehend, überragten die Römer doch alle Nationen der alten Welt durch staatliche Organisations= kraft und juristischen Formensinn. Sie sind kurzweg als Rechts- und Staatsvolk zu bezeichnen. Ihre Rechts- und Verfassungsbildung, erst auf königlicher, dann auf republicanischer Grundlage beruhend, durchlief einen Weltherrschaftsprozeß, dessen innerer Aufbau in seiner formalen Vollendung ebenso unerreichbar in seinem Bereiche erscheint, wie die besten Schöpfungen der Griechischen Plastik auf dem ihrigen. Nirgends in der Welt find die erobern

den Mächte des siegreichen Kriegsschwertes und des den inneren Frieden ordnenden Gesetzes in ein so enges Bündniß getreten wie in Rom.

Diese universale, für die internationale Culturgemeinschaft der Folgezeit fortwirkende Bedeutung des Römischen Staatswesens, dessen höchste Machtblüthe zeitlich genommen mit dem Niedergang der Hellenistischen Welt theilweise zusammenfällt), beruht zunächst in der bedeutsamen Wechselwirkung des Griechischen und Römischen Volkgeistes. Werthvolle Nachfrüchte der Rhetorik, der Poesie, Philosophie und Sculptur reiften in dem sogenannten goldenen Zeitalter der Lateinischen Literatur, die sich nach Griechischen Vorbildern aufbaute. Unter dem Einfluß Griechischer Weltanschauungen mildert sich die Altrömische Ausschließlichkeit gegenüber dem Fremdländischen. Fühlten sich Römische Republiken auf sittlichem und rechtlichem Gebiete den Griechen überlegen, so konnten sie deren Vorrang in zahlreichen Hervorbringungen geistiger Art nicht leugnen und nur auf Nachahmungen Bedacht nehmen, ohne je hoffen zu dürfen, die gleiche Stufe zu erreichen. Immerhin haben die Römer durch die Denkmäler ihrer Literatur die Abbilder des Griechischen Geisteslebens räumlich so weit verbreitet, wie es ohne Vermittelung der Römischen Herrschaft den Griechen nicht möglich gewesen sein würde.

Denkt man sich als Anfangspunkt der Römischen Weltherrschaft dieselbe Theilung, die als Endpunkt des späteren Römischen Staatsverfalles nach Theodosius eintrat, die Scheidung nämlich eines östlich-griechischen Staatswesens von einer occidentalischen Herrschaft in Westeuropa ohne vorangegangene Durchdringung der Griechischen und Römischen Cultur, so hätten die Werke des Hellenischen Geistes der Erziehungsaufgabe im mittelalterlichen Verlaufe der Geschichte nicht gerecht werden können.

Daß die Geistescultur der Römer der Griechischen nicht nur nicht ebenbürtig war, sondern, von den staatlichen Verhältnissen abgesehen, der Originalität im Großen und Ganzen überhaupt entbehrte, und deswegen für die Aufnahme Hellenischer Bildung so wohl vorbereitet war, gereichte der Nachwelt zum Vortheil.

Die Lateinische Literatur ist es gewesen, die nach dem Untergange des Römischen Staatswesens die Wiedergeburt der Hellenischen Gedankenwelt ermöglichte und jene Pilgerfahrten zu den Urquellen der Schönheit unter Gelehrten, Forschern und Künstlern anregte, deren Wirkung im späteren Mittelalter hervortreten sollte, indem damit ein neues Zeitalter eingeleitet wurde.

Die welthistorische Bedeutung der Römischen Literatur war aber für das Mittelalter selbst keineswegs durch ihren inneren Gehalt, sondern durch eine Anzahl practischer Bedürfnisse bedingt, denen sie zu genügen im Stande war. Durch ihre Vermittelung gelangte die Europäische Cultur zur Kenntniß des Rechtes, dem nach der Meinung nachgeborener Geschlechter die Eigenschaft innewohnte, Weltrecht gewesen zu sein oder wiederum werden zu können.

Die universale Bedeutung Roms für die Entwickelung allgemeiner internationaler Beziehungen muß daher auf die Grundthatsache zurückgeführt wer

« ZurückWeiter »