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schiedenheit der Rechtsbegriffe, die kleine Freistaaten von großen, weltgebietenden Monarchien trennen. Ein unzulänglich vermittelndes Glied bildete in dieser Hinsicht nur die thatsächliche Erscheinung der Tyrannis, die den Hellenen zwar nicht barbarisch, aber an sich rechtlos erschien, was sich namentlich in der antiken Auffaffuug des Tyrannenmordes ankündigt. Im Allgemeinen war das Barbarische gleichzeitig das menschlich Rechtlose, dessen Ueberwindung auch als das politisch Pflichtmäßige erscheint.

Wie verhält es sich nun mit den auswärtigen Beziehungen der Hellenischen Staatswesen zu einander? 3u keiner Zeit wurde verkannt, daß innerhalb Hellenischer Gesammtheit ein gemeinsamer Rechtsgedanke waltete und dazu antrieb, im gemeinsamen Gegensatz zum Barbarenthum die Autonomie der Einzelstaaten in Einklang zu seßen mit einer Panhellenischen Organisation aller einander verwandter Volksgemeinden. Wie wäre es möglich gewesen, dieses Gemeinschaftsbedürfniß aus dem Stammes- und Staatsbewußtsein auszutilgen, nachdem schon von Homer einer kriegerischen Conföderation von Fürsten und Nationalhelden die Palme des Ruhmes zuertheilt worden war? Die Orakel des Apollon oder Zeus, und der uralte Zusammenhang von Staatsrecht und Volksreligion, so ungenügend er sonst zur practischen Festigung von Bündnissen gewirkt haben mag, mahnten ebenso wie die Festspiele zu Olympia, nach denen der Griechische Staatskalender geführt wurde, zur Vereinigung der in ihrer Isolirung unzulänglichen Gemeindekräfte und zur erfolgreichen Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben. ·

Ausgeschlossen war für die Organisation der auswärtigen Angelegenheiten in Hellas zweierlei: sowohl der Gedanke völliger Gleichberechtigung aller einzelnen Staaten in einem Gesammtbündniß, als auch die völlige Verschmelzung ihrer Interessen zur einheitlichen, monarchischen Führung ihrer Diplomatie.

Der Gedanke staatsbürgerlicher Gleichberechtigung, zur Zeit der politischen Blüthe Athens und der Perikleischen Demokratie in den Volksversammlungen triumphirend, ist in wirksamer Weise niemals auf das gegenseitige Verhältniß der einzelnen Hellenischen Staaten übertragen worden. Einer im Innern des Staates siegreichen Demokratie wird es zur Unmöglichkeit, den Gedanken der Rechtsgleichheit auf anders verfaßte Staaten, zumal aristokratisch geleitete Gemeinwesen, im auswärtigen Verkehr zu übertragen. Athen haßte die Spartanische Aristokratie; Sparta fürchtete die Anziehungskraft demokratischer Vorbilder.

Das aristokratische Sparta und das demokratische Athen konnten sich also in der gemeinsamen Verfolgung einer Hellenischen Politik nach außen niemals wechselseitig als gleichberechtigt betrachten; auch dann nicht, wenn der Gedanke an einheitliche Gesammtorganisationen durch das Herannahen großer Gefahren von Persien nahe gelegt war. Mit Recht fürchtete Athen die inneren Rückwirkungen einer mächtigen Aristokratie in seiner eigenen Staatsverfassung zu erleben. Sparta blickte mit gerechtem Mißtrauen auf die Ausdehnungsfähig= feit des demokratischen Zaubers, der in dem Namen Athens lag.

Handbuch des Völkerrechts I.

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Es blieben somit Angesichts der Unthunlichkeit, die mit dem Stammesunterschiede der Dorer und Jonier vielfach zusammenfallenden Tendenzen der Verfaffungsbildung rechtlich auszugleichen, nur zwei Möglichkeiten bestehen: eine unter der Hegemonie von Sparta oder Athen gewaltsam zu schaffende Organisation aller minder mächtigen Gemeinwesen, also die Obhut einer leitenden Vormacht, oder eine auf beiderseitiger Anerkennung bestimmt begränzter geographischer Machtsphären begründete Gebietsscheidung der Nebenbuhlerschaften.

Die Zerstreuung Dorischer Colonien im nördlicheren, den Atheniensern politisch unterstehenden Seegebieten, das Hinausgreifen des Spartanischen Herrschaftstriebes über den Peloponnes bis nach Megara und Böotien, die verwandtschaftlichen Beziehungen des damaligen Atheniensischen Volksgeistes zu den Messeniern vereitelten jede Verständigung und führten zu jener unglücklichen Gleichgewichts- und Interventionspolitik, deren Frucht der Peloponnesische Krieg und schließlich der Zusammenbruch der Hellenischen Staatskräfte gewesen ist.

Wäre es erreichbar gewesen, nach dem Princip geographischer Gewaltentheilung in einem Panhellenischen Bunde, neben dem Grundsaße der Gleichberechtigung in der Berathung und Abstimmung aller Theilnehmer die Atheniensische Hegemonie im Seekrieg gegen Nichtgriechen mit der Spartanischen Hegemonie im Landkrieg fest zu organisiren, so würde Hellas auf seinem kleinen Gebiete nicht nur zu einer Weltmacht emporgestiegen, sondern auch das Werk Alexanders des Großen selbständig zu unternehmen befähigt gewesen sein. 1) Erwägt man, daß die Seestreitkräfte und die Landmacht der Carthaginienser den Römischen Machtmitteln nahezu ebenbürtig waren und daß an= dererseits unter Kimon die Flotte der Athener und des Delischen Bundes den Phöniciern weitaus überlegen sich erwiesen hat, so würde ein auf jener getheilten Hegemonie begründeter Panhellenischer Bund den Römern anderen Widerstand geleistet haben als die Könige von Makedonien und Epirus.

Wie tief die Anlage des föderativen Triebes und folgeweise das Streben nach einer international rechtlichen Organisation autonomer Gemeindestaaten im Volksgeiste der Hellenen wurzelte, liegt bereits in der Geschichte des ersten und ältesten Zeitraumes angedeutet. Einzelne Bundesverhältnisse reichen bis in die Anfänge Hellenischer Niederlassungen zurück und knüpfen sich theils an die Ueberlieferung gemeinschaftlicher Verehrungsstätten, theils an das in zahlreichen Colonien fühlbar gebliebene Bedürfniß des Zusammenhanges mit ihrem Mutterlande.

Nach Zweck und Inhalt führen die Hellenischen Bundesformationen verschiedene Namen. Lag ihnen die Bestimmung einer zur gemeinsamen Betrei= bung des Krieges geschlossenen Allianz zu Grunde, so sprach man von Symmachien, obgleich damit auch das thatsächliche Ergebniß einer engeren Gemeinschaft angedeutet sein konnte. Isopolitie zwischen mehreren Staaten war gegeben, wenn der Bewohnerschaft ausländischer Gemeinwesen Stimmrecht in Volksversammlungen oder Zutritt zu Staatsämtern eingeräumt wurde, was

theils einseitig, theils gegenseitig geschehen konnte, wie die Beziehungen der Byzantiner und Rhodier zu Athen ergaben. Bestimmte Vorzugsrechte aner= kannten Schußes gewährte vertragsmäßig begründete Progenie, wenn der gesammten Bewohnerschaft ausländischer Staaten die Stellung der Schußverwandten zugestanden wurde. 2)

Auf nachbarschaftlichen Verhältnissen und gleichzeitig auch auf religiösen Ueberlieferungen, deren Mittelpunkt irgend eine besonders geheiligte Tempelstätte zu sein pflegte, beruhten diejenigen Staatenbundesverhältnisse, die man als Am phiktyonien bezeichnete. Regelmäßige Wiederkehr gemeinschaftlicher Festfeierlichkeiten mag der ursprüngliche Anlaß gewesen sein, weswegen benachbarte Völkerschaften sich vereinigten, bis dann hinterdrein organisirte Versammlungen zur Berathung politischer Angelegenheiten, zur Unterhaltung nüßlicher Anstalten, zur Verwaltung eines Bundesschatzes oder zur Wahrnehmung kriegerischer Zwecke hinzutraten. Man erkennt in ihnen Anfänge des repräsentativen Systems, insofern als Abordnungen von Bundesgesandtschaften stattfanden.

War eine Amphiktyonie einmal begründet, so konnten sich dem vorhandenen Kern zunächst benachbarter Staaten entferntere Landschaften anschließen, um größerer Vortheile, als ihnen ihre Vereinzelung verhieß, theilhaftig zu werden.

Beispiele lieferte das uralte Heiligthum des Poseidon zu Onchestos in Böotien und auf Kalauria in der Nähe der Argivischen Küste, die Dorische Amphiktyonie mit ihrem Mittelpunkte in Argos und andere ähnliche. Zu höchster politischer Bedeutung gelangte während des 5. Jahrhunderts der Delische Bund, auf den sich die Atheniensische Seemacht stüßte und Athen durch seinen Vorsiß einen nachhaltigen Einfluß ausübte. Seine bedeutenden Geldmittel, deren freie Verwendung Athen als sein Recht gegen Widersprechende vertheidigte, flossen aus einem System von Umlagen, welche man heute als Matricularbeiträge bezeichnen würde.

Alle diese Staatenvereine wurden jedoch durch die Amphiktyonie des Delphischen und Pythischen Apollo übertroffen, die in der späteren Geschichte der Hellenen eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Ihre rechtlichen Einrichtungen sind uns am genauesten befannt.

Auf periodischer Versammlung eines aus den Bundesgesandten (Pyla= goren) der Mitgliederstaaten gebildeten Rathes beruhend, umfaßte dieser Staaten= verein zwölf Völkerstämme, unter denen die Thessaler, die Lokrer, die Phokier, die Dorer, die Böotier und Jonier die bedeutendsten waren. Aber auch in ihm wirkte der politische Gegensatz der Athener und Spartaner, insofern jeder von diesen beiden Staaten die Promantie beanspruchte. 3) Rechtlich genom= men waren die Mitglieder indessen einander gleichgestellt.

Durch feierlichen Eid gelobten die Amphiktyonen sich wechselseitig: keine amphittyonische Stadt zu zerstören, keiner das Trinkwasser abzuschneiden, im Kriege so wenig als im Frieden; so ein Staat dawider handelt, sollen die übrigen gegen ihn zu Felde ziehen und ihn vertilgen. Des Ferneren wurde

eidlich angelobt: so Jemand das Eigenthum des Gottes beraube oder Mitwisser und Mitberather zu einer Unternehmung gegen das Heiligthum sei, solchen zu strafen mit aller Macht.

Aus diesen Grundlagen entwickelte sich ein eigenes System der Bundesgesandtschaften, wogegen Zuwiderhandelnde sich den heiligen Kriegen aussetzten, deren einer im 6. Jahrhundert (um 586), zwei im 4. Jahrhundert (355-346 und 340) geführt wurden. Selbst Alexander der Große huldigte dem Nationalgeiste, als er sich von den Amphiktyonen zum Bundesfeldherrn gegen die Perser ernennen ließ.

Von höchster Bedeutung für die völkerrechtlichen Vorstellungen der Hellenen war es auch, daß die Amphiktyonen - Versammlung sich als Gerichtshof ermächtigt betrachtete, die Beobachtung völkerrechtlicher Grundsäße zu überwachen und Verstöße dagegen zu ahnden, wenn auch der historische Gegensat zwischen Athen und Sparta gerade diese wichtige Function nicht zu voller entscheidender Wirkung kommen ließ.

Zweimal im Jahre, im Frühling und im Herbst, traten die Bundestagsgesandten, die den Namen der Hieromnemones) führten, in Delphi oder Thermopylä zusammen, ohne daß sich ein Recht ständigen Vorsizes gebildet hätte.

Der in der Weltgeschichte so oft verhängnißvolle Gegensatz zwischen Recht und Macht ward auch dem Amphiktyonenbunde verderblich, nachdem im Norden Griechenlands sich eine Militärmacht gebildet hatte, die sowohl den Athenern als den Spartanern entschieden überlegen war. Auch in Hellas offenbarte sich die oft wahrnehmbare Unfähigkeit der städtischen Demokratie, diplo matische Beziehungen richtig zu beurtheilen, in dem Scheitern der von Demosthenes verfochtenen Bestrebungen. Die Rhetorik des Schwertes ist stets mächtiger als die Beschlüsse unkundiger Volksversammlungen oder die Rede eines Staatsmannes, der, wie Demosthenes, der Menge in entscheidenden Augenblicken unverständlich bleibt.

Griechenlands schlimmster Feind, Philipp von Makedonien, gefährlicher als Xerxes, weil er nicht nur erprobter Feldherr, sondern einer der schlauesten Diplomaten war, wurde von den Amphiktyonen im Kriege gegen die Phokier zu Hülfe gerufen, vollendete mit unglaublicher Schnelligkeit seine bewaffnete Intervention und begrub auf dem Schlachtfelde von Chäronäa (338) die Griechischen Volksfreiheiten. Mit ihnen endete auch die völkerrechtliche Bedeutung des Amphiktyonenbundes, dem Philipp eine neue, auf seine eigenen Interessen berechnete Scheinverfassung auferlegte.

Späterhin bemächtigten sich die Aetoler des Delphischen Heiligthums und erzwangen ihre Mitgliedschaft. Des Bundes spätere Schicksale und ein Reformversuch des Augustus sind ohne Bedeutung, falls man nicht etwa die Zurückweisung des Gallischen Einfalls in Griechenland (279) dem Amphiks tyonenbund zum Verdienst anrechnen will.

Auch die letzten Versuche der Aetoler und Achäer, durch Herstellung föderaler Einrichtungen ihren Widerstand gegen die Römer zu kräftigen, er

wiesen sich als erfolglos. Immerhin aber lassen auch diese Versuche ersehen, welche Aufgaben die Hellenen hätten lösen können, wenn sie zur Zeit ihrer staatlichen Blüthe verstanden hätten, die in ihren Conföderationen vorhandenen Keime organisirter Rechtsmacht für andere Zwecke auszubilden, als zur Ausnutzung im Dienste wechselseitiger Eifersucht. 5)

1) Dies ist auch die von Ranke vertretene Ansicht. Er urtheilt über den Anfang des Peloponnesischen Krieges: „Fürwahr ein gräßlicher Anblick: Die beiden Mächte, welche vereinigt eine universale Bedeutung in der Welt hätten erlangen können, in diesem wüthenden Kampfe einander zerfleischen zu sehen.“

2) Solche Verträge, wodurch der Civilrechtsschuß in Hinsicht des internationalen Privatrechts geordnet wurde, hießen oúμßola.

3) прoμavτɛía bedeutet das Recht (in derselben Angelegenheit) das Orakel zuerst zu befragen Da auf die Art der Fragestellung sehr viel ankam, handelte es sich nicht um eine Etiquettenfrage, sondern um ein practisch wichtiges Präsidialrecht.

4) Späterhin Ayopar poí, ein Wort, das Schömann (a. a. D. II, S. 37) gleich, bedeutend nimmt mit den beisizenden Pylagoren.

5) Ueber den Achäischen Bund s. vornehmlich Freeman, History of Federal Government und deffen Comparation Politics (London 1873/74 S. 216 ff.). Er vergleicht denselben mit der Nordamerikanischen Bundesverfassung.

§ 52.

Kriegsrecht und Friedensschluß.

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Literatur: W. Wachsmuth, Jus gentium, quale obtinuerit apud Graecos ante bellorum cum Persis gestorum initium, 1862. Schömann, Griechi sche Alterthümer II, 11 ff. Voretsch, Kretische Staatsverträge 1870. Müller-Jochmus, Geschichte des Völkerrechts im Alterthum, S. 123 f.

Wie die Griechischen Hopliten mit ihrer ehernen Ausrüstung auf den Schlachtfeldern von Marathon und Platää sich zu den Horden der Persischen Großkönige verhielten und sich die modernen Bezeichnungen der Taktik und Strategie an Griechische Ueberlieferungen anknüpfen, ebenso verhielt sich auch die in Hellas hervortretende Durchgeistigung der Kriegsbegriffe zu der Altorientalischen Anschauung vom Kriege. Ihnen erschien der Kampf nicht nur in Festspielen und auf den Uebungspläßen der Jugend, sondern auch im Felde und zur See als geordnete Bethätigung geistiger Kräfte, dargestellt in der Ueberlegenheit der weitblickenden und sinnigen Athene über den wild stürmenden Ares, dessen Göttergestalt gleichsam ihren Orientalischen Ursprung verräth

Der Krieg trat in den mehrfachen Zusammenhang der mit Feldherrnfunft gepaarten Freiheitsliebe und der vergeltenden Rechtsidee, die in der drei

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