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Der thatsächliche Rechtsbestand und die im Rechtsbewußtsein der Gegenwart wurzelnde Innehaltung bestimmter Verkehrsregeln im Gemeinschaftsleben der Nationen könnte erfolgreich nur dann bestritten werden, wenn sich nachweisen ließe, daß es entweder möglich sei, die Culturstaaten von einander zu isoliren oder jedem Staat der Beruf inne wohne, den eigenen Willen als Weltgesetz allen anderen Staaten gewaltsam aufzunöthigen. Denn der Weltstaat würde, wenn er existirte, die Möglichkeit des Völkerrechtes begriffsmäßig ausschließen.

Mögen solche Anfäße zur Bildung weltbeherrschender Staaten auch in der Geschichte vorgekommen sein, so ist es doch gewiß, daß es noch niemals einen Staat gegeben hat, der im Stande gewesen wäre, allen neben ihm existirenden Staaten ein bindendes Verkehrsgesetz vorzuschreiben.

Ist aber der internationale Verkehr unabhängig von der isolirten Willensmacht einzelner Staaten, und ist das fortschreitende Wachsthum desselben im Lebensgange der Menschheit unleugbar, so bliebe, wenn man die Rechtsqualität desselben völlig in Abrede stellen wollte, nur die Behauptung übrig, es feien diese internationalen Beziehungen der Staaten zu einander hinsichtlich ihres Gegenstandes ohne Dauerhaftigkeit, ohne Formen, Zwecke und Ziele lediglich eine Sache der Willkür, des wechselnden Beliebens oder vorübergehender 3weckmäßigkeitsrücksichten, oder endlich eine sich beständig wiederholende Zufälligkeit. Sobald dagegen zugegeben wird, daß von den modernen Culturstaaten die auswärtigen Verkehrsbeziehungen als eine ihrer Willkür völlig entzogene Nothwendigkeit begriffen würden, und jeder einzelne Staat ebenso deutlich, wie er die Ungleichheit seiner ausschließlichen Weltherrschaft begreift, auch einsieht, daß er außer Stande ist, in einen Zustand der völligen und dauern= den Isolirung sich zurückzuziehen, so ist es undenkbar, daß der zum Rechtsbewußtsein in Beziehung auf sich selbst und seine Angehörigen gelangte Staat dennoch die Existenz aller seiner, als nothwendig begriffenen Verkehrsbezie= hungen zu anderen Staaten vom Zufall, von dem Wechsel der Umstände oder den Schwankungen in der jeweiligen augenblicklichen Uebereinstimmung der Betheiligten oder von der moralischen Gesinnung Anderer abhängen lassen wolle.

Da aber nicht wenige Juristen, deren praktische Thätigkeit dem interna= tionalen Verkehrswesen fern steht, aus ihrem eigenen Erscheinungskreise einen zu engen Begriff des Rechts sich bildeten, ist die Existenz positivrechtlicher Völkerrechtsnormen bis in die neueste Beit geleugnet worden. 1) 3wei Richtungen waren in dieser Gegnerschaft gegen das positive Völkerrecht bestimmend: diejenigen der Moralisten, welche das Wesen des Krieges mißverstanden und diejenigen der Civilisten, die von einem fehlerhaften, zu eng gefaßten Begriff des Rechtes ausgingen. 2) Man verglich die Quellen des Völkerrechts mit denjenigen des Strafrechts, Civilrechts oder Staatsrechts und fand dabei Unterschiede, die zu dem Ergebniß führen sollten, daß es außerhalb jedes einzelnen als Völkerrechtssubjekt vorausgeseßten Staates keine Recht erzeugende Macht geben könne.

Man stellte ferner die der Verwirklichung der Völkerrechtsforderungen dienlichen Rechtsmittel denjenigen gegenüber, welche für Zwecke des Urtheilsvollzugs der Civil- oder Strafprozeß geschaffen hat, und folgerte dann, daß dem Völkerrecht die formelle Sanktion fehle, deren das materielle Recht zu seiner Geltung bedürftig sei. Hinsichtlich des Entstehungsgrundes, wie hinsichtlich seiner möglichen Verwirklichung durch Execution sollte, wie man meinte, dem internationalen Verkehr jede positiv-rechtliche Qualität abzusprechen sein. Jene beiden Erwägungen sind unzureichend zur Begründung der darauf gebauten Schlußfolgerungen. Erwiesen konnte damit nur werden, daß dem Völkerrecht gewisse Merkmale fehlen, die anderen rein nationalen oder innenstaatlichen Rechtsver= hältnissen zwar eigen sind, aber als schlechthin wesentliche für den Begriff des positiven Rechts nicht anerkannt werden können.3)

Daß das positive staatliche Recht aus der Willensmacht der höchsten Staatsgewalten gegenwärtig abgeleitet werden müsse, kann nicht bestritten werden. Allein es ist keineswegs nothwendig, daß die Säße des positiven, Rechts ursprünglich und ausschließlich durch denjenigen Staat selbst erzeugt werden, in welchem sie wirksam werden sollen, vielmehr genügt es, zur Positivität eines Rechtssaßes, wenn derselbe als Consequenz aus vorangegan= gener staatlicher Anerkennung rechtlicher Gemeinschaft mit Nothwendigkeit abzuleiten ist, aus dem Zusammenhange dieser anerkannten und rechtshistorisch überlieferten Staatengemeinschaft folgt, oder durch Reception von einem Gebiete auf ein anderes Land übernommen wurde.

Indem man den Regeln des Völkerrechts die Positivität einer ihnen innewohnenden, die Staaten verpflichtenden Kraft absprach, ließ man sich durch fehlerhafte Analogie des modernen Gesezesrechtes verleiten und glaubte irriger Weise der Thatsache entscheidende Bedeutung beimessen zu müssen, daß durch geschriebenes Staatsgefeß, in dem man die vollendetste Gestaltung der modernen Rechtserzeugung in Hinsicht aller andrer Materien erkannt hatte, Völkerrechtsnormen nicht erzeugt werden konnten. Jeder Staat, der sich innerhalb der Verkehr pflegenden Genossenschaft der Nationen als Rechtssubjekt im Verhältniß nicht blos zu seinen eigenen Unterthanen, sondern auch zu auswärtigen Staaten gerirt und betrachtet wissen will, darauf verzichtend, den Stand seiner Beziehungen lediglich von dem thatsächlich vorhandenen Vorrath von eigenen paraten Machtmitteln bedingt sein zu lassen, setzt sich gleichzeitig damit diejenigen Rechtsregeln, ohne deren Beobachtung es unmöglich wäre, den dauernden Bestand irgend einer internationalen Rechtsgemeinschaft aufrecht zu er halten. Ob Regierungen solchen auf die Dauer vom Staat übernomme= nen internationalen Rechtspflichten im einzelnen Falle zuwiderhandeln, oder sei es aus Unkenntniß, sei es mala fide, ihr Vorhandensein bestreiten, kann ihrer Positivität an sich keinen Eintrag thun, denn die jeweilige Regierung ift in internationaler Hinsicht nicht identisch mit der Rechtspersönlichkeit des Staates. Das Recht der Autonomie jedes einzelnen Staates im Verhältniß zu anderen, aus welchem das Herrschaftsrecht der gesetzgebenden Gewalt über

die eigenen Unterthanen hervorgeht, seht zu seiner erfolgreichen Aufstellung und Begründung das Anerkenntniß eines bestehenden Rechtszustandes innerhalb der Völkergemeinde voraus. Richtiger als die Leugnung des positiven Völkerrechts wäre daher die Behauptung, daß alles Staatsrecht und Strafrecht die Möglichkeit geordneter Gesetzgebung und Rechtspflege in solchen Staaten, die nicht gerade als weltbeherrschende in der Geschichte erschienen sind, lediglich auf allgemeiner Voraussetzung eines Völkerrechtszustandes be= ruht, vermöge dessen jeder Staat sich dem Auslande gegenüber rechtlich beschränkt weiß und auf eine Bethätigung seines Herrscherwillens jenseits seiner Staatsgränzen gerade um deswillen verzichtet, damit er zu einem gesicherten Zustande rechtlich geordneter Herrschaft im Inneren gelangen könne.

Ohne die Annahme eines völkerrechtlich gegebenen Zustandes, wonach jeder einzelne Staat in seinen inneren Angelegenheiten sich selbstständig und unabhängig von Rechtswegen erachtet und anderen Staaten von Rechtswegen dieselbe Eigenschaft zuerkennt, würden alle übrigen Rechte gleichsam in der Luft schweben und ebenfalls nur bedingungsweise nämlich unter der Voraussetzung realisirt werden können, daß die Staatsmacht in jedem Augenblicke stark genug wäre, auswärtige Eingriffe und Störungen fernzuhalten.

Die Gründe, aus denen die Existenz des Völkerrechts angefochten wurde, müßten dahin führen, auch den Bestand des Kirchenrechts und sogar des Privatrechts zu leugnen. Denn ihr materielles Recht für das religiöse Gesellschaftsleben in der Gemeinde hatte sich die alte katholische Kirche selbst gesezt, ehe der Staat diese Normen als auch von seiner Seite zu schüßende anerkannte, wie denn überhaupt, und prinzipiell mit Rücksicht auf das Wesen der Rechtserzeugung gewürdigt, die Idee einer christlich ökumenischen, aus der Tradition erwachsenden und von Conzilien nur bezeugten, von Staaten hinterher angenommenen Kirchenrechtspraxis der Erscheinung des modernen positiven Völkerrechts in mancher Hinsicht vergleichbar sein dürfte.

Auch der objective Charakter und die Positivität der meisten Privatrechtsverhältnisse wird durch das Vorhandensein einer darauf bezüglichen Civilrechtsgesetzgebung nicht bedingt. Zahlreiche Schuldverpflichtungen und Forderungsrechte, an deren Entstehung der Gesetzgeber im Voraus erweislich gar nicht denken konnte, entstehen durchaus unabhängig von Gesetzesvorschriften. Ihre Positivität liegt in der stillschweigend durch die Gesellschaft und ihr Willensorgan ausgesprochenen Anerkennung der Selbstständigkeit einer Sphäre, innerhalb welcher die unter Privatpersonen hervortretende Willensübereinstimmung als rechtlich geltende Norm des Handelns zu wirken vermag.

Die Hauptsache bei der theoretischen Entscheidung der Frage, ob dem Völkerrecht Positivität zukomme bleibt immer, daß man das die Rechtsnorm charakterisirende Moment der ideellen Erzwingbarkeit nicht mit gerichtlicher Erzwingbarkeit verwechsele. Rechtspflicht und Gerichtszwang sind nicht nothwendig zusammenhängende Dinge. Um dies deutlich zu erkennen, genügt es, an die Rechtspflichten der Souveränetät zu erinnern, welche begriffsmäßig

jedem gerichtlichen Zwange entzogen bleiben müssen, was bei den völkerrechtlichen Streitfällen durchaus nicht der Fall zu sein braucht.

Nicht gering ist die Zahl derjenigen Rechtsverhältnisse, in denen das Moment der Rechtspflicht des Schuldners oder Obligirten entschieden über die Zwangsbefugniß und Zwangsmittel des Forderungsberechtigten überwiegt. Durch die vom Gesetzgeber ausgesprochene Straflosigkeit der von Ehegatten oder von Ascendenten und Descendenten gegeneinander verübten Eigenthumsverletzungen wird der Unrechtscharakter der in Rede stehenden Handlungen nicht getilgt. Der Staat, der den Gemeinden oder den Berufsgenossenschaften die Rechtspflichten der Armenpflege aufbürdet, braucht darum nicht dem Unterstützungsbedürftigen ein Klagerecht beizulegen. Weite Gebietsstrecken des Verwaltungsrechts werden von der durchaus eigenartigen, von gerichtlichen Prozeduren unabhängigen Bethätigung förmlicher Nöthigung beherrscht, welche einer administrativen Selbsthilfe verglichen werden kann.

In ähnlicher Weise läßt sich sagen, daß in den völkerrechtlichen Vorschriften das Moment der wechselseitig anerkannten Rechtspflichten praktisch das Uebergewicht habe über die formelle Sicherung der dem Forderungsberechtigten zur Verfügung stehenden Mittel eines rechtlich geordneten Zwanges.

Der größte der Civilisten Savigny urtheilt, daß das Völkerrecht als positives Recht zu betrachten sei, aber nur eine unvollendete Rechtsbildung darstellt. Dieser legte Vorwurf gründet sich auf den Mangel der Rechtsficherheit.

1) Es ist keine Eigenthümlichkeit des Völkerrechts, daß dessen Positivität von verschiedenen Seiten geleugnet wurde. Schon Kaltenborn (Kritik des Völkerrechts) machte darauf aufmerksam, daß in Deutschland auch das Vorhandensein eines Deutschen Privatrechts (im Gegensaße zum Römischen Civilrecht) geleugnet wor den ist, weil die Germanischen Privatrechtsregeln auf keine einheitliche Entstehungsquelle zurückgeführt werden können. Vom Standpunkte der Anhänger der absoluten Monarchie wird ebenso das Vorhandensein eines den Fürsten rechtlich verpflichtenden Verfassungsrechtes geleugnet, und andererseits hat man auch versucht, vom Standpunkte des modernen Staates der Kirche ein eigenes, auf ihre inneren Verhältnisse bezügliches Recht abzusprechen.

Als ältester grundsäßlicher Gegner des Völkerrechts dürfte Thomas Hobbes (1588-1679) anzusehen sein. Diese Auffassung folgte schon aus seiner Ansicht von dem natürlichen Gesellschaftszustande, den er als Chaos nahm. Auch Spinoza erblickte in den Verhältnissen der Staaten zu einander nur eine Machtordnung. Ueber die Juristen des XVIII. Jahrh. f. Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts S. 50 ff

2) In jüngster Zeit ist dem Völkerrecht noch einmal die Positivität abgesprochen durch Lorimer, Institutes of international Law, Bd II, S. 189: »There is really no positive international Law at all. Public International Law is neither defined nor enforced by any authority superior to that, which its subjects retain in their own hands; and private International Law is positive only to the extent to which, in virtue of its adoption by municipal systems it ceases to be international.<<

Auch Westlake (Treatise on private internat. Law, 2. ed. 1880, p. 3ff.) bestreitet die Positivität des Völkerrechts giebt aber zu, daß gewisse Regeln, wie beispielsweise diejenigen des Gesandtschaftsrechts der positiven Geseßeskraft an Festigkeit gleich kommen.

3) Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen von R. von Jhering (a. a. D. S. 323), der alles Recht auf das Kriterium der Anerkennung und Verwirklichung durch den Staat zurückführt, troßdem aber sagt: „Der rechtliche Charakter des Völkerrechts sowohl, wie die den Monarchen betreffenden Bestimmungen der Verfassung kann nicht Gegenstand des Zweifels sein." Die civilistischen Zweifel, die sich bisher auf das Fundament des Rechtszwanges stüßten, dürften damit für alle Zeit abgethan sein.

§ 7.

Das Zwangsmoment in der Ordnung des positiven

Völkerrechts.

Literatur: A. Bulmerincq, Praris, Theorie und Codification des Völkerrechts (1871). S. 150ff. Vreede, Oratio de juris publici et gentium praeceptis a liberae Europae civitatibus adversus vim ac dolum potentiorum fortiter tuendis. Utrecht 1861. Aug. Pierantoni, Trattato di Dir. Internaz. vol. I, § 33. Roma 1884. Philipps, On Jurisprudence, 1863.

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Durchaus gleichgültig für den Begriff der Positivität des Völkerrechts bleibt auch die Art derjenigen Formen, durch welche das Recht gegen Verlegungen erforderlichen Falles gesichert oder im Falle eingetretener Schädigungen wiederhergestellt werden soll. Die Thatsache, daß noch heut zu Tage äußersten Falles die Vertheidigung der Völkerrechtsordnung auf den Krieg angewiesen bleibt, mag culturhistorisch von höchster Wichtigkeit und weitreichender Bedeutung sein. Für den materiellen Charakter und Rechtswerth der internationalen Verkehrsregeln kommt darauf nichts an.

In der Unsicherheit der Civilrechtspflege läge, wofern deren Organe der Bestechung zugänglich und die Justiz an die meistbietende Partei verkäuflich erschiene, kein Grund, deswegen das Vorhandensein materieller Civilrechtsnormen zu bestreiten. 1) Jahrhunderte hindurch war, zumal im Mittelalter, die Durchsetzung wohlberechtigter Privatansprüche im Wege geordneter Rechtspflege so wenig zu erwarten, daß Selbsthilfe und Fehderecht als Nothbehelf unentbehrlich erachtet wurde.

Nicht anders verhielt es sich mit solchen strafrechtlichen, der staatlichen Urzeit angehörigen Verboten, deren Befolgung durch Androhung oder Zulassung einer vom Staat selbst anerkannten oder geregelten Blutrache erzwungen werden mußte, oder durch Verfehmung, Friedlosigkeit und Rechtsloserklärung deswegen gesichert wurde, weil dem Staate Anfangs die erforderlichen Vollzugsorgane einer regelmäßigen Strafrechtspflege mangelten. 2)

Wer möchte behaupten, daß es in Deutschland oder Europa vor Ab

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