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als ein nationales Gemeinwesen, eine Conföderation, deren Spiße sich nach Außen gegen die Umwohnerschaft der Küste, Syriens und Arabiens richtete. Von der Pflicht gemeinsamer Vertheidigung war im Allgemeinen keine Rede, so lange die Angriffe feindlicher Stämme nicht einen hohen Grad der Gefährlichkeit erlangt hatten. Und selbst in äußersten Fällen gelang es nicht immer, das Volksaufgebot unter den Waffen zu versammeln. 6)

Die alte Sitte des Opferdienstes zu Silo bot allein den Einheitspunkt des inneren Volkslebens, ohne daß dadurch die Festigkeit theokratischer Herrfchaftsformen gewährleistet worden wäre, denn das Verbot Mose, sich der Gottesbilder zu enthalten, wurde schon in alten Zeiten vielfach vergessen und verlegt. 7)

Am meisten mag zur Bewahrung alter Ueberlieferungen das aus innerster Eingebung, ohne die Grundlage fester Prozeßordnung urtheilende, aus dem Volksvertrauen und der Volksfitte erwachsene Schiedsrichteramt beigetragen haben, dessen Wirksamkeit sich nicht auf die Angehörigkeit zu einem bestimmten Stamm beschränkte, sondern auch von Mitgliedern verschiedener Stämme in Anspruch genommen werden konnte. Das Richteramt bildete somit gleichsam ein in Streitfachen thätiges, von zwei Parteien angegangenes juristisches Orakel, im Gegensatz zu den priesterlichen Orakeln, die gegen Entschädigung von Einzelnen in ihren persönlichen Angelegenheiten befragt wurden. Beide Einrichtungen mögen in äußerem Zusammenhange und zeitweise in örtlicher Verbin dung mit den Centralstätten der des Opferdienstes wegen unternommenen Pilgerfahrten gestanden haben, deren Bedeutung neben anderen volksthümlichen Verkehrsformen des orientalischen Lebens auch heute nicht übersehen werden darf.

1) Sprachlich bedeutet Baal (oder Bel) soviel wie „Herr“.

2) Ranke (a. a. D. S. 103): „Auch Jehovah wird als nationaler Gott ges dacht und verehrt. Er schien in dem Kampfe der Landschaften, die mit ihren Göttern identificirt werden, gleichsam auch als einer derselben.“

3) Buch der Richter I, 31-32.

4) Sehr beachtenswerth ist die Darstellung im Buch der Richter, Cap. 18.

5) Ueber die Mordthat Ehuds s. Richter 3, 12.

6) Die Wehrmacht sämmtlicher Stämme ward in ältester Zeit auf 400 000 Streiter, oder zu Davids Zeiten auf 270 000 angegeben. S. Duncker (a. a. D.) II, 75. 7) Samuel 1, 19, 13-16. Richter 17, 5. 14, 17. Könige 2, 23, 24.

§ 47.

Das alte Israelitische König thum.

Die Begründung eines einheitlichen, die zwölf Stämme umfaffenden Königthums, bezeichnet eine zweite, troß ihrer vergleichungsweise nur kurzen Zeitdauer von ungefähr hundert Jahren, immerhin wichtige Epoche. In ihr formte fich diejenige Gestaltung der monarchisch verfaßten Theokratie, die

auch nach dem Untergang des jüdischen Staatswesens überall, wo man späterhin im christlichen Europa die Schriften des alten Testaments als fortwirkende ansah, ideale Normen für Regentenpflichten und Herrschaftsrechte zu bieten schien. In der durch die Geschichtsberichte des alten Testaments überlieferten Ordnung des Fürstenthums erkennt man das Zusammenwirken zweier Grundkräfte: des religiösen Sittenrichteramts einer den Volksgeist beständig leitenden Priesterschaft, die wegen ihres Einflusses auf die Menge auch die Gewalt der Könige zu ihren priesterlichen Zielen zu lenken sucht, und eines Königthums, das aus eigener göttlicher Mission seines Berufes zu walten sucht und nur die aufdringliche Macht der Priester seinerseits einzuschränken und den Gegensah der alten Religion zu umwohnenden Völkerstämmen Phöniciens oder Syriens zu mildern unternimmt, indem von Zeit zu Zeit fremdartige Formen des Gottesdienstes angenommen oder zugelassen werden. Abwechselnd gelangen in dieser Periode Harmonie und Gegensatz weltlicher und geistlicher Gewalt zur Wirkung.

Die Einheit des Königthums, hervorgegangen aus glücklicher und siegreicher Kriegsführung Saul's und David's, begegnete sich mit der Einheit des Priesterthums, seitdem im Stamme Juda die ständige Hauptstadt des jüdischen Gottesreiches und der Mittelpunkt gemeinsamer Gottesverehrung errichtet worden war. Der Suprematie des königlichen Amtes über die einzelnen Stämme schloß sich die Centralisation des hohenpriesterlichen Amtes auf ihrer örtlichen Gebundenheit an den einen Tempel zu Jerusalem an.

Aus dieser Combination der monotheistischen und nationalen Gottesidee mit der Einheitlichkeit einer unwandelbaren Verehrungsstätte erwuchs im Verlauf der Zeiten die Ueberlegenheit der volksthümlichen Theokratie über das Herrscheramt der Könige, zumal zur dauernden Befestigung rein staatlicher Herrscherform sowohl die Macht der Erblichkeit innerhalb einer Dynastie, als auch die territoriale Abgeschlossenheit eines gegen Phönicien und Syrien fest= begränzten Landesgebietes fehlte. Jene ideelle Macht der Erblichkeit, beruhend auf festgeordneter Thronfolge, die Aegyptischen und Assyrischen Herrscherhäusern innewohnte, war bei den Israeliten bereits durch den Stammesbegriff und den Stammesunterschied so stark aufgezehrt worden, daß die priesterliche Salbung des zum Herrscheramt Auserkorenen, als des vom Herrn Erwählten, zur Grundlage einer gleichsam halb volksthümlichen, halb priesterlichen Wahlmonarchie genommen werden mußte. In dem Wesen einer so beschaffenen Monarchie lag denn auch die von vornherein einleuchtende Andeutung, daß, wie das Volk durch Auflehnung gegen den reinen Glauben, so auch der König der Juden durch Zuwiderhandlung gegen die von den Priestern empfangenen Offenbarungen seiner Verheißungen verlustig erklärt werden konnte.

Den Höhepunkt des jüdischen Königthums bezeichnet David's Regierung (seit 1033), seinen gleichsam in Pracht und Lurus geschmückten Niedergang die Herrschaft Salomos († 953), die als ältester Versuch der Säcularisirung jüdischer Theokratie gedeutet werden kann. Denn Salomo hatte sich im Wider

spruch zur strengen Ordnung des nationalen Priesterrechts mit Töchtern heidnischer Fürsten vermählt.

Bezeichnender als diese beiden Herrschergestalten ist jedoch Saul's Perfönlichkeit, in welcher schon unmittelbar nach der Begründung monarchischer ·Verfassung der Gegensatz zwischen Königthum und Priesterthum, als ein im Volksleben der Juden unausgleichbares Schicksal, zur Anschauung kommt. 1)

Klarer als die Könige verstanden die Priester die tiefsten Falten des Volksgeistes zu durchschauen und zu erfassen.

Religiöse Concentration des Volksglaubens im nationalen Fanatismus strengster Ausschließlichkeit neben energischer, mit gelegentlichen Bußübungen abwechselnder Lebensfreude und Genußsucht sind Grundmerkmale des altjüdischen Volkscharakters. Mit Recht urtheilt daher ein neuerer Forscher: „Die Juden waren kein kriegerisches Geschlecht und David stürzte sie in Kriege: fie waren weder Seeleute noch Baukünstler, noch besaßen sie von Hause aus Neigung für Handel und Industrie, und Salomo zwang ihnen Handelsflotten und Handelsbeziehungen auf. Sie hatten Abscheu vor dem Fremdländischen und Fanatismus für ihre Religion, er gab ihnen das Beispiel in der Duld. famkeit."

Eben dieses Beispiel in der Duldsamkeit ward Salomo's Geschlecht alsbald ebenso verhängnißvoll wie es Milde für die besiegten Feinde dem Saul geworden war. Die Ausgleichung zwischen königlicher Macht, priesterlicher Herrschsucht, militärisch geschulter Autorität und handelspolitischen Beziehungen zum Auslande war ohnehin in einem streng theokratischen Staatswesen nicht zu ermöglichen.

Da die Juden zur Zeit der ersten Könige, von der Leibwache abgesehen, kein stehendes Heer besaßen, so mußte für jeden einzelnen Nothfall die Volkswehr aufgestachelt werden und deren natürliche, durch kriegerische Gewohnheiten nirgends gemäßigte Blutgier Befriedigung erlangen. Dasselbe Mittel leidenschaftlicher Aufreizung, das des Gegengewichts militärischer Disciplin entbehrte, erwies sich aber auch dann wirksam, wenn religiöse Streitfragen oder priesterliche Anforderungen gegen die eigenen Könige im Innern auszufechten waren. Was das Kriegsrecht der Juden anbelangt, so offenbart sich darin die Barbarei der Priestermacht.

Furchtbar war oft genug das Schicksal der von den Juden besiegten Völker und Könige. Gefangene wurden für kalte Rache in den Stunden des Triumphs aufgespart. Noch grausamer als Krieger, deren Leben in Gefahr gewesen, war der Priester, der aus der Ferne und daheimbleibend dem Kampfe ruhig zugeschaut hatte. Samuel hieb Angesichts des Volkes den wehrlosen, gefangenen König der Amalekiter in Stücke und verfehmte Saul, weil dieser es, göttlichen Geboten zuwider, unterlassen hatte, Weiber und Kinder ums Leben zu bringen.) Aehnliches, wie die Amalekiter, erlebten auch Moabiter und Jdumäer nach verlorenen Schlachten.

Die Entschuldigung, daß schwache, von ihren Nachbarn bedrohte Völker,

im Interesse ihrer Söhne zu solchen Grausamkeiten schreiten müssen, um sich gefürchtet zu machen, ist wenig werth, trifft aber keinesfalls die Zeiten, wo der Liebling des hebräischen Volkes auf dem Throne saß und seine Macht bis an die Ufer des Euphrat fühlbar werden ließ. Nach der Einnahme der Ammonitischen Stadt Rabba ließ David das besiegte Volk herausführen, legte die Leute unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte fie in Ziegelöfen. 3)

Wie sich Gott wohlgefälliger Raub und Kriegsbeute vom Standpunkte der alten Israeliten nicht trennen lassen, ebenso wenig scheiden sich dem Ausländer und Feinde gegenüber verrätherischer Mord und ehrliche Tödtung. 4)

"

Plünderung besiegter Feinde erscheint als Gottesbeute", Niederbren= nung eingenommener Städte gleichsam als Brandopfer.

Besser als viele andere Völker waren dagegen, wie die alttestamentarischen Darstellungen ergeben, die Juden in Kriegszeiten durch ein ausgebreitetes Kundschafterwesen bedient. Denn die großen jüdischen Volksfeste führten auch aus dem Auslande die dort niedergelassenen Glaubensgenossen an die einheitliche Stätte des Tempeldienstes. 5)

Nirgends findet sich eine Spur der Reue für die Schändlichkeiten, die das Volk Israel gegen andere schwächere Völker geübt hatte. Nur eigene Leiden erweckten in ihm die Neigung zur Buße oder die Einsicht, daß man mit Opfern und Sühnungen zu sparsam gewesen sei. „Der Buhle der Bathseba, der Mörder des Uhria wurde das Prototyp des Messiah, der da kommen sollte, Israel zu entfündigen."6) Die Wiederkunft eines Königs wie David war die Hoffnung der Volksmenge nach dem Untergang des alten Staatsrechtes.

Je mehr die Israeliten bei allen ihren Unternehmungen gegen andere Nationen und zur Rechtfertigung der von Eroberungen unzertrennlichen Grausamkeit sich auf ihr theokratisches Princip und göttliche Eingebungen beriefen, je mehr sie bemüht waren, bei allen Staatshandlungen den Schein der bloßen Willkür zu meiden, desto mehr verschärften sie den bleibenden Gegensatz ihres Volkswesens zu anderen benachbarten Stämmen oder Staaten. Auf einer Stele im Nordafrikanischen Küstenrande Numidiens bekannten sich asiatische Einwanderer als vertriebene Nachkommen derjenigen, die vor Josua geflohen waren: „Wir sind die, welche vor dem Angesichte des Räubers Jofua, des Sohnes des Nuna, flohen." 7)

Zur Zeit ihrer staatlichen Organisation waren die Hebräer zu schwach, gestaltend und bildend auf den Charakter umwohnender Völkerschaften einzuwirken. Als Nomaden in das gelobte Land einziehend, wurden sie in den anbaufähigen Theilen desselben allmälig Ackerer und Handwerker. Phönicier, Babylonier, Aegypter, vielleicht auch Philister 8) waren ihnen in Hinsicht allgemeiner Gesittung überlegen, was am besten daraus erhellt, daß ihr nationaler Tempelbau ohne wesentliche Mitwirkung der Phönicier nicht herzustellen war. Diese Ungleichheit der Cultur ist auch in der Folgezeit nicht überwunden

worden.

Sie lag in dem Wesen einer gegen alles Fremde mit Recht miß

trauischen Priesterschaft tief begründet. Angesichts der schnellen Vermehrung der Israelitischen Bevölkerung, die durch zahlreiche Bibelstellen bezeugt ist, und der Vertheilung des Ackerlandes in kleine Hufen, erscheint es dagegen erklärlich, daß frühzeitig Juden als Gewerbetreibende, Händler und Makler zuerst in benachbarten Städten Phöniciens, sodann in entlegeneren Landestheilen sich niederließen und sich allmälig eine Schicht hebräischer Herkunft in Städten bildete, innerhalb welcher der Stammesunterschied sich verwischen mußte, weil die Beziehungen zum Tempel in Jerusalem des durch die jüdi. schen Stammesländer wirkenden localen Gegengewichtes entbehrten.

Das einheitliche Königthum des Zwölfstämmereichs verfiel der Auflösung alsbald nach Salomo's Tode. An seine Stelle trat der Dualismus eines kleineren, um den Stamm Juda gruppirten Königthums, das sich auf die nationalen Heiligthümer von Jerusalem stüßte und eines größeren Herrschaftsgebietes als dessen älteste Hauptstadt Sichem, nachmals Samaria, zur Geltung kam. Dies größere Reich Israel war dem Andringen benachbarter Götterculte und den Schwankungen zwischen königlichem Hofpriesterthum und volksthümlicher, in den Propheten wirkender Theokratie in höherem Maße ausgeseßt, daher minder widerstandsfähig. Es erlag daher zuerst der Fremdherrschaft (723) der Assyrer, die einen großen Theil der besiegten Bevölkerung nach Ninive verpflanzten.

Dasselbe Schicksal ward dem Königreich Juda von Nebucadnezar bereitet. Seine Unabhängigkeit endete mit der Niederbrennung des Tempels (586), der schon früher von siegreichen Feinden ausgeplündert worden war, und dem Babylonischen Exil, aus welchem Kyros den Juden nach fünfzigjähriger Gefangenschaft unter Serubabel die Rückkehr an die alte Gottesstätte erlaubte.

Die weitere Geschichte der Juden entbehrt der nationalen Selbständigkeit. Sie ist gleichsam ein provinzialer Abschnitt innerhalb der politischen Gesammtentwickelung des Orients, die von Perfern, Macedoniern und Römern bis zu dem Augenblick beherrscht wird, da Titus die heilige Stadt zerstörte und das jüdische Volksthum völlig auseinandersprengte. Weitaus bedeutsamer aber als die ältere staatliche Geschichte des nationalen Königthums war nach seinem culturhistorischen Gehalt die Geschichte des jüdischen Volksthums in der Zwischenzeit zwischen der Wiedererrichtung des Tempels von Jerusalem und feiner endlichen Zerstörung durch Titus.

1) Gideon hatte vor ihm die Krone ausgeschlagen (gegen 1150 v. Chr., stehe Richter, 8, 22) und Abimelech vergebens versucht, ein auf Städtebündniß begründetes Königreich zu schaffen. Als Anfangsjahr von Saul's Regierung sett Dunder (II, 89) das Jahr 1055. Bekanntlich sind die Berichte über Saul's Königswürde deswegen sehr widerspruchsvoll, weil drei Modalitäten neben einander erwähnt werden: Volkswille, Loos und Berufung durch Samuel.

2) 1. Samuelis 1, 15. 3) 2. Samuelis 12, 31. Handbuch des Völkerrechts I.

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