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Unleugbar hängt die Lösung der in der Codification gestellten Aufgabe mit dem im Voraus überall gegebenen Bestande einer hoch entwickelten Rechtswissenschaft und einer überall fest durchgebildeten Gerichtspraxis zusammen. Beide Voraussetzungen fehlen in manchen Ländern und würden diesen die Theilnahme an einer Codification bedenklich machen. Von einer gleichmäßigen Gerichtspraxis in Streitfachen des Völkerrechts kann weder im Allgemeinen noch in Prisenfachen die Rede sein. Statt von der Herstellung eines Völkerrechtsgesetzbuches Sicherung der zukünftigen Völkerrechtspflege zu erwarten, dürfte es umgekehrt richtiger sein, von der vorgängigen Einrichtung rechtsprechender Organe internationalen Charakters eine passende Vorbereitung der Codification zu hoffen.

Sind nun diese Schwierigkeiten nicht wegzuleugnen, so steht in Frage: ob nicht der Versuch zu wagen sei, vorerst in einem engeren Kreise solcher Staaten, deren rechtshistorische Entwickelung geschichtliche Analogien und einen gleichartigeren Bildungsstand aufzuweisen hat, eine Verständigung anzustreben und den Gegenstand der von ihnen zu unternehmenden Codification zu be schränken.

Bei solchen Partialcodificationen käme es zunächst darauf an, diejenigen Materien bei Seite zu schieben, wo im gegenwärtigen Zeitalter voraussichtlich eine Collision der Intereffen verschiedener Mächte der Aufstellung einheitlicher Rechtsgrundsäße unbedingt hinderlich sein müßte oder wo die in der juristischen Literatur bezeugte Streitigkeit juristisch brauchbarer Regeln die Aussicht auf Verständigung abschneidet.

Hat der erste, im Jahre 1874 auf der Brüsseler Conferenz3) auf RußLands Betreiben unternommene Versuch, das Landkriegsrecht in seinen Einzelheiten durch förmliche Redaction festzustellen, deutlich erkennen lassen, daß zwischen großen Militärmächten mit ständigen Heerkörpern und berufsmäßig geschulten Soldaten auf der einen Seite und schwächeren, auf den Nothanker regelloser Volksbewaffnung vertrauenden Kleinstaaten andererseits grundsäßliche Verschiedenheiten festgehalten werden, deren Berechtigung im Wege der Diskussion weder dargethan, noch auch widerlegt werden kann, so muß sich als wahrscheinlich auch dies ergeben, daß allgemeine Verständigung über die Regeln der Seekriegführung noch viel weniger gehofft werden könnte und Vereinbarungen unter einem Theile gleich interessirter Seemächte, ohne irgend erhebliche Vortheile zu gewähren, einzelne Staaten in Kriegsfällen durch Beeinträchtigung ihrer Handelsfreiheit vermöge verpflichtender Codification nur hindern könnten, günstige Gelegenheiten zur Verbesserung ihrer Lage gegenüber den zur See übermächtigen, an keine internationale Regel gebundenen Staaten auszunutzen.

Aus gleichen Gründen erscheint es vom Standpunkte heutiger Rechtsentwickelung aus betrachtet, so gut wie völlig irrthümlich, solche Verhältnisse einer einheitlich überall festzuhaltenden Rechtsregel zu unterwerfen, bei denen die rechtliche Beurtheilung von den politischen Elementen des Thatbestandes im

einzelnen Falle beeinflußt wird oder mit staats- und verfassungsrechtlichen Zuständen einzelner Staaten zusammenhängt. Dies gilt gerade von einer Reihe der allerwichtigsten Völkerrechtsbeziehungen, z. B. von den Erwerbungen des Staatsgebietes durch Occupation oder Tession, von der Anerkennung neu gebildeter Staaten und Staatsgewalten, von der Intervention in fremden Staatsangelegenheiten und der internationalen Verpflichtung der Staaten zum Schadenserfat. In allen diesen Dingen würde sich die vorgeschlagene Codification entweder auf Gegenstände richten, in Beziehung auf welche man seit längerer Zeit im Allgemeinen einverstanden ist und in diesem Falle also werthlos bleiben oder auch Einzelheiten ergreifen, in Beziehung auf welche nach der gegenwärtig herrschenden Auffassung die den thatsächlichen Umständen entsprechende Würdigung politischer Verhältnisse nicht völlig ausgeschlossen werden kann.

Unter diesen Umständen würde als Gegenstand der partiellen Codification vielleicht das dem Princip allgemeiner Gleichberechtigung und dauernder Interessengemeinschaft unterworfene, außerhalb der nationalen Gesetzgebungen geLegene Gebiet des friedlichen Seeverkehrsrechts anzusehen sein. Die Regeln zur Verhütung des Zusammenstoßes von Schiffen auf hoher See, die Einrichtungen der die Schiffahrt schüßenden Anstalten, der Schuß Schiffbrüchiger gegen Plünderung, die Integrität der Telegraphenkabel auf dem Meeresgrunde, das Recht der Flaggen, gemeinsame Abwehr des Seeraubes oder Sclavenhandels erscheinen als Angelegenheiten, in Hinsicht welcher sich eine Verständigung vielleicht ebenso erreichen ließe, wie in den Angelegenheiten des internationalen Postwesens, vorausgeseht daß gerade den leitenden Seemächten überhaupt daran gelegen wäre, an Stelle ihres jezt thatsächlich vorwiegenden Einflusses gemeinsame Normen treten zu lassen.

Nächst den Materien des internationalen öffentlichen Seerechts würden diejenigen Regeln am meisten einer Verständigung zugänglich sein, in denen es sich um den internationalen Schuß solcher Privatrechtsverhältnisse handelt, die wesentlich modernen Ursprunges sind und von den juristischen Gegenfäßen der Gerichtspraxis deswegen weniger beherrscht werden, als historisch ältere Privatrechtsverhältnisse. Sodann der Schuß aller derjenigen Rechtsansprüche, welche sich unter der Bezeichnung des schriftstellerischen, künstlerischen, industriellen oder gewerblichen Urheberrechts zusammenfassen lassen.

Und endlich läßt sich nicht behaupten, daß gewisse andere Theile des internationalen Privatrechts, in denen vermögensrechtliche Interessen im Vordergrund stehen, der Verständigung zum Zwecke codificirender Behandlung unzugänglich sein würden, wenn das Bedürfniß einheitlicher Regelung nicht nur vom Richter, sondern auch von Rechtsuchenden und vor allen Dingen von den Staatsregierungen lebhafter und allgemeiner als bisher empfunden würde.

Nach diesen Gesichtspunkten ist zwar nicht der theoretische Werth, wohl aber die praktische Nußbarkeit der vorhandenen literarischen Vorarbeiten zur Herstellung eines Völkerrechtsgesetzbuches zu beurtheilen. Diese Eigenschaft der Brauchbarkeit für gefeßgeberische Zwecke dürfte allen denjenigen Versuchen

abzusprechen sein, die sich zum Ziele gesetzt haben, ein für die gesammte Menschheit annehmbares, alle Völkerrechtsverhältnisse ausnahmelos umfassendes Gesetzbuch zu construiren. Dieselben gehören, vom Standpunkt der Wissenschaft gewürdigt, in die Literatur des philosophischen Völkerrechts, wodurch in keiner Weise ausgeschlossen wird, daß sie in zahlreichen Einzelheiten Vorschläge enthalten mögen, die auch der Practiker zu beachten hat, wenn er den Stand der Ansichten in solchen Ländern kennen lernen will, die durch den Namen und die theoretischen Leistungen hervorragender Männer repräsentirt werden.

Richtig war der von Katchenowky 1862 ausgesprochene Gedanke, daß alle Vorarbeiten für spätere Verständigungen unter den Staatsregierungen in Hinsicht möglicher Codificationen von einem persönlichen Zusammenwirken der Rechtsverständigen aus verschiedenen Ländern auszugehen haben. Erst müssen die Gegensäge und Meinungsverschiedenheiten unter den Juristen der leitenden Staaten völlig klar gelegt werden, ehe man den Versuch theoretischer und practischer Verständigung mit Aussicht auf Erfolg unternehmen kann. Man muß vor allen anderen Dingen scharf zu erkennen suchen, in wie weit Rechtsverschiedenheiten und Streitfragen in nationalen Vorurtheilen, politischen Ueberlieferungen oder historischen Eigenthümlichkeiten oder gegentheilig nur in fehlerhafter Anwendung oder Ausbildung rechtswissenschaftlicher Grundsäße wurzeln.

Dieser Erkenntniß des Nußens eines dem rein diplomatischen Meinungsaustausche zur Seite stehenden juristischen Meinungsaustausches zum Zwecke größerer Uebereinstimmung in der Behandlung internationaler Rechtsfragen entstammen die seit 1873 wirkenden Vereinsbildungen des Völkerrechtsinstituts und der Gesellschaft für Reform und Codification des Völkerrechts.4)

Das Völkerrechtsinstitut, dessen Verhandlungen den Stand der Meinungen im Kreise der Völkerrechtsjuristen am deutlichsten widerspiegeln, erstrebt die wissenschaftliche Unterstüßung allmälig fortschreitender Codi= fication.

Alle solche Bestrebungen können aber nur dann dem gestellten Ziele näher kommen, wenn das Bedürfniß internationaler Rechtssicherheit von den Staatsregierungen stärker, als gegenwärtig der Fall ist, empfunden wird. Zunächst wäre es vom Standpunkt der Wissenschaft wünschenswerth, das in der Gerichtspraxis der einzelnen Culturstaaten wirklich geübte und angewendete internationale Verkehrsrecht genau kennen zu lernen, was ermöglicht werden könnte, wenn die Staatsregierungen dafür Sorge tragen wollten, daß an einer gemeinsamen Centralstelle die innerhalb ihrer Jurisdiction ergangenen, völkerrechtliche Materien betreffenden Erkenntnisse zum Zwecke allgemeiner Kenntnißnahme eingetragen und gesammelt würden.

1) Klüber erwähnt in seinem Völkerrecht (§ 292, Note a) eines zu Leipzig bereits 1782 erschienenen Code maritime général pour la conservation de la liberté de la navigation et du commerce des nations neutres en temps de guerre. Mög

licherweise war diese Arbeit durch die Verhandlungen über die bewaffnete Neutralität von 1780 veranlaßt.

2) Um diese Schwierigkeit zu würdigen, muß man die Terminologie des Englisch-Amerikanischen Privatrechts und des common law mit derjenigen des Römischen und modernen kontinentalen Privatrechts vergleichen. Möglicherweise hätte man mit der Schöpfung eines internationalen Rechtslericons zu beginnen.

3) Ueber die Codification des Kriegsrechtes schrieb (in Russischer Sprache) F. v. Martens: Der Orientkrieg und die Brüffeler Conferenz. St Petersburg 1879. Er hält überhaupt (s. Völkerrecht I, S. 195) die Codification des internationalen Rechts nicht nur für wünschenswerth, sondern geradezu für nothwendig. Bezüglich des Kriegsrechts bemerkt er: „Manche Brutalität, mancher himmelschreiende Bruch der Kriegssitte wäre ungeschehen geblieben, wenn die Truppen und Einwohner der kriegführenden Staaten mit den Kriegsgesehen besser vertraut gewesen wären.“ Die Wahrscheinlichkeit dieser Vermuthung zugegeben, würde immer noch zu behaupten sein, daß dieser Vorwurf nicht die Völkerrechtsnormen der Gegenwart, sondern die Militärstrafgesetzgebung treffen würde. Wäre ein codificirtes Kriegsrecht vorhanden, so würde der gemeine Soldat diesen Coder schwerlich bei sich führen und noch unwahrscheinlicher wäre es, daß er beachtet würde. Die Vorfrage wäre bei den gemeinen Leuten (Franzosen, Deutsche, Russen und Türken) dann wieder, in welchem Procentsaß eine Bevölkerung des Lesens kundig wäre.

4) Ueber die Wirksamkeit des Institut de Droit International s. die von Rolin-Jacquemyns begründete, gegenwärtig (1884) im XVI. Bande zu Brüssel erscheinende, von A. Rivier geleitete Revue de droit international und das von dem: selben Gelehrten herausgegebenen Annuaire de l'Institut de Droit International.

Die in demselben Jahre 1873 gestiftete Association pour la réforme et la codification du droit international verfolgt ähnliche Ziele ohne Beschränkung der Mitgliedschaft auf gelehrte Kreise der Völkerrechtswissenschaft. Ihre Berichterstattungen werden durch den leitenden Ausschuß in London alljährlich in einem Bande veröffentlicht. Der elfte Bericht erschien 1884 in Londen (Report of the eleventh Conference, held at Milan).

F. v. Martens berichtet (a. a. D. S. 197), daß auch in St. Petersburg sich eine Gesellschaft für Völkerrecht gebildet hat, die alle Bestrebungen zur „Codification der Völkerrechtsprincipien" begünstigen will.

§ 37.

Die voraussichtlichen Ergebnisse und Wirkungen der

Codification.

Wie die Möglichkeit einer erschöpfenden, sämmliche Culturstaaten verpflichtenden Codification vom Standpunkt des gegenwärtigen Zeitalters bezweifelt werden darf, so erscheint es auch durchaus fraglich, ob die vielfach befürwortete Codification als eine der Vorbedingungen für die Fortentwicke lung oder Reform des Völkerrechts angesehen werden müsse. Die zu hoffens den Vortheile oder andererseits die zu befürchtenden Nachtheile der Codification

laffen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit abschäßen, nachdem man sich genau Rechenschaft abgelegt hat von den Gründen, die in neuerer Zeit, zumal seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, zu einer Codification auf andere Rechtsgebiete führten, und mit dem Resultate dieser Untersuchung alsdann die Eigenart der Völkerrechtserzeugung vergleicht.

Sämmtliche modernen auf dem Boden des Strafrechts oder Civilrechts entstandenen großstaatliche Codificationen, insbesondere diejenigen von Preußen (1794), Desterreich (1811), Frankreich (1803-1810), Italien (seit 1859) be= ruhen entweder auf gesteigerter fürstlicher Machtvollkommenheit, die verschie denen unter ihrem Scepter vereinigten Landestheilen an Stelle der Rechtszersplitterung die centralisirte Justiz und Gesetzgebung zu verschaffen bedacht war, oder auch auf dem nationalen Einheitstriebe der Völker, der sich in dem Verlangen nach Einheitlichkeit auf dem Boden der Gesetzgebung bethätigte, oder auf den Nachtheilen unnatürlicher, verwirrender Mischung fremdartiger Römischer Rechtsquellen mit einheimischem Rechte ganz verschiedenen Charakters, wodurch in zahlreichen Streitfällen der Praxis die Prüfung der Vorfrage unumgänglich nothwendig wurde, welches von mehreren Ortsrechten anwendbar sein sollte? Endlich war die codificirende Gesetzgebung durch den Wahn unterstüßt, es könne sich der rechtsungelehrte Laie aus Geseßbüchern in Beziehung auf seine Angelegenheiten selbst hinreichend unterrichten.

Gegenüber diesen bedeutenden politischen und nationalen Interessen der einheitlichen, die Gesetzgebung und Rechtspflege beherrschenden Machtentfaltung trat die Erwägung, ob von der Codification wirkliche Verbesserung des Rechtes und erhöhte Sicherheit der Rechtspflege zu erwarten war, völlig in den Hintergrund. Nicht ohne gewichtige Gründe ist in Deutschland behauptet worden, daß die Civilrechtspflege in den Ländern des nicht codificirten Civilrechts an praktischem Gehalt und wissenschaftlicher Leistungskraft der Rechtsprechung in anderen Deutschen Ländern mit codificirtem Civilrecht mindestens ebenbürtig zur Seite stand, in manchen Hinsichten sogar sich wirklich überlegen zeigte.

Jede Codification vernichtet nicht nur Streitfragen einer vorangegangenen Epoche, sondern schafft neue Controversen, in denen gleichzeitig der sonst freier waltende Einfluß des Lebens und der Wissenschaft auf die Bethätigung der richtenden Gewalt gehemmt wird. Nur das Eine kann alsdann bezweifelt werden, ob solche neu durch die Gesetzgebung geschaffenen Controversen an Zahl und Bedeutung den beseitigten Streitfragen der älteren Zeit gleichstehen oder dieselben übertreffen.

Die Geschichte der dem Völkerrecht am nächsten verwandten Materien des Berfassungsrechtes hat im Verlaufe des letzten Jahrhunderts auf dem Europäischen Continente bewiesen, daß durch Codificationen des öffentlichen Rechts keinerlei erhebliche Garantien gegen Interpretationsstreitigkeiten geboten wurden; ganz im Gegentheil. In England, dessen Verfassungsrecht wesentlich auf Gewohnheit und stillschweigend bethätigter Anerkennung der Parteien und der Krone ruht, bewährte sich größere Sicherheit der staatsrechtlichen Praxis, als

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