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ozeanische Kanalisationen) einer internationalen Gefeßgebungsinstanz zu unterstellen, rechtlich behindert sein sollten.

Vom Standpunkte ihrer eigenen Selbständigkeit ausgehend, ist jede Macht befugt, einzelne den Gesammtverkehr berührende Angelegenheiten dauernd oder zeitweise im Interesse des Friedens oder der Rechtssicherheit der Völkerrechtsgesetzgebung leitender Mächte soweit zu unterstellen, als nicht bereits früher erworbene und anerkannte Rechte einzelner anderer Staaten dadurch beeinträchtigt werden.

Nicht zu bezweifeln ist auch, daß schon gegenwärtig die Möglichkeit völkerrechtlicher Gesetzgebung in Hinsicht derjenigen Raumgebiete der Erdoberfläche besteht, welche der Territorialgeseßgebung einzelner Staaten nicht unterliegen. Die offene See und die gegenwärtig staatlich noch nicht occupirten Landstriche der Erde würden einer für die Zukunft auch die später entstehenden Staaten bindenden allgemeinen Rechtsordnung unterworfen werden können, wenn sämmtliche die Seewege befahrenden oder die Zugänge zu unbesiedelten Landstrichen beherrschenden Nationen der Gegenwart sich über die gesetzgeberische internationale Behandlung solcher Materien einigten, die tein Staat für sich allein zu ordnen berechtigt oder befähigt ist.

Daß solchen internationalen Gesetzgebungsacten ein gewisser Bestandtheil des vorangegangenen Vertragsrechtes innewohnen bleibt, ist an sich von nur untergeordneter Bedeutung, und kann nicht auffallen, wenn man analoge Erscheinungen des Bundesstaatsrechtes berücksichtigt und erwägt, daß die Gränzlinien zwischen Verträgen und Gefeßen im engeren Sinne in der Rechtsgeschichte schwankende sind. Das entscheidende Merkmal für das Vorhandensein eines Völkerrechtsgesetzes würde darin zu finden sein, daß durch die objectiv wirkende Herrschaft des Gesetzesinhalts in Verbindung mit bestehenden geschichtlichen Zuständen dritte, an dessen Entstehung unbetheiligt gebliebene Staaten zur Befolgung von Normen genöthigt werden, deren verpflichtende Kraft, lediglich vom Standpunkte des Vertragsrechts betrachtet, für Nichtcontrahenten zu leugnen wäre.

Was die Landesgefeße einzelner Staaten anbelangt, so können solche unter Umständen gleichfalls als Völkerrechtsquelle angesehen werden.

Dabei sind drei Möglichkeiten zu unterscheiden:

1. Ein Staat regelt nach seinem Ermessen durch Gesetz oder Verordnung internationale Rechtsbeziehungen zwischen seinen eigenen Unterthanen oder Behörden und den Angehörigen des Auslandes. In negativer Weise geschieht dies, wenn in Anerkennung und zur genaueren Bestimmung internationaler Verpflichtungen der richterlichen Competenz aus völkerrechtlichen Erwägungen (wie beispielsweise gegenüber Gesandten oder fremden Herrschern) Schranken gesezt werden. Der völkerrechtliche Einwand der Incompetenz kann dann gewissen Staaten unter Berufung auf ihr eigenes Landesgesetz entgegen= gehalten werden. In positiver Richtung hingegen entsteht eine Erweiterung der richterlichen Competenz, wenn durch Verordnung oder Gesez Gerichte

angewiesen werden, über die zu Kriegszeiten auf hoher See begangenen Delicte Neutraler nach bestimmten Regeln zu urtheilen. Insofern neutrale Staaten grundsätzlich die zu Kriegszeiten für Prisengerichte getroffenen Anordnungen der Belligerenten ohne Protest hinnehmen oder gar respectiren, wird die international gefeßgebende Gewalt fremder Mächte ungefähr in gleicher Weise ausnahmsweise zugelassen, wie gewisse sonst gültige Vorschriften des inneren Verfassungsrechtes durch Militärdictatur oder Verkündung des Belagerungszustandes verdrängt werden können. Alle dem Kriegszustand zur See entsprungenen Maßregeln der Landesherrschaften haben auch für dritte Staaten die Bedeutung einer sie und ihre Unterthanen verpflichtenden Suspension aller derjenigen Rechtsverhältnisse, deren Ausübung und Geltendmachung an die Fortdauer des Friedenszustandes geknüpft ist. Neutrale Staaten unterwerfen sich solchen Ordnungen im Hinblick auf die Gefahren des Krieges.

2. Ein Staat regelt in Gemäßheit vertragsmäßig übernom= mener oder sonst irgendwie anerkannter Verpflichtung auf dem Wege seiner Gefeßgebung ein internationales Rechtsverhältniß. Landesgesetze dieser Art sind mit vorschriftsmäßig publizirten Staatsverträgen nicht zu verwechseln. Die bloße Form der Publication kann einen Staatsvertrag nicht in ein Staatsgesetz umwandeln. Und ebenso wenig wird die etwa verfassungsrechtlich vorgeschriebene Mitwirkung geseßgebender Factoren bei der Prüfung von Staatsverträgen dieselben soweit umgestalten können, daß der ursprünglich gegebene Charakter des Staatsvertrages durch die Anwendung der Gesetzgebungsformen beseitigt würde. Der in den Gesetzsammlungen constitutionell verfaßter Staaten nach erlangter Zustimmung der Volksvertretungen publizirte Vertragstext muß nach seinem Charakter als Vertragsinstrument, nicht als Landesgeseß aufgefaßt werden.

Als Völkerrechtsquelle hingegen darf das Landesgesetz auch dann gelten, wenn es sich als freier Act der gefeßgebenden Gewalt, aber in Ausführung vorher dem Auslande gegenüber getroffener Vereinbarung darstellt und dem Zwecke der internationalen Rechtsordnung dienen soll, zum Beispiel der Fest= stellung einer dem Gesichtspunkte der Reziprozität entsprechenden Behandlung gewisser Völkerrechtsverbrechen. Das Gleiche wäre der Fall bei einem Landesgeseze zum Zwecke gerichtlicher Prüfung der dem Auslande in früheren Verträgen zugesicherten Auslieferung gewisser Verbrecherkategorien. Daß solche Geseze, auch wo sie nur durch den Landesrichter angewendet werden und an bestimmte Gesetzgebungsterritorien gebunden sind, als Völkerrechtsquellen angesehen werden können, muß deswegen hervorgehoben werden, weil einerseits auch das Ausland aus solchen in Gemäßheit früherer Stipulationen ergangenen Gesetzen Rechte ableiten kann, andererseits aber nach der von Gesetzgebern festgestellten Zweckbestimmung der Richter genöthigt wird, die einzelnen bei seiner Entscheidung maßgebenden Rechtsfäße im Zusammenhange des Völkerrechts und nicht nach fehlerhaften Analogien innerer Gesetzgebungsacte auszulegen und anzuwenden. Die in Rumänien in Gemäßheit des Berliner

Traktates vom 13. Juli 1878 ergangene, auf die Gleichberechtigung der Juden bezügliche, ihrer Form nach nationale Gesetzgebung hat gleichzeitig insofern einen internationalen Charakter, als sie nicht willkürlich abgeändert werden darf.

3. Besteht zwischen mehreren oder den meisten Geseßen verschiedener Länder, die zum Zwecke gleicher gesetzgeberischer Behandlung einer und der felben völkerrechtlichen Materie ergangen sind, Uebereinstimmung des Inhalts, nicht etwa zufälliger Weise, sondern in Gemäßheit von Stipulationen unter den Gesetzgebern, so kann noch viel weniger bezweifelt werden, daß solche Landesgesetzgebungen als Quellen des Völkerrechts zu erachten sind. Anzuerkennen wäre sogar, daß in Zukunft die Sicherung allgemeiner Völkerrechtsbeziehungen durch eine im Vergleich zur Gegenwart verbesserte Gestaltung der Völkerrechtserzeugung vornehmlich auch auf die Erwägung hinweist, inwieweit es möglich erscheint, in Beziehung auf gewisse internationale Materien die gefeßgebenden Körper nach gemeinsam vereinbarten Plänen thätig werden zu Lassen.

Im historischen Sinne endlich kann ein Landesgeset als Völkerrechtsquelle gelten, wenn nach eingetretenem Machtverfall oder nach erfolgter Auflösung eines Staatsverbandes aus einem ehemals einheitlichen Staatsgebiet mehrere selbständige Staatsgebilde hevorgehen, deren alsdann international gewordene Beziehungen nach den fortwirkenden Bestimmungen einer ihnen ehemals gemeinsam gewesenen Rechtsquelle zu beurtheilen sind. Die Beziehungen der 1806 souverän gewordenen Staaten des alten Deutschen Kaiserreichs wurden in dieser Weise in manchen Stücken in Gemäßheit von Normen beurtheilt, deren Ursprung in eine Zeit fiel, wo innerhalb des früheren Reichsverbandes eine einheitlich wirkende Gesetzgebungsgewalt bestanden hatte. Römische Kaiserconstitutionen waren in ähnlicher Weise während des Mittelalters auch nach dem Untergang des Römischen Kaiserreichs in den auswär tigen Beziehungen der Staaten als fortwirkende Landesgeseze wie von Territorialherrschaften gehandhabt worden, denen ein einheitlicher politischer Mittelpunkt fehlte.

Aehnliche Verhältnisse ergaben sich nach der Lostrennung Nordamerikanis scher Colonien von England. Das gemeine Englische Landesrecht (common law) war mit den ersten Englischen Einwanderern in Amerika colonisirt worden. Aus nationalen Rechtsfäßen konnten sich nach erfolgter Sonderung beider Gebiete internationale Rechtsregeln soweit bilden, als die Voraussetzung der ehemals gemeinsamen Landesherrschaft der Englischen Krone bei der Wirkung solcher Rechtsregeln nicht wesentlich in Betracht kam.

Was Verordnungen ohne Gefeßesform anbelangt, 2) so sind die in Feindesland ergangenen, vom Occupanten erlassenen militärischen Anordnungen und Proclamationen als eine Quelle des internationalen Rechtes zu Kriegszeiten anerkannt. Solche Verordnungen verpflichten als Ausfluß des Gewalt= rechtes nicht nur die geseßlich ihrem Oberbefehlshaber unterworfenen Truppen, sondern ebenso auch die im beseßten Feindesland weilenden Angehörigen neu

traler Staaten, und noch vielmehr diejenigen thatsächlich der Militärgewalt unterworfenen Personen und Behörden des verdrängten Belligerenten, die das materielle Recht des Siegers während des Krieges grundsäglich bestreiten. In solchen Fällen seßt eine unwiderstehlich gewordene Macht unmittelbar ein auf die Dauer des Machtverhältnisses berechnetes, zum Gehorsam verpflichtendes und gleichzeitig zwingendes Unterwerfungsverhältniß. Auf die innere Gerechtig= keit solcher Kriegsmaßregeln kann nichts ankommen. Selbst diejenigen, welche ganz äußerlich das Recht aus der mechanisch Gehorsam erzeugenden Macht eines Gesezgebers ableiten, würden von ihrem Standpunkte aus nicht bestreiten können, daß während des Krieges internationales Machtrecht durch Militärgewalt gesetzt werden kann.

1) Acte Public, relatif à la navigation des embouchures du Danube; signé à Galatz le 2 novembre 1865. 3m préambule heißt es: Les puissances qui ont signé le Traité, conclu à Paris le 30 Mars 1856 voulant déterminer par un Acte Public les droits et obligations, que le nouvel état des choses établi sur le Bas-Danube à crées pour les différents interessés et notamment pour tous les pavillons, qui pratiquent la navigation du fleuve etc. Dazu der Acte additionel à l'Acte Public du 2 novembre vom 28. Mai 1881. S. den Text auch abgedruckt bei v. Holzendorff, Rumäniens Uferrechte an der Donau (Leipzig 1883) S. 150 ff.

Die von der Londoner Conferenz in Gemäßheit des Vertrages vom 10. März 1883 für die Stromstrecke von Braila bis zum Eisernen Thore beabsichtigte,,Ge= mischte Donauschiffahrtskommission“ würde innerhalb der ihr beigelegten Attributionen gleichfalls als eine mit internationalem Verordnungsrecht ausgestattete Behörde anzusehen sein.

2) Englische Schriftsteller bezeichnen diese Art der Rechtsquelle abwechselnd als Manifesto, Ordinances, Proclamation.

§ 30. Quellenverbindungen.

Schon Savigny hat darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Erzeugung des objectiven Rechts mehrere Rechtsquellen mit einander concurriren können, weil die einzelnen Rechtsquellen in Staaten, wo sie Eingang finden, kein von einander völlig unabhängiges Dasein zu haben pflegen. 1) Wie mehrere ursprünglich selbständige Staaten sich zu einem Gesammtstaate auf die Dauer vereinigen können, so ist es auch möglich, daß mehrere unmittelbar in der Nähe gelegene Quellen von vornherein ihr Wasser mischen, ohne daß es möglich wäre, die in dieser Mischung enthaltenen mineralischen Bestandtheile auf ihren Ursprung genau zurückzuführen.

Die Betrachtung solcher Quellenverbindungen ist nicht nur für die historische Würdigung der Rechtsverhältnisse von Belang. Sie ist außerdem geeignet solche Streitfragen zum Austrag zu bringen, die sich lediglich auf die

formale Natur der Rechtsquellen stüßen, zumal diese einander innerlich mannigfach verwandt sind, und es z. B. im Einzelnen zweifelhaft sein kann, ob eine Rechtsvorschrift als eine aus Gefeßen, aus Staatsverträgen oder aus allge= meiner Anerkennung herzuleitende aufzufassen sein würde. Insbesondere find die Gränzlinien zwischen Gewohnheiten und stillschweigend von den Völkern vereinbarten Verträgen in der Theorie stets schwankende und schon die Römischen Juristen im Zweifel darüber gewesen, ob Gewohnheiten durch Anerkennung und richterliche Bestätigung zur Rechtsquelle werden oder als Beweismittel für vorangegangene Willensübereinstimmung der Staatsgenossen aufzufassen seien. 2)

Für die Behandlung völkerrechtlicher Angelegenheiten ist die richtige Würdigung solcher Quellenverbindungen in noch viel höherem Grade zu verwerthen. Der Zweifel an der Positivität völkerrechtlicher Normen wurzelt oft genug in der Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, eine einheitliche, sämmtliche Culturstaaten durchströmende Rechtsquelle als Grund internatio= naler Berechtigungen und Verpflichtungen mit derselben Sicherheit nachzuweisen, womit der ächte Tert eines einfachen Gesetzgebungsactes gegenwärtig ermittelt werden kann.

In Wirklichkeit beruhen aber die wenigsten Vorschriften des Völkerrechts auf einer einfachen Rechtsquelle in der Weise, daß man zu ihrem Nachweise entweder ausschließlich auf Gewohnheiten oder auf Staatsverträge zurückzugehen hätte, vielmehr ergiebt sich der allmälig eintretende Prozeß der Verallgemeinerung solcher Normen, die auf einem Anfangs beschränkteren Gebiet oder nur unter wenigen Staaten angewendet wurden, aus successiver Vereinigung mehrerer Quellen. So geschieht es denn häufig, daß ein und derselbe Rechtssag für manche Staaten aus einer Mehrheit formal verschiedener Rechtsquellen hergeleitet werden muß. Einzelne Staaten können zu denselben Leistungen oder Verpflichtungen durch Staatsvertrag gehalten sein, zu welchen andere sich durch Gewohnheit oder Anerkennung schon früher verbunden erachtet haben. In Beziehung auf die Gewißheit und Sicherheit eines Saßes kann die im Resultat hervortretende Uebereinstimmung mehrerer Rechtsquellen nicht anders wirken, als die Uebereinstimmung mehrerer Aussagen glaubwürdiger Zeugen in Beziehung auf die von ihnen gleichmäßig bekundete Thatsache.

Die Vernachlässigung dieser bei der Würdigung der Völkerrechtsverhältnisse gebotenen Auffassungsweise hat es vornehmlich verschuldet, daß nicht blos Theoretiker, sondern auch Gerichtshöfe und Richter der Schwierigkeit einheit licher Quellennachweisungen sich zu entziehen suchten, indem sie sich auf Naturrecht, Angemessenheit der Verhältnisse, Zweckmäßigkeitsregeln oder gar auf philosophische Speculation, wie auf eine subsidiäre Quelle beriefen, ohne vorher zu fragen, ob nicht eine Mehrheit von Quellen bei mehreren selbständigen Staaten in Verbindung zu einander gesezt werden könne. Der große Stromlauf des internationalen Rechtes verdankt seine Wassermassen dem Zusammentreffen mehrerer Quellen, der Vereinigung zahlreicher Nebenflüsse.

Handbuch des Völkerrechts I.

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