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schließt, umfaßt es ein weiteres Gebiet. Selbst die Umschreibung des Völkerrechts als „internationales öffentliches Recht" ist nicht völlig zutreffend, weil auch das Strafrecht zu den Bestandtheilen des öffentlichen Rechts zu zählen sein würde.4) Es könnte somit der Inhalt des modernen Völkerrechts nur als internationales Staatenrecht genauer beschrieben werden.

Will man bei der Eintheilung des gesammten Rechtsstoffes von den Gegenfäßen des nationalen (oder territorialen) und internationalen (d. h. nicht territorialen) Rechts ausgehen, so würde man zu unterscheiden haben:

1. Internationales Staatenrecht, (einschließlich der die internationale Kompetenz der Gerichtshöfe betreffenden Regeln).

2. Internationales Straf- und Strafprozeßrecht.

3. Internationales Privat- und Civilprozeßrecht, wobei dann immer noch in Frage käme, ob nicht gewisse Materien theilweise zum öffentlichen Recht gehören.

Der Ausdruck,,Staatenrecht" allein würde, obschon er von manchen Juristen befürwortet wird, für unsere Materie aus mehreren Gründen der nothwendigen Bestimmtheit entbehren. Einmal hat man diese Bezeichnung bereits zu dem Zwecke okkupirt, um die rechtlichen Befugnisse einzelner Mitgliederstaaten in Conföderationen unter einer Gesammtbezeichnung zu beschreiben. Und sodann wäre daran zu erinnern, daß der Staat nur den formellen Zustand des zur höchsten Culturstufe gediehenen völkerschaftlichen Lebens dar stellt. Lebendige Persönlichkeiten und Willenssubjekte des staatlichen Lebens und des auswärtigen Verkehrs sind die im Staate wirkenden Völker. Sie erscheinen daher als characteristische Träger des Völkerrechts. Wird auch vom Standpunkt der Gegenwart überall vorausgeseßt, daß Volk und Staat, wo sie vorhanden, politisch als Wesenseinheit zu nehmen sind, so bestände doch begriffsmäßig kein Hinderniß, die Möglichkeit völkerrechtlicher Beziehungen auch zwischen staatenlos lebenden Volksstämmen zu behaupten.

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Während in Deutschland die Bezeichnung unserer Materie durch den Ausdruck Völkerrecht" allgemein seit längerer Zeit üblich geworden ist, schwankt der Sprachgebrauch anderer Nationen zwischen den Derivaten des jus gentium und dem,,internationalen Recht" (droit des gens, droit international, diritto delle genti, law of nations, international law u. s. w.) worunter bald Theorie oder Philosophie des Völkerrechts, bald Völkerrechtspraxis verstanden wird. 5)

An und für sich bedarf das Völkerrecht zu seiner näheren Kennzeichnung keines adjectivischen Zusaßes. Denn mögliche Subjecte des Völkerrechts sind alle staatlich organisirten Nationen, welche gewillt und fähig sind, die aus dem auswärtigen Verkehr nothwendig erwachsenden Rechtspflichten gegen andere Nationen zu erfüllen. Das Völkerrecht ist außerdem räumlich unabhängig von bestimmten staatlichen Ländergebieten. Der Rechtszustand des Krieges

bedingt auch dann bestimmte Pflichten, wenn fechtende Parteien sich auf hoher See oder in staatenlosen Gebieten bewegen.

Da indessen das Völkerrecht überall im geschichtlichen Zusammenhange der Zeit und der räumlich staatlichen Verhältnisse sich entwickelt, und nicht alle auf der Erdoberfläche lebenden Völker Antheil haben an der internationalen Gemeinschaft, sind diejenigen Eigenschaftswörter zu prüfen, welche das Völkerrecht entweder in geographischer oder auch in ethnologischer und historischer Hinsicht einschränken.

Aus dieser Untersuchung wird sich dann ergeben, ob die in der Staatspraxis für das Völkerrecht vorkommende Bezeichnung: Deffentliches Europäisches Recht" gerechtfertigt werden könne, oder nicht.6)

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1) Daß jus gentium außerdem auch Völkerrecht im modernen Sinne bedeutete, ergiebt sich beispielsweise aus L. 17 Dig. 50, 7: Si quis legatum nostrum pulsasset contra jus gentium id commissum esse existimatur, quia sancti habentur legati.

2) Zouchäus (1590 - 1660), dessen Werk Kaltenborn als das erste eigentliche“ (?) Lehrbuch des Völkerrechts bezeichnet, schrieb: Juris et judicii fecialis sive juris inter gentes et quaestionum de eodem explicatio, quaeque ad pacem et bellum inter diversos principes aut populos spectant ex praecipuis historico jure peritis exhibentur. 1651 Lugd. Bat.

3) A. M. Westlake, der das internationale Strafrecht" zum Privatrecht zählt: >The extradition of criminals belongs to private international law, because it is concerned with deciding, in what national jurisdiction a criminal ought to be tried (A treatise on private intern. law p. 5.)

4) Bentham rechtfertigt den Ausdruck als einen neuen in den zuerst 1789 herausgekommenen Principien der Moral und der Gesetzgebung; den Gegensaß dazu bezeichnete das Wort municipal (auch internal) law.

Renault (a. a. D. S. 6) nimmt droit des gens und droit international für synonym »tout en faisant remarquer que droit des gens correspond plutôt à la partie théorique du sujet et droit international à la partie pratique, le premier indiquant ce qui droit être, et le second ce qui est.

5) F. v. Martens (Völkerrecht § 3, S. 18) bemerkte, daß im russischen Universitätsstatut von 1835 ein gegenwärtig veraltetes Wort mit der Bedeutung: „all: gemeines Recht der Völker“ für die Materie gebraucht wurde (obschtschenarodnoje pravo), was leicht zu Verwechselungen mit dem allgemeinen Recht der Staaten führen konnte.

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6) Dieser Bezeichnung bediente sich Talleyrand auf dem Wiener Kongreß. S. Klüber, Akten des Wiener Kongresses Bd. VII, 48. Ferner Art. 15 des Pariser Traktates vom 30. März 1851 mit Beziehung auf die Flußschifffahrt der Donau: »Elles déclarent, que cette disposition fait désormais partie du droit public de l'Europe et la prennent sous leur garantie.<<

§ 3.

Die ethnographische Grundlage des Völkerrechts.

Das als positiv anwendbar vorausgesetzte und späterhin im weiteren Verlaufe unserer Darstellung in dieser Eigenschaft wissenschaftlich noch nachzuweisende Völkerrecht regelt nur die Beziehungen derjenigen Staaten, deren auswärtige Verkehrsverhältnisse auf der Grundlage eines gemeinsamen Rechtsbewußtseins der Völker denselben Normen unterstellt werden können. Wie das Recht jedes einzelnen Staates sich im Zusammenhange mit den allge= meinen Erscheinungen des geschichtlichen Culturprozesses entwickelt, so ist auch das Völkerrecht nach seiner Entstehung und Entwickelung nothwendiger Weise an eine über die Gränzen des in seiner Mitgliedschaft fungirenden, einzelnen Staates hinausreichende Culturgemeinschaft gebunden. Die Völker, als staatliche Organisationen genommen, müssen ihres Zusammenlebens in bestimmten Zeiträumen der Weltgeschichte inne geworden sein, bevor die Wirkungen der Rechtsidee über nationale Gebietsgränzen hinaus getragen werden können. Das internationale Recht bedeutet daher die letzte und späteste Ge= staltung der Rechtsverhältnisse, welcher die Ausbildung haltbarer Fundamente des Privat-, Straf- und Staatsrechts vorangegangen sein muß. Lange Zeit hindurch ward dies verkannt. Grotius selbst hatte das praktische Völkerrecht (jus gentium voluntarium) bestimmt als dasjenige, quod gentium omnium aut multarum voluntate vim obligandi accepit, also bei allen Völkern ein gewisses Maß von Rechtscultur fingirt, im Verhältniß wozu es richtiger erschien, wenn die Griechen zu ihrer Zeit eine Kluft zwischen Cultur und Barbarei annahmen. 1)

In Wirklichkeit ergiebt sich, daß der Bestand irgend einer Art des Völkerrechts unter barbarischen Stämmen in ihren wechselseitigen Berührungen ebenso wenig möglich ist, wie zwischen ihnen und den Verkehr pflegenden Culturstaaten der Erde. Cultur und Barbarei negiren die rechtliche Bedeutung ihres Bestandes wechselseitig.

An der Möglichkeit völkerrechtlicher Verkehrsnormen gebricht es auch da, wo gewisse Staaten, ohne von den Vorschriften eines sittlich rechtlichen Bewußtseins geleitet zu werden, nur den Thatsachen und dem Zwange überlegener Kräfte auf Seiten fremder Regierungen nachgebend, sich auswärtigen Verkehr widerwillig gefallen lassen (sog. halbcivilisirte Staaten). Das Völkerrecht ist somit das frei gewollte und anerkannte Genossenschaftsrecht solcher Staaten, die den Verkehr mit anderen Staaten nicht blos als zwingende Nothwendigkeit einer ihnen überlegenen Macht widerwillig dulden, sondern aus sittlich rechtlichem Interesse üben und als eine Forderung ihrer Culturbedürfnisse begreifen, somit als Bestandtheil einer allgemeinen, sie verpflichtender Ordnung anerkennen (civilisirte Staaten). Daß der Bildungsgrad dieser in rechtlicher Verkehrsgemeinschaft stehenden Völker überall ein völlig

gleicher sei, ist nicht erforderlich. Es genügt für die Möglichkeit der Mitgliedschaft in einer rechtlich geordneten Genossenschaft der Staaten der Wille, den auswärtigen Verkehr an einen gemeinsam anerkannten Maßstab wechselseitiger Berechtigung und Verpflichtung zu binden.

So lange jene wesentlichen Unterscheidungen im Bewußtsein der Nationen fortbestehen, deren Merkmale durch Geschichtsforschung, Völkerpsychologie und Ethnographie als Barbarei, Halbcultur oder Civilisation nachgewiesen werden, kann es ein allgemeines, practisches die Menschheit umfassendes Völkerrecht nicht geben. Eine historische Beschränkung der Völkerrechtssubjecte wird vielmehr in der üblichen Terminologie des Europäischen Völkerrechts angedeutet. Seit dem Untergange der arabischen Culturblüthe in Spanien giebt es in Europa nur eine, aus denselben Grundlagen der klassischen Bildung und des Christenthums hervorgewachsene Cultur, als deren bedeutsamste Frucht das Europäische Völkerrecht anzusehen ist.

Ob diese moderne Europäische Cultur in allen Richtungen des menschlichen Lebens die höchste Stufe der sog. Civilisation im Vergleich zu älteren asiatisch-hellenischen Culturformen wirklich erreicht habe und darstelle, mag freilich zweifelhaft erscheinen und deswegen hier dahingestellt bleiben. Daß die Europäische Cultur jedoch im Vergleich zu derjenigen außerhalb ihrer stehenden Nationen, innerhalb der auswärtigen staatlichen und rechtlichen Verkehrsgestaltung sich als die bisher sittlich und physisch gebietende, jeden Widerstand überwältigende Macht erwiesen hat, kann nicht geleugnet werden.

In diesem Sinne begriffen, ist die Vorstellung eines Europäischen Völkerrechts als einheitlicher Ausdruck für eine gegenwärtig bestehende Gesammt und Gemeincultur bestimmter Staaten zuzulassen.

An der Thatsache dieser Gemeinschaft wird auch durch den Bestand be= sonderer Gesetzgebungen und verschieden abgestufter Bildungsgrade in den einzelnen Europäischen Staaten nichts geändert. Im Gegentheil seht das Völkerrecht gleichzeitig die Eigenart seiner Subjecte und ihre Selbständigkeit ebenso voraus, wie das moderne Staatsrecht die staatsbürgerlichen Grundrechte oder doch mindestens die Privatrechtssphäre der Individuen anerkennt und gewährleistet. An sich wäre es nicht unzulässig, von einem Asiatischen oder Amerikanischen Völkerrechte zu sprechen. Angemessen und den Verhältnissen entsprechend, wäre eine solche Bezeichnung aber erst dann, wenn sich auf Grundlage irgend einer eigenartigen Gemeincultur Asiatischer oder Amerikanischer Staaten ein von dem Europäischen verschiedenes System von Rechtsregeln für den Verkehr dieser Staaten herausgebildet hätte.

So lange dies nicht der Fall, findet das praktische Europäische Völkerrecht seinen Gegensaß nicht an irgend einem anderen System von Rechtssäßen, sondern an den staatenlos lebenden Theilen der Menschheit oder an dem Rechtszustande solcher Staaten, die sich gegen die Rechtsgemeinschaft mit Europäischen Culturvölkern grundsäßlich ablehnend verhalten.

Das Europäische Völkerrecht ist somit in der Gegenwart das Völker

recht schlechthin, das gemeine Weltrecht der Culturstaaten, die rechtliche Verkehrsordnung der in geschichtlich gewordener Culturgemeinschaft lebenden Nationen.

In welchem Sinne man also immer die einer mannigfachen Auslegung fähigen Ausdrücke der ,,Cultur" oder „Civilisation" nehmen mag, für den Zweck des Staatsmannes und Juristen reicht es aus, die Thatsache eines friedlichen Verkehrszustandes unter selbständigen Staaten, beruhend auf der Anerkennung gewisser sogar für körperliche Gewaltanwendung verbindlicher Rechtsregeln als entscheidendes Merkmal der politischen Cultur im völkerrechtlichen Sinne gelten zu lassen.

1) Lorimer, Institutes of Internat. Law (I, S. 161) unterscheidet wie Fallati drei Gruppen von Völkern, je nachdem diese zugehörig sind der civilised humanity (europäisches Völkerrecht), der barbarous humanity (asiatische Staaten) und der savage humanity (Wilde).

Es ist nicht Sache des Juristen, den Begriff eines civilisirten Staates und der Civilisation festzustellen, wohl aber darauf zu achten, daß dieser Begriff ohne Be= rücksichtigung der Rechtsvergleichung zwischen verschiedenen Epochen der Geschichte und verschiedener Nationen nicht gefunden werden kann. Das römische Civilrecht kann als älteste Erscheinung eines civilisirten (Privat-) Rechts gerade deswegen genommen werden, weil innerhalb desselben die menschheitlichen Ideen zuerst realisirt wurden.

Im Uebrigen finden sich in jedem Staate Ueberreste oder atavistische Erschei nungen der Barbarei. Keiner ist völlig civilisirt. Troß der Sclaverei, die man heute mit civilised humanity nicht vereinbar hält, waren Griechen und Römer hoch civic lisirte Staaten.

§ 4.

Das geographische Gültigkeitsgebiet des Europäischen

Völkerrechts.

Die Terminologie des Europäischen Völkerrechts deckte sich niemals mit den Gränzen des Europäischen Festlandes und der zu ihm gehörigen Inseln. Vor dem Abschluß des Pariser Friedens im Jahre 1856 war das Europäische Gebiet der Türkei gleicherweise wie ihre außereuropäischen Besitzungen der Herrschaft allgemeiner Europäischer Völkerrechtsordnung entzogen. Andererseits hatten schon seit Jahrhunderten Europäische Rechtsgrundsäge und Vertragsbestimmungen ihre Einwanderung in die neue transatlantische Welt angetreten. Sprach man dennoch schon vor 1856 von den Grundsägen des Europäischen Völkerrechts, so lag darin nicht sowohl die Andeutung einer geographischen Herrschaftsgränze, als der Hinweis auf ein geschichtliches Ursprungsverhältniß, wofür eine Analogie in der Benennung gewisser in Deutschland, Frankreich und Italien geltender Rechtsregeln als gemeiner römisch-rechtlicher

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