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zu unterscheiden sind daher:

1. Specialverträge, die von einer durch den Vertragszwed be= schränkten Anzahl von Contrahenten zur Ordnung solcher Angelegenheiten abgeschlossen werden, die nur deren eigene Interessen betreffen.

2. Collectivverträge, die von einer durch den Vertragszweck nicht beschränkten Mehrheit von Staaten zur Ordnung allgemeiner Rechtsangelegenheiten des internationalen Verkehrs vereinbart werden. Jeder Specialvertrag beschränkt mit der Begränzung der ihm gegenständ lich zu Grunde liegenden Interessen auch die dabei möglichen Theilnahmeverhältnisse. In den meisten Fällen wird es sich dabei nur um zwei Contrahenten handeln. Bei weitem die Mehrzahl aller Staatsverträge wird nur in dieser Weise abgeschlossen und außerdem als ein Rechtsgeschäft behandelt, bei welchem dritte Staaten von Hause aus unbetheiligt bleiben sollen. Daneben können aber Specialverträge außerdem die Natur völkerrechtlicher Quellen annehmen; dies geschieht, wenn entweder, wie bei Gränzverträgen, das Gebiet völkerrechtlicher Persönlichkeiten in einer auch dritte Staaten indirect bindenden Weise festgestellt oder aber durch Unions- oder Vereinsverträge und Conföderationen ein bleibender Zustand der Verbindung unter selbständigen Staaten geschaffen wird, der nach Außen hin bestimmte Rechtswirkungen erzeugt, und als völkerrechtliche Persönlichkeit anerkannt wird.

Da es zu den Aufgaben des Völkerrechts gehört, einen gegebenen Staatsbestand nach erfolgter Anerkennung gegen willkürliche Störungen zu sichern, so haben die Bündnißverträge, die zur Begründung der Amerikanischen Union oder des Deutschen Reiches führten, troß der in der Natur der Verhältnisse liegenden Beschränkung auf eine genau bestimmte Mitgliederzahl, nicht nur eine nach ihrer Wirkung zu bemessende staatsrechtliche, sondern auch eine nach der Entstehung fortwirkende völkerrechtliche Qualität, und zwar erstere in vorwiegend positiver, lettere in vorwiegend negativer Richtung hervortre tend; ein Verhältniß, das besonders deutlich in den Deutschen Bundesverträgen von 1815 bemerkbar wurde. Auch die Deutschen Zollvereinsverträge unterliegen derselben Beurtheilung.

In diesem Sinne genommen, können auch Specialverträge unter den Völkerrechtsquellen eine allgemeine Bedeutung erlangen. Sicherheit und Bestimmtheit in der Begränzung benachbarter oder zusammengehöriger Territorien bilden im Hinblick auf die Abwendung von Streitigkeiten oder in der Vermeidung kriegerischer Störung ein über die Beziehungen der Paciscenten hinausgehendes Interesse der Völkerrechtsgesellschaft.

Was die Collectiv-Staatsverträge anbelangt, so wird bei ihnen eine Mehrheit solcher Contrahenten vorausgeseßt, denen daran gelegen ist, ein Gesammtinteresse des völkerrechtlichen Verkehrs im Sinne dauernder Ordnung festzustellen und im weiteren, die Beziehungen der jeweiligen

Contrahenten überschreitenden Umfang zur Geltung zu bringen. Die formal verpflichtende Kraft solcher Vereinbarungen beschränkt sich freilich zunächst nur auf den Länderbestand und den Gebietscomplex der contrahirenden Staaten selber. Ebenso wenig wie es eine allgemein gesetzgebende Gewalt über den Nationen geben kann, besteht eine stellvertretende vertragschließende Gewalt neben unvertretenen Völkern, die eines gleichsam vormundschaftlichen Amtes zu walten hätte, oder sich auf vermuthete Vollmachten Abwesender berufen könnte.

Unter dem Gesichtspunkt eines völkerrechtlichen Gesammtinteresses kann übrigens auch die auswärtige Stellung eines einzelnen Landes als jus singulare, im Verhältniß zu allen Anderen gewürdigt werden. Dies geschieht beispielsweise in der der Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedenszustandes dienlichen Neutralisirung gewisser Land- oder Seegebiete, wofür die Schweiz, Belgien und Luxemburg die am häufigsten angeführten Beispiele darbieten. Die Garantie der einem einzelnen Lande zugestandenen dauernden Neutralität erscheint somit als ein durch Collectivverträge constituirtes Specialrecht oder wenn man will, als ein aus Gründen des allgemeinen Nußens eingeräumtes Privilegium, dessen Aufrechterhaltung an die Erfüllung gewiffer damit verknüpfter Verpflichtungen verbunden bleibt.

Unter den Collectivverträgen sind nun diejenigen die wichtigsten Rechtsquellen, die eine allgemein auf den Staatenverkehr anwendbare, dauernd festzuhaltende Regel vereinbaren, oder eine dem auswärtigen Vertehr schädliche Praxis der älteren Zeit zu reformiren bestimmt sind. Beide Gesichtspunkte, sowohl der positiven Förderung allgemeiner Verkehrsinteressen als auch die Beseitigung veralteter Vorschriften, können sehr wohl mit einander verbunden werden. Die auf dem Wiener Congreß bezüglich der Flußschifffahrt auf internationalen Strömen vereinbarten Prinzipien (Art. 108-117) dienen zur Bestätigung dieser Darlegung.

Faßt man hierbei die Zahl der contrahirenden Staaten ins Auge, so erkennt man als das entscheidende Moment, daß durch die Natur der rechtlich zu ordnenden Interessen von Hause aus Niemand von der Antheilnahme an derartigen Vertragsschlüssen anders, als höchstens vorübergehend und im Interesse eines zunächst in kleineren Kreisen zu beschleunigenden Verständnisses ausgeschlossen werden darf.

Die Mehrzahl der in neuerer Zeit vereinbarten Collectivverträge und dahin gehören seit 1815 vornehmlich die von den Europäischen Großmächten getroffenen Vereinbarungen kann ohne weiteres als directe Quelle des Völkerrechts nur in einem beschränkteren Umfange, nicht als Quelle des Europäischen Völkerrechts im weiteren Sinne genommen werden. Doch hat sich gerade im Verlaufe der jüngsten Völkerrechtsentwickelung gezeigt, daß aus der historischen Gruppe der Collectivverträge sich eine neue Formation her. ausbilden konnte, der die Bezeichnung von Universalverträgen gebührt, d. h. von Verträgen, deren unmittelbarer Geltungsbereich sich entweder auf die Gesammtheit der Europäischen Culturgemeinschaft erstreckt oder deren histo

rische und räumliche Schranken noch überschreitet, wie es bei den Weltposts verträgen und den zum Schuße der Verwundeten getroffenen Vereinbarungen der Fall ist.

Damit ist, mindestens für die Zukunft, die früher bezweifelte Möglichkeit bewiesen, daß alle überhaupt in Verkehr stehenden Staaten der Erde bis zu einem gewissen Maße sich über die unerläßlichen Bedingungen rechtlich geordneter Wechselbeziehungen trot sonstiger staatlicher Gegensäge zu verstän= digen vermögen.

Was schließlich das Verhältniß der Specialverträge zu den Collectivverträgen anbelangt, so muß sich gerade bei der näheren Bestimmung desselben die Nüglichkeit einer Untersuchung erweisen, die darauf gerichtet wäre, sowohl aus dem Vertragsverhältniß als auch aus den Vertragsformen und den Absichten der Contrahenten zu ermitteln, ob es sich nur um rechtsgeschäftliche oder um rechtsnormative Sagungen oder Vereinbarungen handelt.

Durch Specialverträge kann übrigens auch das jus particulare einzelner Staaten soweit constituirt werden, als diese nicht Dritten gegenüber durch Verzichtserklärungen sich gebunden haben. Denn es ist sehr wohl möglich, daß innerhalb der Gesammtgenossenschaft der Völker bezüglich gewisser als sittlicher Regeln oder Gebote aufzufassender Vorschriften Meinungsverschiedenheiten bestehen. Der Mehrheit der Staaten kann in solchen Fällen eine Minderheit gegenüberstehen. Obwohl die Sclaverei beispielshalber gegenwärtig als unsittliche Institution in ganz Europa verworfen wird, bestehen dennoch einzelne Staa= ten, die Sclaverei oder Hörigkeitsverhältnisse in ihren überseeischen Kolonien aufrecht erhalten. Verträge, abgeschlossen zu dem Zwecke, flüchtige Sclaven von einem Staatsgebiete an einen benachbarten Staat auszuliefern, würden alsdann ein jus particulare schaffen. Rücksichtlich ihres Inhalts wären solche Verträge als gültige Rechtsgeschäfte auch von solchen Staaten zu erachten, die ihrerseits die Sclaverei abgeschafft und den Sclavenhandel mit Strafe bedroht haben. Wo dagegen innerhalb gewisser Staatengruppen rechtsnormative Verträge bestehen, wäre es unzulässig, innerhalb desselben Rechtsgebietes zuwiderlaufende Rechtsgeschäfte durch Specialverträge zu vereinbaren.

Wo es sich also um das Dasein einer Rechtsquelle in Gestalt eines Collectivvertrages handelt, darf den allgemein gebietenden oder verbietenden Vorschriften desselben durch ein nachträglich von gewissen Mitcontrahenten vereinbartes Rechtsgeschäft oder durch jus particulare nicht derogirt werden. Rechtsquelle und Rechtsgeschäft verhalten sich hier auf dem Boden des internationalen Rechts geradeso wie jus publicum und jus privatum im inneren Staatsleben.

Möglich ist dagegen, daß Collectivverträge, um in Wirksamkeit zu treten, einer genaueren Bestimmung durch einzelne Stipulationen von Seiten eines Theiles der Contrahenten bedürfen. Ein derartiges Verhältniß läßt sich der Stellung einer Ausführungsverordnung neben dem Gesez in manchen Stücken vergleichen.

Die gleichsam constituirenden Rechtssäße des Wiener Congresses bedurften zur Verwirklichung der internationalen Flußschiffahrtsregeln ausführender Verträge unter den einzelnen Uferstaaten des Rheines, der Elbe, der Weser, d. h. aller derjenigen Ströme, die als sog. conventionelle in Betracht kamen. Aehn= lich verhält es sich mit den Gränzregulirungen, die benachbarte Staaten in Folge einer auf Congressen vereinbarten Territorialveränderung vorzunehmen haben. Ob in solchen Fällen der objectiv feststehenden Rechtspflicht von Seiten Derjenigen Staaten genügt wurde, die zum Abschluß von Ausführungsverträgen in Gemäßheit bereits vereinbarter Normen gehalten sind, haben dann die Mitcontrahenten des Vorvertrages zu prüfen, bevor sie entscheiden, ob der Nachvertrag die Eigenschaft einer allgemeinen Völkerrechtsquelle erlangen foll. Die auf diese Weise zu vermittelnde Art der Anerkennung weiterer Kreise heißt internationale Actnahme.1)

Was von dem Verhältnisse der Spezialverträge zu den Collectivverträgen gesagt wurde, bezieht sich auch auf die verpflichtende Kraft der Gewohnheiten. Durch besondere Vereinbarungen unter einzelnen Nationen darf allgemein anerkannten Rechtsgebräuchen nicht derogirt werden. 2) Mindestens muß dieser Grundsatz soweit gelten, als dritte Staaten außer den Contrahenten gerade an der Allgemeinheit einer im Verkehr geltenden Gewohnheit ein Interesse haben. 3)

1) Einen Präcedenzfall bietet Art. 18 des Pariser Traktates vom 30. März 1856, bezüglich der Donauschiffahrt: Il est entendu, que la Commission Européenne aura rempli sa tâche et que la Commission Riveraine aura terminé les travaux désignés dans l'article précédent sous les Nos 1 et 2 dans l'espace de deux ans. Les Puissances signataires réunies en Conférence, informées de ce fait, prononceront, après en avoir pris acte, la dissolution de la Commission Européenne etc. S. darüber v. Holzendorff, Rumäniens Uferrechte an der Donau (Leipzig 1884) S. 20 ff.

2) Sehr zweifelhaft ist die Regel, die Sir R. Phillimore (Commentaries I, § 42) aufstellt, indem er unter Umständen bei zeitlich unbeschränkten Collectivverträgen eine Aufkündigung zuzulassen scheint: »never without due notice conveyed to other countries and then only in those cases, in which it may be competent to a nation so to act.<

3) Die richtige Auffassung der Staatsverträge und ihre Unterscheidung von den (privaten) Rechtsgeschäften wird für Engländer und Franzosen dadurch erleichtert, daß sie nicht (wie die Deutschen) nur ein Wort „Vertrag" für öffentliches und civiles Recht gleichzeitig brauchen, sondern zwischen Contract und traité oder treaty unterscheiden.

§ 29.

Geseze und Verordnungen als Völkerrechtsquelle.

Literatur: Bergbohm, Staatsverträge und Geseße als Quellen des Völkerrechts. Dorpat 1877. · L. Renault, Introduction à l'étude du droit international (Paris 1879) S. 43 ff. Phillimore, Comment. 1, § 58. Creasy, First platform of International Law. Calvo, Droit intern. I,

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§ 35 (1876) § 90 ff.

Da eine gefeßgebende Gewalt über den Völkern in organisirter Form nicht besteht und deren Vereinbarkeit mit dem Prinzip des Völkerrechts wenigftens dann bezweifelt werden müßte, wenn dabei vorausgesezt würde, daß wider ihren Willen Völker einer ständigen Gesetzgebung unterworfen sein follten, so kann von Völkerrechtsgeseßen" nur im uneigentlichen Sinne und meistentheils nur im Zusammenhange mit Staatsverträgen gesprochen werden.

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Nicht nur für den fog. Staaten bund, der als dauernder Völkerrechtsverein aufzufassen ist, sondern auch unter Staaten von völlig unbeschränkter Souveränetät können Einrichtungen vereinbart werden, die entweder nach dem Grundfahe der Einstimmigkeit oder der Stimmenmehrheit für die Antheil nehmenden Staaten bindende Beschlüsse fassen, deren Ausführung verwaltenden oder richterlichen Organen übertragen werden kann.

Die Möglichkeit solcher Völkerrechtsgesetzgebung besteht überall schon da, wo bestimmte räumliche Gebiete der Landesherrschaft in gewissen einzelnen Beziehungen entzogen sind, um unmittelbar der Herrschaft völkerrechtlicher Normen unterstellt zu werden. Ein derartiges Rechtsverhältniß hat sich seit dem Pariser Traktat an dem Flußgebiet der Donaumündungen herausgestellt. Der Verfügung des Uferstaates (Anfangs der Türkei) hinsichtlich der Schiffahrtsanstalten zeitweise entzogen, unterliegt das Mündungsgebiet der Donau gegenwärtig der Herrschaft der im Orient leitenden Mächte und einer von ihnen unter dem Hinzutritt Rumäniens geschaffenen, internationalen (Europäischen) Commission, deren Verfügungsgewalt, auf thatsächlich anerkannter Machtstellung beruhend, alle anderen Staaten zur Unterwerfung verpflichten würde, deren Schiffe an den Vortheilen der an den Donaumündungen geschaffenen Anstalten Theil nehmen wollen, ohne daß diese die Flagge eines Mitcontrahenten zu tragen brauchten. 1)

Die Wirkung solcher ursprünglich auf Vertragsschlüssen beruhenden Ausführungsmaßregeln kann also, wofern dritte Staaten daraus Vortheil ziehen wollen, über den Kreis der Anfangs contrahirenden Staaten hinausgehen. Es wäre auch andererseits nicht einzusehen, warum, nach dem an den Donaumündungen gegebenen Beispiele, einzelne Staaten gewisse in ihrem Gebiete für den Weltverkehr geschaffene Gemeinschaftsanstalten (beispielsweise inter

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