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Unter den Festlichkeiten zu Ehren des Kaisers ist namentlich auch eine große Revue, in der der König seinem Gaste einen auserlesenen Theil seines Heeres vorführt. Der dieselbe commandirende General Petitti erläßt am Tage darauf folgenden Corpsbefehl: „Offiziere, Unteroffiziere, Corporale und Soldaten! Se. Majestät unser erhabener Herr hat geruht, mich damit zu beauftragen, den Truppen insgesammt seine hohe und volle Befriedigung über die gestrige Revue auszudrücken und ihnen bekannt zu machen, daß ihre Ordnung ihre Disciplin, ihr gutes Aussehen und ihre militärische Haltung in der schmeichelhaftesten Weise von Er. Majestät dem deutschen Kaiser anerfannt und gelobt worden find. Mit Recht stolz darauf, daß ich den Truppen des Armeecorps und der Cavaleriedivision, welche die Ehre gehabt haben, von Ihren Majestäten inspicirt zu werden, die obigen Beweise der Anerkennung, welche der ganzen Armee zum Lobe gereichen, mittheilen darf, bin ich überzeugt, daß diefelben für Alle ein Sporn dazu sein werden, mit allen Kräften danach zu streben, daß das italienische Heer stets mehr in der Achtung des Landes und des Auslandes steige, damit es, wie das seine Aufgabe ist, zu einem festen Bollwerke der ruhmreichen regierenden Dynastie und unseres geliebten Vaterlandes werde." Und eine Corresp. aus Mailand hält sich zu der Bemerkung berechtigt: „Nicht nur Kaiser Wilhelm, Feldmarschall Moltke und Hr. v. Bülow, auch die Herren, meist Militärs, vom Gefolge des Kaisers Haben auf die Italiener den Eindruck durchaus verständiger. ruhiger, friedliebender Männer gemacht, wo man sich auf hochmüthige Säbelraßler gefaßt gemacht hatte. Namentlich war den höheren italienischen Offizieren der Verfehr mit ihren deutschen Kameraden höchst angenehm und wohlthuend, wenn sie denselben mit dem protegirend-herablaffenden Ton ihrer Befreier von 1859 verglichen, welche nie in ihrem Benehmen gegen die italienischen Heerführer eine leise Ironie zu unterdrücken vermochten. Nach diesen acht Tagen aber ist in Mailand das ganze sehr zahlreiche italienische Offizierscorps, das dort zugegen war, von der Ueberzeugung durchdrungen worden, daß sie es hier wirklich mit Leuten zu thun haben, die wohl bereit sind, jeden Augenblick für den Schuß ihres Vaterlandes ja auch für den Schuß eines treuen Verbündeten das Schwert zu ziehen, welche aber sicherlich nicht aufgelegt find, aus Raufluft oder Eroberungssucht Händel zu suchen. Eine solche Ueberzeugung in der italienischen Armee ist aber doppelt werthvoll; weil in dieser Armee, weit mehr als in den politisch-journalistisch-literarischen Kreisen, das Herz der Nation pulsirt, weil in den Reihen der Armee, weit mehr als auf den Schulbänken, in der Presse oder dem Parlament, die Bildung sich vollzieht, deren Italien noch bedarf, um das politisch-moralische Ziel zu er reichen, das ihm einst Massimo d'Azeglio vorgesteckt; weil die Armee für das heutige Italien das ist, was sie für Preußen im Anfang dieses Jahrhunderts war, die Schule der Zucht und Pflicht, der Herd des Nationalgeistes und nationalen Selbstgefühls. Es ist nicht der geringste Gewinn der Mailänder Tage, daß die Bande zwischen beiden Armeen sich enger geknüpft, und daß sich auf dem friedlichen Paradefelde die Anfänge einer Waffenbrüderschaft angesezt haben, welche merkwürdiger Weise die getheilten Gefahren der Schlachtfelder der Tschernaia und Solferino's nicht im Stande waren, zwischen den Offiziercorps der damals verbündeten beiden Heere herbeizuführen."

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Von politischen Abmachungen war von Anfang an keine Rede. Die Zusammenkunft war und blieb eine persönliche der beiden Fürsten, wenn auch die eminent politische Bedeutung derselben nirgends verfannt werden konnte und auch nirgends verkannt worden ist. Denn soviel ist klar und liegt in den Verhältnissen selbst, daß Italien sich

nicht binden will und nicht binden kann und daß es troß aller Hinneigung zu Deutschland dennoch gesonnen ist, sich seine „freie Hand“ zu wahren, fogar für den Fall, wo das deutsche Reich ohne Herausforderung von seiner Seite angegriffen werden sollte, während Italien weiß, daß es auf den mächtigen Schutz Deutschlands zählen könnte, wenn es seinerseits angegriffen werden sollte.

30. Oktober. Der Ministerpräsident Minghetti entwickelt seinen Wählern in Bologna das nächste Programm des Ministeriums.

Zunächst constatirt derselbe hinsichtlich der Finanzlage: das ursprünglich mit 22 Millionen berechnet gewesene Deficit für 1876 werde nur 16 Millionen betragen. Das Gleichgewicht des Budgets werde hergestellt sein, wenn die Abgeordnetenkammer die Aufbringung eines Kapitals im Betrage von 27 Millionen für Bahn-Neubauten beschließe und hiefür im Budget nur die Zinsen einstelle. Trotzdem werde die Finanzlage wegen der schwe= benden Schuld und des Zwangscurses noch eine schwierige sein. Der Minister weist den Vorwurf schußzöllnerischer Tendenz bei den Abschlüssen der Handelsverträge zurück und kündigt die Abschaffung der statistischen Steuer und die Abänderung der Seegebühren an. Schließlich spricht er die Hoffnung aus, daß der Getreide-Einfuhr- und Wein-Ausfuhr-Zoll aufgehoben werden könne. Hinsichtlich der politischen Lage bemerkt Minghetti: Die Herstellung der Einheit Italiens veranlaßte die zwiefache Besorgniß für den europäischen Frieden und die Freiheit des Papstthums. Diese Befürchtungen stellten sich im Laufe der Ereignisse als ganz unbegründet heraus. Die Besuche des Kaisers von Oesterreich und des Deutschen Kaisers bewiesen, daß die Regierungen und die Völker Europa's diese Anschauungen theilen. Vielfach sei behauptet worden: der Besuch des Deutschen Kaisers könnte eine Aenderung der italienischen Kirchenpolitik veranlassen, was ein Irrthum sei. Die Kirchenpolitik Italiens beruhe auf dem Princip der Trennung der Kirche vom Staat. Die erreichten Resultate zeigten keinen Grund zur Aenderung dieser Politik. Italien müsse jedoch Vorsorge treffen, den niedern Clerus vor der Unterdrückung durch die hohe Geistlichkeit zu schüßen und die Mitwirkung des Laienelements bei der Gemeindeverwaltung zu sichern. Die Regierung werde im Parlament einen bezüglichen Gesezentwurf gemäß Art. 18 des Garantiegesetzes einbringen.

Anf. November. Der Präfekt von Neapel, Mordini, läßt da= selbst mehrere neueingekleidete Nonnen aus den Klöstern des Ecce Homo und Grumo Nevano wegführen,

da die Aufnahme unthätiger Novizen in gemeinnüßige Körperschaften ebensowohl wie die Ablegung neuer Gelübde in den auf den Aussterbe-Etat gefeßten Klöstern untersagt ist. Dieser energischen Maßregel folgt auf dem Fuß ein Rundschreiben desselben Präfecten an alle Ortsobern, um fie an ihre Pflichten und das Gesetz zu erinnern und ihnen im Wiederholungsfalle mit der Auflösung zu drohen. Diese Institute seien zu wohlthätigen und Erziehungszwecken gegründet und nur darum vom Staate anerkannt und geduldet. Die Aufnahme und Einkleidung neuer Schwestern, welche in dem geistlichen Habit nur unthätiger religiöser Beschaulichkeit lebten, könne durchaus nicht gestattet werden.

13. November. Ende des großen Prozesses gegen die Mörder des radicalen römischen Publicisten Sonzogno.

Mitte November. Die Abtei St. Barbara bei Mantua widersteht, auf ihr verbrieftes Recht gestüßt, muthig der Willkür des Papstes.

Nach ihren vom Papste 1643 bestätigten Privilegien ist die Abtei von der Gewalt des Bischofes von Mantua erimirt und besißt das Recht, beim Tode eines Abtes seinen provisorischen Stellvertreter selbst zu wählen; den definitiven Abt seht ihr der König als Patron, der Papst aber hat ihn nur zu bestätigen. Wie nun der bisherige Abt stirbt, seht sich der Papst über diese Rechte und Privilegien hinweg und befiehlt in seiner Machtvollkommenheit dem Bischof von Mantua, der Abtei einen neuen Abt zu sehen. Die Abtei läßt es sich jedoch nicht gefallen und wendet sich an die Staatsgewalt um Schuß ihres und des Königs Recht. Der Papst muß schließlich nachgeben: die Abtei hält den von ihr gewählten provisorischen Vorstand fest, der König wählt den neuen Abt und dem Papst bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu bestätigen. Die ultramontanen Blätter find inzwischen außer sich über dies „enorme“ Unterfangen der Abtei, selbst dem Papste sich nicht zu fügen, der doch nach dem Vaticanum das Recht habe, Bischöfe nach Belieben ein- und abzusehen, wie viel mehr noch bloße Aebte.

18. November. Der gewesene Finanzminister Sella schließt im Auftrage der Regierung in Basel einen Vertrag über den Ankauf der oberitalienischen Bahnen (Rothschild), vorbehaltlich der Ratifi= cation des Parlaments, ab. Der Kaufpreis beträgt ca. 800 Mill. Fr., die von Italien in italienischen Schuldtiteln bezahlt werden sollen.

24. November. II. Kammer: Die Regierung stellt in Folge des Besuches des deutschen Kaisers den Antrag, die Gesandtschaft in Berlin zu einer Botschaft zu erheben. Die Kammer erklärt sich da= mit einverstanden.

25. November. Der Erzbischof von Palermo, der, weil er sich beharrlich weigerte, das staatliche Erequatur nachzusuchen und deß= halb bereits den erzbischöflichen Palast hat räumen müssen, troßdem die Verwaltung der vielen frommen Stiftungen und reichen Wohl= thätigkeitsanstalten in Anspruch nimmt, was ihm jedoch von der Regierung und der Provincialdeputation bestritten wird, wird vom Appellhof von Palermo mit seiner Klage abgewiesen und in die Kosten verurtheilt.

Anf. Dezember. Auch das Kapitel der Cathedrale von Siena wagt es, sich die neue Machtvollkommenheit des Papstes nicht ge= fallen zu lassen und setzt seinen Willen durch.

Auch hier wie in St. Barbara bei Mantua hatte das Kapitel seit Jahrhunderten das Recht ausgeübt, sich seinen Propst selber zu wählen. Wie nun der Propst stirbt, trägt der Papst dem Bischof auf, dem Kapitel einen neuen Propst zu sehen. Das Kapitel beharrt jedoch auf seinem Recht, ihn

felber zu wählen und gesteht dem Papst nur das Recht zu, denselben zu bestätigen, wozu sich der Papst schließlich auch bequemen muß.

6. Dezember. Wiederum wird ein Bischof, der von Bovino, gewaltsam aus seinem Palast ausgewiesen, da er sich weigert, das staatliche Exequatur nachzusuchen. Die Bischöfe bestürmen nachge= rade den Papst mit Gesuchen, einen Weg ausfindig zu machen, wie sie in den Besitz der Temporalien gelangen können.

7. Dezember. Der Herzog v. Galliera schenkt der Stadt Genua für die Erweiterung ihres Hafens die Summe von 20 Mill. Fr. Der König ehrt ihn dafür durch die Ueberreichung seines höchsten, des Annunciatenordens.

15. Dezember. II. Kammer: Die Regierung beantragt bei der= selben, die Tiberregulirung nach dem Projekt Garibaldi's wenigstens theilweise in Angriff zu nehmen, dafür 9 Millionen auszusehen und der Civilliste zum Theil in Folge des außerordentlichen Aufwandes für den Empfang des Kaisers von Lesterreich in Venedig und des deutschen Kaisers in Mailand 1,161,000 Fr. zu bewilligen, wovon 500,000 Fr. noch in das diesjährige Budget eingestellt werden sollen.

20. Dezember. II. Kammer: beschließt, sich bis zum 20. Ja= nuar 1876 zu vertagen. Die Regierung ist darüber sehr unzufrieden, da fie gehofft hatte, noch vor Neujahr die beiden Vorlagen vom 15. d. M. durchzudrücken.

Die päpstliche Curie.

18. Januar. Der Papst empfängt einige in Rom seßhafte Deutsche in einer Privataudienz, antwortet auf eine lateinische An= sprache derselben, daß er die Zuversicht hege, noch den Triumph des katholischen Deutschland zu erleben, und vergleicht den deutschen Reichskanzler mit der alten Schlange, die aber nicht so stark sei, als man sie verrufe.

Anf. Februar. In einer Antwort an die Pfarrgeistlichkeit der Stadt Rom ist dem Papste der Protestantismus schlimmer als das Heidenthum,

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indem er sich selbst mit Petrus vergleicht: wie dieser, so befinde auch er sich in Rom heidnischen Tempeln und heidnischer Gesinnung gegenüber. Aber das will noch nichts sagen", fährt er fort, „es sind auch protestan= tische Kirchen hier. Dieselben sind zwar nicht so gefährlich, bilden aber einen Grund zu großer Betrübniß. In Rom, welches von Gott zum Haupte der großen katholischen Familie erwählt ist, in Rom, welches mit dem Blute der Martyrer geschmückt ist und den Namen der Lehrerin der Wahrheit trägt, muß es Schmerz erregen, wenn man innerhalb derselben Mauern, wo sich die majestätischen Tempel der christlichen Religion erheben, an ihrer Seite auch solche Säle und Versammlungen entstehen sieht, wo man den Anspruch erhebt, Gott mit kezerischem Dienste zu verehren, der doch nichts als eine Rebellion gegen Gott selbst ist“ u. f. w.

5. Februar. Der Papst schleudert eine Encyclica an die Erzbischöfe und Bischöfe Preußens, in der er „ganz offen Allen, welche es angeht", d. H. zunächst den kath. preußischen Staatsunterthanen, erklärt, daß die daselbst in vollkommen gültiger Weise verfassungsmäßig zu Stande gekommenen Gesetze, die sog. Maigeseße, ungültig (irritas) seien, also wohl, wenn auch nicht ausdrücklich doch implicite, die katholischen Unterthanen Preußens von der Pflicht des Gehor= sams gegen dieselben entbindet.

Encyclica des Papstes an die Erzbischöfe und Bischöfe Preußens: „Ehrwürdige Brüder, Gruß und apostolischen Segen! Was

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