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I.

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.

1. Januar. (Deutsches Reich.) Der Kaiser spricht beim Neujahrsempfang in allen Erwiderungen auf die offiziellen Anspra= chen seine Genugthuung über die friedliche Lage der europäischen Verhältnisse aus und betont es als die Aufgabe des deutschen Reiches, in erster Linie auf die Erhaltung des Friedens hinzuwirken. Der Generalität gibt er ihre Glückwünsche besonders demüthig dankbar dafür zurück, daß der Allmächtige Ihn im Laufe des verflossenen Jahres wieder so weit gestärkt habe, um Seinem schweren Berufe und auch dem Theil Seiner Pflichten, den sie repräsentire, neuerdings mit voller Hingebung genügen zu können“.

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1. Januar. (Preußen.) Da der Erzbischof von Köln der an ihn ergangenen Aufforderung, die auf dem Verwaltungswege wegen. Nichtbesetzung der sog. Succursalpfarreien nach Maßgabe der Maigeseze gegen ihn ausgesprochene Geldstrafe von fast 30,000 Thlrn. vor Ablauf des verflossenen Jahres zu zahlen, nicht nachgekommen ist, so wird ihm die an diesem Tage fällige Rate seines Jahresein= kommens im Betrage von 3000 Thlrn. gesperrt. Dem Bischof von Münster, obgleich er in derselben Lage ist, wird sein Gehalt dagegen vorerst noch ausbezahlt.

Januar. (Preußen.) Die kgl. Berufungen in die Provinzialsynoden der sechs östlichen Provinzen bewegen sich sämmtlich auf derjenigen Linie der kirchlichen Parteigruppirung, auf welcher der Oberkirchenrath die eingeleiteten Verfassungsbestrebungen für die evangelische Landeskirche meint zum Ziele führen zu können, also der Anhänger der sog. kirchlichen Vermittlungs-Theologie oder der fog. positiven Union, mit Ausschluß der starren lutherischen Orthodoren, wie der Mitglieder des Protestantenvereins.

1. Januar. (Württemberg.) Das „Deutsche Volksblatt" er= scheint nunmehr doch wieder.

Dasselbe war wegen Maugels an Unterstützung vor einiger Zeit eingegangen, und seitdem hatte die vermittelnde Richtung in der württembergischen katholischen Kirche kein Organ mehr. Auf die Länge schien es aber unthunlich, den extremen Ultramontanen allein das Wort zu lassen. Das Deutsche Volksblatt will nach seinem nunmehrigen Programme die katholischen Interessen vertreten, stellt aber an die Spike das Gelöbniß des „aufrichtigen Festhaltens am Reich". In kirchlichen Fragen will es sich der „Autorität“ zur Seite stellen. Diese Autorität ist ihm ohne Zweifel der Bischof von Rottenburg, der jedoch dem fanatifirten Theile des Clerus weitaus nicht „ent= schieden" genug ist.

1. Januar. (Lippe-Detmold.) Der regierende Fürst entläßt seinen bisherigen Premierminister, den vormaligen preuß. Landrath v. Flottwell, mit diesem Tage seines Dienstes, und zwar wegen seiner allzu vorgeschrittenen liberalen ́Gesinnungen“.

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2. Januar. (Hessen.) II. Kammer: In der von sämmtlichen Ausschußmitgliedern, dem Präsidenten der Kammer, dem Ministerpräsidenten und dem Director des Ministeriums des Innern besuchten Sigung des Ausschuffes für die Kirchengeseße wird ein völliges Einverständniß zwischen dem Ausschuß und der Regierung erzielt: der Ausschuß wird bei der Kammer auf Nachgeben gegen die I. Kammer, soweit nur immer möglich, dagegen in den entscheidenden Punkten auf Festhalten an ihren Beschlüssen antragen.

4. Januar. (Bayern.) Erzbischof M. v. Deinlein von Bamberg t.

5. Januar. (Deutsches Reich.) Bundesrath: genehmigt den vom Justizausschuß ausgearbeiteten Civilehe-Gefeßentwurf zur Vorlage an den Reichstag. Gegen den Entwurf stimmen: Königreich Sachsen, beide Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig, SchwarzburgRudolstadt, Reuß ä. L. und Schaumburg-Lippe.

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Die Vorlage führt den Titel: „Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“, während das preuBische Gesetz vom 9. März v. J. nur erst die Form der Eheschließung" berührte. Ebenso bildet sie einen großen Fortschritt selbst gegen den aus der Mitte des Reichstages hervorgegangenen Entwurf, da dieser nur jene Theile des Reiches umfassen wollte, in denen die Civil-Ehe bis jezt nicht besteht, während die Regierungsvorlage in Bezug auf die gesammte Materie der Standesbeurkundung und der Eheschließung für das ganze Gebiet des deutschen Reiches ein einheitliches, und zwar fortschrittliches Recht schafft. Was die äußere Anordnung betrifft, so zerfällt der Entwurf in 81 Paragraphe und diese in acht Abschnitte, wovon der erste allgemeine Bestimmungen enthält, der zweite die Beurkundung der Geburten, der dritte die Erfordernisse und Hindernisse, der vierte die Form und Beurkundung der Eheschließung, der fünfte die Beurkundung der Sterbefälle, der sechste die Beurkundung des Personenstandes der zur See befindlichen Personen, der siebente die Berichti=

gung der Standesregister betrifft; der achte enthält Schlußbestimmungen. Dem Gefeße sind Motive beigegeben und außerdem eine Zusammenstellung der ver schiedenen auf die Eheschließung bezüglichen Rechte, die noch heute in Bayern gelten. Wahrlich ein seltsamer Rest des alten deutschen Partikularismus! Fast jede kleine Materie weist eine bunte Musterkarte der verschiedensten Rechte auf. Die Motive, die diesmal keine prinzipielle Opposition gegen die CivilEhe zu bekämpfen hatten, halten sich ganz kurz, betonen scharf die gänzliche Beseitigung aller kirchlichen, auf die bürgerliche Eheschließung bezüglichen Bestimmungen, verwahren aber die Regierungen zum Schlusse sehr ernst gegen den Schein, als wolle der Entwurf das religiöse Gefühl beleidigen und die firchlichen Bande untergraben; ja sie betonen den Wunsch, daß das Volk bei den bisherigen Gepflogenheiten der kirchlichen Trauung, der Taufe 2c. bleibe. Aufrichtig und vorurtheilslos religiöse Gemüther können gegen diese Sprache kaum etwas einwenden.

5. Januar. (Deutsches Reich.) Prof. Dr. R. v. Raumer in Erlangen erhält vom preuß. Unterrichtsministerium, und zwar mit Zustimmung der deutschen Staatsregierungen, die Aufforderung, zur Anbahnung einer größern Gleichmäßigkeit in der deutschen Orthographie zunächst im Bereich der höhern Schulen Deutschlands eine grundlegende Schrift auszuarbeiten.

5. Januar. (Preußen.) Der kgl. Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten spricht einstimmig die Amtsentsehung des Bischofs Martin von Paderborn aus.

Aus der von dem Oberstaatsanwalt Jrgahn verfaßten, umfangreichen Anschuldigungsschrift heben wir die nachfolgenden Hauptmomente hervor: Der Angeschuldigte, geb. zu Geismar in der Provinz Sachfen am 18. Mai 1812, befleidet das Amt des katholischen Bischofs der Diözese Paderborn seit dem Jahre 1856. In dem Homagialeid gelobte er, worauf die Anklage besonderes Gewicht legt, dahin zu streben, in den Gemüthern der seiner bischöflichen Leitung anvertrauten Geistlichen und Gemeinden die Gesinnungen der Ehrfurcht und Treue gegen den König, die Liebe zum Vaterlande, den Gehor= fam gegen die Geseze 2c. mit Sorgfalt zu pflegen. Die Anklage behauptet nun, daß der Angeschuldigte gegen die seit dem Mai 1873 erlassenen kirchenpolitischen Gesche einen unbeugsamen Widerstand: I. schon vor Erlaß derselben angekündigt und in seinem ganzen Amtssprengel vorbereitet, II. nach deren Publikation bethätigt und III. feit dieser Zeit auch auf seine Diözesanen übertragen hat. Zu I. führt die Anklage auf: 1) die an das Staatsministerium abgesandte Erklärung des Angeschuldigten vom 17. Januar 1873, deren Veröffentlichung in dem Westfäl. Kirchenblatt" offenbar mit dessen Genehmigung veranlaßt worden war; 2) den Fastenhirtenbrief desselben vom 19. Januar 1873, in welchem die Aehnlichkeit der traurigen Lage der Kirche mit dem bittern Leiden Jesus Christus auseinandergesezt wird; 3) die Beför derung des Adressensturms gegen die Kirchengesezentwürfe durch den Angeschuldigten und speziell dessen beide Erlasse auf diese Adressen vom 19. März und 22. April 1873; 4) die Betheiligung des Angeschuldigten an dem un mittelbar vor der Verkündigung der Maigeseze veröffentlichten, diese Gesetze in ihrem Wesen und in ihren Wirkungen entstellenden und aufreizenden Sendschreiben der am Grabe des hl. Bonifazius in Fulda versammelten Oberhirten an den Klerus und fämmtliche Gläubigen ihrer Diözesen vom 2. Mai 1873. Zu II. habe der Bischof ferner auf allen Gebieten der kirchenpolitischen Gesez

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gebung seit deren Inkrafttretung seinen Widerstand dagegen und gegen die auf Grund dieser Geseze getroffenen obrigkeitlichen Anordnungen bethätigt durch sein Verhalten: 1) in Bezug auf die gesetzliche Regulirung der geistlichen Bildungsanstalten der Diözese; 2) in Bezug auf die Anstellung der Geistlichen; 3) in Ansehung der gesetzlich erforderlichen dauernden Wiederbefehung erledigter oder nicht dauernd verwalteter Pfarrstellen; 4) in Bezug auf die Anwendung des Gesetzes über die kirchliche Disziplinargewalt und die Einrichtung des fgl. Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 12. Mai 1873 und 5) gegenüber den zur Vollstreckung der verhängten Exekutivund gerichtlichen Strafen erforderlich gewesenenen Maßregeln. Im Allgemeinen legt die Anklage bezüglich der Anstellungen besonderes Gewicht darauf, daß der Bischof in feinem einzigen Falle dem Geseze nachgekommen sei und daß er den Entschluß der dauernden Nichtbeachtung dokumentirt habe. Im Punkt drei werden die Fälle aufgezählt, in welchen sich der Bischof zur Wiederbesehung erledigter Pfarrstellen c. beharrlich geweigert und dadurch Ver= anlassung gegeben hat, die angedrohten Erekutivstrafen bis zum Maximum von je 1000 Thlr., im Ganzen bis 18,000 Thlr. zu steigern. Punkt vier betrifft die beharrliche Weigerung des Bischofs, dem Erkenntniß des königlichen Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten vom 7. Jan. 1874 in Sachen des vormaligen Kaplaneiverwesers Mönnikes gegen ihn, nach welchem die über den Ersteren verhängte Suspension ab ordine et officio vernichtet worden ist, zu entsprechen und die Suspension über Mönnikes aufzuheben. Es traf den Angeschuldigten dafür nach den vergebens erfolgten Androhungen die höchste Exekutivstrafe von 1000 Thlr. Zu III. wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, durch öffentliche Verkündigungen, feierliche Ansprachen oder anderweitige Veranstaltungen den Wahn einer Religions- und Kirchenverfolgung zu nähren und mit dem ganzen Gewichte seines mächtigen Einflusses auf die Katholiken seiner Diözese in gefährlicher Weise und mit Erfolg zum äußerften Widerstande gegen die Staatsgewalt und die Geseze aufzuregen gesucht zu haben. Die Anklage resumirt das Gesammtverhalten des Angeschuldigten dahin, daß er die Kirchenhoheit und das Gesetzgebungsrecht des Staates Leugnet, daß ein solches Verfahren zur Erschütterung der thatsächlich schon gestörten staatlichen Ordnung geeignet sei und eine ernste Gefahr für das öffentliche Wohl in sich berge. Jeder Einwand gegen die Verbindlichkeit der Geseße sei dadurch abgeschnitten, daß dieselben nach verfassungsmäßigem Zustandekommen auf Allerhöchsten Befehl verkündet sind und daß die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter königlicher Verordnungen keiner Behörde, weder einer staatlichen noch einer kirchlichen, sondern nur der Landesvertretung zustehe. Diese Weigerung des Gehorsams stehe im Gegensaße zu den allgemei= nen Gesetzen und nicht minder zu dem im Homagialeid enthaltenen Gelöbniß. Die zur Brechung des Widerstandes angewendeten Mittel, sowie die Aussicht, daß der Bischof jemals die eingeschlagenen Bahnen verlassen werde, sind erschöpft. Das längere Verweilen des Angeschuldigten im Amte, dessen freiwillige Niederlegung er mit der Erklärung abgelehnt hat, daß ihn dazu keine staatliche Behörde bewegen könne, könnte nur eine weitere Schädigung der öffentlichen Ordnung in fortschreitender Steigerung herheiführen. Der Bischof wird deßhalb auf Grund des § 24 des Gesetzes vom 12. Mai 1873 angeschuldigt, in den Jahren 1873 und 1874 im Inlande die auf sein Amt und seine geistlichen Amtsverrichtungen bezüglichen Vorschriften der Staatsgesetze und die in dieser Hinsicht von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffenen Anordnungen so schwer verlegt zu haben, daß sein Verbleiben im Amte mit der öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint. Der angeschuldigte Bischof war, wie vorauszusehen, im Audienztermine nicht erschienen und hatte auch keinen Vertreter abgeordnet, obgleich es dem im

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