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Betrachtungen über die Eisenbahnen mit Bezug auf Handel und Krieg.

(Mit einer Übersichtskarte Tafel Nr. 18 der russischen Bahnen und zwei Skizzen.)

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Ohne Hülfe der Eisenbahnen wäre die Ansammlung so riesiger Heere, wie sie die allgemeine Wehrpflicht bedingt, ein mindestens schwierig und complicirt zu lösendes Problem, und liegt die Möglichkeit, in kurzer Zeit die Massen zu concentriren, hauptsächlich in der Zahl der verfügbaren Schienenwege. Sie sind daher eines der wichtigsten neueren Kriegsmittel, und bei gleichen Verhältnissen muss die militärische Überlegenheit unbedingt jenem Staate zuerkannt werden, welcher ein entwickelteres, commerciell und militärisch verständiger angelegtes Schienen-Netz besitzt, das er bei kriegerischen Actionen wohl zu benützen versteht.

Die Vortheile, welche dieses Communications - Mittel dem Militär bietet, sind so bedeutend, dass in Zukunft wohl derjenige unterliegen wird, welchem zur Versammlung seiner Truppen ungünstigere Bedingungen gestellt sind. Ja es dürfte selbst der Fall eintreten, dass ein physisch schwacher Staat durch zweckmässige Benützung seines entwickelteren Communications - Systems allein den Abgang numerischer Kräfte auszugleichen und durch die Schnelligkeit seiner Bewegungen den stärkeren zu bewältigen im Stande sein wird ').

Die Schienenwege, als einer der wichtigsten Factoren der LandesVertheidigung, für welche schon im Frieden emsig vorgesorg werden muss, sind daher der Aufmerksamkeit nicht genug zu empfehlen, und soll nun nachzuweisen versucht werden, dass bei derartigen Anlagen die militärischen Interessen jene des Handels innig berühren; dass es eigentliche militärische Linien nicht gibt, dass sich für jede grosse Handelsstrasse auch die LandesVertheidigung erklären wird, und umgekehrt jeder grossen Militär - Strasse der Handel sich willig anschmiegt *).

Zur Erläuterung dieses Satzes stellen wir uns die Fragen:

Wann sind Bahnen militärisch und commerciell befriedigend angelegt? Wie benützt man Bahnen zu militärischen Zwecken, zur Durchführung von Operationen?

1) Die zweckmässige Gruppirung der Streitkräfte im Frieden bleibt immer eine der Grundbedingungen des Gelingeus der Bewegung.

Wie die Politik eines Staates stets gewinnt, wenn sie in Händen eines mit militärischem Scharfblick begabten Mannes liegt, so ist die Leitung des Communications-Wesens eine glückliche nur dann zu nennen, wenn sie die Interessen des Handels mit den militärischen zu paaren versteht.

Die erste Frage beantworten wir dahin, dass die Anlage von Bahnen eine entsprechende sei, wenn in möglichst gerader Richtung die volk- und industriereichsten, die centralen Punkte des eigenen mit jenen des Nachbarlandes verbunden sind, wenn daher zahlreiche gerade Bahnlinien an die Peripherie des Reiches, oder an die nächste, durch Gewässer oder Gebirge gebildete Barrière (Vertheidigungs-Linie) führen, und wenn längs der Peripherie oder Barrière ein Schienenweg sich hinzieht. Im ersteren Falle könnten wir die Bahn eine Radial-, im letzteren eine Transversal-Bahn nennen. Es ist selbstverständlich, dass eine Radial - Bahn immer mehrere, in einer Richtung gelegene, wichtige Orte tangiren wird; sie fällt daher mit den Operations - Linien zusammen, während die Transversal - Bahn es ermöglicht, das Operations- Object zu wechseln, von einer Operations-Linie auf die andere überzugehen, zu rokiren.

Militärisch wollen wir daher die Radial-Bahn Aufmarsch-Linie, die Transversal-Bahn Rokade-Linie nennen, und ist die Anlage eines SchienenNetzes eine tadellose, wenn von den wichtigsten centralen Punkten des Landes mehrere Aufmarschlinien (für den Handel Concurrenz-Bahnen) zur RokadeLinie führen, und wenn letztere eine genügende Leistungsfähigkeit besitzt, um die Massen (Fracht), welche die Aufmarsch - Linien bringen, zu bewäl tigen. Andrerseits müssen wieder die Aufmarsch - Linien genügend leistungsfähig sein, um die Rokade- (Abschiebungs-) Linie zu sättigen.

Will man z. B. in G (Fig. 1) Producte aufhäufen, oder zwischen ab

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eine Armee concentriren, so muss die Linie xy eine solche Leistungsfähigkeit besitzen, um die Lasten, welche von A und O nach B, C und D gehen, aufzunehmen und in den bezeichneten Rayon zu bringen. Die Leistungsfähigkeit der Linie xy sollte selbst so bedeutend sein, dass man in gleicher Weise zwischen und B oder D und y Frachten ansammelu (aufmarschiren) könnte, wornach z. B. zwischen D und y die Züge aller Linien verkehren

müssten.

Es bedingt somit sowohl der Handel, als auch das militärische Interesse, dass die Linie xy geeignet sei, Alles aufzunehmen, was aus der Zone AO gebracht werden kann; Transversal-Bahnen müssen also die Fähigkeit besitzen, die Leistungen aller Nebenlinien zu bewältigen, daher wo möglich doppelspurig sein 1).

So wäre die Linie Szigeth-Oderberg aus commerciellen Gründen doppelspurig anzulegen, oder wenigstens zu einer solchen Anlage vorzubereiten gewesen; denn sie kann eventuellen Falls genöthigt sein, die Producte der oberen, mittleren und unteren Theiss-Ebene, der Gran-, Eipel- und Sajo-Niederungen aufzunehmen, die Leistungen der in diese Linie mündenden ungarischen Staatsbahn (Linie Pest-Ruttek und Hatvan-Miskolcz), der Theissbahn und ungarischen Nordostbahn zu bewältigen.

Die militärische Wichtigkeit dieser Bahnlinie in Bezug auf die Karpathen-Vertheidigung bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung.

Ähnlich lässt sich die Wichtigkeit böhmischer und galizischer Transversal-Bahnen nachweisen.

Dass solche Bahnen schon aus commerciellen Gründen doppelspurig angelegt sein müssen, beweist ein Blick auf die Karte der deutschen Eisenbahnen. Längs dem Rhein, Main, der unteren Weser und Elbe, den böhmischen Grenz-Gebirgen begegnen wir fast nur doppelspurigen Anlagen, oder, wo diese nicht vorhanden sind, wenigstens Parallel-Bahnen. Alle diese Schienenwege sind soferne sie nicht Industrie- oder Bergwerks-Bahnen gleich

wichtige Handels- wie Militärstrassen.

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Um die militärische Nothwendigkeit der zweigeleisigen Anlage einer Rokade-Linie darzuthun, wollen wir uns an einem abstracten Beispiel üben und demselben folgende Annahmen voraussenden:

Der Staat A hat eine Linien-Armee von 41 Armee-, 10 CavallerieDivisionen, welche in verschiedenen Landestheilen dislocirt sind.

Jede dieser Divisionen, mit einem entsprechenden Theile von HeeresReserve-) Anstalten und Stäben höherer Commanden, benöthigt 30 bis 35 Militär-Züge, und könnte die gesammte Armee in circa 1600 TransportsAbtheilungen befördert werden ").

1) Deshalb begegnen wir am Rhein meistens doppelspurigen Bahnen, und ist Österreich seitens Nord-Deutschland ganz von doppelspurigen Bahnen umschlossen.

Die Armee-Division hätte nämlich die Befähigung, nicht nur selbständig aufzutreten, sondern könnte, ohne besonderes Zuthun, ohne grosse Vorbereitungen, vereint mit anderen, Armee-Corps von beliebiger Stärke bilden.

An der bedrohten Grenze führt die doppelspurige Rokade-Linie OP (Fig. 2), in welche die vier Aufmarsch-Linien ab, cd, ef und gh, mit der Leistungsfähigkeit von täglich je 20 Zügen für Truppen-Transporte, münden.

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Rechnet man, dass bei strategischen Aufmärschen nicht blos die Eisenbahnen und Wasserstrassen benützt werden, sondern auch Fussmärsche in Combination gezogen werden müssen, dann, dass viele Truppentheile an der Linie OP bereits dislocirt sind, so wird es, nach obigen Annahmen, möglich sein, die gesammte Armee binnen 10 bis 14 Tagen an die Rokade-Linie zu bringen.

Die 1600 Transports-Abtheilungen, aus welchen die Armee ohne die Feld Verpflegs - Magazine besteht, würden sich dann etwa in folgender Weise gruppiren: 600 in b, 350 in d, 400 in f, 250 in h.

Wir sehen daher binnen 14 Tagen die ganze Armee längs der Grenze so echelonnirt, dass der Gegner über die Angriffsrichtung ziemlich im Unklaren sein wird. Nach der Vertheilung der Truppen liesse sich sogar annehmen, dass der Angriff vom Raume bd aus erfolgen werde, denn hier sind circa 06 der Gesammt-Armee eng versammelt, während 0·24 in ƒ, 0·16 in dem 20 Meilen davon entfernten g stehen.

Innerhalb der erwähnten 14 Tage werden auf der doppelspurigen Rokade-Linie OP derartige Vorbereitungen getroffen, dass in der am stärksten zu benützenden Theilstrecke von 15 zu 15 Minuten Ein Zug ausläuft, also täglich 80 bis 90 Züge in einer Richtung verkehren können, eine Leistung, welche, auf einige Tage ausgedehnt, wohl bewältigt werden kann, wenn man ernstlich will.

Mit Rücksicht darauf, dass man plötzlich vom Raume xy vorrücken will, werden auf der Strecke dx 80 bis 90 Züge verkehren müssen, und alle Abtheilungen in längstens 10 Tagen aus dem Bereiche von db und hf nach ry versetzt sein können.

Da 50 Divisionen zum Abmarsche aus einem beschränkten, oder vielmehr communicationsarmen Raume immerhin 5 bis 8 Tage benöthigen, und den dritten Tag nach Beginn des Eisenbahn-Massen-Transportes in x y circa 12 Divisionen marschbereit stehen werden, so kann binnen 3 oder 5 Tagen eine Angriffs-Bewegung von einem beliebigen Punkte der Reichsgrenze anstandslos begonnen werden, wenn längs derselben eine doppelspurige Transversal-Bahn zieht.

Bei diesem Beispiele hat es sich eben nur darum gehandelt, durch plötzliches Rokiren oder vielmehr durch das überraschende Zusammenschieben der Kräfte den Gegner zu täuschen, ihn zu fehlerhaften Dispositionen und Bewegungen zu verleiten.

Beabsichtigt man dies aber nicht, sondern will man sogleich, z. B. vom Raume khaus, die Operationen beginnen, so kann dies ebenfalls innerhalb 5 Tagen geschehen, u. z. 4 bis 5 Tage nachdem die ersten Truppen ihre Friedens-Dislocationen verlassen haben 1).

Es werden dann die Truppen (vielmehr Transports - Abtheilungen) aus Pund a über bdf nach k, die aus c über dƒk nach 7, jene aus o und g nach h fahren; die Transports - Abtheilungen aus e endlich würden die Bahn nur bis f benützen und dann marschiren.

Da die Linie dfk doppelspurig ist, werden bei entsprechenden Einleitungen die auf diese Strecke entfallenden 950 Transports-Abtheilungen in längstens 12 bis 14 Tagen befördert sein können.

Durch geschickte Combinationen und Dispositionen, welche allerdings bedingen, dass manche Transports - Abtheilungen mitunter weite Umwege per Bahn machen, lassen sich Strecken, welche zu stark benützt sind, entlasten und Ausgleichungen treffen, durch welche die Gesammt - Transportsdauer auf das obbezeichnete Minimum beschränkt wird. Z. B. würden Abtheilungen aus der Zone ac, wenn die Punkte a ce durch einen Schienenweg verbunden sind, und ef allenfalls doppelspurig wäre, nach e gebracht werden, um letztere Linie zu benützen, ab und cd zu entlasten, resp. einen Ausgleich in der Transportsdauer herbeizuführen.

1) Wie sehr eine vernünftige Friedens-Ordre de bataille, Dislocation und HeeresErgänzung derartige Bewegungen fördert, vermag Jedermann selbst zu beurtheilen.

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