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mission getreten. Die Controle ist in der Districts-Administration sehr verbessert worden. Freilich, wie anderwärts, existirt die Klage über Vielschreiberei, Beamten-Vermehrung, Überlastung des militärischen Commando's durch administrative Dinge.

Die Gesundheitspflege des Heeres hat grosse Fortschritte gemacht. Bessere Behandlung und Nahrung thun hiebei eben sehr viel. Die Spitäler sind ordentlich, oft musterhaft. 1870 wurden eigene Sanitäts-Compagnien errichtet. Doch mangelt es an Ärzten. In Russland überhaupt zählt man deren nur 12.000, auf 7000 Einwohner kaum Einen. Dem Heere fehlen über 300 im Friedens-, noch 1200 zum Kriegsstande, welche vom Inlande nicht zu beschaffen wären. Unter den vorhandenen Militär-Ärzten ist wissenschaftliche Gediegenheit sparsam vertreten. Am meisten noch unter den zahlreichen Deutschen und Polen. Der Mangel an Ärzten im Armee-Dienste ist theilweise durch ihre ungenügende materielle Stellung bedingt. Die Sterblichkeit des Heeres beträgt angeblich nur mehr 2 Procent. 1867 wurden 42 Procent des Präsenzstandes in Lazarethen behandelt, wovon 4.3 Procent starben. Über 50 Procent der Kranken kamen gar nicht in die Spitäler. Schädlich auf die Gesundheitsverhältnisse im Allgemeinen wirken Trunksucht und vieles Fasten. Ein Drittel der Fälle Syphilis, 2 Fünftel der Lazareth-Kranken Augenleiden. Im Kaukasus hat die Hälfte der Garnisonen das dortige bösartige Wechselfieber.

Die intellectuelle Bildung ist jener des Volkes im letzten Decennium entschieden vorausgeeilt. Es wird der Verbreitung von Schulkenntnissen von Seiten der Armee-Behörden die grösste Aufmerksamkeit zugewendet. Ja man behauptet, letztere seien geneigt, den Werth des Soldaten viel mehr nach diesem Kriterium, als nach seinen militärischen Eigenschaften zu bemessen. In der ganzen Armee beträgt der Durchschnitt von Lese- und Schreibkundigen 25 Procent der niedern Grade. Schon im Depôt wird mit dem Unterrichte begonnen. Die Regiments-Schulen, ursprünglich auf 20 Mann pr. Compagnie berechnet, liefern schöne Resultate, stellen aber auch grosse Anforderungen an den Lehreifer der Officiere. Russland muss vorläufig für seinen Volksunterricht namentlich auf die Armee hoffen, welche jährlich jetzt etwa 80.000 Leute in Urlaub entlässt. Die für Soldatenkinder errichteten Schulen sollen 40.000 Zöglinge beiderlei Geschlechtes fassen.

Der Unterofficier ist dem Soldaten mehr gleichgestellt, als in den meisten andern Heeren der Fall. Er wird gewöhnlich mit demselben unter der Benennung der „niedern Grade" zusammengefasst. In der Verpflegung und ganzen dienstlichen Behandlung tritt die Gleichstellung hervor. Für den Vollurlaub haben die Unterofficiere sogar den Vortritt gegenüber den andern Berechtigten und benützen dies so reichlich, dass unter den Fahnen ein bedeutender Mangel herrscht. Die Armeestellung bietet ihnen wenig Verlockendes, sie folgen daher den immer wachsenden Erwerbs-Gelegenheiten des bürgerlichen Lebens, wie anderwärts auch. Früher gaben lange Präsenz, Militär-Colonien und Cantonnisten-System eine quantitativ

ausreichende Ergänzung. Der Bedarf der Feld-Armee allein übersteigt auf Kriegsfuss 70.000. Kein Conscribirter darf vor 3 Jahren Unterofficier werden. Das Haupt-Contingent liefern jetzt die Regiments-Schulen. Ein nicht freiwillig zugegangener Unterofficier kann frühestens nach 12 Jahren Dienstzeit Officier werden. Früher erhielten solche, die auf das Avancement verzichteten, 100 Rubel Zulage, die nach 5 Jahren in lebenslängliche Pension übergiengen. 1868 gab es deren 4000.

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Das Officiers-Corps zählt gegenwärtig 22.500 Glieder, darunter über 500 Generäle, 19.800 im Truppen-Dienste, 2700 in Bureaux ausserhalb der Regimenter. Sodann gibt es 8251 Beamte mit Officiers-Rang. Auf den Friedens-Etat fehlen der Armee 2700 Officiere, auf den Kriegsfuss 6500. Im Jahre 1866 z. B. betrug das Deficit 1140 Individuen, 4259 kamen in Zugang, darunter 44 Procent aus Verabschiedeten, 62-6 Procent aus CivilRessorts, 5399 in Abgang. 37 Procent der vorhandenen Officiere entbehren wissenschaftlicher Ausbildung, 43 Procent erhielten eine speciell militärische, 40-50 Procent sind aus der Truppe hervorgegangen. Unter 21.000 Officieren zählte man 15 Procent Katholiken, 7 Procent Protestanten, unter den Obersten und Generälen sogar 25 Procent letzterer Confession, - daher germanischer Abkunft. Die Zahl der Polen (Katholiken und Unirte) betrug vor dem Aufstande 25 Procent, in der Reiterei über 40, in den Special-Waffen über 50 Procent. Jetzt ist ihre Ziffer unter 20 Procent, hat sich 1865--67 allein um 1000 Köpfe verringert.

Dem russischen Officiers-Stande eigenthümlich ist, dass er keinen scharf abgegrenzten Stand bildet. Der Unterschied zwischen activen und nichtactiven Officieren ist nicht so markirt wie anderwärts: Civil- und Militär-Rang fliessen in einander, und findet eine fortwährende Bewegung und Vermengung zwischen bürgerlichem und Kriegs-Departement Statt, welche den Interessen beider Sphären nicht entspricht, jedenfalls aber dem Armee-Dienste den. grösseren Abbruch thut1). Ebenso sind in dem letzteren die einzelnen Waffen nicht so streng von einander geschieden, die häufigen Übertritte von einer zur andern der Ausbildung ihrer Specialität nicht günstig. Die zahlreichen Heeres-Beamten sind im Verhältnisse zu den Truppen-Officieren glänzend dotirt, entziehen letzteren daher zu viel tüchtige, strebsame Kräfte. Das frappante Deficit an Officieren ist ein Resultat des letzten Jahrzehntes. Der Adel war früher durch systematischen Druck der officiellen Kreise und gesellschaftliches Vorurtheil gezwungen, wenigstens eine geringe Zeit in der MilitärHierarchie zu verbringen. Jetzt benützt er die moralische Freiheit der Berufswahl. Viele ruft dringend die Selbst-Verwaltung der erschütterten VermögensVerhältnisse. Der ärmere Adel und der gebildete Bürgerliche zieht industrielle Thätigkeit, hochbesoldete Accis- oder Landschafts- Stellen der kümmerlichen Officiers-Existenz vor. Es ist zwar Vieles geschehen, um die Gagen

1) Ein neuer Ukas verfügt, dass jeder ein Civilamt bekleidende Officier seinen Militärrang verliert.

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er Truppe noch immer sehr bescheiden, Sinecuren Unsummen verschlingt. Dem A mee-Officiere versperren ausserdem die Gardeheren Commando-Stellen. Die Garde hat noch den 2 Rangstufen voraus und besetzt aus L'asse, jüngeren Elementen zu viele Posten des enheit und Entmuthigung schafft 1).

on Officiers-Abgang die Verringerung des Polenthums es eben nur seiner ausgezeichneten Brauchbarkeit soaps son vierirt, wird, obwohl häufig in der That ohne alle mehr oder weniger verrusst, scheel angesehen und testen in Asien oder beim technischen Waffendienste Lot der Ostsee-Deutsche liebt die Armeestellung nicht mehr

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sssch-baltische Fehde, die Nationalitäts-Hetzerei verleiden en “ussischen Dienst. Seine Position gegenüber dem nationalen gens nie so sicher wie jene der Eingebornen. Und in den N-9cu nat zu Kriegszeiten sich manchmal ein bedenklicher Antagode Deutsch- und Russenthum geltend gemacht, der künftighin se darker auftreten könnte.

ch, wie in keiner civilisirten Armee, sind die Contraste an Bildung ung, welche das Officiers-Corps birgt. Die Pest der Bestechlichkeit Regever ist wohl entschieden im Abnehmen, wozu Reform der Regikowaltung und Aufbesserung der Gagen wesentlich beitragen 2). Nach12 wiken auf den Geist der Officiere die zahlreichen mittellosen Ehen: vou 18 Jahren ab dürfen sie ohne Vermögen heiraten. Cameradschaft, Corpsacos existren nur ausnahmsweise, am wenigsten in der Hauptstadt. Das we Leben ist reger geworden, wird aber durch die meisten Garnisonsvechaimisse sehr gehemmt. In den letzten Jahren geschah wenigstens sehr Veos, um letzterem Übelstande durch Anlegung gediegener RegimentsBocheken entgegen zu wirken. Jedes Regiment soll jetzt eine solche bessen oder erhalten.

tu jüngster Zeit wurden Ehrengerichte nach preussischem Muster geschatten, dürften auf die Officiers-Moral sehr günstig reagiren.

Das Avancement geht in der Infanterie regimentweise bis zum Stab, der Cavallerie inclusive Stab. Dies erzeugt grosse Ungleichheiten des Odiciers-Etats, namentlich in der Armee-Reiterei fühlbar.

Der Generalstab ist auf 360 Officiere normirt. Er bildet keinen

1) Ausser 5 Subaltern-Graden existiren in der Infanterie und Cavallerie 3 Stabsofficiers-Grade. Die Garde besitzt an letzteren nur den Obersten. Die Special-Waffen geniessen einen Grad Vorzug, entbehren der Majors-Charge.

*) Wir lassen dahingestellt, ob von den seit 1864 provisorisch in die Verwaltung der West-Gubernien übergegangenen Officieren Viele in die Armee zurückkehrten oder kehren sollen. Jedenfalls kann das hier gesehene und gegebene Beispiel schamloser Willkür dem Principe der Ehre und Redlichkeit nicht förderlich sein.

selbständigen Körper wie in Preussen, sondern ist dem Ministerium eingefügt und mit wichtigen Ressorts des Truppendienstes, Personalstandes etc. verquickt. Seine Qualität wird als sehr gut geschildert, hat jedenfalls von der preussischen Tradition nicht Schaden gelitten. Nur ist er zu sehr abgeschlossen von der Armee (ungleich seinem preussischen Vorbilde). Ihm ist das Topographen-Corps untergeordnet, welches auf imposantem Fusse cingerichtet ist und seit einem Decennium sich einen bedeutenden Ruf erworben hat. Der Generalstab ergänzt sich aus einer Academie mit 2jährigem Cursus. Es können jährlich 50 Candidaten mit 4 Jahren Frontdienst eintreten. Neuerdings präsentiren sich aber auffallend wenige, und diese meistens ungenügend vorbereitet, namentlich in Mathematik. Der Cursus bietet wesentliche Lücken.

Zur Fortbildung der Officiere bestehen Special-Academien, wie jene für Artillerie, Ingenieurs, Militär-Gerichte. Die Ergänzung des Officiers-Standes wird geliefert zum kleineren Theile aus den höhern Militär-Bildungs-Anstalten, zum grössern Theile aus Freiwilligen und Troupiers, welche entweder einfach ein Examen ablegten oder auch die VorbereitungsAnstalten besuchten. Die erstere Ergänzung, 1859 noch 876, gibt jährlich nur mehr ein paar hundert Officiere, aber desto besser qualificirte. Sie geht hervor aus 7 Kriegsschulen und diesen ähnlichen Anstalten. Als Vorbereitung der Kriegsschule dienen (12) Militär-Gymnasien und Progymnasien, wofür das Budget allein 2.5 Millionen Rubel auswirft. Diese sämmtlichen Schulen mit 6500 Eleven sind wahre Muster-Anstalten des russischen Reiches. Früher war die Lehrmethode der Militär-Schulen mechanisch, auf Gedächtniss und Schein berechnet; die Cadetten-Häuser galten als Brutstätten der Immoralität und ermangelten aller wahrhaft militärischen Gesinnung. Die jetzigen Kriegsschulen athmen hingegen einen ernsten, soldatischen Geist, und die Gymnasien geben eine gesunde, allgemein wissenschaftliche Vorbildung.

Die Candidaten des Unterofficiers-Standes, meistens Freiwillige, treten in die Junker-Schulen oder ihnen parallele Anstalten. Diese Schulen, 15 an der Zahl, 2-, respective 3classig, haben seit 6 Jahren ein paar tausend Officiere geliefert. Auf mehr als 3000 Zöglinge normirt, haben sie den CompletStand noch nicht erreicht. Man lobt im Ganzen die erzielten Resultate. Doch stehen die Schulen zu wenig in Verbindung mit der Armee. Die Freiwilligen erweisen sich zu häufig schlecht vorbereitet, in allgemein wissenschaftlicher und dienstlicher Hinsicht. Gar Viele der hier Instruirten verlassen die Armee bereits wieder nach wenigen Jahren. Die auf Avancement Dienenden scheiden sich, wie bemerkt, in 2 Classen. Wer einen vollständigen Curs an höhern oder mittlern Unterrichts-Anstalten absolvirte, tritt in die Armee als Unterofficier, legt nach 2, respective 12 Monaten an der Kriegs-Schule das Officiers-Examen ab. Andere können nur nach dem Examen als Unterofficiere in die Armee treten, müssen je nach Stand (!) 2-6 Jahre als solche dienen und die Junker-, respective Kriegsschule besuchen, um Officiere zu werden.

Wie in andern Armeen bildet die Frage der Bewaffnung seit 1866 eine Hauptsorge des Tages. Trotz mannigfachem Schwanken und Probiren

ist Ungeheures geleistet, die Haupt-Schwierigkeit bewältigt. Am weitesten. kam die Artillerie. Vor 1866 zählte die Feld-Artillerie nur ein Viertel gezogene Geschütze, und zwar Vorladung. Jetzt ist sie vollständig, fast nur mit Hinterladung, neu bewaffnet. Kaliber 4- und 9Pfünder, d. i. 11 und 13centim.; Mehrheit aus Guss - Stahl, welcher allmälig durch Bronce zu ersetzen ist, und mit Eisen-Laffetten, welche das Holz verdrängen sollen. Es existirt eine Ersatz-Reserve an gezogenem Geschütz von 20 Procent, eine disponible Reserve von 100 Stück. Die Festungs-Artillerie besitzt erst 2000 gezogene Rohre verschiedenen Metalls und Systems, bedarf daher noch grosser Anschaffungen.

Das letzte Budget wirft hiefär 2.7 Millionen aus, in den nächsten 4 Jahren sind weitere 12 Millionen zugedacht. Nunmehr können die einheimischen Arsenale dem Geschützbedarf vollständig genügen, die 2 Petersburger Etablissements und jenes von Brjansk jährlich 7-900 Stück mit Zubehör liefern.

Die Infanterie wurde nach 1854 mit Minié-Gewehren ausgerüstet. 1867 entschloss man sich endlich für Hinterladung, verlor viel Zeit und Geld mit Versuchen. Endgiltig adoptirt wurden 2 Systeme: Krnka für Umarbeitung, auch für Neubewaffnung, und Berdan für letztere. Beide Systeme mit MetallPatrone. Das Berdan-Gewehr hat das 11millimetrige (4 Linien-) Kaliber, sehr starken Drall, rasante Bahn. Seine Fabrication wurde bisher in Amerika betrieben. Da aber Berdan seine Contracte nicht einhalten konnte, so kam die Anschaffung in's Stocken. Man erhielt nur 30.000 Stück, womit die Schützen-Bataillons ausgerüstet wurden. Jetzt sind 3 Millionen Rubel bestimmt, um die Tulaer Fabrik derart umzubauen, dass sie jährlich 100.000 Berdan liefere. Nach dem Krnka-System wurde im Inlande gearbeitet. Man besitzt davon 647.000 Stück, darunter mindestens 620.000 umgeänderte Gewehre. Im Ganzen sollen Hinterlader existiren 965.000, nach Fadejeff 800.000. Die nach andern Systemen abgeänderten Gewehre, Karle, Terry-Normann, Baranoff mögen wenig taugen. Die gesammte Feld-Infanterie kann jetzt mit Kraka ausgerüstet werden. Bis 1872 hofft man, die stabile Armee und reguläre Cavallerie zu versehen. In den letzten 2 Jahren wurden allein auf Gewehre 16 Millionen Rubel verwendet. 1871 sind 2.5 Millionen ausgeworfen, um 40.000 neue Büchsen Krnka, 30.000 Pistolen (d. h. wohl Revolver aus Amerika, wovon bereits 20.000 angekommen) and 14.000 Carabiner zu erhalten, ferner 43.000 Terry-Normann - Büchsen in Infanterie - Gewehre, 19.000 in Dragoner-Flinten umzuarbeiten. Alsdann hätte man angeblich eine Reserve von 213.000 Hinterladern'). Für die Metall-Patrone war man bislang in lästiger Abhängigkeit vom Auslande. 1869 mussten selbst die 40 Millionen Stück des Friedens-Verbrauches aus der Fremde verschrieben wer

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1) Krnka hat neuerdings eine Hand-Mitrailleuse" erfunden, ein RevolverGewehr, das bis 30 Schuss in der Minute abfeuert. Er will es der russischen Regierung offeriren. Angeblich ist es ganz leicht, sein gewöhnliches Gewehr entsprechend um

zuarbeiten.

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