Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

„Bei dem sanften Tonfalle der Alexandriner des Schmolkeschen Abendsegens,“ erzählt Voß von sich selbst, „entschlummerte ich Bübchen auf meinem Lager wohl eben so behaglich, als nach Pindars Versicherung bei Apollons goldner Lyra der Adler auf Zeus Herr= scherstabe. Bald schmeichelten dem kindlichen Ohre Gellerts Fabeln, die der Rector uns in die Feder sagte, nebst mehreren Liedern von Gleim und Hagedorn in Musikbüchern und der geschriebenen Liedersammlung. Unerschöpflich war der tonkundige Stadtblinde an geistlichen und weltlichen Arien aus alter Zeit, die er den Einladenden mit heftiger Stimme zu der Geige sang. Andere Volkslieder, hochdeutsche sowohl als fassische, hörte ich theils von dienenden Dorfmädchen und lustigen Handwerksburschen aus der Fremde; theils in der Penzlinischen Rockenernte, einer wie Virgils Weinlese schwärmenden Lustbarkeit, wo Mäher und Binderinnen mit Blumen und Flittergolde geschmückt Abends auf dem großen Kornwagen jubelnd zum Tanz durch die Stadt jagten: theils auch an Jahrmärkten von dem willkommenen Liedermann, der zu dem anmuthigen Tönchen, gedruckt in diesem Jahre, den Kauflustigen die Weise vorsang." Diese Mittheilungen Voßens geben nicht allein einen Beweis von seiner poetischen Empfänglichkeit, sondern werfen ein eigenthümliches Licht auf seine poetischen Productionen, welche sich immer innerhalb der Sphäre des Volksgesangs gehalten haben.

Wie ein wohlgeordnetes Zeitmaaß seinem Gehöre angenehm war, so war ein wirres Fortschreiten und Stocken des Tons, ein unstätes Geräusch, zumal ein zweckloses, für ihn beunruhigend. Er hatte noch nie einen Herameter gehört, als ein Hausfreund, ein gewesener Landpretiger ihn über Tisch fragte, wie das Sprichwort, Fege vor deiner Thüre,“ auf Lateinisch zu geben sei. Voß antwortete: Técum hábita et nóris, quám sit tibi cúrta supéllex, die Worte nach der gemeinen Aussprache betonend, wie damals noch berühmte Männer den Vers der Virgile und Horaze vernichteten. Das ist ja ein Herameter! rief der Freund, und, Tec' habit' ét norís, quam sít tibi curta supellex, sprach er nachdrücklich, indem er kopfnickend den Takt mit der Gabel schlug. „Ich wußte weder, sagt Voß, was ein Herameter, noch woher er gebürtig sei; aber als verständliche Naturweise bezauberte er mich und haftete im Gedächtniß.“ 1)

Die poetische Anlage Voßens tritt ferner in feiner frühen Empfänglichkeit für dichterische Productionen hervor, wie denn die schon erwähnte Gesellschaft in Neubrandenburg, in welcher die Jünglinge auf Voßens Anregung neben griechischen und lateinischen Schriftstellern auch deutsche wie Gellert

་་

1) Vgl. Erinnerungen aus meinem Jugendleben" wiederabgedruckt in den Briefen von J. H. Boß, herausgegeben von Abraham Boß. Halberstadt 1829. Bd. I. S. 23.

und Hagedorn, Ramler und Klopstock lasen, auf den Schulen damaliger Zeit eine Erscheinung einziger Art sein mochte. Voß hatte frühzeitig selbst dichterische Versuche gemacht, von denen das erste ein höhnendes Herausforderungslied an den Lehrjungen eines Nagelschmieds, das andere auf die Hauskage Mimi war. Als ihm daher im I. 1771 der von Boie in Göttingen herausgegebene Musenalmanach zu Gesicht kam, fandte er an Kästner, den er für den Herausgeber hielt, einige Proben seiner Muse.

„Ich fühle bisweilen,“ schreibt er an Kästner unter dem 8. Juli 1771, nachdem er etwas von seinen Lebensumständen vorausgeschickt hat, „ich fühle bisweilen, besonders wenn ich den Horaz oder Namler gelesen, eine unwiderstehliche Neigung, Verse zu machen, und ich muß meine Eitelkeit geschen, daß fie mir anfangs fast beständig gefallen. Allein kaum drei Wochen, so erscheinen sie mir in einer ganz anderen Gestalt, so finde ich matte, dunkle und unrichtige Stellen. Ich fange an auszustreichen, und mache es immer ärger. Ich bitte einige Freunde, die einen guten Geschmack haben wollen, um ihre Erinnerungen; aber ich bin beschämt, alle tadeln mich, daß ich nicht so fließend, wie Schmolkens Abendsegen schreibe, und rathen mir, mich in Gottscheds kritischer Dichtkunst, als in einem Spiegel zu beschen. Vor einiger Zeit kam mir der Musenalmanach von diesem

Jahre zu Gesicht, wovon man sagte, daß Sie der Sammler wären. Ich weiß nicht wie ich auf den Gedanken kam, genug ich entschloß mich, Sie zum Richter meines Gesanges zu erwählen. Ihre Verdienste und besonders Ihre Einsicht bei Werken des Genies sind zu sehr die Bewunderung Deutschlands, als daß Sie hier meines Lobes bedürften: welches Urtheil könnte mehr Gewicht haben? Sie wollen nicht lauter Meisterstücke in Ihrer Sammlung haben, ganz schlechte können Sie nicht. Wo Sie also einige von meinen Stücken einer Stelle in Ihrem künftigen Musenalmanach würdigen, so wird es mir ein Zeichen sein, daß ich wenigstens einigermaßen die Geseße ́der Kunst erfüllt; und mit welchem Eifer würd' ich mich bestreben, durch würdigere Proben den Beifall solcher Männer, wie Sie sind, zu verdienen! Erblick ich aber künftig nichts von meiner Arbeit darin, so wird mir dies der schrecklichste Richterspruch sein, und ich verspreche Ihnen, bei der Leier des Apollo! in meinem Leben an keine Ode wieder zu gedenken.“

Voß erhielt einen freundlichen Brief von Kästner und gleich darauf einen von Boie, in welchem dieser seine Freude ausspricht, ein neues dichterisches Genie entdeckt zu haben von dem er sich, wie er auch an Knebel schrieb, sehr viel versprach; er macht den Dichter auf einige Fehler aufmerksam und schließt mit den Versprechen demselben nüßlich zu sein, wo er nur könne. Durch den Superintendenten Keßler

aus Güstrow war Ostern 1771 dem jungen Dichter gerathen worden, seine Stelle in Ankershagen aufzugeben, da er durch seine Vermittelung auf irgend einer Universität Unterhalt erlangen sollte; Voß hatte diesen Rath befolgt und war zu Ostern 1772 seine Stelle zu verlassen genöthigt, da die Familie Derzen bereits einen andern Hauslehrer engagirt hatte. Der Superintendent aber, nachdem er mehrere Briefe Voßens unbeantwortet gelassen hatte, erklärte endlich, daß er nicht helfen könne; Boie dagegen, welcher durch die Bescheidenheit, mit der Voß seine Kritik aufgenommen hatte wie durch die kräftige Gesinnung des dichterischen Jünglings sehr für diesen eingenommen wurde; Boie schrieb an Voß unterm 4. März 1772:

„Sie sollen es für kein Compliment halten, wenn ich Sie versichere, daß ich der Stunde mit Verlangen entgegensehe, wo ich Sie umarmen kann. Ich habe große Hoffnung, daß Ihre Lage hier nicht ganz unbequem sein wird, wenigstens nicht länger als höchs stens das erste halbe Jahr. Kurz, kommen Sie nur, sobald es Ostern wird, und lassen Sie mich für das Uebrige sorgen."

Er hatte die Versuche Voßens sowohl an Namler als auch an Gleim geschickt, welche beiden sich sehr zufrieden erklärt hatten.

So verließ denn Voß Ostern 1772 seinen bishe= rigen Aufenthaltsort und ging nach Göttigen, seiner

« ZurückWeiter »