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Nachdem die Verfassungs-Deputation einige Monate gerathschlagt, unterlegte sie dem Reichstage am 17. Dec. 1789 einen vorläufigen Entwurf in 8 Artikeln. Dieselben lauteten: 1) Der Nation verbleibt die Königswahl, Gesezgebung und oberste Entscheidung. 2) Die begüterten Bürger aber bilden die Nation und wählen die Reichsboten. 3) Alle 2 Jahre Reichstage, aber auch außerordentliche. 4) Bei den Hauptgeseßen entscheide Einmüthigkeit (also liberum veto). 5) Bei den Traktaten eine Mehrheit von drei Viertel. 6) Der König mit verantwortlichen Ministern vollzieht. 7) Alle Behörden sollen unter Aufsicht stehen. 8) Konföderations-Reichstage hinfort nicht erlaubt, und Konföderations-Geseze nie verbindlich. Der Entwurf ward angenommen, und wieder vergingen Wochen und Monate mit neuen Berathungen. Man änderte das Bewilligte, schlug vor (am 7. Aug. 1790), den Thron erblich zu machen, aber mit Beschwörung vorgelegter Bedingungen (pacta conventa); ein Widerspruch! Darüber Aufregung und Streit. Man vereinigte sich auf den Kurfürsten von Sachsen, der die neue erbliche Dynastie in Polen anfangen solle; und ordnete zugleich, da die zweijährige Frist zur Erneuerung der Reichstage abgelaufen, im Nov. 1790 die Wahl

und Einwilligung des Königs von Preußen schließen, sondern den Krieg fortsegen bis zur völligen Genugthuung der Pforte und Pv= lens, und bis sie einen vortheilhaften Frieden erlangt haben.

3) Nach Unterzeichnung dieses Traktats soll der König von Preußen eingeladen werden, den Bedingungen desselben beizutreten.

Folgen 2 geheime Artikel über den künftigen freien Handel der Polen auf dem Dniestr, dem Schwarzen und Weißen (Marmora-) Meere.

neuer Landboten an. Um aber dem begonnenen Werk der Umformung die alten Arbeiter nicht zu entziehen, beschloß man, daß auch diese bleiben und die neuen Boten sich ihnen anschließen sollten: so hatte man einen verdoppelten Reichstag, doppelte Boten. Am 16. Dec. 1790 eröffnete die also vermehrte Reichstagsversammlung ihre Sizungen, ohne daß mit der verdoppelten Zahl auch doppelte Thätigkeit oder Wirksamkeit in sie gekommen wäre; im Gegentheil, mit der vermehrten Kopfzahl kam auch größere Verschiedenheit der Ansichten und Meinungen herein und damit Hemmung. Man hielt nach wie vor schöne Reden über alles, betrieb fleißig Nebensachen und lachte die aus, die auf den Weiser der Zeit deuteten und aufs Nothwendige drangen: Heer und Finanzen, Finanzen und Heer. Das hing freilich mit einem wunden Fleck zusammen. Man hatte beim Reichstag den Vorschlag zur Rückforderung und Verkauf der Starostien zum Vortheil des aufzurichtenden Heers gemacht, und damit alle Besizer und alle Hoffende getroffen. Er fand daher großen Widerspruch im Reichstage wie in der Ges sellschaft, wo zumal die Frauen dawider eiferten, die ihn als den Zerstörer ihrer Puß- und Kleiderschränke, als den Räuber ihrer Juwelen und Kleinodien betrachteten, indem die meisten von ihnen wegen ihrer Nadelgelder von Vätern und Männern auf diese Starostien angewiesen waren. Und Frauen- Einfluß war zu jeder Zeit in Polen allmächtig. So wußten sie durch ihre Künste einen Beschluß deshalb lange zu verhindern; daher denn auch die Heiterkeit auf dem Reichstage, wenn diese Sache nur berührt ward.

Unterdessen trübte sich der Himmel düstere Gewitter zogen sich im fernen Oft zusammen: Rußland schloß seinen Frieden mit Schweden, und machte sich damit seinen rechten Arm frei; mit Preußen und England gingen die Unterhandlungen, mit dem Sultan der Krieg noch fort, aber schon unter günstigeren Aussichten. Die schweren Wetter, die über Frankreich hingen, beunruhig ten die Fürsten, erweckten neue Sorgen und lenkten von den alten ab. Otschakow und sein Gebiet ward nicht mehr eine Lebensfrage für Europa: Frankreich bot ernstere. England und Preußen begannen sich Rußland zu nähern; mit Destreich hatte Preußen am 27. Juli 1790 die Reichenbacher Konvention geschlossen, welche die beiden Monarchen Leopold und Friedrich Wilhelm in vertrauten Briefwechsel mit einander brachte, in Folge dessen der alte Destreichhaffer, der unruhige, alles durch einander wirrende Herzberg beseitigt, und Friede und Freundschaft, und bald darauf inniges Einverständniß und engeres Bündniß zwischen den Monarchen von Süd- und NordDeutschland angebahnt ward. So änderte sich die Lage der Dinge allmälig, während die Polen in zaudernden Berathungen, mit hundert Kleinigkeiten zugleich beschäftigt, am meisten mit Festen, mit Tanz und Spiel und Sinneslust, leichtsinnig und arbeitsscheu die kurze Frist verschwelgten, die ihnen gegeben war, sich stark und kräftig wiederzugebären. Das Schicksal prüfte ste, doch sie wurden zu leicht erfunden; und während sie immer noch sich den Einbildungen von künftiger Macht und Größe hingaben, war die Gunft der Umstände schon vorüber, neigte sich das rollende Glücksrad abwärts und immer

tiefer abwärts. Da gemahnte es die Häupter, daß keine Zeit zu verlieren sei, und sie beschlossen nun die heimlich entworfene und unter sich abgemachte Verfassung in die Welt einzuführen; sie ihren widerstrebenden, argwöhnischen Landesgenossen durch Ueberraschung aufzulegen; überzeugt, daß durch regelmäßige Berathung und Erörterung auf dem Reichstage sie nie zu ihrem Zwecke kommen würden. So ward der 3te Mai des 1791ten Jahres eingeleitet; an seinem Vorabend gewissermaßen, am 14. April, ward, um sich durch den Bürgerstand zu verstärken, das Gesez wegen der Städte erlassen.

Die freien oder königlichen Städte (im Gegensage der dem Adel gehörigen) hatten bereits am 10. Dec. 1789 eine Bittschrift um Wiederherstellung ihrer Rechte eingereicht. Sie wiesen nach: daß sie früher Siß und Stimme auf den Reichstagen gehabt und zu allen Verhandlungen der Stände wären beigezogen worden. Es findet sich noch in den Archiven ein Einladungsschreiben Siegmund I. vom Jahre 1510 an ste vor, Boten (nuntii) zum Reichstag von Petrikau zu senden. Almälig hatte der Adel, besonders im 16ten Jahrhundert, sie wie den Bauernstand um alle ihre Rechte zu bringen, und sie von der geseßgebenden, vollziehenden und selbst richterlichen Gewalt auszuschließen gewußt; schon 1575 wurden sie zu den Berathungen der Stände nicht mehr zugelassen. Bis zum gegenwärtigen Reichstag waren sie immer tiefer gesunken, und hatten weder ihre alten Freiheiten noch sonftige Abhülfe erlangen können. Auch jezt wurden fie anfangs zurückgewiesen: man wollte keinen neuen Stand fchaffen, der durch seinen Aufschwung dem Adel hätte

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gefährlich werden können. Nach langen Verhandlungen und nicht geringen Geldopfern erhielten sie aber doch auf Suchorzewski's Vorschlag eine scheinbar günstige Antwort. Suchorzewski gab einen Ausweg an, der alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumte, und den Bürgerstand gewissermaßen zur Vorschule und Ergänzungsquelle des Adels machte: man entzog ihm alle seine bessern Glieder und adelte sie; so konnte der nachbleibende geist-, macht und vermögenslose Rest wenig Besorgnisse einflößen. Man ließ sie zum Militair und zu den Gerichten zu: wer sich dort zum Offizier erhob, hier einige Jahre diente, oder wer den Bürgerstand auf den Reichstagen vertrat, ward adelig; wer Fabriken anlegte und größere gewerbliche oder Handels-Unternehmungen betrieb, ward adelig; wer Geld genug hatte, Dorfschaften und liegende Gründe zu kaufen, ward dadurch selbst zum Edelmann: kurz jeder der sich durch Dienst und Verdienst, durch Reichthum oder Unternehmungsgeist auszeichnete, ward dem Bürgerstand entzogen und dem Adel einverleibt. Das schmeichelte dem einzelnen Bürger, seine Eitelkeit pries es als große Begünstigung, obgleich es gerade das Mittel war, den ganzen Stand niedrig, ́macht- und einflußlos zu erhalten. Die bewilligte Vertretung auf dem Reichstage war auch nur scheinbar: die sämmtlichen Städte des Landes sollten nur 24 Vertreter zum Reichstag senden; und diese durften bloß Wünsche vortragen, nicht mit berathen, ausgenommen in Sachen, die unmittelbar die Bürgerschaft betrafen; fie blieben damit wie früher Bittsteller, die man nach Belieben anhörte oder nicht. Um sie endlich bei den bevorstehenden Ereignissen

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