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sonst gezwungen gewesen wäre, ein bewegliches Stück einzuschieben, welches eine genügende Dichtung wohl kaum zugelassen haben würde. Das Nächstliegende war, das Pivot in die Mitte (Schwerpunkt) des Systems zu legen und die comprimirte Luft durch einen der Schildzapfen eintreten zu lassen und von da hinter das Geschoß zu führen; in der That lief der das lange Rohr tragende eiserne Rahmen des ersten Modells auf zwei concentrischen Schwenkbahnen, deren Mittelpunkt in der Mitte des Rahmens und unter den Schildzapfen des Rohres lag, so daß hier die comprimirte Luft zugeführt werden mußte; später erwies es sich wohl als praktischer, den Drehpunkt ganz ans Ende des Rohres zu verlegen, und so finden wir denn jezt auch die Zuleitung der Luft direct am hinteren Ende des Rohres; es wird nun zum Nehmen der Höhenrichtung nicht mehr das Rohr innerhalb des Rahmens aufund abbewegt, sondern der ganze Rahmen mit dem Rohr vollführt diese Bewegung.

Der Rahmen besteht aus einem verhältnißmäßig (für das lange Rohr!) leichten aber starken eisernen Gestell in zwei vorn auf ca. 1⁄2 m zusammenlaufenden, hinten beinahe 22 m auseinanderstehenden, ca. 17 m langen dreieckigen Wänden, welche, aus einzelnen Streben 2c. hergestellt, auch unter sich verstrebt sind und oben das lange Rohr tragen. Am hinteren breiten Ende besigt dieser Rahmen zwei Schildzapfen, für welche die entsprechenden Lager in dem festen Gestell eines kleinen vierräderigen Blockwagens angebracht sind, welcher auf einer kreisförmig geschlossenen, sehr solid ausgeführten Schwenkbahn von 3 m Durchmesser läuft. Etwa 6 m vor dem Drehpunkt befindet sich eine zweite concentrische Schwenkbahn mit einem zweiten zweiräderigen kleinen Blockwagen, welcher mit dem erstgenannten so (beweglich) verbunden ist, daß Differenzen in der Höhenlage beider Schwenkbahnen unschädlich bleiben. Die Elevation des ganzen Systems (Rahmen und Rohr) wird durch pneumatischen Druck bewirkt, indem der Stempel eines hierzu unter dem Rahmen angebrachten Cylinders ungefähr im Schwerpunkt des Systems (ca. 81/2 m vor dem Drehpunkt) angreift.

Das durch eine Klappe gebildete Verschlußstück des Rohres hat ein Kugelgelenk, in welchem sich das Ladeventil befindet, und durch welches die comprimirte Luft vom Reservoir vermittelst einer feststehenden Zuleitungsröhre durch ein Schießventil eintritt; der Mittelpunkt jenes Kugelgelenks muß mit dem Mittelpunkt der

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Schildzapfenachse genau zusammenfallen, damit sämmtliche Bewegungen sowohl seitliche, als nach oben oder unten des Rohrs oder vielmehr des ganzen Systems möglich sind, ohne daß die Verbindung (Dichtung) gelöst wird; das Kugelgelenk ist ringsum abgedichtet, so daß während des Schusses keine Luft entweichen kann.

Das zum Feuern bestimmte Reservoir enthält Luft von 1000 Druck pro Quadratzoll engl. (= 68 Atmosphären) und wird seinerseits durch Hülfsreservoire gespeist, welche Luft von der doppelten Pressung enthalten. Ist der diese Hülfsreservoire füllende und für mehrere Geschüße ausreichende Comprimirapparat (Brotherhood compressor) in Thätigkeit, so kann ununterbrochen mit gleichem Druck gefeuert werden; ohne Zuhülfenahme der Hülfsreservoire sinkt nach jedem Schuß der Druck im Schießreservoir um 10 bis 20 pCt.

Nicht nur die zum Füllen der Reservoire und zum Feuern, sowie zum Eleviren des Systems bestimmten Ventile können durch einfache Hebelstellungen, von einer am hinteren Ende des Rahmens befindlichen Plattform aus, seitens des Richtenden geöffnet bezüglich geschlossen werden, sondern der lettere hat auch die Seitwärtsdrehung des Rahmens in der Hand. An jeder Seite des Rahmens ist vorn ein langer Cylinder befestigt, dessen durch Luftdruck vorund zurückbewegter Stempel mit einem Drahtseil verbunden ist, welches hinten um eine seitlich an der Plattform des Rahmens angebrachte Rolle und dann halb um die hintere Schwenkbahn läuft, wo es an einem Haken eingehängt wird; eine Verkürzung des einen und Verlängerung des anderen Drahtseiles muß auf diese Weise eine Seitwärtsdrehung des Rahmens bewirken. Die ganze Bewegung des Systems und das Abfeuern wird demnach durch einen einzigen Mann ausgeführt. Nach dem Schuß schließen sich die Schießventile automatisch, der Abfeuernde hat es indeß in seiner Gewalt, das Schießventil auch schon zu schließen, bevor das Geschoß die Mündung verlassen hat; er ist dadurch im Stande, unter Festhaltung derselben Elevation — ähnlich wie beim Schießen mit verminderter Pulverladung – die Schußweiten zu reguliren, wenn auch letteres im Allgemeinen unter Beibehalt desselben Druckes durch Veränderung der Elevation geschehen soll.

Der erwähnte Druck von 68 Atmosphären giebt dem mit der Sprengladung 200 (= 90 kg) schweren Geschoß eine

Mündungsgeschwindigkeit von 800' (= 244 m); mit 13° Elevation foll eine Schußweite von 2000 Yards (= 1800 m) erzielt werden; die größte Schußweite wird verschieden zu 3870 bis 4300 Yards (3540 bis 3900 m) bei 3312° Elevation angegeben; Flugzeit für 1816 Yards (= 1660 m) 9,35 Secunden, für 3870 Yards (= 3540 m) 25 Secunden. Der Rückstoß wird lediglich in dem hinteren vierräderigen Blockwagen aufgefangen.

In Bezug auf Trefffähigkeit wird ein vor einer Kommission amerikanischer Seeoffiziere stattgehabter Schießversuch gegen eine Scheibe auf 1613 Yards (= 1474 m) angeführt: von fünf Schuß hatten vier genau die gleiche und der fünfte eine um 7 Yards (= 63 m) größere Schußweite; größte seitliche Streuung (lateral dispersion) 6 Yards (= 52 m).

Der Knall des Geschüßes wird als weniger laut, wie der des Pulvergeschüßes, und von eigenthümlichem, ziemlich schrillem Ton geschildert.

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Die Feuergeschwindigkeit sei bei raschem Feuer auf einen Schuß per Minute anzunehmen 5 Schuß seien in 9 Minuten 50 Secunden verschossen worden —, für gewöhnlich werde man auf je zwei Minuten einen bis zwei Schuß rechnen können.

Die Wirkung des treffenden Geschosses muß, selbst wenn man davon absieht, daß die Amerikaner ihrem Gelatine eine um über das Doppelte größere Kraft als Schießbaumwolle und fast das 111⁄2 fache des gewöhnlichen Dynamits zusprechen, in Anbetracht der stärkeren Ladung größer sein, als die eines gewöhnlichen Torpedos. Der verheerende Wasserdruck erstrecke sich bei Explosionen unter Wasser auf eine größere Fläche, als die Abmessungen eines Panzerschiffes, so daß selbst bei Fehlschüssen in der Regel zum mindesten die Bewegungsunfähigkeit des Schiffes erfolgen werde.

Das Gewicht der ganzen Laffetirung (Rahmen mit Blockwagen) wird zu 37 500 (= 17 000 kg) angegeben, so daß das ganze Geschütz ca. 19 000 kg wiegen würde.

Ohne den zu 1000 veranschlagten Comprimirapparat zu rechnen, soll das Geschüß 5000 kosten, das Metallgeschoß mit Zünder, aber ohne Sprengladung, 40 . Dieser lettere Preis erscheint nur im Vergleich zu den theueren Torpedos einigermaßen annehmbar, und dürfte kaum im Verhältniß zu den Erzeugungskosten stehen.

Einundfünfzigster Jahrgang, XCIV. Band.

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Die genannte Compagnie will diese Geschüße nicht nur zur Küstenbefestigung, sondern auch vielleicht mit leichterer Laffetirung zur Ausrüstung von Torpedobooten verwendet wissen, und hat bereits drei derselben der amerikanischen Regierung zur Bewaffnung von Kreuzern verkauft; lettere waren 102 zöllige Geschüße (262/3 cm) zu 7000 , deren Geschosse 200 & (= 90 kg) Sprengladung fassen. Beabsichtigt ist auch die Construction von 121⁄2 zölligen Rohren (= 313⁄4 cm) mit 11′ (= 33 m) langen Stahlgeschossen von 400 % (= 227 kg) (?) Sprengladung.

Der Vergleich dieser Geschüße mit Torpedos, wie er - selbst= verständlich sehr zum Vortheil der ersteren seitens der amerikanischen Gesellschaft angestellt wird, dürfte nicht ganz stichhaltig sein: Schußweite, Feuerschnelligkeit, Trefffähigkeit, Billigkeit, Sicherheit der Bedienung erscheinen dem Torpedo so sehr überlegen, daß man diese neue Maschine kaum mit ihm vergleichen darf; vielleicht wäre es richtiger, sie als eine Combination der fürchterlichen Torpedowirkung mit den ballistischen Eigenschaften der Geschüße zu bezeichnen: eine Vereinigung, welche allerdings geeignet erscheint, den Torpedo vollständig zu verdrängen und sich auch im Festungskriege eine hervorragende Rolle zu sichern. Th.

XVI.

Die neue französische Vorschrift für die Verwendung der Artillerie im Gefecht.

Genehmigt durch den Kriegsminister. Paris den 1. Mai 1887.

Die Vorschrift zerfällt in 10 Kapitel. Das 1. Kapitel enthält allgemeine Grundsäße, während Kapitel 2 die allgemeinen Aufgaben der Artillerie im Gefecht erörtert, und zwar getrennt für Angriff und Vertheidigung und in jedem dieser Fälle wieder besonders für die einzelnen Gefechtsmomente. Im 3. und 4. Kapitel sind dann diese Aufgaben in derselben Weise getrennt für die

selbstständige Division und das selbstständige Armee-Korps behandelt, und für das lettere wieder besonders, je nachdem es auf einer oder zwei Straßen marschirt. Dann folgt im 5. Kapitel das Begegnungsgefecht. Kapitel 6 verbreitet sich über die den Artilleriekommandeuren zufallenden Aufgaben und über die Kommandoverhältnisse, und Kapitel 7 über die der Artillerie zu gewährende Bedeckung. Kapitel 8 trifft Anordnungen über die Munitionskolonnen und den Artilleriepark. Kapitel 9 behandelt das Gefecht der Kavallerie-Division und Kapitel 10 endlich die Ausbildung der Artillerietruppe.

Wir geben nachfolgend eine nur wenig gekürzte Uebersetzung der ganzen Vorschrift, obgleich vielfach Längen und Wiederholungen vorkommen. Die ganze Abfassung ist von der bei uns für derartige Vorschriften gebräuchlichen so weit abweichend, daß sie dadurch einen besonderen Reiz gewinnt, indem sie mittelbar einen Einblick in die inneren Verhältnisse der französischen Armee gestattet. Man kann sich mitunter des Gedankens nicht erwehren, daß man einen Theater-Regisseur vor sich hat, der seine Statisten auf das Stichwort und die darauf auszuführende Bewegung eindrillt. Wir gehen auf diese Vorschrift unten näher ein.

1. Kapitel.

Allgemeine Grundfäße.

1) Im Gefecht einer Division oder eines Armee-Korps ist die Verwendung der Artillerie in Abtheilungen die Regel, eine Verwendung von einzelnen Batterien die Ausnahme.

2) Die Artillerie vermeidet, auf Entfernungen über 2500 m zu schießen. Ueber diese Entfernung hinaus wird die Beobachtung der Schüsse unsicher und die Wirkung wird hierdurch vermindert.

Das Schießen auf große Entfernungen wird nur in Ausnahmefällen angewendet oder gegen gut sichtbare und genügend große Ziele, wie z. B. Dörfer, Lager oder bedeutende TruppenansammLungen.

Die Artillerie hält sich für gewöhnlich außerhalb des Bereiches des wirksamen Infanteriefeuers, aber in entscheidenden Augen

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