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I.

Ueber die günstigste Form der Geschoßspiken
nach der Newtonschen Theorie

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Profeffor an der Königlichen vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule.
Hierzu Tafel I.

Das Problem der Bestimmung der günstigsten Form der Geschoßspigen kommt zurück auf die Aufsuchung derjenigen Gestalt, welche die Oberfläche eines festen Körpers haben muß, damit er einen möglichst kleinen Widerstand erleidet, wenn er sich in bestimmter Richtung und mit bestimmter Geschwindigkeit durch die Luft bewegt. Dieses Problem kann streng mathematisch nur behandelt werden, wenn man auch die Bewegung der abfließenden Luft berücksichtigt, und führt alsdann zu den verwickeltsten Untersuchungen der Hydrodynamik. Eine derartige, allen Anforderungen genügende Lösung ist noch nicht gelungen. Dagegen hat schon Newton dasselbe unter gewissen einfachen Voraussetzungen, welche mit ziemlich großer Annäherung zuzutreffen scheinen, mathematisch behandelt und hat für Rotationskörper die Gestalt der Meridiancurve festgestellt. Später haben Bernoulli, Fatio, Walton und Andere diese Untersuchungen fortgesetzt. Dennoch fehlte, soweit meine Kenntniß der Literatur über diesen Gegenstand reicht, auch diesen Forschungen ein befriedigender Abschluß, so daß eine praktische Verwerthung des Resultats nicht vollständig ermöglicht wurde. Auch die im 87. Bande dieses Archivs (1880, Seite 483 bis 540) veröffentlichte Arbeit des verstorbenen Oberst v. Lamezan enthält nicht die richtige Lösung der Aufgabe, weil der Verfasser, durch die Unvollkommenheit der früher erreichten Resultate und durch Einundfünfzigster Jahrgang, XCIV. Band.

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eine zu einseitige Auffassung der Variationsrechnung zu der irrigen Ansicht geführt wurde, daß die Variationsrechnung in keiner Weise befähigt sei, feste Anhaltspunkte zu geben über die beziehungsweise Lage der zu findenden Curve 2c." (Seite 506), und weil er deshalb, den sicheren Weg der Rechnung verlassend, durch allgemeine Raisonnements zum Ziele zu kommen suchte, welche nicht vollkommen stichhaltig sind und unrichtige Resultate zur Folge hatten.

Ich glaube, daß es mir gelungen ist, die Lücke, welche in der Theorie bisher vorhanden war, auszufüllen. Auch hoffe ich, daß die große Einfachheit, mit welcher ich das Problem der Variationsrechnung behandelt habe, einiges Interesse verdient. Denn obwohl meine Entwickelung streng den Gesehen der Variationsrechnung entspricht, so ist es mir doch gelungen, ihr eine Darstellung zu geben, zu deren Verständniß die Kenntniß der einfachsten Geseze der Differential- und Integralrechnung ausreicht, eine Bekanntschaft mit der Variationsrechnung dagegen nicht erforderlich ist.

Zunächst ist es nöthig, die eigenthümliche Schwierigkeit zu besprechen, durch welche eine vollständige Lösung bisher verhindert worden ist.

Die Voraussetzung, von welcher Newton und die späteren Bearbeiter des Problems ausgingen, ist die, daß die Lufttheilchen das Geschoß nur einmal treffen, gegen dasselbe anprallen, ohne daß Reibung auftritt, und daß sie sich gegenseitig weder vor noch nach dem Stoß beeinflussen.

Unter diesen Voraussetzungen wird dann der einfache und praktisch wichtige Fall eingehender behandelt, daß die Oberfläche eine Rotationsfläche ist, und daß die Bewegung in Richtung der Rotationsare vor sich geht.

Ist df ein Element der Oberfläche des bewegten Körpers und der Winkel, welchen die Bewegungsrichtung des Körpers mit der Normalen in df bildet, so ist der Widerstand ein Normaldruck von der Größe Wo df cos 2, wo W. eine gewisse, von der relativen Geschwindigkeit v abhängige Größe ist und den Widerstand ausdrückt, welchen die Flächeneinheit einer ebenen Oberfläche erleidet, wenn diese sich in Richtung ihrer Normale mit der Geschwindigfeit v bewegt. Durch Zusammensetzung der die Flächenelemente angreifenden Kräfte erhält man die Resultante und das refultirende Moment des Luftwiderstandes.

Ist die Oberfläche eine Rotationsfläche und bezieht man die fie erzeugende ebene Curve, welche wir die Meridiancurve nennen, auf ein in derselben Ebene liegendes rechtwinkliges Coordinatensystem, dessen positive x-Are die Rotationsare in der Richtung ist, in welcher relativ die Lufttheilchen sich gegen die Oberfläche bewegen, so ist die Componente des Widerstandes des 2y dy cos 73 Flächenelementes in Richtung der x-Are Wπ

tgr=

dx

dy

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q ist. Wir wollen

COS T

Wo

= ૧ tg in der Folge die Richtungszahl, den Richtungswinkel des Elementes der Meridiancurve nennen. Es ist also als Anfangsrichtung die y-Are genommen, abweichend von den früheren Untersuchungen, bei welchen statt der Größe q die Größe p = eingeführt

=

1 dy
q dx

wurde. Die Rechnung gestaltet sich durch Einführung der Größe q etwas bequemer. Die anderen Componenten des Widerstandes heben sich bei der Zusammensetzung auf. Mithin ist das resultirende Moment des Widerstandes Null und die Resultante des Widerstandes ist eine der Bewegungsrichtung entgegengesezte Kraft W, welche sich, wenn die Fläche von einem Bogen mit den positiven Endordinaten y, und y, beschrieben wird, folgendermaßen ausdrückt:

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Ist q constant, so ist die Meridiancurve eine Gerade, ihre Rotationsfläche ein abgekürzter oder vollständiger Kegelmantel, und der Widerstand ist

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d. h. gleich dem Normalwiderstande der Flächeneinheit, multiplicirt mit dem Flächeninhalt der Projection der Rotationsflächenzone auf eine Ebene lothrecht zur Are, und mit dem Quadrat des Cosinus des gegen die Ordinatenare gemessenen Richtungswinkels der Kegelseite.

Ist0, so ist die Fläche ein ebener Kreisring und der Widerstand gleich W, π (y2 — y,). Dies ist der größte Wider

0

2

2

stand, welchen eine Rotationsfläche erleiden kann, welche sich ringförmig zwischen y = y, und y = y, erstreckt. Der größte Widerstand, welchen ein Geschoß vom Kaliber 2 r erleiden kann, ist Wor, und dieser Fall tritt ein, wenn das Geschoß keine Spite hat, sondern vorn durch eine Kreisfläche vom Durchmesser 2r begrenzt ist.

Für eine cylindrische Fläche dagegen ist der Widerstand Null. Zieht man für ein sphärisches Geschoß vom Kaliber 2r nur die vordere Fläche in Betracht, dann ist q =

y

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αίξο

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d. h. der Widerstand der vorderen Halbkugel eines sphärischen Geschosses ist, wie bekannt, gleich der Hälfte (50%) des Marimalwiderstandes für dasselbe Kaliber u. s. f. Wir bemerken, daß hier, wie im Folgenden, nur von dem Widerstande der Geschoßspite die Rede ist. Dadurch, daß auf der hinteren Seite des Geschosses sogenannter negativer Druck vorhanden ist, wird der Widerstand im Ganzen vielleicht noch etwas vergrößert. Dies wollen wir aber, ebenso wie die früheren Bearbeiter, außer Acht Lassen, wie es bei einer Vergleichung verschiedener Spizenformen wohl gestattet ist, da ja alle Geschosse einen cylindrischen Theil haben und der negative Druck auf die hintere Geschoßwand bei gleichem Kaliber und gleicher Geschwindigkeit wohl sehr nahezu gleich ausfallen wird.

Verlangt man nun unter der Voraussetzung des Newtonschen Gesetzes die Gestalt einer Meridiancurve zwischen zwei gegebenen Punkten A und B so zu bestimmen, daß die von dem Bogen AB erzeugte Zone des Rotationskörpers einen möglichst kleinen Widerstand erleide, welchen Bogen wir kurz die,,Minimalcurve" für die gegebenen Endpunkte A und B nennen wollen, so ergiebt sich, wie schon Newton gefunden hat, eine gewisse, weiter unten näher zu besprechende Curvengattung. Es ist aber nicht immer möglich, die beiden gegebenen Punkte durch eine Curve

dieser Gattung zu verbinden. Da z. B. keine Curve dieser Gattung die Are trifft, so ist die Lösung für Geschoßspißen geradezu unbrauchbar. Dies paradoxe Resultat ist zuerst von Herrn Walton im Quarterly Journal 1870 Band X, Seite 344 bis 346 in der Hauptsache richtig erklärt worden, wenngleich auch diese Erklärung noch einer nicht unwesentlichen Vervollständigung bedarf. Wir erklären die Sache, von einem ganz allgemeinen analytischen Gesichtspunkt ausgehend, folgendermaßen. Unter den Voraussetzungen über die Wirkung des Luftwiderstandes, welche von Newton und den späteren Bearbeitern der Rechnung zu Grunde gelegt sind, existirt überhaupt gar kein Minimum, da man durch passende Wahl der Meridiancurve zwischen zwei Punkten. den Widerstand beliebig klein machen kann. Man muß nur dafür sorgen, daß die Tangente der Curve bis auf einzelne Stellen hinreichend kleine Winkel mit der x- Are bildet. Dies ist z. B. der Fall bei einer Curve, welche von A fast parallel der Are ausgeht bis zu einem hinreichend weit entfernten Scheitelpunkte C, dort scharf umbiegt und nach B zurückkehrt, etwa bei einem passend gewählten Parabel- oder Hyperbelbogen (Figur 1). Es ist ebenso der Fall bei einer Curve, deren Abscisse stets innerhalb gegebener Grenzen bleibt, und welche aus hinreichend vielen Windungen besteht, deren einzelne Theile, durch scharf gekrümmte Stellen in einander übergehend, nahezu parallel der x-Are verlaufen. Eine solche Curve ist z. B. eine schräge Sinuslinie, ähnlich wie Figur 2. Am einfachsten sind beide Fälle durch gebrochene Linien herzustellen. Ein wirkliches Minimum existirt also unter den gegebenen Bedingungen nicht. Lassen sich aber beide Punkte durch eine Curve der von Newton gefundenen Art verbinden, so ist der Widerstand der entsprechenden Rotationsfläche ein relatives. Minimum, d. h. alle Curven zwischen A und B, welche man aus jener durch sehr kleine Deformationen erhält, bei welchen sich auch die Tangentenrichtungen nur sehr wenig ändern, erzeugen Flächen mit größerem Widerstand.

Man hat nun vorgeschlagen, um die Resultate der Rechnung für Geschoßconstructionen zu verwerthen, die Meridiancurve aus einer solchen Curve und aus einem anderen Theil, der bis zur Are reicht, zusammenzusetzen. Doch sind diese Vorschläge ohne rationelle Begründung und beruhen auf unbestimmten und

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