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X.

Ein Beitrag zum Studium der Tageseinflüßse.

(Hierzu Tafel V.)

Die Flugbahn eines Geschosses wird bekanntlich bestimmt durch die Anfangsgeschwindigkeit, den Abgangswinkel, die Anziehungskraft der Erde und den Luftwiderstand. Von diesen Größen sind die Abgangswinkel und Anziehungskraft der Erde als unveränderlich anzusehen, während die Anfangsgeschwindigkeit und der Luftwiderstand infolge der meteorologischen Einflüsse gewissen Schwankungen, die in den verschiedenen Jahreszeiten recht bedeutend ausfallen können, unterworfen sind. Die Abweichungen dieser Größen von den normalen nennt man in der Ballistik „Tageseinflüsse“. Sie rufen gewisse Unterschiede in den Flugbahngrößen - Endgeschwindigkeit, Schußweite und Flugzeit hervor. Wir wissen zwar im Allgemeinen, in welchem Sinne die Flugbahn durch diese Tageseinflüsse" geändert wird; wir kennen wohl allenfalls die Grenzen, innerhalb deren die Wirkung dieser Einflüsse liegt. Aber über die Größe dieser Aenderungen sind die Anschauungen wenig geklärt. Wohl verstanden, haben wir hier die große Menge der Artillerie-Offiziere im Auge, nicht die geringe Zahl derer, die das Studium der Ballistik gewissermaßen als Lebensberuf betreiben. Der Grund, warum dem so ist, ist leicht einzusehen. So lange die Präcision und Schußweiten der Geschüße gering waren, konnte die Wirkung der Tageseinflüsse nicht erkannt werden; erst in jüngster Zeit sind dieselben deutlich hervorgetreten. Dazu kommt, daß es bis vor Kurzem an einer einfachen Methode zur Errechnung der Flugbahngrößen fehlte. Inzwischen ist eine solche gefunden in der vom Major v. Scheve aus dem Italienischen übersetzten „Leicht faßlichen Methode 2c." des Artillerie-Hauptmanns Braccialini. *) Endlich, und das ist wohl die Hauptsache, lag bis vor Kurzem kein zwingender Grund vor, sich mit dieser Frage zu befassen. Kein moderner Artillerist wird auf den Gedanken kommen, daß die genaueste Kenntniß der Entfernung ihn von dem Einschießen entbinden könnte. Höchstens ist das bei den schweren Kanonen der

*) Berlin 1884, Verlag von E. S. Mittler & Sohn.

Küsten-Artillerie der Fall, wo die Tageseinflüsse außerordentlich gering find. Aber die Frage hat mit dem Augenblick eine actuelle Bedeutung erhalten, wo zum wirksamen Schießen außer der Kenntniß der Erhöhungswinkel auch noch die der Flugzeit nothwendig wird, wie das beim Schießen mit Schrapnels der Fall ist. Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchung den Nachweis führen, welche großen Vortheile für die Aufstellung brauchbarer Schußtafeln die Kenntniß und die Berücksichtigung der Tageseinflüsse hat.

Mit Hülfe der „Leicht faßlichen Methode“, deren Benußung auch dem in der höheren Mathematik nicht Bewanderten möglich ist, wollen wir versuchen, einige in dieses Gebiet schlagende Fragen zu beantworten und einige für die Praxis wichtige Folgerungen. daraus abzuleiten. Wir müssen uns darauf beschränken, die deutschen Feldgeschüße, und zwar nur die Granaten und Schrapnels C/73, deren Schußtafeln veröffentlicht sind, in den Bereich unserer Betrachtungen zu ziehen. Die Nußanwendung auf die Geschosse C/82 ergiebt sich von selbst.

Als normale Verhältnisse, unter denen die Schußtafeln erschoffen sind – ob das thatsächlich zutrifft oder nicht, ist für unsere Folgerungen ganz gleichgültig nehmen wir folgende

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Ferner nehmen wir als mittlere Temperatur +9° Celsius,

einen Barometerstand von 760 mm an, Cubikmeters Luft sich auf 1,25 kg stellt.

wobei das Gewicht eines

Von dem Feuchtigkeits

gehalt der Luft, welcher nur von geringem Einfluß auf das Luftgewicht ist, wird abgesehen.

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Die Bewegung der Luft den Wind können wir nicht berücksichtigen, da das Problem, den Einfluß des Windes zahlenmäßig zu berechnen, noch nicht gelöst ist. Der Einfluß desselben äußert sich darin, daß der Luftwiderstand vergrößert wird durch einen der Schußrichtung entgegengesetzten Wind, daß er verringert wird durch Wind, der mit der Schußrichtung gleichläuft. Bei Infanteriegeschossen ist der Wind von ziemlich bedeutendem Einfluß, bei den Geschossen der Artillerie jedoch nur von untergeordnetem. Wohlgemerkt ist nur die Rede von dem Einfluß auf Schußweite, Flugzeit und Endgeschwindigkeit. Seitlicher Wind, der eine viel

größere Angriffsfläche am Geschoß findet, verlegt den Treffpunkt
sehr bedeutend nach der entgegengesetzten Seite.

Die Leicht faßliche Methode" ermöglicht zwar, die Schußweite,
die bei gegebenen Anfangsgeschwindigkeiten, Abgangswinkeln und
Luftwiderstand erreicht wird, zu errechnen. Wir ziehen es indeß
vor, die Schußweite als etwas Gegebenes anzusehen und für diese
den Abgangswinkel zu errechnen. Die Benutzung der Schußtafel
(1/16° ändert die Schußweite um... m) gestattet ohne Weiteres,
den Einfluß auf die Schußweite festzustellen.

In nachstehender Tabelle sind die nach der Leicht faßlichen Methode" errechneten Werthe für die Endgeschwindigkeit, Erhöhungswinkel und Flugzeiten für die beiden Geschoßarten der leichten und schweren Feldgeschüße auf den Entfernungen von 1000, 2000, 3000 und bezw. auch 4000 m errechnet. Es ist dabei die vielleicht nicht zutreffende Annahme gemacht, daß der Abgangsfehler auf allen Entfernungen + 5/16° beträgt. Die Angaben der Schußtafeln sind in Klammern neben die errechneten Größen gefeßt und gestatten ein Urtheil über die Zuverlässigkeit unserer weiteren Untersuchungen.

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*) Die kleinen Zahlen bedeuten hier wie überall später Sechzehntel-Grade.

Der Vergleich der errechneten Zahlen mit den Angaben der Schußtafeln zeigt zwar keine vollkommene, immerhin aber eine recht beachtenswerthe Uebereinstimmung, namentlich auf den Entfernungen von 2000 und 3000 m. Die Unterschiede der Erhöhungswinkel — diese eignen sich am besten für den Vergleich, da die Angaben der Schußtafel hier lediglich aus Versuchen entnommen find - sind am größten beim leichten Feldschrapnel, wo sie auf 1000 m 22, auf 2000 m 1, auf 3000 m 32 Sechzehntel-Grad ausmachen. Uebertragen auf Schußweite entspricht das Unterschieden von 75 bezw. 20 bezw. 52,5 m. Man würde durchweg noch etwas besser übereinstimmende Resultate erhalten haben, wenn man die Anfangsgeschwindigkeit etwas niedriger, den Luftwiderstand dagegen etwas höher angefeßt hätte. Wie dem aber auch sei, die Uebereinstimmung ist eine völlig ausreichende, zumal es in der Hauptsache nur darauf ankommt, nachzuweisen, wie sich die Flugbahngrößen bei Aenderung der Anfangsgeschwindigkeit und des Luftgewichtes ändern werden.

Zunächst untersuchen wir, welchen Einfluß eine Aenderung lediglich der Anfangsgeschwindigkeit äußert. Bekanntlich findet die Prüfung des Pulvers aus dem leichten Feldgeschüß statt, und darf dabei die mittlere Anfangsgeschwindigkeit von der normalen um 10 m abweichen. Da die Abnahme des Pulvers auf Grund von Schießversuchen erfolgt, die mit tadellosen Geschüßen, eben solcher Munition und nur bei günstiger Witterung vorgenommen sind, so werden auch beim praktischen Schießen Unterschiede von solcher Größe nicht gerade selten sein. In der nachstehenden Tabelle II find daher Anfangsgeschwindigkeiten berücksichtigt, welche die normalen um 10 m übersteigen, wie auch solche, die um eben so viel dahinter zurückbleiben. (Siehe umstehende Tabelle II.)

The wir weitere Betrachtungen an diese Zahlen knüpfen, wollen wir den Einfluß eines verschiedenen Luftwiderstandes nachweisen. Wir sehen den Luftwiderstand proportional der Dichtigkeit oder dem Gewicht der Luft. In unseren Gegenden schwankt das Thermometer gewöhnlich von etwa +25 bis zu 10° C.; von höher gelegenen Punkten abgesehen, kommen Schwankungen des Barometerstandes von 730 mm bis 780 mm vor. Bei einer Temperatur von +25° C. und einem Barometerstande von 730 mm. beträgt das Gewicht eines Kubikmeters Luft 1,14 kg, bei einer Temperatur von - 10° C. und einem Barometerstande von 780 mm Einundfünfzigster Jahrgang, XCIV. Band.

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Tabelle II.

Endgeschwindigkeit, Erhöhungswinkel und Flugzeit bei verschiedenen Anfangsgeschwindigkeiten und normalem Luftgewicht.

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Flugzeit

2000

5,90 5,98 6,06 6,01 6,10 6,19 5,95 6,05 6,16 6,12 6,22 6,31

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