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teten Spiele verwenden sich Maria und der heilige Nikolaus für die von den Teufeln verhöhnte und in der Hölle empfangene Päpstin beim Heiland (Salvator), der sie freundlich aufnimmt: Biß willkommen, du liebste Tochter mein,

Du sollst mit mir fröhlich sein

In meinem Himmelreiche !

Es war eins der lezten großen geistlichen Schauspiele des Mittelalters, in denen ebenso wie in dem niederdeutschen, schon im vierzehnten Jahrhundert gedichteten Spiele vom Bischof Theophilus die Kirche und der von ihr gepflegte Marienkultus, verherrlicht wurde. Aber allmählich war der unmittelbare religiöse Zweck, das Interesse andächtiger Verehrung zurückgetreten und mehr und mehr hatte Schaulust und ein mit der Darstellung der geistlichen Spiele verknüpftes Schaugepränge Plaß gegriffen, durch welches das zahlreiche Publikum angezogen wurde; denn schon war das Mysterium aus der Kirche gewichen, hatte eine öffentliche Spielstatt aufgesucht und den Einfluß weltlicher Schaulust erfahren; selbst die Satire hatte ihren Einzug gehalten und verkündigte offen die zwischen Geistlichkeit und Laienwelt eingetretene Spaltung. Als bei der großen Kirchenversammlung in Konstanz (1417) die englischen Bischöfe vor Kaiser Sigismund die Geburt Christi, die Ankunft der heiligen drei Könige und den bethlehemitischen Kindermord spielen ließen, bildete das geist= liche Spiel einen Teil der Tafelfreuden der hohen geistlichen und weltlichen Herren und diente einem rein weltlichen Zwecke.

Gegenüber dem geistlichen Drama bildete sich das weltliche Drama des fünfzehnten Jahrhunderts aus. Es entstanden Possen humoristischer Natur und Narrenspiele mit satirischer Tendenz, welche gegen die sittlichen Gebrechen und Untugenden der Menschen, besonders auch der Geistlichkeit, gerichtet waren. Weil diese Spiele vorzugsweise zur Fastnacht gegeben wurden, werden sie Fastnachtspiele genannt. In diesen Fastnachtspielen, in denen nicht nur die heiteren, sondern auch die ernsten und feierlichen Seiten des menschlichen Lebens zur Darstellung gelangten weshalb zu ihnen auch Moralitäten und weltliche Mysterien zu rechnen sind kam der Charakter des Volkes nach seinen mannigfachen Schattierungen zum Ausdruck: diese Spiele waren

Volksspiele im eigentlichen Sinne und ihre Verfasser Laien, Bürger und Handwerker. Besonders trieb das Fastnachtspiel in der alten freien Reichsstadt Nürnberg, dem Mittelpunkte des deutschen Handels, dem berühmten Size der Künste und Wissenschaften, seine hohe Blüte. Hier verfaßten Hans Rosenblüt, genannt der Schnepperer, seines Zeichens ein Wappendichter, und Hans Folz aus Worms, ein Chirurg, die meisten der 132 uns bekannten Fastnachtspiele. Unter ihnen sind auch drei in niederdeutscher Sprache abgefaßte, von denen eins in Beziehung zu Lübeck steht. Die alte Hansestadt Lübeck mit ihrer aus Patriziern bestehenden Zirkelgesellschaft war eine bedeutende Pflegestätte des niederdeutschen Fastnachtspieles. Leider kennen wir nur die Titel der in der Zeit von 1430 bis 1515 zur Aufführung gelangten 73 Spiele. Wir dürfen wohl annehmen, daß noch andere niederdeutsche Städte sich der Pflege dieses Litteraturzweiges gewidmet haben. So wurden, als 1494 Kaiser Maximilian I. mit Philipp dem Schönen in Löwen verweilte, Spiele aus der heiligen Schrift und aus heiligen Historien aufgeführt.

Während die meist faden, oft frivolen Fastnachtspiele sich einer besonderen Teilnahme erfreuten, wurde durch deutsche Gelehrte, die das von Italien herübergebrachte Studium des klassischen Altertums mit aller Kraft der Begeisterung pflegten und so die ruhmvolle Periode des Humanismus durch die Wiederbelebung der Wissenschaften herbeiführten, das lateinische, an dem Muster des Terenz gebildete Drama geschaffen. In Heidelberg war es, wo 1482 Jakob Wimpfelings, des elsässischen Humanisten, auf die Verspottung unwissender Kurtisanen gerichtetes Lustspiel Stylpho, das schon 1470 entstanden war, bei Gelegenheit einer Licentiatenpromotion aufgeführt wurde; wo Johannes Reuchlin, das Haupt der humanistischen Bewegung, sein Lustspiel Sergius sive Capitis caput, eine Satire auf den vom Grafen Eberhard dem Jüngeren zum Kanzler erhobenen nichtswürdigen Augustinermönch Holzinger, schrieb und sein zweites nach der bekannten französischen Farce Maître Pathelin verfaßtes Lustspiel Henno 1497 vor seinem Gönner Johann von Dalberg, dem Bischof von Worms und Kanzler des Kurfürsten Philipp von der Pfalz,

durch Studierende aufführen ließ.1) Sebastian Brant, den berühmten Verfasser des drei Jahre vorher erschienenen ‘Narrenschiffes', erfüllte die dramatische Leistung seines Freundes mit so großer Freude, daß er den Henno in seinen lateinischen Gedichten (1498) abdrucken ließ. Das Stück Reuchlins verdiente auch diese Auszeichnung; denn es ist formgerecht und das beste der vielen in jener Zeit entstandenen lateinischen Dramen, die nur in der Absicht von den Gelehrten geschrieben und von den Schülern aufgeführt wurden, um eine Sicherheit im Gebrauche der latei nischen Sprache zu erzielen. So wurden in demselben Jahre, in welchem Reuchlins Henno erschien, zu Augsburg Joseph Grünpecks von der Augsburger Schuljugend gespielte Komödien in einer Sammlung gedruckt, deren Titel ausdrücklich jenen Zweck erkennen läßt.2) Und aus dem Jahre 1485 ist eine neulateinische Komödie des münsterischen Gymnasiarcha Johannes Kerckmeister, Codrus, eine Ermahnung zu guter Latinität, erhalten, welche das moderne humanistische Gepräge trägt.

Die Anregung zur Abfassung dieser und anderer lateinischer Dramen kam aus Italien, wo unter den lateinischen Komödiendichtern besonders Terenz in so hohem Ansehen stand, daß er in Schulen und Bursen das klassische Vorbild der lateinischen Umgangssprache blieb. War doch Terenz das ganze Mittelalter hindurch verehrt worden. In den Vorhöfen römischer Prälaten ließ Julius Pomponius Lätus, der Stifter der platonischen Akademie, 1484 plautinische Komödien durch seine Schüler zur Aufführung bringen; in Mailand unterhielt Ludwig der Mohr ein beständiges Theater, auf dem die alten Komödien in Ueberseßungen aufgeführt wurden. Besonders berühmt wurde in dieser Beziehung das Theater zu Ferrara, auf welchem Ercole I., Herzog

1) Die Aufführung fand am 31. Januar 1497 in Dalbergs Hause statt. Zu den elf Spielern gehörte auch Jakob Spiegel, der Neffe Wimpfes lings, der 1513 den Henno mit einem Kommentar herausgab. Die Darsteller wurden nach beendigter Vorstellung von Dalberg bewirtet und mit goldenen Ringen und Münzen reich beschenkt. L. Geiger, Joh. Reuchlin. Leipzig 1871. S. 82.

2) J. G. Boiarii Comedie utilissime omnem latini sermonis elegantiam continentes. Aug. Vind. 1497.

von Este, am 25. Januar 1486 die Menächmen des Plautus aufführen ließ und dafür nicht weniger als tausend Dukaten zahlte. Ja, noch im Jahre 1543 ließ der geistreiche Herzog von Ferrara, Alphons von Este, bei einem Besuche des Papstes Paul III. durch Mitglieder seiner Familie, darunter seine drei Töchter in Verbindung mit der sechzehnjährigen Olympia Morata, der klassisch gebildeten Tochter des Fulvio Peregrino Morato, die Adelphen des Terenz aufführen. Und als auf Befehl des Kardinals Hippolyt des Jüngeren, des Erbauers der prächtigen Villa d'Este in Tivoli, der Phormio des Terenz zur Erheiterung jenes kunstsinnigen Herrn von vornehmen Jünglingen gespielt wurde, dichtete Julianus Pogianus einen noch erhaltenen Prolog, der Melanchthon später als Muster diente.

Im zehnten Jahrhundert, das man sonst das dunkle, sternenlose nennt, hatte die Bekanntschaft mit den Komödien des Terenz die Nonne Rosvitha von Gandersheim veranlaßt, sechs geistlichmoralische Dramen lateinisch und nach dem Muster des Terenz zu dichten, die der eifrige Humanist Konrad Celtes im Benediktinerkloster St. Emmeram bei Regensburg fand und, nachdem der Kurfürst Friedrich der Weise den Druck der ihm vorgelegten Handschrift genehmigt und die Widmung des Werkes angenommen hatte, 1501 zu Nürnberg herausgab. Einer seiner Freunde, Adam Werner von Themar, überseßte 1503 eins der Stücke der Rosvitha, den 'Abraham', und widmete die Arbeit dem Pfalzgrafen Philipp. War Rosvitha bei der Abfassung ihrer Dramen von der Ueberzeugung geleitet worden, daß die Lektüre des alten heidnischen Komödiendichters ihren Klosterschwestern Gefahr bringen möchte und daß sie ihre Stimme laut erschallen lassen müsse, um die löbliche Züchtigkeit gottseliger Jungfrauen nach dem Maße ihres geringen Talentes zu rühmen, so wollte Notker, der gelehrte Mönch von St. Gallen, seinen Zeitgenossen den römischen Dichter in deutschem Gewande geben. Er übertrug die Andria des Terenz in das Deutsche; leider ist diese deutsche Uebertragung nicht mehr erhalten.

Dieses Bestreben, den Terenz zu überseßen und damit das antike Drama in die Litteratur der Neuzeit einzuführen, erwachte erst wieder am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts infolge der

Wiederbelebung der Wissenschaften. Hans Nythart ließ 1486 in Ulm eine Verdeutschung des Eunuchus erscheinen, ‘zu pflanzin tugend und vermeydung laster' und um zu zeigen, ‘das comedia menschlichs wesens ain spiegel sein und ain pildung der warheit'. Der Uebersetzung Nytharts folgte 1499 die von einem Unbekannten ausgegangene Straßburger Uebersehung sämtlicher sechs Stücke des Terenz, 'des hochgelerten und allerbruchelisten Poeten', wobei der Nythartsche Eunuchus benußt wurde.

Aber auch Plautus, dem sonst keine große Teilnahme widerfuhr, wurde schon frühzeitig in deutscher Sprache bekannt. Albrecht von Eyb, Domherr zu Bamberg, Eichstätt und Würzburg, einer der ersten Förderer deutscher Prosa, überseßte zwei Lustspiele des Plautus (Menaechmi und Bacchides), welche mit der Uebersehung der Komödie des Italieners Ugolino von Parma 'Philogenia' erst 1511, fast ein volles Menschenalter nach seinem Tode (1475), als Anhang seines 'Spiegels der Sitten', einer Sammlung von Denksprüchen und Beispielen, von seinem Neffen, dem Eichstätter Bischof Gabriel von Eyb, herausgegeben wurden. In seiner Uebersetzung vermied Albrecht von Eyb sogar antike Namen und gab seinen auftretenden Personen die deutschen Namen Kunz und Luz, Heinz und Friz, Grete und Nese. Ueberhaupt ist sie in Wahrheit eine Verdeutschung, die besonders dadurch noch an Vorzügen gewinnt, daß sie Bilder aus dem Leben des Volkes liefert.

So waren die Uebersehungen der beiden antiken klassischen Dramatiker die ersten Früchte der Bestrebungen des Humanismus, die Geistesschäße des Altertums denjenigen zugänglich zu machen, die der Kenntnis der lateinischen Sprache entbehrten.

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