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in der Ausübung des von Gott ihm verliehenen Berufes diese Ueberzeugung zum Ausdruck zu bringen und nach dem Maße der von Gott ihm verliehenen Kräfte und Gelegenheiten seiner Ueberzeugung zum Siege über die entgegenstehende Ansicht zu verhelfen, so gewiß kann auch ein Landesherr, troßdem sein obrigkeitlicher Beruf innerhalb der rein weltlichen Sphäre liegt, unmöglich gleichgültig den kirchlichen Kämpfen zusehen, falls er nach seiner persönlichen Ueberzeugung klar auf der einen Seite der Kämpfenden steht. Vielmehr ergiebt sich bei einem solchen Fürsten eine Beteiligung an diesen Fragen ganz von selbst, sodaß also Luther nur die Fälle anzugeben braucht, in welchen dieselbe nach Gottes Wort und dem bestehenden Recht sich zu zeigen hat.

Während also nach römischer Anschauung (wie jeder, so auch) die Obrigkeit den Befehlen des unfehlbaren Lehramts sich blind zu unterwerfen und dessen Anordnungen mit der ihr zu gebote stehenden irdischen Macht auszuführen hat, folgt das, was Luther von den betreffenden Fürsten erwartet, aus dem entgegenge= segten Prinzip, daraus, daß jeder einzelne aus Gottes Wort seines Glaubens gewiß werden soll und dann mit Wort und That bekennen wird, was er glaubt. So erklärt sich auch, warum Luther zu der Zeit, als noch keine Fürsten von der Wahrheit seiner Lehre persönlich überzeugt waren, nie mehr sagt als: Sie sollten (nicht aber: sie sollen) etwas für das Evangelium thun. Er fügt dann wohl hinzu; „Aber es ist umsonst, daß wir es jagen", sie waren eben noch nicht so weit, daß sie schon etwas hätten thun können.')

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Fragen wir weiter, was denn im einzelnen er den im Herzen seiner Lehre anhangenden Fürsten in der fraglichen Beziehung zugemutet hat! Den weltlichen Fürsten seiner Partei lieferte er die Kirche gänzlich aus, bis hinab auf die Sakristei und auf die Gewissen der Unterthanen', behaupten unsere Gegner.2) Wir würden solche grandiosen Irrtümer für absichtliche Unwahrheit halten müssen, wenn wir uns nicht daran erinnerten, daß die Römischen das Bestehen einer Kirche ohne eine sie völlig be

1) Vgl. z. B. den oben S. 70 angeführten Ausspruch Luthers!
2) Germanus 87.

herrschende richterliche' Gewalt sich nicht vorstellen können. Sie können daher auch den Fortbestand der evangelischen Kirchen nicht anders sich erklären, als durch die Annahme, auch in diesen gebe es eine der bischöflichen und päpstlichen Macht gleiche Gewalt. Da nun nichts anderes solcher Macht analoges bei uns sich findet, wohl aber Luther den Fürsten einige der Pflichten zuerteilt, welche in der römischen Kirche Papst und Bischöfe ausüben, so nehmen sie an, daß die weltliche Obrigkeit bei uns an die Stelle des Papstes und der Bischöfe getreten' sei.1) Aber der klare Thatbestand lehrt, daß Luther kein neues Papsttum, keinen neuen bischöflichen Zwang aufgerichtet hat.2) Sehen wir näher zu!

1) So Wohlgemuth 90. Evers, Kathol. 225.

2) Es ist uns natürlich nicht möglich, an diesem Orte den Versuch einer gründlichen Untersuchung über Luthers Anschauungen von dem Kirchenregiment anzustellen. Denn es ist wohl unleugbar, daß die Ansichten hierüber noch bedeutend der Klärung bedürfen, indem vor allem viel bestimmter zwischen den Wünschen Luthers und denen Melanchthons und anderer Reformatoren, als auch zwischen den Anschauungen Luthers und den Korruptionen seiner Gedanken in einer späteren Zeit zu unterscheiden sein dürfte. Eine derartige Untersuchung würde in die Darstellung der Lehre Luthers von der Kirche gehören. Nur eine Bemerkung erlauben wir uns. Wenn Luther den Landesherren eine gewisse Macht in der Kirche einräumte, so ist dies nicht ein Beweis dafür, daß er „Fleisch für seinen Arm hielt“ und von ihnen viel Heil für die Kirche erwartete. Es ist doch gewiß sehr bedeutsam, daß er von keiner Unterstüßung seitens der Obrigkeit etwas wissen wollte, so lange seine Lehre im wesentlichen nur Feinde hatte, daß er also dem Evangelium allein die Macht des Siegens zutraute; erst dann, als nach seiner Ueberzeugung seine Lehre gesiegt hatte, soweit eine Wahrheit bei der Gleichgültigkeit und Böswilligkeit Vieler siegen kann, nahm er ohne Bedenken eine sekundäre Hülfe von seiten der Landesherren in Anspruch. Er konnte dies ohne Furcht vor dem Einfluß, den sie dadurch gewannen, thun, weil er des Glaubens lebte, daß kein Fleisch mit seinem Arm über die Kirche des Herrn Macht besißt, daß also auch ein schlechter Landesherr in Wirklichkeit dieser Kirche nicht wesentlich schaden kann. Die Knechtsgestalt, welche dann die Kirche bekam, war ihm nicht unerträglich, eher sympathisch. Unsere Gegner berufen sich, um uns den jammervollen Zustand unserer Kirche vorzuhalten, mit Vorliebe (z. B. Kirche 375) auf das Wort Friedr. Wilhelms IV.: „Territorialshstem und landesherrlicher Episcopat sind von solcher Beschaffenheit in sich, daß eines allein schon vollkommen ausreichend wäre, die Kirche zu töten, wäre sie sterblich". Nun, so mögen sie auch die Konsequenz ziehen, daß die evangelische Kirche unsterblich ist, da nicht einmal jene beiden Institutionen vereint imstande gewesen sind, sie zu töten.

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Im Jahre 1522 hatte der Magistrat der Stadt Altenburg einen evangelisch gesinnten Prediger berufen wollen, aber die römischen Chorherren widerseßten sich diesem Vorhaben, da die Besetzung der Pfarrstellen ihnen zukomme. Der Magistrat wandte sich mit einer Beschwerde an den Kurfürsten und Luther befürwortete dieselbe, indem er ausführte 1), daß man der Gemeine und ihren Vorstehein Prediger des Evangeliums nicht verwehren könne. Daher könne der Kurfürst nicht mit gutem Gewissen“ die Chorherren in ihrer Opposition „schüßen"; vielmehr sei er „als ein Christ schuldig, dazu zu raten und zu helfen“, daß das Verlangen des Magistrates erfüllt werde, ja, „als ein christlicher Fürst“ habe er die Pflicht, geradezu „den Wölfen zu begegnen". Freilich besaßen die Chorherren „das Recht“ der Pfarrbeseßung. Aber während seines ganzen Lebens hat Luther in allen Beziehungen gegen ein bloß formales Recht, welches ein materiales Unrecht in sich schließe, geeifert; nicht nur den Papisten, sondern auch den evangelischen Juristen gegenüber hat er den Sah verteidigt, daß ein Gesez, welches doch zu gutem Zweck gegeben sei, in dem einzelnen Falle nicht befolgt werden dürfe, wo seine Durchführung das Gegenteil seines Zweckes bewirken würde. Selbst seinem Kurfürsten Johann gegenüber hat er auch in politischen Fragen gelegentlich diesen Grundsah verfochten; so hat er dringend ermahnt, in die Wahl Ferdinands zum römischen Könige zu willigen, wenn gleich derselbe gesetzwidrig erwählt sein möge; und zwar deshalb, weil sein Protest gegen diese Wahl zu Unfrieden im Reiche führen müßte und doch mehr am Frieden als am Rechte liege, ja die Rechte um des Friedens willen gestellt" seien.2) So behauptet er auch in dem vorliegenden Fall, das formale Recht der Chorherren, die Pfarrstellen zu besehen, dürfe nicht zu dem materialen Unrecht aufrechterhalten werden, daß sie die Predigt des göttlichen Wortes verhindern könnten. „Derhalben sind der Rat zu Altenburg, auch Ew. Kurfürstl. Gnaden, schuldig, zu wehren falschen Predigern, oder je [wenigstens] dazu zu helfen oder [doch zu] leiden, daß ein rechter Prediger daselbst eingesezt werde. Dawider hilft kein Siegel, Brief, Brauch, noch irgend ein Recht“.

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1) D. W. 2, 192 f.
2) D. W. 4, 336.

Walch 15, 2414ff. Erlang. 53, 135 f.
Walch 16, 2198. Erlang. 54, 270.

Natürlicherweise werden diese Anschauungen Luthers schwerlich Zustimmung finden bei denen, welche den Glauben an ein objektives Recht, das in den menschlichen Gesezen nur mehr oder weniger unvollkommen ausgeprägt ist, aufgegeben haben, also in der Kirche wie im Staate — kein anderes als ein blos formales Recht kennen; welche die „Heiligkeit des Gesetzes" preisen, ohne sich klar zu machen, daß die unbegrenzte Mannigfaltigkeit der möglichen Verhältnisse niemals durch Geseze sich umspannen läßt, daß also alle Geseze entweder „Lücken“ zeigen oder zu weit greifen, demnach ungerecht sein können; welche endlich keine Institution kennen, die im Einzelfall diesem Mangel abhelfen könnte, indem sie die Obrigkeit zu nichts anderem als zu „Wächtern der Geseze" machen möchten.1) Wohl aber können wir verlangen, daß man nicht das Prinzip, aus dem Luthers obige Anschauungen entspringen, so entstelle, wie etwa Janssen thut, wenn er sagt: Den Klerus, der seinem Evangelium nicht anhänge, erklärte er geradezu außer Recht und Geset'; 2) oder wie einer seiner Abschreiber3) es ausdrückt: So versteht Luther das Gebot: Du sollst nicht stehlen'.

Noch ungerechter freilich ist es, wenn Janssen hiermit einen anderen Ausspruch Luthers zusammenstellt: Es ist nicht Unrecht, belehrt Luther in gleicher Weise den Grafen Johann Heinrich von Schwarzburg, ja das höchste Recht, daß man den Wolf aus dem Schafstalle jage und nicht ansehe, ob seinem Bauch damit Abbruch geschehe'.4) Denn wer kann hiernach anders denken, als daß Luther diejenigen als „Wölfe" vertrieben haben wollte, die „seinem Evangelium nicht anhängen“? Er aber schreibt unter der Vorausseßung, (welche Janssen nicht erwähnt,) daß des Grafen „Vater den Mönchen die Pfarre übergeben hat, mit dem Bedinge, daß

1) Luther selbst sagt einmal: „Weise und erfahrene Leute können wohl Geseze und gute Ordnungen machen; aber unmöglich ist es, daß man in Gefeßen oder Ordnungen zuvor bedenke und fassen könne alle Fälle und wie es unter die Hand kommen mag. Darum liegt ja soviel an guten Regenten als an guten Gesetzen, und sagen auch die Juristen, der Kaiser sei allzeit das lebendige Gesez“. Walch 5,2262. Erl. op. lat. exeg. 21, 164.

2) II, 222.

3) These 67.

4) D. W. 2, 258. Walch 21, 29. Erlang. 53, 154.

sie ihre Observanz halten und zuvor vor allen Dingen das Evangelium predigen sollen". Erfüllten sie nun diese Bedingung, unter der sie die Pfarre angenommen hatten, nicht, so verlangte doch wohl Recht und Gesez', daß sie verhört, und je nach dem Ausfall ihrer Antwort in ihrer Stellung belassen oder aus derselben verjagt" wurden. Diesen Fall unter die Rubrik zu steller, er erklärte den Klerus außer Recht und Gesez' und dem Leser durch Verhüllung des wirklichen Thatbestandes das eigene Urteil unmöglich zu machen, ist schwerlich nach Recht' gehandelt.

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So ist denn das als Luthers Anschauung zu bezeichnen, es dürfe der Landesherr als ein Glied der Kirche nicht gestatten, daß die Predigt des Evangeliums unmöglich gemacht werde.

Anders lagen die Verhältnisse in Altenburg schon vier Jahre später. Die römischen Chorherren wandten sich an den Kurfürsten Johann und verlangten seinen Schuß für ihren Widerstand gegen die Durchführung der Reformation. Dieser wünschte Luthers Rat, indem er ihm zugleich schrieb, „seinem Gewissen sei es zu schwer, solch ihr Wesen länger zu gestatten". Luther antwortet, wenn solch lästerlicher Gottesdienst ohne des Kurfürsten Schuß und Erhaltung fortbestehen könnte, so dürfte er es noch gehen Lassen, wie es ginge. Da aber nur eine positive Hülfe von seiner Seite ihn erhalten könnte, so würde er auf solche Weise ihren Greuel mit auf seinem Gewissen haben. Daher rät er zu fordern, sie sollten mindestens „ihr Thun heimlich halten, damit sie nicht Anderen Aergernis bereiten“.

Aufs bestimmteste aber hebt er hervor, man solle sie „nicht zum Glauben zwingen".) Und dieser Anschauung bleibt er allezeit tren, sodaß er einige Jahre später schreiben kann:2) „Zum Glauben oder zu unserer Lehre soll man niemand zwingen, ist auch bisher niemand dazu gezwungen, sondern ist allein gewehrt der Lästerung, wider unsere Lehre geübt". So ist es eine völlig falsche Anklage, wenn unsere Gegner ihm Verlegung der Gewissensfreiheit vorwerfen. Während die neugläubigen theologischen Wortführer für sich selbst Anspruch auf Gewissensfreiheit erhoben,

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