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geistliche Ziele nicht anders als durch geistliche Mittel erstrebt werden dürfen, meint man schon darum nicht Luther als Reformator gelten lassen zu können, weil er zur Erreichung seiner Absichten politische Umtriebe nicht gescheut habe. Indem wir also diesen lezteren Vorwurf als völlig unberechtigt erwiesen, haben wir auch schon negativ einen Beitrag zur Beantwortung der Frage geliefert, mit welchen Mitteln Luther für seine Sache gekämpft hat. Unsere Gegner aber nötigen uns, noch genauer die Waffen zu untersuchen, mit deren Hülfe er seiner Lehre zum Siege zu verhelfen suchte.

1. Luthers Waffen.

Daß die Jesuiten den infamen Sah gelehrt, der Zweck heilige die Mittel, ist bis heute noch zu erweisen; daß dagegen Luther und die Seinen in ihrem Kampfe gegen den Papst und die Kirche zu dieser verabscheuungswürdigen Maxime sich bekannt, steht außer allem Zweifel'.1) Denn er stellte den berüchtigten Grundsaß auf, der sein ganzes Treiben kennzeichnet'2): „Wir sind hier überzeugt, daß das Papsttum der Sitz des wahren und wirklichen Antichristes ist, und halten dafür, daß uns zur Hintergehung und zum Verderben desselben, um des Heils der Seelen willen alles erlaubt ist“.3)_Also Hintergehen, Betrügen, ja das Schändlichste, was sich nur erdenken läßt, wandte er ohne Gewissensbisse an, mit der Lüge sich beruhigend, daß er ja das Allerhöchste, das Heil der Seelen, im Auge habe! Entseglich! Welch eine Verirrung war unsere Verehrung gegen diesen Menschen! Bedenken wir dazu, daß durch Janssens Aufrichtigkeit 4) diese bisher nur

1) Kirche oder Protestantismus, 4. Aufl. S. 110 und 232. Aehnlich : Gottlieb, Briefe aus Hamburg S. 436. Evers, der Prediger in Trebra S. 23 und öfter.

2) Evers, Prediger 85.

3) So Luthers lateinische Worte überseht bei Janssen, Geschichte des deutschen Volkes II., S. 104 (7. Aufl.) Gottlieb 452. Herrmann, M. Luthers Leben S. 64. Evers, Pred. 23. 53. 85; M. Luther I, 157. Luther gegen Luther 15. Röhm, protestant. Polemik 35. Zenotti 210.

4) Auf diese macht er rückhaltlos und unbedingt Anspruch für sein

Werk', vgl. 1. Wort an meine Kritiker S. 5.

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den Gelehrten) bekannte, dem Volk aber verheimlichte Aeußerung Luthers zu allgemeiner Kenntnis gelangt ist), so bleibt uns doch nichts anderes übrig als tiefste Schamröte, daß wir uns eines solchen Menschen als unsers Reformators gerühmt haben. Denn ,,alle Wohlgerüche Arabiens waschen die Hand nicht rein", welche so grauenhafte Worte zu schreiben im stande war.

Doch erleichtert atmen wir auf, wenn wir sehen, welche Hand so zu schreiben vermochte. Es ist nicht die Luthers. Selbst ein Evers) sieht sich zu einer Berichtigung' genötigt und überseht in den späteren Auflagen seiner Konversionsschrift jene bei Luther in lateinischer Sprache sich findenden 4) Worte: Wir halten dafür, daß uns gegen des Papsttums Trügerei und Schlechtigkeit alles erlaubt ist'.5) Also, nicht Luther wollte auch Hintergehung anwenden; sondern er sah, daß das Papsttum sich vor Betrug nicht scheute, und wollte gegen solche Schändlichkeiten operieren. Wie nun? Man hat ihm geglaubt, da man meinte, er rede von sich selbst so Böses; wird man ihm nun auch noch glauben, da man nicht leugnen kann, daß er von dem Papsttum so Böses, von sich aber so Gutes redet? Das erwarten wir nicht. Wohl aber meinen wir gerade von Katholiken, welche so großes Gewicht legen auf das Wiedergutmachen begangenen Unrechtes, etwas anderes bestimmt verlangen zu können. Um uns darüber flar zu werden, was sie unter ihrer Aufrichtigkeit verstehen, beobachten wir einen Augenblick, wie sie ihren unvermeidlichen Rückzug zu decken suchen.

Evers entschuldigt jene falsche Uebersetzung der Worte Luthers folgendermaßen: Wegen einer Reise nach Rom war es mir nicht

1) Kampschulte, die Universität Erfurt, II., S. 79 bot dieselbe Uebersehung schon.

2) Durch Janssen und seine Abschreiber dürften etwa fünfzigtausend Leser davon erfahren haben.

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3) Martin Luther I., 473.

4) Walch 15, 1950.

De Wette, Luthers Briefe 1, 478: in cujus deceptionem et nequitiam ob salutem animarum nobis omnia licere arbi

5) Katholisch 110. Aehnlich Gottlieb 437. Dasbach, zur Lutherfeier (4. Tausend) 15 u. A.

möglich, die Korrektur selbst zu überwachen. Ich bitte daher berichtigen zu wollen. . . Als ob es sich nur um einen Druckfehler oder ein kleines Versehen handelte!1) Daß er aber seinen Fehler doch geradezu eingesteht, möchten wir als einen Beweis dafür ansehen, daß er noch einen Rest von protestantischer Wahrhaftigkeit besigt. Denn seine genuin römischen Freunde verfahren zur Deckung ihrer Blöße noch ganz anders. So bemerkt der Domkapitular zu Passau, Röhm, jedenfalls ersehe man aus den angeführten Worten sofort und ohne Mühe, daß Luther mit der lateinischen Sprache nicht immer auf bestem Fuße gestanden', und schlägt vor, die Frage, welche Uebersezung die richtige sei, vor den unparteiischen Richterstuhl der Philologen zu bringen'. Hätte doch diese Erkenntnis, daß er und Janssen und Genossen einen Luther nicht unparteiisch übersehen können, ihn selbst bewogen, die fragliche Stelle einigen Philologen vorzulegen! Sie würden ihm gesagt haben, nicht nur, daß seine Uebersehung eine absolut unmögliche sei 2), sondern auch, daß man an dem Latein nichts aussehen könne. Sodann rät Röhm, bis die Antwort der Philologen eintreffe, darüber nachzudenken, ob es wohl Luther für unerlaubt gehalten haben möge, den Siz des wahren und wirklichen Antichristes zu hintergehen und zu verderben'. Um uns die Antwort auf diese Frage zu erleichtern, bemerkt er unter anderem, von Protestanten sei der päpstliche Gesandte Aleander kürzlich als schlauer Fuchs bezeichnet und fährt fort: Nun, warum soll man einen Fuchs nicht töten dürfen'?3) Janssen will auch jezt noch nicht4)® mehr zugeben als: Die Stelle in Luthers Brief an Lange kann man richtig übersehen: . . . daß uns gegen die Trügerei und Schlechtigkeit desselben alles erlaubt ist'. Dieses fann' Janssens aber vermögen wir mit dem besten Willen nur

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1) In seiner früheren Schrift Katholisch oder protestantisch' hatte er jene böse Ueberseßung so oft seinen Lesern vorgehalten, daß ihm die Arbeit, in den späteren Auflagen alle diese Stellen zu corrigieren, zu schwer geworden zu sein scheint; sie findet sich noch z. B. auf S. 230. 264.

2) Denn nequitia kann kein Thun (nämlich Luthers), sondern nur einen Habitus (nämlich des Papsttums) bezeichnen.

3) Röhm, Confessionelle Lehrgegensäge, 1. Band, III.

*) Janssen, 2. Wort 72.

als eine grobe Unrichtigkeit oder als noch schlimmeres aufzufassen. Denn man muß so, kann nicht anders übersehen. Oder will er mit seinem: man kann richtig überseßen' vielleicht sagen, man könne ja auch falsch übersehen, wenn man nämlich „hintergehen“ wolle? Und dann mag er seiner eigentümlichen Berichtigung noch hinzufügen, man brauche aber nicht anzunehmen, daß Luther mit seinem „alles erlaubt" eine Hintergehung des Papsttums ausgeschlossen habe'. Seine schlimme Ueberseßung kann er nicht mehr retten; aber den Schmuß, den er mit ihrer Hülfe auf den Reformator geworfen, will er doch noch festhalten.

Wie er, so seine Freunde. Troßdem sie sich an diesem Worte Luthers so arg kompromittiert haben, verwenden sie es doch ruhig weiter zu ihren bösen Zwecken.1) Drei Glaubensgrundsäße' hat Evers bei Luther entdeckt; der erste derselben soll lauten: Zur Vernichtung des Papsttums ist uns alles erlaubt'. Und wirklich verwendet er diesen Ausspruch ganz wie einen obersten Glaubensgrundsay, indem er nun alle möglichen Worte Luther's, welche ihm unbequem sind, mit Hülfe jenes Ausspruches als zur Hintergehung' gewählt, als hinterlistige Lügen proklamiert: Wer sich offen zu dem Grundsat bekennen kann, daß ihm gegen einen Feind alles erlaubt sei zum Heil der Seelen, der kann keinen Anspruch darauf machen, daß er ... von uns für einen ehrlichen und ehrenhaften Charakter gehalten werde'.2)

Haben denn unsere Gegner ein Recht dazu, jenes „alles“ jo auszulegen? Sie stellen sich, als ob die Regel wäre, daß man unter „alles" jedes nur mögliche oder erdenkbare zu verstehen habe. Aber bekanntlich ist das Gegenteil der Fall. Das Wort „alles" wird (fast?) niemals absolut, sondern (fast?) allemal relativ gebraucht. Selbst dann, wenn wir es im umfassendsten Sinne zu nehmen scheinen, wenn wir etwa sagen: „Gott kann alles", so ist es doch relativ gemeint; wir wollen damit nicht sagen, daß er auch fündigen könne. Was sollte daraus werden, wenn wir jedes „alles" in den Schriften unserer Gegner so auffassen wollten, wie sie jenes „alles“ bei Luther zu deuten sich nicht ver

1) Auch Gottlieb 437. Dasbach 15. Germanus, Reformatorenbilder 71. Herrmann 64. Evers, Katholisch 110. 111. 114. 124. 131. 147 u. s. w. 2) Evers, Katholisch 24.

sagen! Da lesen wir bei Janssen:1) Der Kaiser hatte dem Papste versprochen, alle Mittel aufzuwenden'; oder bei Wohlgemuth: 2) In katholisch gebliebenen Ländern boten Priester und Gelehrte alles auf, das Volk im ehrwürdigen Glauben seiner Väter zu erhalten', - wie? auch Hintergehung', Trügerei' und dergleichen?

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Und steht denn nicht klar genug in dem betreffenden Briefe Luthers, in welcher Beziehung das „alles“ von ihm gemeint ist? Sein Freund Lange hatte ihm vorgeworfen, daß sein Buch ‚an den christlichen Adel" heftig und stürmisch sei. Luther gesteht zu, es sei „voll von Freimut und von Angriffen [auf das Papsttum]". Aber nicht will er zugeben, daß es Sünde sei, des Papsttums Trügerei und Nichtswürdigkeit offen aufzudecken. Wohl stand noch der Papst äußerlich an der Spiße der Kirche. Und Luther selbst hatte früher gelehrt, man solle die Sünden der über uns Stehenden nicht offenbar machen. Er würde auch jezt nicht eine solche Freimütigkeit sich erlaubt haben, wenn er nicht nunmehr überzeugt wäre, daß das Papsttum der Siz des wahren und wirklichen Antichristes sei, daß er also dem Papste keinen Gehorsam, keine Ehrerbietung mehr schulde. Was allein also meint sein „alles"? Alles, was die Hintergehung und Schlechtigkeit des Papsttums an's Licht bringen kann, wäre es selbst ein so freimütiges und scharfes Schreiben, wie sein Buch an den christlichen Adel. Nicht also will er irgendwie oder irgendwann hintergehen, was Janssen und Konsorten noch immer für nicht ausgeschlossen' erklären; vielmehr ist gerade dieses durch Luthers Worte ausgeschlossen, da Trügereien eines Anderen offenbaren das Gegenteil von Hintergehen ist.3)

1) III., 201.

2) Dr. Martin Luther S. 120.

3) In den neuesten Auflagen seines Werkes hat Janssen jene böse Uebersehung nicht wieder gegeben. Es dürfte dies für diejenigen beachtenswert sein, welche unablässig in die Welt hinausposaunen, ihm sei auch nicht cin Fehler nachgewiesen. Aber Janssen weiß zu bewirken, daß solche Korrekturen, zu denen er sich gezwungen sieht, nicht in ihrer Bedeutung erkannt werden. Denn er giebt nie ausdrücklich zu, daß er Versehen begangen; nicht einmal in der Weise, daß er seine von ihm selbst erkannten Fehler geradezu verbesserte. So giebt er in dem vorliegenden Falle nunmehr nicht die richtige Uebersetzung, sondern läßt die fraglichen Worte einfach ausfallen. Er läßt

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