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auffallend sein, sodaß unsere Gegner ihn unermüdet wie ein Schreckgespennst uns vorhalten können, darum ist er doch nicht unrichtig. Denn Fluchen heißt Böses wünschen von Gott. Und dem Bösen muß man den Untergang wünschen, wenn man „ein gut, freundlich, christlich Herz“ hat gegen die, welche von demselben gefangen sind.

Gewiß kann nicht nur der mit Liebe zu den Menschen verbundene Haß gegen das Böse uns zum Schelten und „Fluchen“ bewegen, sondern auch der Haß gegen Personen. Aber wer oder was giebt den Römischen das Recht, über Luthers Herz ein entgegengesettes Urteil zu fällen als er? Etwa Thatsachen? Fragen wir diese um Rat!

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Der erste Gegner Luthers war der Ablaßkrämer Tezel Hat er diesen je gehaßt? Dann hätte er sich gefreut, als er erfuhr, daß derselbe bei seinen Vorgesezten in Ungnade gefallen und vor Gram erkrankt sei. Wie aber schreibt er darüber an seinen Freund Spalatin?1) „Es thut mir leid, daß Tezel in solche Not geraten ist . . . Viel lieber hätte ich gesehen, daß er womöglich mit Ehren bestanden wäre und irgend eine Besserung gezeigt hätte". Ja, so freundlich und friedlich war sein Herz gegen den Widersacher, daß er, von tiefen Mitgefühl getrieben, ihn brieflich zu trösten suchte und ihm schrieb, er solle nur guten Muts sein und sich vor Luther und seinem Namen nicht fürchten.2) Begreiflicherweise sind diese Thatsachen denen, welche dem Reformator einen exorbitanten Haß' zutrauen, sehr unbequem. So verschweigen sie dieselben oder wagen gar ihren Lesern zu erzählen 3), Luther habe von Tezels Unglück nicht ohne einen Anflug von Schadenfreude' berichtet. Wohin doch römische Geschichtsforschung geraten kann!

Ein anderer Gegner Luthers war der anfangs an seiner Seite streitende Carlstadt. Bis an sein Ende verfolgte er diesen mit tötlichem Hasse'), versichert man uns. Wir aber kennen z. B. einen Brief Luthers, in welchem dieser sich bei dem Kurfürsten

1) Ba[d) 15, 2ng. 19. 2. 28. 1, 223.

2) Walch 14, 459. Erlang. Op. lat. 1, 31. De Wette - Seidemann 6, 18. 3) So Evers II, 291.

4) Germanus 81. Kirche 188 u. A.

für Carlstadt verwendet, weil ihn des armen Mannes trefflich jammere und den Elenden Barmherzigkeit zu erweisen sei“1); oder einen anderen Brief, in welchem er den Kurfürsteu „unterthänigst bittet", daß Carlstadt ungestört in Kemberg wohnen dürfe: Gott wird es desto reichlicher vergelten. Er [Carlstadt] mag für seine Seele selbst aufkommen; seinem Leibe und den Seinen sollen wir gutes thun".2) Das nennen wir nicht tötlichen Haß', sondern ein freundlich Herz“.

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Sehr scharf hatte Luther gegen Heinrich VIII. von England geschrieben. Aber hat er ihn gehaßt? Oder ist die Schärfe, mit welcher er dem König entgegentrat, aus persönlicher Gereiztheit zu erklären? In beiden Fällen wäre es ihm unmöglich gewesen, demselben später, 1525, jenen herzlichen, demütigen Abbittebrief zu schreiben. Er hatte sich nämlich durch Christian von Dänemark — zu der (freilich irrtümlichen) Meinung „bereden laffen, der König wäre umgekehrt und dem Evangelium geneigt geworden".3) So richtete er an ihn ein Schreiben, in welchem er sich so tief vor ihm demütigte“, ihn so „fußfällig" um Verzeihung anflehte, daß wir uns nicht wundern, wenn man ihm Kriecherei' vorgeworfen hat.) Wir selbst würden in den (protestantischerseits erhobenen) Vorwurf der „Maßlosigkeit“ einstimmen, wenn wir nicht bedächten, daß Luther eben überzeugt war, er habe dem Könige das denkbar schwerste Unrecht angethan, indem er ihn als einen verstockten „Feind Gottes" angesehen und behandelt

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D. W. 3, 28.

Erlang. 53, 327.

1) Walch 21, 130. 2) Walch 21, 158. D. W. 3, 137. Erlang. 53, 388. Vgl. auch D. W. 3, 21 und Burkhardt, Luthers Briefwechsel S. 87; ferner D. W. 3, 94f; Walch 21, 999, wonach Luther bei der Taufe des Sohnes Carlstadts zugegen, seine Käthe Pathin war. Wenn dann später Carlstadt wieder gänzlich mit Luther brach, so ist nicht dieser Schuld daran gewesen.

3) Vgl. Walch 19, 511. Erlang. 30, 5.

4) So der Verfasser von Kirche, S. 207. Derselbe bezeichnet den Brief auch als schmeichlerisch'. Hoffentlich hat er denselben nie gelesen. Vielmehr nennt er wohl nur deshalb den Brief schmeichlerisch', weil es ja für einen niederträchtigen Menschen, als welchen er den Luther nun einmal ansieht, so sehr nahe gelegen hätte, dem Könige zu schmeicheln, um ihn für sich zu gewinnen. Aber und wir meinen, daß diese Thatsache für die richtige Beurteilung sowohl dieses Briefes als auch Luthers im allgemeinen von nicht Walther, Luther. II. Heft.

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habe, und durch solche himmelschreiend ungerechte Behandlung habe er ihn nur zum Widerspruch gereizt, nur noch tiefer in den Irrtum hineingetrieben. Das Gefühl, eine so entsetzliche Sünde auf sich geladen zu haben, konnte ihn zu den Worten bewegen: „Derhalben ich mit dieser Schrift Ew. Majestät zu Füßen falle, aufs demütigste um des Leidens Christi und seiner Ehre willen bittend und flehend, Ew. Majestät wolle sich mir zu verzeihen und zu vergeben gnädig finden lassen". Ja, er erbietet sich, seine beleidigenden Worte öffentlich zu widerrufen, „und der Herr, vor dessen Augen und nach dessen Willen ich dies schreibe, wolle meine Worte kräftig und thätig machen, daß der König in kurzem ein vollkommener Jünger des Herrn Christi und ein Bekenner des Evangeliums, dazu des Luthers gnädigster Herr werde! Amen“.1) So kann kein von Haß Erfüllter reden. —

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Wenn Luther irgend einen Menschen als seinen Feind ansehen konnte, so war es der streitbare, gewaltthätige Herzog Georg von Sachsen. Hat er ihn gehaßt? Einige Freunde stellten ihm vor, durch die Schärfe, mit der er gegen den Herzog geschrieben, bereite er der Sache, die ihm doch so sehr am Herzen liege, nur Schaden; es würde dem Evangelium günstig sein, wenn er ein freundliches Schreiben an ihn richte. Er war bereit dazu. Wir bemerken nicht einmal etwas davon, daß ihn dies Selbstüberwindung gekostet hätte: Ew. Fürstl. Gnaden soll es erfahren, daß ich's besser mit meiner härtesten Schrift gemeint habe und noch meine, denn alle die, so jezt Ew. Fürstl. Gnaden höchlich preisen, auch weidlich [stark] heucheln. So komme ich nun und falle mit Herzen Ew. Fürstl. Gn. zu Fuße und bitte auf das demütigste, Ew. Fürstl. Gn. wollte doch noch ablassen von dem ungnädigen Vornehmen, meine Lehre zu verfolgen. . Bei Fährlichkeit meiner Seele muß ich für Ew. Fürstl. Gn. Seele sorgen, bitten, flehen und ermahnen, ob ich könnte etwas ausrichten. Gott der Allmächtige gebe, daß ich [mit diesem Schreiben] zur guten

geringer Bedeutung ist, in dem ganzen Briefe findet sich nicht ein Wort, welches nach Schmeichelei' schmeckte, wenn man nicht so ungerecht sein will, den einmal vorkommenden Ausdruck dahin zu rechnen: „Ew. Majestät angeborene königliche Gütigkeit“.

1) Walch 19, 468 ff. D. W. 3, 24 ff.

Stunde komme und meine Schrift eine gnädige Statt finde in Ew. Fürstl. Gn. Herzen!") So, denken wir, so kann nur der schreiben, welchem einzig und allein an der Sache gelegen ist, für die er streitet, welcher vor den sachlichen Motiven alle persönlichen Neigungen und Abneigungen verschwinden läßt, welcher also auch nicht durch persönlichen Haß sich bewegen läßt, eine eigentümliche Kampfesweise anzunehmen.

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Endlich erinnern wir noch an folgende Worte Luthers in diesem Brief an den feindlichen Herzog: „Das soll Ew. Fürstl. Gnaden wissen, daß ich bisher für Ew. Fürstl. Gn. Herz fleißig [zu Gott] gebeten habe und auch noch bitte". Für den aber, den man haßt, kann man nicht beten. Oder sollte diese Mitteilung. Luthers nur eine seiner gewöhnlichen Hülfslügen' sein? Nun, so lesen wir in einem vertraulichen Schreiben an seinen Freund Spalatin: Darum bitte ich dich von Herzen, daß du aus allen Kräften mit mir den Vater aller Barmherzigkeit bittest, daß er . jenen [Herzog] befehre, oder wenn er dessen nicht wert ist, ihn hinwegnehme“ 2), und in einem andern Schreiben: „Ist er [Herzog Georg] zu befehren, mein Herr Jesu Christe, so bekehre ihn doch; wo nicht, so wehre ihm doch bald!") Ebenso hat sein Freund Lauterbach (im Jahre 1538) ihn im Kreise seiner nächsten Freunde sagen hören: „Täglich bete ich für ihn [den von Luther exkommunizierten wittenberger Landvogt Hans Metsch] und für den Herzog Georg".4)

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Können wir doch auch nur dann einen Gegner hassen, wenn wir sehen, daß derselbe unserer Person oder der von uns vertretenen Sache schadet. Luther aber erkannte mehr und mehr wie die Feindschaft seiner Widersacher nur zur Förderung seiner Sache diene. Daher schreibt er einmal an Emser: „Was dünft dich von meinem Gebet, das ich für dich und Eck sehr inbrünstig thue? [Mir ist solches Beten nicht schwer oder gar unmöglich.] Denn ich wüßte nicht, du magst es nun glauben oder nicht, wem ich mehr zu danken hätte und für wen ich andächtiger beten möchte

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1) Walch 19, 608 ff. D. W. 3, 55 ff. Erlang. 53, 338 ff.

2) Walch 15, Anh. 263. D. W. 3, 9S.

3) Walch 21, 225. D. W. 3, 268. Erlang. 53, 426.

) Lauterbach, Tagebuch, herausgegeben von Seidemann S. 167.

als für Tezel, den Urheber und Anfänger dieses Spiels, (Gott habe ihn selig!) und für dich und Eck und alle meine Widersacher; weil ich sehe, daß mir die Widersacher soviel nüßen“.1)

Ohne Zweifel kann man nicht oft einen solchen Mann finden und gewiß nur sehr schwer sich einen solchen Charakter vorstellen, welcher derartig schelten und wettern kann, wie Luther gethan, und doch „dabei ein freundlich, friedlich Herz gegen jedermann" behält. Doch die Thatsachen reden hier zu klar. Es bleibt eben nichts anderes übrig als Luther für einen nicht gewöhnlichen Charakter anzusehen. Jedenfalls müssen wir uns nach einer anderen Erklärung für sein heftiges Schreiben umsehen, als die Römischen zu geben im stande sind.

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Man möchte verschiedenes zu seiner Entschuldigung anzuführen geneigt sein. Etwa seine Herstammung aus dem Bauernstande, welche ihn seine Gegner nicht mit seidenen Handschuhen sondern mit dem Dreschflegel angreifen ließ. Ferner die ungeheure Arbeitsfülle, die auf ihm lastete und ihm nicht Zeit ließ, sein Gemüt erst stille" werden zu lassen, wenn Gegner durch ihre Dummheit und Unwahrhaftigkeit ihn gereizt hatten.2) Oder auch die mannigfachen körperlichen, oft so qualvollen Leiden, welche ihn verstimmt machen mußten. Wahrscheinlich wird er selbst die Einflüsse dieser Uebelstände auf seine Kampfesweise im Auge gehabt haben, wenn er einmal hinsichtlich seiner Polemik schreibt: Nicht, daß ich mich damit entschuldige, als sei nichts menschliches [sündliches] an mir".3) Vor allem war Luther darüber sich selbst völlig klar, daß sein Temperament ihm unmöglich mache, einen Kampf mit Vorsicht und Gemütsruhe zu führen. Seine cholerische Natur ließ ihn nie etwas mit kühler Objektivität behandeln, sondern was ihn beschäftigte, das verseßte ihn in Feuer. Diese -in unsern Augen herrliche Eigenschaft führte aber

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1) Walch 18, 1508. Erl. op. var. arg. 4, 26.

2) Darum sind auch diejenigen seiner Schriften, zu deren Ausarbeitung er mehr Zeit verwenden konnte, z. B. die Schrift von Concilien und Kirchen (Walch 16, 2615. Erl. 25, 219; 2. Aufl. 278), viel ruhiger gehalten als die, welche er wie im Fluge niederschrieb.

3) Walch 21, 38. Erlang. 53, 162. D. W. 2, 306.

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