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unsern Stand zu erhalten, denn wie ein ordentlich christlich Leben darin geführt und gebraucht werde'. Diese summarische Notiz, welche über ein Bestreben' und Handeln während eines Zeitraums von etwa achtzig Jahren orientiert, bringt er nicht eher als im vierten Bande1) seines Geschichtswerkes, welcher die Zeit nach 1555 darstellt! Er bringt diese Notiz in einem solchen Zusammenhange, daß durch seine Darstellung nur die Kirche verherrlicht wird, welche (auf dem Tridenter Konzil 1562) gegen solche Mißstände ihre treue Wächterstimme erhoben habe. Ein paar Bände hindurch hat er von diesen heillosen Vorkommnissen innerhalb der römischen Kirche so gut wie nichts erwähnt, hat vielmehr unermüdlich von dem ähnlichen Treiben protestantischer Fürsten so erzählt, als wenn derartiges auch zu jener Zeit als etwas ganz Exorbitantes gegolten hätte, und als wenn nichts anderes als die Reformation schuld daran gewesen wäre. Und während er von dem, was protestantischerseits hinsichtlich der Klöstergüter gefehlt worden ist, mit einer solchen Ausführlichkeit und Genauigkeit berichtet, als ob er nicht eine deutsche Geschichte', sondern ein Verzeichnis aller von Protestanten bekannt gewordenen Sünden zu schreiben sich vorgenommen hätte, erwähnt er das, was katholischerseits in dieser Beziehung gesündigt ist, fast nur in allgemeinen Redensarten auf höchstens zwei Dußend Zeilen. Und obwohl er selbst gesagt hat, schon lange vor dem Aufkommen des Protestantismus sei bei katholischen Fürsten' jene böse Neigung vorwaltend' gewesen, schiebt er doch noch einen Ausspruch von Luther in seine Darstellung ein, durch welchen der Anschein erweckt wird, als sei dieselbe eigentlich doch nur durch Luther geweckt worden! Wohin doch römische Anschauung einen Schriftsteller bringen kann!

Ebensowenig darf man bei diesem Geschichtsschreiber sich über den Inhalt der den sächsischen Visitatoren gegebenen Instruktion Rats erholen, wenn man nicht irregeleitet werden will. So berichtet er:2) Die Visitatoren sollten sich nun nach der Lehre und dem Wandel der Geistlichen erkundigen, päpstlich gesinnte Pfarrer

1) S. 154 ff.

2) III, 61.

absehen'. Nirgends aber lesen wir in jener Instruktion, daß eine Gesinnung' darüber Ausschlag zu geben habe, ob ein Pfarrer seines Amtes zu entseßen sei; sondern diejenigen sollen durch andere ersezt werden, welche ganz ungeschickt seien, Gottes Wort dem Volk vorzutragen, auch die göttlichen Sakramente nach demselben zu reichen oder die Ceremonien zu halten".1) Freilich waren diese „in der Papisterei hergekommen“, indem entweder ihr hohes Alter ihnen die Versehung ihres Amtes unmöglich machte, oder weil die römische Kirche auch solche Pfarrer angestellt hatte, welche absolut nicht imstande waren, zu predigen oder Seelsorge zu üben. Aber nicht darum sollten die Betreffenden abgesezt werden, weil sie „aus der Papisterei hergekommen"; denn dann hätten ja alle — auch Luther abgesetzt werden müssen; sondern nur dann, wenn sie ganz untüchtig zur Besorgung ihres Amtes waren.

Kein Pfarrer, Prediger oder Kaplan', belehrt uns Janssen weiter, dürfe sich unterstehen, anders zu lehren, zu predigen oder des Sakramentes und der Ceremonien halber zu handeln, als der Kurfürst ihm vorschreibe'. Wir aber lesen in der Instruktion:2) „nicht anders denn nach Vermögen göttlichen Wortes und in der Einfalt, wie das von uns und den unsern in dieser Zeit, darin Gott seine Gnade gethan und gegeben hat, angenommen ist“. Also nicht nach einer beliebigen Vorschrift' des Kurfürsten sollten sie sich richten, sondern nach dem Worte Gottes. Und nicht er schrieb vor', wie man dasselbe zu verstehen habe; sondern es stand längst fest, was die lutherischen Reformatoren einerseits gegen die Papisten, andererseits gegen die Seftierer angenommen" hatten.

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Denn', fährt Janssen fort, zur Verhütung schädlichen Aufruhrs und anderer Unrichtigkeit wolle der Kurfürst keine Sefte noch Trennung im Lande dulden'. Warum aber läßt er den wichtigen Vordersaß dieses Nachsages fort, in welchem ausdrücklich betont wird, daß kein Gewissenszwang ausgeübt werden dürfe: „Obwohl unsere Meinung nicht ist, jemanden zu verbinden, was er halten oder glauben soll"? Dann würden die Leser erkannt

1) Richter, die vangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrh., 1, S. 78. 2) Richter, a. a. D. S. 78h.

haben, daß dieses Verfahren einen gewaltigen Fortschritt im Vergleich zu der römischen Art, gegen Irrlehrer vorzugehen, bezeichnet.

Dergleichen Inquisition von den Visitatoren', sagt Janssen, solle auch der Laien halber bestehen'. Wer kann darnach anders vermuten, als daß es sich um Errichtung eines Inquisitionstribunals handelte, welches auch auf die katholisch gesinnten Laien sich zu erstrecken habe? Aber das Wort Inquisition' hat nur durch die furchtbare Art, wie dieselbe innerhalb der römischen Kirche gehandhabt worden ist, einen so unheimlichen, blutigen Beigeschmack bekommen. Eigentlich bedeutet es nichts weiter als ein Verhör, eine Untersuchung. So auch an der vorliegenden Stelle. Und diese Nachforschung, welche die Visitatoren vornehmen sollten, bezieht sich nicht auf Katholiken, sondern nur auf die Sektierer, von denen „Aufruhr“ zu befürchten war.

Von einer Duldung der Katholiken war keine Rede mehr', schließt Janssen. Und doch führt er selbst gleich darauf aus dem „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn“ die Worte an: „Die Schwachen, welche ohne Halsstarrigkeit, aus Blödigkeit und Furcht ihres Gewissens nicht könnten beider Gestalt empfangen, die möge man-noch eine Zeit lang einerlei Gestalt genießen lassen". Es wurde also der Empfang allein des Brotes im Abendmahl gestattet, „damit niemand wider sein Gewissen zu thun gedrungen oder das Sakrament dem, der Recht bisher dazu gehabt, wider sein Recht genommen werde"; "also duldet St. Paulus die Beschneidung und jüdische Speise".1) Es war also doch von Duldung die Rede'. Nach Janssens Darstellung freilich hätte Luther von solcher Duldung nichts wissen wollen. Nachdem er nämlich gesagt: „Den Unterricht der Visitatoren entwarf Melanchthon" und dann auch jene Stelle über die beim Abendmahl zu übende Duldung mitgeteilt, fährt er fort: Luther, dem Melanchthons Unterricht durch den Kurfürsten zur Begutachtung vorgelegt wurde, . . . machte in Bezug auf das Abendmahl' einen Zusah: „Die Prediger sollen die Lehre von beider Gestalt stracks und frei lehren vor jedermann, er sei schwach, stark oder hals

1) Richter, a. a. D. S. 90.

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starrig und in keinem Weg die eine Gestalt billigen"? Kann das ein Leser anders verstehen, als daß Luther im Gegensatz zu dem Entwurf des Melanchthon solche Duldung verworfen habe? Und doch verlangt Luther beides mit derselben Entschiedenheit, sowohl, daß der Empfang des Abendmahls unter nur einer Gestalt gestattet werde die Schwachgläubigen würden sonst „zu fündigen gezwungen“, sagt er —, als auch, daß die Prediger um solcher Schwachen willen nicht unterlassen dürften, vor der gesamten Gemeinde zu predigen, es sei das richtige, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu feiern.') Wir nennen das nicht despotischen Zwang üben'.2)

Von dem freilich, was man heutigentages gewöhnlich unter Toleranz versteht, wußte Luther noch nichts. Aber wir brauchen uns nicht erst auf eine Prüfung dieser modernen Toleranzidee einzulassen, um den Reformator zu verteidigen. Bedenken wir nur, was für Waffen die römische Kirche nicht unbenußt ließ, um die evangelische Lehre auszurotten, daß man gegen die Anhänger der neuen Lehre' nicht allein Vertreibung aus dem Lande, sondern Kerker und Scheiterhausen anwandte, und zwar längst ehe Luther jene Visitation veranlaßte; bedenken wir ferner, daß die „Mordpropheten", Münzer und Genossen, thatsächlich, und zwar eben im Namen ihrer Lehre, Gewaltthaten aller Art verübt und Empörung angestiftet hatten; bedenken wir endlich, daß nach Luthers Ueberzeugung gerade das papistische Treiben jene Verachtung des Göttlichen, jenen Haß gegen die Kirche und ihre Diener erzeugt hatte, welche in den Bauernaufständen so grausenerregend sich zeigten; so muß jeder Unparteiische es für das einzig richtige halten, wenn Luther dahin strebte, daß in einem Lande nur eine Konfession herrsche.

Durch welche Mittel aber wollte er dies erreichen? Man belehrt uns:3) Wir konstatieren die Thatsache, daß nach eigenem mündlichen und schriftlichen Zeugnis fast alle Reformatoren die Notwendigkeit völliger Unterdrückung und blutiger Ausrottung der katholischen Kirche als sich von selbst verstehend

1) Vgl. D. W. 3,258 f. 6, 87 f. Walch 10, 1934 ff. Erl. 53, 418.
2) So Janssen III, 193.

3) Geschichtslügen 448.

betrachteten

Luthers Stimmung und Verfolgungssucht gegen Alle, die dem „reinen Evangelium", das heißt seiner Lehre, nicht anhängen wollten, ist allbekannt'. Also die Katholiken blutig zu verfolgen' war bei Luther zu einer Sucht' geworden? · Nun, Janssen muß wenigstens gestehen: 1) Luther verlangte nur die Vertreibung der Katholiken'. Und wir meinen, gegen den Uebelstand, daß zu jener Zeit bei Zusammenwohnen von Evangelischen, Römischen und Sektierern der Friede im Lande nicht aufrecht erhalten werden konnte, darf dieser Uebelstand, daß die bei der römischen Kirche Beharrenden aus den evangelischen Gebieten auswandern mußten, nicht in Betracht kommen.

...

Hinsichtlich der Wiedertäufer freilich weiß man uns noch viel schlimmeres von Luther zu berichten. Auch Luther hat die Todesstrafe gegen die Häretiker nicht allein ausführlich und bündig gerechtfertigt, sondern auch an vielen mit furchtbarer Konsequenz vollziehen lassen', schreibt man uns aus einer römischen Kirchengeschichte ab.2) So arg freilich macht es Janssen nicht. Aber doch behauptet auch er:3) Der Kurfürst von Sachsen richtete die Wiedertäufer mit dem Schwert . So hatten die sächsischen Theologen den Kurfürsten belehrt, sowohl Luther, der die Wiedertäufer für Sendlinge des Teufels ausgab, als auch Melanchthon'. Und gewiß, Melanchthon ist bei der römischen Auffassung stehen geblieben, welche sich in dem kaiserlichen, auf dem Reichstage zu Speyer von den Ständen angenommenen Mandat vom 23. April 1529 folgendermaßen ausspricht: Wir ordnen, sehen, machen und deklarieren aus Kaiserlicher Machtvollkommenheit und rechtem Wissen, und wollen, daß alle und jede Wiedertäufer und Wiedergetaufte, Mannes- und Weibspersonen, verständigen Alters, vom natürlichen Leben zum Tod mit Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Personen, ohne vorhergehende Inquisition der geistlichen Richter, gerichtet und gebracht werden'.4)

Auch Janssen erwähnt dieses Mandat.") Doch weiß er den

1) III, 194. 1. Wort 175.

2) Röhm, Unwahrheiten 84 f., aus Alzog, Kirchengeschichte 9. Aufl., 2, 203 3) III, 105 f.

*) Walch 16, 353.

5) III, 105.

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